Transkript
STUDIE REFERIERT
Menopausale Hormonsubstitution
Neue WHI-Daten zur Mortalität
Eine fünf- bis siebenjährige Hormonsubstitution mit Östrogen oder einer Kombination mit Östrogen und Progesteron führt weder zu einer Zunahme der Gesamtsterblichkeit noch zu einer erhöhten ursachenspezifischen Sterblichkeit.
JAMA
Die Women’s Health Initiative (WHI) wurde 1993 in Nordamerika mit dem Ziel gegründet, koronaren Herzerkrankungen, Brust- und Dickdarmkrebs sowie osteoporotischen Frakturen bei Frauen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren vorzubeugen. Bei den ursprünglich 161 808 eingeschlossenen Frauen werden seither in verschiedenen Langzeitstudien die Auswirkungen von Hormonersatztherapie (HRT), Ernährungsumstellung sowie Kalzium- und Vitamin-D-Substitution untersucht. Die WHI-Studien über HRT wurden mit Hormonpräparaten durchgeführt, welche zum Zeitpunkt des Studienbeginns 1993 am häufigsten verschrieben wurden: konjugierte equine Östrogene (CEE), zusammen mit Medroxyprogestereon (MPA), für Frauen mit gesundem Uterus und CEE als Monotherapie bei Frauen mit Status nach Hysterektomie.
Follow-up auch nach Abbruch der Studien zur HRT
Die Studie, welche die CEE/MPA-Kombination untersuchte, wurde bereits nach 5,6 Jahren abgebrochen, weil es darunter zu einer Zunahme von Brustkrebs kam und die Risiken insgesamt den Nutzen der Hormonsubstitution überstiegen. Die Studie zur Monotherapie musste nach 7,2 Jahren eingestellt werden, da vermehrt Hirnschläge auftraten. Bei beiden Studien wurde jedoch das Follow-up weitergeführt. Erstmals wurde nun die Gesamtsterblichkeit der ursachenspezifischen Sterblichkeit gegenübergestellt und publiziert. Für diese Studie wurden von 1993 bis 1998 an 40 nordamerikanischen Kliniken 27 347 Patientinnen zwischen 50 und 79 Jahren rekrutiert. 16 608 Frauen mit gesundem Uterus erhielten nach entsprechender Randomisierung täglich 0,625 mg CEE und 2,5 mg MPA oder Plazebo, während
10 739 hysterektomierte Frauen täglich 0,625 mg CEE allein beziehungsweise Plazebo verabreicht bekamen. Als primärer Endpunkt galt in beiden Studien ein akutes koronares Ereignis oder die Diagnose eines invasiven Brustkrebses. Der postinterventionelle Verlauf wurde bis zum 31. Dezember 2014 weitergeführt und erfasste sämtliche in dieser Zeit erfolgten Todesfälle mittels Todesfallregister des nationalen amerikanischen Krebsinstituts. Von früheren Studien abweichende Werte einiger in dieser Studie publizierter Hazard Ratios (HR) kamen durch die zwischenzeitlich nahezu vollständige Erfassung aller Todesfälle inklusive deren Ursachen (98%) zustande. Insgesamt starben 7489 Frauen, 1088 während der Interventionsphase, die restlichen 6401 nach Beendigung der Hormontherapie. Das mittlere Follow-up der CEE/MPA-Gruppe betrug 12,5 Jahre, respektive 10,8 Jahre in der Monotherapiegruppe (mit der Interventionsphase kumuliert jeweils 18 Jahre).
Gesamt-, CVD- und Krebsmortalität untersucht
Während des kumulierten, 18 Jahre dauernden Follow-ups liess sich weder unter CEE/MPA- noch unter alleiniger CEE-Substitution eine erhöhte Gesamtsterblichkeit beziehungsweise ein erhöhtes Risiko für eine kardial oder krebsbedingte Sterblichkeit feststellen. Auch für die Mortalität nach Hirnschlag war keine der beiden Therapien während der Interventionsphase signifikant mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden. Hinsichtlich der Frage, ob die Todesfälle während oder nach Intervention häufiger auftraten, wurde zwischen beiden HRT kein signifikanter Unterschied gefunden. Im Hinblick auf die Krebssterblichkeit wurde in der Gesamtkohorte mit einer
Beobachtungszeit von 18 Jahren eine Sterblichkeitsrate von 8,2 Prozent in der Interventions- und von 8,0 Prozent in der Plazebogruppe ausgemacht (HR: 1,03). Zwischen den beiden Hormonstrategien bestand kein signifikanter Unterschied. Die Brustkrebssterblichkeit lag in der CEE/MPA-Gruppe bei 1,44 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,97–2,15; p = 0,07) und in der CEE-allein-Gruppe bei 0,55 (95%-KI: 0,33–0,92; p = 0,02). Die HR für die Mortalität aufgrund eines Darmoder anderen Krebses unterschieden sich in keiner der Studien signifikant.
