Transkript
FORTBILDUNG
Diagnostik und Therapie von Nasennebenhöhlenentzündungen
Aktualisierte S2k-Leitlinie vorgelegt
Die gemeinsam durch die Deutsche Gesellschaft für die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie sowie die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin herausgegebene Leitlinie Rhinosinusitis wurde soeben aktualisiert. Sie gibt Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie im Routinefall sowie bei komplizierten Situationen.
DGHNO-KHC/DEGAM
Bei der Abklärung einer Rhinosinusitis sollte die Anamnese den zeitlichen Verlauf der Beschwerden, allfällige beschwerdefreie Intervalle und die Anzahl der Episoden in einem Zeitraum von zwölf Monaten mit zwischenzeitlicher Besserung der Symptomatik berücksichtigen. Ebenfalls von Interesse sind bisherige Therapieversuche und deren Wirksamkeit, relevante Vorerkrankungen, Nasenatmungsbehinderung und neben den typischen Symptomen und Beschwerden auch anhaltendes Fieber, starkes Krankheitsgefühl, Druckschmerz über der Stirn- beziehungsweise Kieferhöhle, Beschwerden im Bereich der Zähne und des Zahnhalteapparats sowie eine Zunahme der Schmerzen beim Vornüberbeugen.
Keine routinemässige Bildgebung
Eine akute Rhinosinusitis (≤12 Wochen) wird anhand der Klinik diagnostiziert. Eine routinemässige Bildgebung ist nicht indiziert, ebensowenig umfangreiche Laboruntersuchungen oder mikrobiologische Abklärungen. Bei starken oder sehr starken Schmerzen kann im Hinblick auf die Indikationsstellung zu einer Antibiotikabehandlung eine Bestim-
MERKSÄTZE
Bei Nasennebenhöhlenentzündungen ist zu unterscheiden zwischen akuten, rezidivierend akuten und chronischen Verläufen.
Bei akuten Rhinosinusitiden erfolgt die Diagnose aufgrund der Symptomatik, eine Bildgebung oder eingehende Labortests sind routinemässig nicht indiziert.
Bei akuter Rhinosinusitis mit ausgeprägten Schmerzen oder Fieber kann CRP oder BSG die Indikationsstellung für eine Antibiotikabehandlung erleichtern.
Bei einer akuten Rhinosinusitis und bei akuten Rezidiven werden lokale Anwendungen mit physiologischer Kochsalzlösung und die Inhalation heisser Dämpfe empfohlen.
Bei akuter Rhinosinusitis oder bei akuter Exazerbation mit starken Schmerzen und erhöhten Entzündungsparametern werden Antibiotika per os empfohlen.
mung von C-reaktivem Protein (CRP) oder Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) erfolgen. Auch bei der rezidivierenden akuten Rhinosinusitis sind routinemässig bildgebende Verfahren nicht angezeigt. Im Rahmen der Abklärung einer chronischen Rhinosinusitis (> 12 Wochen) soll hingegen eine Schnittbildgebung durchgeführt werden. Ist eine Operation geplant, sollte eine Computertomografie (CT) oder alternativ eine digitale Volumentomografie (DVT) erfolgen, wobei die Untersuchungsqualität für computergestützte Navigationssysteme ausreichend sein muss. In der weiterführenden Diagnostik bei einer chronischen Nasennebenhöhlenentzündung sollten routinemässig keine speziellen laborchemischen oder technischen Verfahren veranlasst werden. Diese sind nur bei Verdachtsmomenten für kausale Systemerkrankungen in Abstimmung mit den beteiligten Fachdisziplinen sinnvoll. Bei chronischer Rhinosinusitis mit Polypen kann auf eine allergologische Testung verzichtet werden. Bei ätiologisch ungeklärter chronischer Rhinosinusitis ohne Polypen kann eine allergologische Testung erfolgen. Bei anamnestischen oder klinischen Hinweisen auf eine allergische Genese sollte sie jedoch immer erfolgen. Auch bei ätiologisch ungeklärtem, postoperativem Rezidiv einer chronischen Rhinosinusitis ohne Polypen soll eine allergologische Abklärung erfolgen.
