Transkript
STUDIE REFERIERT
Harnwegsentzündungen
NSAID wirken nicht so gut wie eine antibiotische Therapie
Eine randomisierte Doppelblindstudie kommt zu dem Ergebnis, dass das Breitbandantibiotikum Norfloxacin die Symptome einer unteren Harnwegsinfektion stärker lindert als das nichtsteroidale Antiphlogistikum (NSAID) Diclofenac.
Die Harnwegsinfektion (urinary tract infection, UTI) ist eine der häufigsten bakteriellen Infektionen im Erwachsenenalter. Frauen sind weitaus öfter betroffen als Männer. Etwa die Hälfte aller Frauen erleidet mindestens einmal im Leben eine UTI, und 20 bis 30 Prozent haben zwei oder mehr Infektionen. In der ambulanten Versorgung werden 10 bis 20 Prozent aller Antibiotika zur Behandlung einer UTI verschrieben. Es ist davon auszugehen, dass die Symptome einer UTI durch lokale Erhöhungen von proinflammatorischen Substanzen wie etwa Prostaglandinen entstehen. Daher wäre es möglich, dass NSAID, welche die Umwandlung der Arachidonsäure in Vorstufen der Prostaglandine inhibieren, die Entzündungsreaktion hemmen und damit die Symptomatik lindern könnten. Dies könnte zu einer Verringerung der Antibiotikaverordnung zur Behandlung einer UTI führen und die mit einer Antibiotikaeinnahme verbundenen Risiken reduzieren.
Studie in Schweizer Allgemeinpraxen
Ziel der randomisierten Doppelblindstudie war es, zu untersuchen, ob eine symptomatische Behandlung mit NSAID einer Therapie mit Antibiotika zur Behandlung einer unkomplizierten Infektion der unteren Harnwege von Frauen nicht unterlegen ist. Bei Nichtunterlegenheit wäre es möglich, den Einsatz von Antibiotika in der ambulanten Versorgung deutlich zu verringern. Die Studie wurde in 17 allgemeinärztlichen Praxen in der Schweiz durchgeführt. 253 Frauen (18–70 Jahre) mit unkomplizierter unterer UTI (Symptome: Dysurie, häufiges Wasserlassen,
Makrohämaturie, trüber und/oder übel riechender Urin) wurden im Zeitraum zwischen Anfang 2012 und Ende 2014 aufgenommen und in zwei Gruppen randomisiert. Ausgeschlossen waren schwangere Frauen sowie solche mit Symptomen einer oberen UTI (z.B. Fieber, Schmerzen an den Rippenwirbeln, Übelkeit). Auch Frauen mit anatomischen Abnormalitäten im Urogenitaltrakt sowie Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, Magen-DarmGeschwüren, chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und schweren Lebererkrankungen nahmen an der Studie nicht teil. 133 Patientinnen wurden mit dem NSAID Diclofenac behandelt, 120 mit Norfloxacin. Primärer Endpunkt war das Verschwinden der Symptome nach drei Tagen (72 h nach Randomisierung und 12 h nach Einnahme der letzten Studienmedikation). Besteht keine Resistenz, ist davon auszugehen, dass die Symptome innerhalb eines Zeitraums von drei Tagen verschwinden. Mithilfe eines Fragebogens bewerteten die Frauen die Schweregrade der Symptome (Dysurie, häufiges Wasserlassen, Harndrang, Schmerzen und/oder Druckgefühl im Kreuz- oder Lendenbereich). Wichtigster sekundärer Endpunkt war die Einnahme auch eines anderen Antibiotikums wie Fosfomycin und/oder Norfloxacin bis zum 30. Tag. Es erfolgte einer Intention-to-treat-Analyse.
Effektivere Symptomlinderung mit Norfloxacin
125 Frauen der Diclofenac- (94%) und 118 Frauen der Norfloxacingruppe (98%) erhielten die medikamentöse Behandlung wie verordnet. An der Follow-up-Studie bis zum 30. Tag nahmen insgesamt 231 Frauen teil.