Erhöhtes Mortalitätsrisiko für ältere Frauen unter Östrogen
In altersabhängigen Subgruppen jedoch liess sich weiter differenzieren: Obwohl jüngere Frauen (50–59 Jahre) im Vergleich zu älteren (70–79 Jahre) tendenziell während der Dauer der Hormonsubstitution eine niedrigere HR bezüglich der Mortalität durch eine kardiovaskuläre (CVD), eine Krebs- oder andere Erkrankung hatten, konnte lediglich in der Gruppe mit CEE allein eine signifikant erhöhte HR bei älteren Frauen festgestellt werden (p = 0,002), was teilweise auf die erhöhte Nebenwirkungswahrscheinlichkeit von CEE bei Frauen dieses Alters zurückzuführen ist. In der Follow-upPhase schliesslich konnte kein signifikanter Trend für eine erhöhte, krankheitsspezifische Mortalität mehr festgestellt werden. Bei der Abwägung von Risiken und Nutzen einer Hormontherapie kann die Gesamtmortalität eine Art übergeordnete Messgrösse sein, um lebensbedrohliche Folgen einer 5- bis 7-jährigen Hormonsubstitution abschätzen zu können. Bisherige Auswertungen der WHI-Daten hatten vorwiegend neu aufgetretene Diagnosen von CVD,
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STUDIE REFERIERT
NACHGEFRAGT
Prof. Christian De Geyter Chefarzt Reproduktionsmedizin und gynäkologische Endokrinologie (RME) Universitätsspital Basel
Wann ist eine HRT indiziert?
Herr Professor De Geyter, in der letzten Zeit sind verschiedene Publikationen zur WHI-Studie erschienen, deren Ergebnisse Anlass zur Diskussion geben. Wann ist aus Sicht der Schweizerischen Menopausengesellschaft und der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) der Einsatz einer HRT indiziert? Die Hauptindikation für eine HRT ist das klimakterische Syndrom, also die häufig unerträglichen Beschwerden, die auf den chronischen Östrogenmangel nach der Menopause zurückzuführen sind. Für die SGGG haben wir 2015 eine der heutigen Lehrmeinung entsprechende, ausführliche Stellungnahme mit aktuellen Empfehlungen zur HRT erarbeitet. Für manche Frauen können beispielsweise die Hitzewallungen und unvermittelt auftretenden Schweissausbrüche sehr belastend sein, und es hat sich gezeigt, dass die HRT hier lindernd helfen kann. Voraussetzung ist, dass der Beginn der Menopause nicht zu lange zurückliegt. Es gibt heutzutage ja noch keine wirksamen Alternativen.
Wie beraten Sie eine Patientin, für die eine HRT indiziert wäre, die hier jedoch eher ängstlich reagiert? Der erste Schritt ist immer eine ausführliche Familienanamnese, danach folgt eine gründliche klinische Untersuchung mit einer Mammografie, eventuell in Kombination mit einem Ultraschall, um vorhandene Risiken frühzeitig zu erkennen. Wenn beispielsweise die Mutter und/oder die Schwester an Brustkrebs oder anderen verwandten Krebsarten erkrankt sind, wird es diffizil. Dann muss man abwägen. Wenn die Voruntersuchungen allerdings keine negativen Befunde ergeben haben und das Beschwerdebild zudem gravierend ist, gibt man eine HRT, wobei man mit einer möglichst niedrigen Dosis einsteigen sollte, die dann nach Bedarf erhöht werden kann.
Was empfehlen Sie im Hinblick auf die Therapiedauer? Hier muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Wirkung einer Hormontherapie immer an die Einnahme der Medikation gebunden ist.