Empfohlene Therapien
«Bei einer akuten Rhinosinusitis und bei akuten Rezidiven können lokale Anwendungen mit physiologischer Kochsalzlösung (z.B. als Nasentropfen oder -spray) und die Inhalation heisser Dämpfe (38–42 °C) empfohlen werden», hält die Leitlinie fest. Hingegen könne die Wirksamkeit von pulsatilen Inhalationen, Akupunktur und Homöopathie aufgrund der uneinheitlichen Datenlage nicht abschliessend beurteilt werden. Die Leitlinie empfiehlt bei akuter Rhinosinusitis zudem eine Behandlung mit einem patentierten (Misch-)Extrakt (BNO 1016, Sinupret®) oder definierten Eukalyptusextrakten. Bei akuter Rhinosinusitis können Dekongestiva zur symptomatischen Linderung angewendet werden. Die topischen abschwellenden Medikamente sollten frei von Benzalkoniumchlorid sein und nicht länger als zehn Tage verwendet werden. Bei einer akuten Rhinosinusitis oder bei einem Rezidiv sind Schmerzmittel zur symptomatischen
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FORTBILDUNG
Synopsis zu Einteilung, Diagnostik und weiterführenden Abklärungen bei Rhinosinusitiden
akute Rhinosinusitis (ARS)
Definition ≤ 12 Wochen
rezidivierende Rhinosinusitis (rez. ARS)
≥ 4 Episoden innert 12 Monaten
chronische Rhinosinusitis (CRS), entweder mit (lat. cum) Polypen (= CRScP) oder ohne (lat. sine) Polypen (= CRSsP)
> 12 Wochen
Diagnose – typische Symptome: Nasenatmungsbehinderung, anteriore und/oder posteriore Sekretion, Gesichtsschmerz, Riechstörung – fakultative Beschwerden: Fieber, Kopfschmerz
wie ARS
wie ARS, häufig weniger charakteristische oder schwächer ausgeprägte Symptome
Spontanverlauf vollständige Heilung bei 60–80% innert 2 Wochen, bei 90% innert 6 Wochen
auch jahre- oder lebenslange Verläufe möglich
Abklärung – allgemein. klin. Eindruck, Inspektion, Druck-/Klopfschmerz ub̈ er Kiefer- bzw. Stirnhöhlen sowie Rhinoskopie und/oder nasale Endoskopie (Sekundärund Tertiärversorgung) – routinemässig keine bildgebenden Verfahren! – Endoskopie bzw. zumindest eine Rhinoskopie – routinemässig keine bildgebende Diagnostik! – Computertomografie (CT) oder digitale Volumentomografie (DVT) kann im symptomfreien Intervall zum Ausschluss anderer Pathologien oder zur OP-Planung erfolgen – ggf. allergologische Testung
– Endoskopie – Schnittbildgebung im Hinblick auf eine OP: CT (alternativ DVT) – ggf. allergologische Testung
Therapie empfehlenswert. Bei einer akuten allergischen und bei der rezidivierenden akuten Nasennebenhöhlenentzündung sollten Kortikosteroide lokal angewendet werden. Dekongestiva sollten bei der chronischen Rhinosinusitis wegen der Gefahr der Entstehung einer Rhinitis medicamentosa nicht angewendet werden, erinnert die Leitlinie. Topische Kortikosteroide sollten jedoch zur Behandlung der chronischen Rhinosinusitis ohne Polypen und insbesondere bei Vorliegen von Polypen zum Einsatz kommen. In Einzelfällen kommen auch systemische Kortikosteroide in Betracht. Bei Versagen etablierter Therapieformen können im Einzelfall bei chronischer Rhinosinuisitis mit Polypen auch ausgewählte Biologika eingesetzt werden. Eine adaptive Desaktivierungsbehandlung sollte bei Patienten mit gesichertem Analgetikaintoleranzsyndrom und einer chronischen Rhinosinusitis mit Polypen bei Auftreten einer Rezidivpolypose durchgeführt werden. Für eine Empfehlung pro oder kontra Phytotherapie bei rezidivierender akuter sowie bei chronischer Rhinosinusitis ist die Evidenzlage nach Einschätzung der Leitlinienautoren nicht ausreichend.
