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FORTBILDUNG
Akute Pyelonephritis – eine tödliche Gefahr
Diagnose und Behandlung schwerer Nierenentzündungen bei Erwachsenen
Eine akute Pyelonephritis kann bei schwerem Verlauf zu einer Sepsis und sogar zum Tod führen. Die Diagnose erfolgt meist anhand klinischer Charakteristika sowie einer Urinanalyse und einer Urinkultur. Zur Behandlung stehen orale und intravenöse Antibiotika zur Verfügung. Bei der Auswahl geeigneter Medikamente müssen potenzielle Resistenzen berücksichtigt werden.
New England Journal of Medicine
Bei der akuten Pyelonephritis handelt es sich um eine schwere entzündliche Infektion des Nierenbeckens und der Niere, die häufig mit Flankenschmerzen oder Druckempfindlichkeit in der Nierengegend verbunden ist. Der Verdacht auf eine infektiöse Ursache wird durch eine Bakteriurie und/oder Pyurie in der Urinanalyse sowie durch hohe Konzentrationen eines Uropathogens in der Urinkultur bestätigt. Als wichtigster diagnostischer Nachweis gilt eine Urinkultur mit ≥ 10 000 koloniebildenden Einheiten eines Uropathogens in 1 ml Harn. Eine Pyelonephritis manifestiert sich meist plötzlich mit systemischen Symptomen wie Fieber, Abgeschlagenheit und Unwohlsein sowie mit lokalen Symptomen einer Blasenentzündung wie häufigem Harndrang und Dysurie. Das klinische Erscheinungsbild variiert jedoch erheblich. Es reicht von leichten Flankenschmerzen ohne Fieber und Blasenbeschwerden bis zum septischen Schock. Die Rate der Bakteriurie variierte in Studien ebenfalls beträchtlich (< 10% bis > 50%).
Risikofaktoren
Die Risikofaktoren für eine Zystitis (sexuelle Aktivität, neue Sexualpartner, Spermizidexposition, maternale Harnwegs-
MERKSÄTZE
Eine Pyelonephritis wird meist durch Escherichia coli oder andere gramnegative Bazillen verursacht.
Die Urinkultur gilt als wichtigster diagnostischer Nachweis. Die Auswahl eines geeigneten Antibiotikums zur initialen
empirischen Behandlung richtet sich nach der Resistenzwahrscheinlichkeit.
Bei höherer Resistenzwahrscheinlichkeit sollten ambulante Patienten zusätzlich zum oralen Antibiotikum eine initiale intravenöse Dosis eines Breitspektrumantibiotikums erhalten.
Bei schwangeren Frauen muss das teratogene Potenzial von Antibiotika beachtet werden.
infekte) begünstigen auch die Entwicklung einer Pyelonephritis. Allerdings resultiert eine Zystitis nur bei bis zu 3 Prozent der Betroffenen in einer Pyelonephritis. Faktoren, die den Urinfluss beeinträchtigen – wie eine Schwangerschaft oder eine mechanische Obstruktion –, erhöhen das Risiko für eine Pyelonephritis ebenfalls. Zu weiteren Risikofaktoren gehören genetische Prädispositionen, die zu einer veränderten Immunabwehr führen, eine hohe mikrobielle Last, die virulenten Eigenschaften des Pathogens und möglicherweise auch Diabetes mellitus. Meist wird eine Pyelonephritis durch den Aufstieg enterischer Bakterien aus der Blase in die Nieren verursacht. In seltenen Fällen gelangen aber auch Organismen wie Staphylococcus aureus oder Candida über das Blut in die Nieren.
Pathogene
Bei gesunden jungen Frauen werden mehr als 90 Prozent der Pyelonephritiserkrankungen durch virulente Escherichia coli verursacht. Bei Männern, älteren Frauen, Personen mit urologischen Beeinträchtigungen oder Heimbewohnern gehören auch andere gramnegative Bazillen oder grampositive Organismen und Candida zu den Auslösern. Aber auch bei der Mehrzahl dieser Personen wird die Pyelonephritis durch Escherichia coli verursacht. Die antimikrobielle Resistenzentwicklung begünstigt derzeit die epidemische Ausbreitung hoch pathogener Escherichia-coli-Klone. Als besonders problematisch gilt der Stamm H30 vom Sequenztyp (ST) 131.
