Transkript
INTERVIEW
Interdisziplinäre Zusammenarbeit wichtig für den Erfolg
Fetomaternale Medizin als spannende Herausforderung
Interview mit Prof. Dr. Irene Hösli, Frauenklinik, Universitätsspital Basel
Die klassischen geburtshilflichen Todesfälle haben abgenommen, dafür gibt es heute vermehrt internistische Probleme bei den Schwangeren. Ein Anlass für Prof. Dr. med. Irene Hösli, Chefärztin Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin an der Frauenklinik des Universitätsspitals Basel, bei einer Fortbildung für Internisten dazu Stellung zu nehmen. Im Gespräch berichtet sie ausserdem über das mit dem Universitäts-Kinderspital beider Basel neu vertraglich geregelte Perinatalzentrum.
ARS MEDICI: Frau Prof. Hösli, Sie wurden kürzlich zu einer Fortbildung bei den Internisten eingeladen: «Die schwangere Patientin in der Inneren Medizin – was muss der Internist wissen?». Warum wenden Sie sich an die Internisten? Prof. Irene Hösli: Alle zwei bis drei Jahre veröffentlichen einige Länder, darunter vor allem England/Irland und Frankreich, auf nationalem Niveau ausführliche Analysen von mütterlichenTodesfällen, die sich während der Schwangerschaft oder während 40 Wochen danach ereignet haben. Diese Statistiken zeigen, dass Todesfälle durch die klassischen geburtshilflichen Erkrankungen, wie hypertensive Krisen bei einer Präeklampsie oder massive Blutungen postpartal, seltener geworden sind. So stirbt in England nur alle 18 Monate eine Frau an den Folgen der Präeklampsie, vor 60 Jahren waren es über 150. Das bedeutet, dass wir aus den Statistiken gelernt haben, vor allem in der Prävention, aber auch in der Therapie durch den Einsatz von Algorithmen.
Und da ist die Botschaft an die Internisten klar: Bitte impft eure schwangeren Patientinnen gegen Influenza!
Neu ist hingegen, dass internistische Erkrankungen für zwei Drittel aller Todesfälle bei schwangeren Frauen verantwortlich sind. Dazu zählen kardiale, infektiologische, neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Deshalb möchte ich gern die Internisten dafür begeistern, mit uns nach den Schwangeren zu schauen.
Welche Aspekte liegen Ihnen besonders am Herzen? Hösli: Wir haben ein eindrückliches Beispiel einer Schwangeren gesehen, die im dritten Trimenon mit schwerster Dyspnoe bei einer Influenza-A-Infektion zu uns gekommen ist. Sie war mit 12 Liter Sauerstoff knapp gesättigt und fiel bei Hustenanfällen auf 80 Prozent. Aufgrund der physiologischen und immunologischen Veränderungen in der Schwangerschaft
Zur Person
Prof. Dr. med. Irene Hösli Chefärztin Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin, Frauenklinik des Universitätsspitals Basel
besteht im dritten Trimenon das höchste Risiko einer Infektion mit Influenza und entsprechenden Sekundärinfekten. Das ist keine Seltenheit, Influenza respektive Pneumonien machen 14 Prozent der mütterlichen Todesfälle unter Schwangeren aus. Und da ist die Botschaft an die Internisten klar: Bitte impft eure schwangeren Patientinnen gegen Influenza! Denn das reduziert nachgewiesenermassen die Rate an schweren Infekten bei den Müttern und schützt darüber hinaus die Neugeborenen durch die plazentagängigen Antikörper in den ersten sechs Monaten. Gegen Influenza geimpft werden sollten Schwangere mit dem jeweils empfohlenen Impfstoff, der von Jahr zu Jahr wechselt. Grundsätzlich ist das zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft möglich, empfohlen wird es ab dem zweiten Trimenon. Nimmt eine schwangere Frau Immunsuppressiva, sollte sie schon im ersten Trimenon geimpft werden.
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachärzten, den Grundversorgern und den Gynäkologen aus? Hösli: Wir betreuen naturgemäss häufig Frauen mit Risikoschwangerschaften. Oft sind das Schwangere, die aufgrund ihrer Grunderkrankung schon ihren Spezialisten haben, also zum Beispiel einen Kardiologen oder Neurologen, und diese
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INTERVIEW
Neues Perinatalzentrum Basel
Das Ende letzten Jahres eingeweihte Perinatalzentrum Basel wird gleichberechtigt geleitet durch die beiden ärztlichen Leiter der Neonatologie am UKBB und der Klinik für Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin am USB. Es ist das einzige universitäre Zentrum dieser Art in der Nordwestschweiz und vereinigt eine Vielzahl von Fachspezialisten und Berufsgruppen des Universitäts-Kinderspitals beider Basel (UKBB) sowie des Universitätsspitals Basel (USB). Deren Zusammenarbeit dient der fachübergreifenden Diagnostik, Behandlung und weiterführenden Betreuung schwangerer Patientinnen und ihren Neubeziehungsweise Frühgeborenen, die so komplexe Dienstleistungen der höchsten Versorgungsstufe an einem Ort erhalten und optimal betreut werden können. Auch die Weiterentwicklung des umfangreichen Wissens in der Forschung sowie die Weitergabe in Lehre und Forschung sind wichtige Anliegen des Zentrums. Ihre Ansprechpartner aufseiten des UKBB und des USB: Neonatologie: Prof. Sven Schulzke, E-Mail: sven.schulzke@ukbb.ch Geburtshilfe: Prof. Irene Hösli, E-Mail: irene.hoesli@usb.ch
Bonding: Frühe Bindung hat besondere Bedeutung für die Entwicklung
Das englische «Bonding» bezeichnet den Aufbau einer besonders innigen Beziehung zwischen dem Baby und seinen Eltern. Für die Entwicklung einer engen Eltern-Kind-Beziehung ist die erste Zeit nach der Geburt besonders wichtig. Dieses Wissen macht sich die Medizin heute zunutze, in dem sie möglichst früh das Zusammensein von Mutter und Kind ermöglicht – auch in medizinisch schwierigen Situationen, ist dies erklärtes Ziel. Gelingt das Bonding, ist das nicht nur in emotionaler Hinsicht eine wichtige Grundlage, sondern darüber hinaus auch für die körperliche Entwicklung in vieler Hinsicht vorteilhaft (siehe Interview).