Wann Antibiotika?
«Bei einer akuten Rhinosinusitis beziehungsweise einer akuten Exazerbation sollten in der Regel keine Antibiotika gegeben werden», erklärt die Leitlinie. Bei Patienten mit besonderen Risikofaktoren (chronisch entzündliche Lungenerkrankung, Immunmangel, Immunsuppression) ist aber eine Antibiotikagabe zu erwägen. Eine Antibiotikaverschreibung sollte zudem erfolgen bei Hinweisen auf Komplikationen wie starke Kopfschmerzen, Gesichtsschwellungen oder Lethargie.
Die Leitlinie empfiehlt eine antibiotische Therapie bei akuter Rhinosinusitis oder akuter Exazerbation bei rezidivierender Nasenebenhöhlenerkrankung, wenn starke oder sehr starke Schmerzen vorliegen und gleichzeitig die Entzündungsparameter erhöht sind (CRP > 10 mg/l oder BSG > 10 mm/h bei Männern bzw. > 20 mm/h bei Frauen). Antibiotika können ferner erwogen werden bei einer akuten Rhinosinusitis sowie bei einer akuten Exazerbation, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eine bakterielle Ursache hat, wenn die Beschwerden stark sind und/oder sich im Krankheitsverlauf verstärkt haben, und/oder bei Fieber > 38,5 °C. Als Mittel der ersten Wahl gilt Amoxicillin (3-mal 500 mg/ Tag) beziehungsweise ein Cephalosporin (Cefuroxim [2-mal 250 mg/Tag]). Als Mittel der zweiten Wahl kommen Makrolide (z.B. Azithromycin [500 mg/Tag]), Amoxicillin + Clavulansäure, Doxycyclin oder Cotrimoxazol infrage. Bei chronischer Nasennebenhöhlenentzündung ohne Polypen sollte der länger dauernde Einsatz von Clarithromycin bei Versagen der Standardtherapie erwogen werden. Im Einzelfall kann zur Besserung des Befundes auch Erythromycin beziehungsweise zur passager begrenzten Besserung der Lebensqualität Roxythromycin eingesetzt werden. Von Azithromycin rät die Leitlinie ab. Bei chronischer Rhinosinusitis mit Polypen kommt bei Rezidivpolypose eine länger dauernde Behandlung mit Doxycyclin in Betracht. Die Anwendung von Erythromycin, Azithromycin und Roxithromycin kann in dieser Konstellation aber nicht empfohlen werden. Schliesslich betont die Leitlinie, dass eine topische Anwendung von Antibiotika bei Patienten mit chronischer Nasennebenhöhlenentzündung nicht erfolgen sollte.