Wenn man sich also für eine Therapie entscheidet, sollte man sie eine gewisse Zeit, zum Beispiel bis zu 5 Jahre, durchführen, mit jährlichen Kontrollen. In der WHI-Studie zeigte sich das erhöhte Brustkrebsrisiko erst nach 5-jähriger Hormoneinnahme, daher diese zeitliche Begrenzung. Danach wird langsam versucht, die Dosis zu reduzieren. Ausnahmen hiervon sind beispielsweise Patientinnen, die, bedingt durch Krankheit und/oder Chemotherapie, vorzeitig in die Menopause kommen. Hier kann die östrogenfreie Zeitspanne deutlich länger dauern als normalerweise – unter Umständen sogar bis zu 40 Jahre. Diesen Patientinnen raten wir in der Regel, bis zu dem Zeitpunkt Hormone einzunehmen, an dem sie normalerweise in die Menopause gekommen wären.
Welchen Patientinnen raten Sie von einer Hormontherapie ab? Allen Frauen, die Risikofaktoren aufweisen; dazu gehören eine familiäre Brustkrebsanamnese sowie aufgetretene Thrombosen oder Embolien. Bei starken Wechseljahrbeschwerden kann man noch versuchen, eine transdermale Darreichungsform zu wählen, die weniger Nebenwirkungen und geringere Auswirkungen auf die Gefässe und auf die Leber hat. Transdermale Arzneiformen haben zudem den Vorteil, dass sich ein relativ konstanter Wirkstoffspiegel ausbildet, der sich auch im Blut kontrollieren lässt. Die oralen Arzneimittel müssen dagegen in der Leber metabolisiert werden; aus diesem Grund ist es hier wichtig, mögliche Wechselwirkungen mit anderen einzunehmenden Medikamenten zu beachten. Letztlich gilt jedoch: Wer nicht unter starken klimakterischen Beschwerden leidet, der sollte auch nicht unbedingt eine Hormontherapie beginnen. Man sollte im Auge behalten, dass es sich hier um ein Medikament und nicht um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt.
Eine HRT eignet sich also auch nicht als Anti-Aging-Massnahme? Vor der WHI-Studie hatte man gelegentlich den Eindruck, der Trend gehe in diese Richtung. Richtig, aber wir machen in erster Linie Medizin und nicht Lifestyle.
Auszug aus einem Interview aus doxmedical, Ausgabe 3+4/2017, das Interview führte Claudia Reinke.
Die Empfehlungen der SGGG zur HRT finden Sie online unter www.sggg.ch beziehungsweise direkt mit nebenstehendem QR-Code.
Schlaganfällen, Brustkrebs und Schenkelhalsfrakturen im Fokus und damit Erkrankungen, die zwar schwer wiegen, aber weniger als die Hälfte aller Todesfälle der untersuchten Kohorten ausmachten.
Gesamtmortalität als Hilfe zur Risikoabschätzung?
Die vorliegende Studie untersuchte während des 18 Jahre dauernden Follow-ups 4354 Todesfälle in der CEE/ MPA-Gruppe und 3135 Todesfälle in der Gruppe mit CEE allein. Betrachtet
man die Risiken beider HRT, ist es umso bemerkenswerter, dass weder in der Interventions- noch in der Verlaufsphase eine Erhöhung der Gesamtmortalität festgestellt werden konnte. Trotz des erhöhten Brustkrebsrisikos unter einer Östrogen-/Progesterontherapie ist die Krebssterblichkeit insgesamt nicht erhöht, was möglicherweise auf den positiven Effekt von Progesteron auf das Endometrium beziehungsweise auf ein Endometriumkarzinom zurückzuführen ist. Eine Hormonsubstitution führt andererseits aber auch nicht dazu,
chronische Erkrankungen oder die Sterb-
lichkeitsrate zu reduzieren. MIK L
Quelle: Manson JE et al.: Menopausal hormone therapy and long-term all-cause and cause-specific mortality: the Women’s Health Initiative randomized trials. JAMA 2017; 318(10): 927–938.
Interessenlage: Ein Teil der Autoren der referierten Originalstudie hat Forschungsunterstützung von staatlichen Institutionen und/oder Vortrags- und Beraterhonorare von verschiedenen Pharmafirmen erhalten.
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