Transkript
BERICHT
Schwangerschaft und Geburt
Internistische Todesursachen nehmen zu
Im Verlauf der Schwangerschaft gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von mütterlichen Problemen. Um diese besser in den Griff zu bekommen, sollten einerseits die Geburtshelfer mehr über internistische Probleme wissen und andererseits auch die Internisten, wann sie im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft hellhörig werden sollten.
Als Hauptursache mütterlicher Todesfälle in Frankreich (RMM 10,3/100'000) stellten sich in einer Erhebung aus den Jahren 2010 bis 2012 kardiovaskuläre Ursachen heraus, von denen mehr als die Hälfte (56%) wahrscheinlich oder sicher vermeidbar gewesen wären (1). Als Risikogruppen gelten in diesem Zusammenhang vor allem Frauen mit einem hohen Body Mass Index über 35, Frauen ab 35 Jahren sowie Migrantinnen. Frauen werden heute später schwanger als früher, fast jede 3. Mutter ist Angaben des statistischen Bundesamtes zufolge heute älter als 35 Jahre (siehe Abbildung) (2).
Mehr Komplikationen mit höherem Alter
Geburtshilfliche Komplikationen sowie die Sectio-Häufigkeit steigen mit zunehmendem Alter. So entbinden etwa 21,7 Prozent der unter 35-Jährigen mit einer Sectio im Vergleich zu 40,5 Prozent der über 40-Jährigen. Das Risiko eines Gestationsdiabetes ist schon im Alter zwischen 35 und 39 Jahren mit 5,3 Prozent im Vergleich zu 2,9 Prozent bei den unter 35-Jährigen deutlich erhöht und steigt jenseits des 40. Lebensjahres sogar auf 7,3 Prozent (3). Das Risiko einer Präeklampsie wird nach dem 40. Lebensjahr mit 3 Prozent beziffert. Damit einhergehend steigt auch das relative Risiko späterer kardiovaskulärer Erkrankungen. So lag beispielsweise das relative Risiko einer Hypertonie nach 14,1 Jahren mittleren Follow-ups bei 3,7, das einer KHK nach 11,7 Jahren bei 2,16, das für einen Schlaganfall lag nach 10,4 Jahren mittleren Follow-ups bei 1,81 und das für venöse Thromboembolien nach 4,7 Jahren bei 1,79. Als Anzeichen einer Präeklampsie gelten eine Hypertonie plus das Neuauftreten von:
Mütterliche Mortalität
Symptome Kopfschmerzen, Krampfanfälle
Psychiatrische Erkrankungen
Atemnot/Thoraxbeschwerden
Ursachen 11% durch neurologische Ursachen 9% durch psychiatrische Erkrankungen 23% durch kardiale Ursachen 14% durch Influenza, Pneumonie 11% durch Thromboembolien
L Proteinurie (≥ 300 mg/24 h/≥ 2+ [U-Stick]) L zerebralen Störungen L Thrombozytopenie L erhöhten Leberwerten L Niereninsuffizienz L Lungenödem. Die Präeklampsie gehört genau wie das HELLP-Syndrom und eine akute Fettleber zu den medizinischen Problemen, die nur in Verbindung mit einer Schwangerschaft auftreten. Exazerbieren können beispielsweise kardiale Erkrankungen und Hämoglobinopathien, erinnerte die Expertin. Unabhängig von der Schwangerschaft problematisch sind Erkrankungen wie eine Lungenentzündung oder HIV, und besonders schwerwiegend können in der Schwangerschaft Influenza, Malaria und eine Varizellen-Zoster-Pneumonie verlaufen.
Atemnot in der Schwangerschaft kann viele Ursachen haben
Leidet eine schwangere Patientin unter Atemnot, kommen gleich eine ganze Reihe von Ursachen in Frage, nicht alle davon sind unmittelbar schwangerschaftsbedingt (siehe Kasten). Physiologische Veränderungen in der Schwangerschaft erklären einen erhöhten kardialen Output, eine erhöhte Inspirationskapazität sowie eine im Verlauf der Schwangerschaft wachsende Abnahme der funktionellen Residualkapazität, des exspiratorischen Reservevolumens, des Residualvolumens sowie der totalen Lungenkapazität. Schwangere Frauen haben einen etwa um 20 Prozent höheren Sauerstoffverbrauch im Vergleich zu Nichtschwangeren.