kontaktieren uns dann präkonzeptionell oder bei Eintritt einer Schwangerschaft. Ist die Schwangere bei einem privaten Gynäkologen für die Schwangerschaft in Kontrolle, machen wir auch alternierend Kontrollen. Auch wenn in diesem Kontext in erster Linie die verschiedenen Fachärzte involviert sind, brauchen wir die Hausärzte ebenso dringend. Zum Beispiel wenn es um besondere psychosoziale Konstellationen geht: Wir hatten neulich eine Patientin mit einer schweren Anämie, die sich zuerst von uns nicht behandeln lassen wollte, wir kamen nicht an sie heran. Da konnte uns erst die Hausärztin weiterhelfen, die die Patientin und ihre Familie wesentlich besser kannte und ein gutes Vertrauensverhältnis zu ihr hatte.
Warum nehmen denn die internistischen Probleme zu? Hösli: Da gibt es viele Aspekte. Zum einen gibt es jene Neugeborenen mit einer bestimmten Erkrankung, die früher das Erwachsenenalter gar nicht erreicht hätten. Heutzutage können sie operiert werden – zum Beispiel mit schweren Herzfehlern – und nachher selber Kinder bekommen. Diese Frauen bedürfen dann in der Schwangerschaft natürlich einer speziellen Kontrolle. Auch überlegen sich Frauen heute häufig erst später, schwanger zu werden, weil sie vorher Karriere
machen oder den richtigen Partner noch nicht gefunden haben – und sind dann in einem Alter schwanger, in dem vielleicht schon Komorbiditäten vorliegen. Natürlich haben wir nach wie vor viele gesunde Schwangere mit unkompliziertem Verlauf, aber diejenigen, die Probleme haben, brauchen manchmal eine sehr umfangreiche Betreuung. Wir organisieren «präpartale Roundtable», bei denen alle involvierten Disziplinen zusammentreffen, um die Abläufe bis zur Geburt optimal vorzubereiten und sich aufeinander abzustimmen. Im Rahmen der fetomaternalen Medizin ist die maternale Medizin ein wachsendes Gebiet und eine spannende Herausforderung.
In Basel wurde ja erst vor kurzem das Perinatalzentrum neu vertraglich gesichert. Hösli: Das Perinatalzentrum in Basel existiert schon lange, neu wurde die Zusammenarbeit zwischen dem Universitätsspital Basel und dem Universitäts-Kinderspital beider Basel (UKBB) offiziell vertraglich geregelt. Je nachdem, wer der Patient ist, die Schwangere oder das ungeborene Kind, besprechen wir uns gemeinsam im Voraus, gehen zusammen zu den Eltern und versuchen, den besten Weg für sie zu wählen. Wenn immer möglich, sollen Mutter und Kind nach der Geburt nicht getrennt werden, oder wenn sie getrennt werden, soll die räumliche Distanz möglichst klein sein. Es gibt nicht viele Orte, an denen der Begriff «Geburtshilfe und Neonatologie: Tür an Tür» so wörtlich umgesetzt wurde wie bei uns. Neu gibt es für Frühgeborene, die zunächst auf der Neonatologie des UKBB während Wochen und intensiv überwacht und behandelt werden mussten, Bonding-Zimmer, wenn sie dann nur noch wachsen und selber trinken lernen müssen. In diesen Zimmern, die neben der Intensivabteilung liegen, können auch die Mütter oder Väter übernachten. Was dieses Zusammensein ausmacht, ist unglaublich und weit mehr als «nice to have». Es hat einen medizinischen Einfluss, die Kinder sind schneller fit, können schneller selbstständig trinken, haben eine gleichmässigere Atmung und können früher nach Hause entlassen werden. Der emotionale Zugang ist für diese Kinder extrem wichtig. Die Bonding-Zimmer des UKBB gibt es seit Mitte letzten Jahres und wir sind stolz darauf, waren wir doch die erste Klinik in der Schweiz mit einem solchen Angebot.
Wie viele Patienten können davon profitieren? Hösli: Die Neonatologie hat 18 Betten auf dem Areal des USB sowie 8 Betten im UKBB. Das Einzugsgebiet des Perinatalzentrums unfasst Basel, Baselland und Jura. Die nächsten Zentren sind in Aarau, Bern oder Zürich. Aber wenn es irgendwo einen Engpass gibt, eine Neonatologieabteilung besetzt ist oder ein Personalmangel vorliegt, dann bekommen wir auch einen Transfer irgendwo aus der Schweiz. Am besten ist es, wenn die Verlegung intrauterin erfolgt. Alle Perinatalzentren stehen in engem Austausch und aktualisieren ihre Bettenkapazität täglich.
Frau Prof. Hösli, wir danken Ihnen für das Gespräch. L
Das Interview führte Christine Mücke.
Lesen Sie dazu auch den Bericht im Anschluss.
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