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Therapieoptionen bei Rhinosinusitis (gemäss DGHNO-KHC/DEGAM-Leitlinie)
Salzlösungen/Meerwasser zum Befeuchten (als Nasentropfen/-spray/-salbe) Emser® Salz, Fluimare®, Naaprep®, Nasmer®, Rhinomer®, Siccalix (Salbe), Triomer®
Pflanzlicher Mischextrakt BNO 1016 (Sinupret®)
Eukalyptusextrakt A. Vogel Po-Ho-Oel®, Amavita Pulmosan®, Coop Vitality® Erkältungs- und Bronchialbad/Erkältungssalbe, Demo pommade contre les refroidissements®, Denosol® Erkältungsbad, GEM® Erkältungs- und Bronchialbad, Liberol® Salbe, Novital®, Olbas® Oel/Salbe, Pectorex® Erkältungs- und Bronchialbad, Pinimenthol-N®, Po-Ho-Oel® blau, Pulmex® Bad, Vicks VapoRub®
Sympathomimetika/Dokongestiva (abschwellende Nasensprays, -salben oder orale Darreichungsform) Oxymetazolin: Nasivin®, Vicks Sinex® Phenylephrin: Arbid-Top®, Otriduo® Schnupfen, Rhinocap® (Kapseln), Triofan® (Kapseln), Vibrocil® (Spray, Tropfen und Gel), NeoCitran® Grippe (Analgetika-Pulver) Tuaminoheptan: Rinofluimucil® Xylometazolin: Amavita Xylometazolin®, Coop Vitality® Xylometazolin, Neo Spirig®, Nasic®, Otrivin® Schnupfen, Rhin-X Xylo®, Rhinostop®, Rinosedin®, Snup®, Triofan Rhume®, Xylo Actavis®, Xylo-Acino®, Xylo-Mepha®, Xylofelan®, Zycomb® Ephedrin: Alcacyl Grippe®, Amavita Antigrippe®, Aspirin Complex®, Coop Vitality® Grippe, Fluimucil Grippe Day & Night®, NeoCitran® Schnupfen/Erkältung, Pretuval® Grippe & Erkältung, Vicks Medinait® (alles Analgetika), Rinoral® (Kapseln) Levocabastin: Livostin®
Topische Glukokortikoide (Nasensprays, -salben) Budesonid: Budesonid Sandoz®, Cortinasal®, Rhinocort® Fluticason: Avamys®, Nasofan®, Dymista® (Fixkombination mit Azelastin), Flutinase® (nasale Suspension), Cutivate® (Salbe) Mometason: Mometason Actavis®, Mometason Pollen Sandoz®, Mometason Spirig HC®, Mometason-Mepha®, Mometasonfuorat Sandoz®, Nasonex® Tixocortolpivalat: Pivalone® (Fixkombination mit Neomycin)
Systemische Glukokortikoide Betamethason: Betnesol®, Celestone Chronodose®, Diprophos® Deflazacort: Calcort® Dexamethason: Dexamethason Galepharm®, Dexamethason Helvepharm®, Fortecortin®, Mephameson® Prednisolon/Methylprednisolon: Depo-Medrol®, Medrol®, Methylprednisolone Labatec®, Prednisolon Streuli®, Prednisolone Labatec®, SoluMedrol®, Spiricort® Prednison: Lodotra®, Prednison Axapharm®, Prednidson Galepharm®, Prednison Streuli®, Triamcinolonacetonid: Kenacort-A®, Triamcort®, Triamject®
Biologika Omalizumab: Xolair® Mepolizumab: Nucala® Reslizumab: Cinqaero®
Kurzfassung:
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-049_und_ 053012k_S2k_Rhinosinusitis_2017-12.pdf
Langfassung:
http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/017-049_und_ 053012l_S2k_Rhinosinusitis_2017-12.pdf
Interessenkonflikte deklarieren die Autoren im Detail unter:
http://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/ 017_D_G_f_Hals-Nasen-Ohrenheilkunde__Kopf-_und_Halschirurgie/ 017-049_und_053-012i_S2k_Rhinosinusitis_2018-01.pdf
Wann überweisen?
«Ein Wechsel auf die nächst höhere Versorgungsebene sollte erfolgen bei Patienten mit Immunsuppression, zur Abklärung einer rezidivierenden akuten Rhinosinusitis und bei chronischer Rhinosinusitis, bei Therapieresistenz, bei Hinweisen auf eine odontogene Ursache und wenn eine weitere Diagnostik mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu besseren Therapieergebnissen führen kann oder eine sinnvolle Therapie nur auf nächster Versorgungsebene möglich ist, zum Beispiel bei Operationsindikation», schreiben die Leitlinienautoren. Hinweise auf gefährliche Verläufe beziehungsweise Komplikationen sollten den Wechsel auf eine Institution mit spezialisierter stationärer Versorgung auslösen. L
Halid Bas
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