Bei 72 Frauen, die Diclofenac eingenommen hatten (54%), und bei 96 Frauen der Norfloxacingruppe (80%) kam es zu einer Auflösung der Symptomatik am dritten Tag (Risikounterschied: 27%; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 15–38%; p = 0,98 für Nichtunterlegenheit, p < 0,001 für Überlegenheit). Die mittlere Zeit bis zur Auflösung der Symptome betrug vier Tage in der Diclofenacgruppe und zwei Tage in der Norfloxacingruppe. Insgesamt 82 Frauen in der Diclofenacgruppe (62%) und 118 Frauen der Norfloxacingruppe (98%) verwendeten Antibiotika bis zum 30. Tag (Risikounterschied: 37%; 95%-KI: 28–46%; p < 0,001 für Überlegenheit). Unerwünschte Ereignisse, welche zu einer erneuten Beratung durch den Arzt führten, ereigneten sich bei 41 Frauen der Diclofenacgruppe (31%) und bei 21 Frauen der Norfloxacingruppe. Die unerwünschten Ereignisse traten signifikant häufiger in der Diclofenacgruppe auf (p = 0,01). Bei sechs Frauen der Diclofenacgruppe (5%), jedoch bei keiner Frau der Norfloxacingruppe entwickelte sich eine Pyelonephritis (p = 0,03). Weiter nach Alternativen zu Antibiotika suchen In Übereinstimmung mit dieser Studie ergab die Studie von Gágyor et al., dass die Behandlung mit einem Antibiotikum im Vergleich zu einer symptomatischen Therapie mit einem NSAID unterlegen war (1). In einer kleinen Studie von Bleidorn et al. zeigten sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen der Behandlung mit Ibuprofen und der Therapie mit Ciprofloxacin (2). Im Gegensatz hierzu kam eine Metaanalyse von fünf Studien zu dem Ergebnis, dass eine Antibiotikatherapie 240 ARS MEDICI 6 | 2018 STUDIE REFERIERT einer unteren UTI im Vergleich zur Gabe eines Plazebos klinisch überlegen ist (3). In den Untersuchungen von Christiaens et al. (4) und Ferry et al. (5) zeigte sich, dass das Risiko, eine Pyelonephritis zu entwickeln, bei Patienten in der NSAID-Gruppe höher ist als bei Patienten der Antibiotikagruppe oder der Plazebogruppe. Obwohl indirekte Vergleiche wie diese mit Vorsicht zu interpretieren sind, stehen die Resultate im Einklang mit aktuellen Studienergebnissen, dass NSAID bei Patienten mit Infektionskrankheiten trotz möglicher antibakterieller Aktivitäten von Diclofenac und Ibuprofen ungünstig sind. Fazit: Im Vergleich zu Diclofenac lindert Norfloxacin die Symptome einer unteren UTI stärker. Die Einnahme von Diclofenac erhöht möglicherweise das Risiko für eine Pyelonephritis. Die mit Diclofenac einhergehende statistisch signifikante Verringerung des Antibio- tikaeinsatzes, die zu einer Abnahme von Antbiotikaresistenzen führen würde, macht jedoch deutlich, dass al- ternative Ansätze zur Behandlung einer UTI gesucht werden sollten. Kombi- nierte Therapieverfahren, bei welchen zum einen die UTI symptomatisch be- handelt und zum anderen ein hoch- wirksames Antibiotikum gegeben wird, sollten in zukünftigen Studien unter- sucht werden. CBT L Interessenlage: Die Autoren der referierten Studie geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Quelle: Kronenberg A et al. Symptomatic treatment of uncomplicated lower urinary tract infections in the ambulatory setting: randomised, double blind trial. BMJ 2017; 359: j4784. Literatur 1. Gágyor I et al.: Ibuprofen versus fosfomycin for uncomplicated urinary tract infection in women: randomised controlled trial. BMJ 2015; 351: h6544. 2. Bleidorn J et al.: Symptomatic treatment (ibuprofen) or antibiotics (ciprofloxacin) for uncomplicated urinary tract infection? Results of a randomized controlled pilot trial. BMC Med 2010; 8: 30. 3. Falagas ME et al.: Antibiotics versus placebo in the treatment of women with uncomplicated cystitis: a meta-analysis of randomized controlled trials. J Infect 2009; 58: 91–102. 4. Christiaens TC et al.: Randomised controlled trial of nitrofurantoin versus placebo in the treatment of uncomplicated urinary tract infection in adult women. Br J Gen Pract 2002; 52: 729–734. 5. Ferry SA et al.: Clinical and bacteriological outcome of different doses and duration of pivmecillinam compared with placebo therapy of uncomplicated lower urinary tract infection in women: the LUTIW project. Scand J Prim Health Care 2007; 25: 49–57. ARS MEDICI 6 | 2018 ecalciferol. 241