Achtung Kopfschmerzen
Kopfschmerzen sind im Verlauf einer Schwangerschaft keine Seltenheit und insbesondere als möglicher Vorbote einer (Prä-)Eklampsie von Bedeutung. Des Weiteren kann es aber auch im Zusammenhang mit Kalziumantagonisten zu Kopfschmerzen kommen, postspinal oder bei einer Sinusvenenthrombose. Medizinische Probleme, die bei einer Schwangerschaft exazerbieren und Kopfschmerzen verursachen können, sind Epilepsien (bei fehlender Medikamenteneinnahme oder mangelnder Anpassung der Medikation) sowie eine sich verschlechternde Hypertonie. Aber natürlich müssen auch schwangerschaftsunabhängige
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100% 80%
11,3 19,8
60% 35,8
40%
20% 33,1
0% 1970
9,1 26,1
39,8
25,0 1980
11,5 31,1
40,8 16,5 1990
20,5
38,4
29,1 11,9 2000
29,1
36,9
24,6 9,4 2010
31,7
38,1
23,3 6,9 2016
> 34 Jahre 30–34 Jahre 25–29 Jahre < 25 Jahre Abbildung: Lebendgeburten nach Alter der Mutter Quelle: BFS – BEVNAT, © BFS, Neuenburg 2017 Kasten: Ursachen für Atemnot in der Schwangerschaft Medizinische Probleme verbunden mit einer Schwangerschaft: L Lungenödem nach Kortikosteroidabgabe und Betamimetika (Tokolyse) L puerperale Kardiomyopathie L Lungenembolie Medizinische Probleme, die exazerbieren: L kardiale Erkrankungen L Asthma L Anämie Medizinische Probleme, unabhängig von der Schwangerschaft: L Pneumonie L Pneumothorax L Hyperventilation Medizinische Probleme, besonders schwerwiegend in der Schwangerschaft: L Influenza L Malaria L Varizella-zoster-Pneumonie L Masern-Pneumonie Probleme bei Kopfschmerzen in Betracht gezogen werden. Eine Migräne, eine Meningitis, ein Aneurysma, ein zerebrovaskulärer Infarkt oder ein Tumor können auch bei Schwangeren Auslöser von hartnäckigen Kopfschmerzen sein. Gegen Influenza impfen Für Schwangere ist eine Influenzainfektion besonders schwerwiegend, geht sie doch – je nach Zeitpunkt der In- fektion – mit einem erhöhten Risiko für einen Abort, eine Frühgeburt, einen intrauterinen Fruchttod oder ein niedriges Geburtsgewichtes einher. Chronische Erkrankungen sowie ein hoher BMI erhöhen das Risiko für einen komplizierten Verlauf. Die höchste Rate an Influenzainfektionen findet man bei Kindern unter sechs Monaten, ernsthafte Komplika- tionen bis hin zum Tod sind auch heute noch häufiger als man gemeinhin denkt (siehe Tabelle). Die wichtigsten Massnah- men in diesem Zusammenhang sind die präventive Impfung, deren Wirksamkeit bei 50 bis 80 Prozent liegt, Hygiene sowie die Vermeidung des Kontakts zu Erkrankten. Kommt es zu einer Pneumonie, kann im Rahmen einer Schwangerschaft mit Coamoxicillin, Cephalosporinen und Makroliden be- handelt werden. Bei Influenza stellt der Neuramidasehemmer Oseltamivir (innerhalb von 48 Stunden nach Beginn, nicht aber prophylaktisch) eine Option dar. Symptomatisch kom- men Paracetamol (bis 4 g/Tag) und bis zur 32. Schwanger- schaftswoche auch Ibuprofen infrage. Die grundsätzliche Empfehlung einer Grippeimpfung für Schwangere schlägt sich noch ungenügend in der Praxis nie- der, bedauert die Expertin (siehe auch Interview). Gemäss einer Erhebung von Blanchard et al. waren 2012 nur 18 Pro- zent der befragten Schwangeren gegen die saisonale Grippe geimpft, gut 40 Prozent erhielten eine entsprechende Emp- fehlung durch Geburtshelfer beziehungsweise Hebammen. Einer Impfung entgegen stand häufig die Angst vor einer Schädigung des Föten, mangelndes Wissen oder Ablehnung durch das medizinische Personal (4). L Christine Mücke 1. «Les morts maternelles en France: mieux comprendre pour mieux prévenir.» 5e rapport de l’Enquête nationale confidentielle sur les morts maternelles (ENCMM), 2010–2012. Saint-Maurice: Santé publique France, 2017. 230 p. 2. BFS 2017. 3. Cleary-Goldmann J et al.: Impact of maternal age on obstetric outcome. Obstet Gynecol 2005; 105(5): 983–990. 4. Blanchard-Rohner G et al.: Acceptability of maternal immunization against influenza: the critical role of obstetricians. J Matern Fetal Neonatal Med 2012; 25(9):1800–1809. 222 ARS MEDICI 6 | 2018