Transkript
STUDIE REFERIERT
Kein Einfluss auf Sexual- und Urogenitalfunktion belegt
Radfahren schadet Männern nicht
Eine aktuelle Studie untersuchte, wie sich der mit dem Radfahren einhergehende Satteldruck in der Perinealregion auf die männliche Sexual- und Urogenitalfunktion auswirkt.
Journal of Urology
Den unbestrittenen positiven Effekten des Radfahrens auf die Gesundheit stehen als Folge eines exzessiven Betreibens mögliche chronische Überbeanspruchungsverletzungen an Hals, Händen oder Handgelenken, im unteren Rückenbereich und an den Knien sowie am Gesäss und in der Perinealregion gegenüber. Eine potenzielle Beeinträchtigung der männlichen Sexualfunktion infolge des durch langes Sitzen im Sattel hervorgerufenen Drucks und daraus resultierender Mikrotraumen im Dammbereich hat in den letzten Jahren vermehrt auch mediale Beachtung erfahren. Studien, welche einen Zusammenhang zwischen Radfahren und erektiler Dysfunktion nahelegen, mangelte es allerdings bis anhin an einem ausreichend grossen Stichprobenumfang, an einer geeigneten Validierung und/oder an geeigneten Vergleichsgruppen. Die überzeugendsten Ergebnisse wurden dabei an Probanden ermittelt, die an Langstreckenrennen teilgenommen hatten; der Effekt freizeitmässig betriebenen Radfahrens auf die erektile Funktion ist dagegen bis anhin kaum untersucht. Auch gibt es nur wenige Daten zum Zusammenhang zwischen Radfahren und dem Auftreten von LUTS (lower urinary tract symptoms) und chronischer Prostatitis oder chronischem Beckenschmerzsyndrom.
Vergleich von Radfahrern mit nicht radfahrenden Sportlern
Eine grosse multinationale Querschnittsstudie sollte daher nun unter Einbezug einer adäquaten Kontrollpopulation (Schwimmer und Läufer, das heisst mit Radfahrern vergleichbare Athleten ohne perinealen Kontakt) und Anwendung validierter Fragebögen (Sexual Health Inventory for Men [SHIM], International Prostate Symptom Score [I-PSS], National Institutes of Health Chronic Prostatitis Symptom Index [NIH-CPSI]) den Einfluss des Radfahrens
auf die urogenitale Funktion näher untersuchen und dabei auch die Frage beleuchten, ob und inwieweit Strassenverhältnisse oder Eigenschaften des verwendeten Rades dabei eine Rolle spielen. Insgesamt 14 333 Personen, darunter 8480 Männer, nahmen an der Befragung teil; 5488 (65%) schlossen die Datenerhebung ab. Nach Ausschluss von Individuen, welche entweder keinerlei Sport betrieben, oder solchen, die sowohl Radfahrer als auch Schwimmer oder Läufer waren, konnten 3932 männliche Probanden (darunter 30% Nicht-Radfahrer, 47% moderate Radfahrer, 23% intensive Radfahrer) in die Auswertung einbezogen werden.
Urethrastrikturen bei Radfahrern häufiger
In der multivariaten Analyse der Daten zeigte sich, dass Schwimmer beziehungsweise Läufer einen statistisch signifikant niedrigeren SHIM-Score aufwiesen als niedrig oder hoch intensive Radfahrer (19,5 vs. 19,9/20,7; p = 0,02 bzw. < 0,001). Hinsichtlich der Ergebnisse des I-PSS- und des NIH-CPSIScores sowie der ebenfalls durchgeführten Befragung zum Auftreten von Harnwegsentzündungen ergaben sich keinerlei statistisch signifikante Unterschiede zwischen Radfahrern und Nicht-Radfahrern. Moderate (OddsRatio [OR]: 3,5; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,5–8,6; p = 0,005), nicht jedoch intensive Radfahrer (OR: 0,8; 95%-KI: 0,2–2,7; p = 0,75) zeigten gegenüber Nicht-Radfahrern eine leicht höhere Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Harnröhrenverengungen. Eine Wiederholung dieser Analyse unter Zusammenführung sämtlicher Radfahrer in eine Gruppe ergab eine für Radfahrer gegenüber Nicht-Radfahrern erhöhte Wahrscheinlichkeit von Urethrastrikturen (OR: 2,5; 95%-KI: 1,03–5,9; p = 0,042). Die Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Wundsein (OR: 9,8;
95%-KI: 6,9–13,8; p = 0,001 bzw. OR: 25,9; 95%-KI: 18,1–36,9; p = 0,001) und Taubheitsgefühlen im Genitalbereich (OR: 6,2; 95%-KI: 4,9–7,7; p = 0,001 bzw. OR: 13,4; 95%-KI: 10,5–17; p = 0,001) war bei niedrig und hoch intensiven Radfahrern gegenüber Nicht-Radfahren signifikant erhöht. Weder Fahrrad- noch Strassencharakteristika waren statistisch signifikant mit den Ergebnissen im SHIM-, I-PSS- oder NIH-CPSI-Score assoziiert. Dagegen ergab sich für ein Stehen in den Pedalen während mehr als 20 Prozent der auf dem Rad verbrachten Zeit eine deutliche Senkung der Quoten einer berichteten genitalen Taubheit (OR: 0,4; 95%KI: 0,3–0,8; p = 0,006). Eine Justierung des Lenkers auf mindestens Sattelhöhe oder höher statt unterhalb des Sattels resultierte in niedrigeren Raten des Auftretens genitaler Taubheitsgefühle (OR: 0,8; 95%-KI: 0,6–0,9; p = 0,005) und von Wundsein (OR: 0,6; 95%-KI: 0,5– 0,8; p = 0,001).
Fazit
Entgegen früheren Studienergebnissen
ergaben sich im Rahmen der vorliegen-
den Untersuchung bei Radfahrern ge-
genüber nicht radfahrenden Sportlern
keinerlei Beeinträchtigungen der erek-
tilen Funktion oder vermehrte Harn-
wegssymptome, allerdings kam es bei
ihnen häufiger zu Harnröhrenstriktu-
ren. Verlängerte Phasen des Stehens in
den Pedalen während des Radelns
sowie eine Erhöhung der Lenkerposi-
tion auf oder über Sattelniveau konnten
die Wahrscheinlichkeit für das berich-
tete Auftreten von Taubheitsgefühlen
und Wundsein im Genitalbereich deut-
lich reduzieren.
RABE L
Quelle: Awas MA et al.: Cycling, and male sexual and urinary function: results from a large, multinational, cross-sectional study. J Urol 2017; 199: 798–804.
Interessenlage: Die Autoren der referierten Originalstudie geben an, dass keinerlei Interessenkonflikte vorliegen.
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ARS MEDICI 7 | 2018