Initiale antimikrobielle Therapie
Nach der Diagnosestellung wird unmittelbar mit einer antimikrobiellen Therapie begonnen (Tabelle). Deren Effektivität hängt davon ab, dass der Wirkstoff in angemessener Konzentration am Infektionsort (Nierengewebe und/oder Blut; nicht nur im Urin) freigesetzt wird. Ausserdem sollte das Medikament mit einiger Wahrscheinlichkeit gegen den individuellen Erreger aktiv und nachweislich bei Pyelonephritis wirksam sein. Des Weiteren ist darauf zu achten, dass keine Kontraindikationen aufgrund von Allergien oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten vorliegen.
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Tabelle:
Antibiotika zur Behandlung der akuten Pyelonephritis bei Erwachsenen (nach Johnson und Russo 2017)
Medikament
Oral
Fluorchinolone Ciprofloxacin (Ciproxin® und Generika), 500 mg 2-mal täglich
Ciprofloxacin retardiert, 1000 mg täglich
Behandlungsdauer (Tage)
7
7
Levofloxacin (Tavanic® und Generika), 750 mg täglich
Folsäureantagonisten
Trimethoprim (160 mg)/ Sulfamethoxazol (800 mg) (Bactrim® und Generika), 2-mal täglich
Penicilline
Amoxicillin (875 mg)Clavulanat (125 mg) (Augmentin® und Generika), 3-mal täglich
Pivmecillinam, 400 mg 2-mal täglich
Cephalosporine
Cefixim (Cephoral®), 400 mg täglich
5 10–14
10–14 10–14 10–14
Cefpodoxim (Podomefex® und Generika), 200 mg 2-mal täglich
10–14
Aktivitätsspektrum
Gramnegative Bazillen Gramnegative Bazillen Gramnegative Bazillen
Gramnegative Bazillen
Enterokokken, einige gramnegative Bazillen Gramnegative Bazillen Gramnegative Bazillen Gramnegative Bazillen
Anmerkungen
Aufgrund potenzieller Resistenzen ist häufig eine initiale intravenöse Applikation eines zusätzlichen Medikaments erforderlich Aufgrund potenzieller Resistenzen ist häufig eine initiale intravenöse Applikation eines zusätzlichen Medikaments erforderlich Aufgrund potenzieller Resistenzen ist häufig eine initiale intravenöse Applikation eines zusätzlichen Medikaments erforderlich
Aufgrund potenzieller Resistenzen ist häufig eine initiale intravenöse Applikation eines zusätzlichen Medikaments erforderlich
Wenn es sich wahrscheinlich um einen Enterokokkus handelt; nicht zur empirischen Monotherapie geeignet
In der Schweiz nicht erhältlich
Aktiv gegen viele fluorchinolonresistente und Trimethoprim-/Sulfamethoxazolresistente gramnegative Bazillen; nur wenig Evidenz verfügbar Aktiv gegen viele fluorchinolonresistente und Trimethoprim/Sulfamethoxazol -resistente gramnegative Bazillen; nur wenig Evidenz verfügbar
Sicherheit in der Schwangerschaft**
C C C
C
B B B B
Fortsetzung der Tabelle auf der nächsten Seite
Nitrofurantoin (Furadantin® retard, Uvamin® retard) und orales Fosfomycin (Monuril® und Generika) erreichen nur im Urin ausreichende Konzentrationen und sind daher nicht zur Behandlung der Pyelonephritis geeignet. Fluorchinolone und Trimethoprim/Sulfamethoxazol sind dagegen – sofern sie gegen den speziellen Erreger aktiv sind – hochwirksam. Diese Substanzen erreichen hohe Konzentrationen im Urin und im Nierengewebe, weisen ein akzeptables Nebenwirkungsprofil auf und waren in klinischen Studien mit hohen Erfolgsraten (≥ 90%) verbunden. Die Auswahl geeigneter empirischer Medikamente richtet sich nach der Wahrscheinlichkeit der Resistenz. Diese wird anhand lokaler epidemiologischer Daten und individueller Risikofaktoren des Patienten abgeschätzt. Ein kurz zurück-
liegender Spitalaufenthalt oder die zeitnahe Einnahme von Antibiotika kann das Resistenzrisiko beispielsweise erhöhen. Die Resistenzrate gegenüber Trimethoprim/Sulfamethoxazol und Fluorchinolonen beträgt mittlerweile fast überall mehr als 10 Prozent. Für schwer kranke oder gebrechliche Personen wird von einer empirischen Monotherapie mit diesen Medikamenten abgeraten, da ein Fehlschlag der initialen Behandlung bei dieser vulnerablen Patientengruppe mit einem erhöhten Risiko für ungünstige klinische Ergebnisse verbunden sein kann. Bei gesunden Personen mit leichter Pyelonephritis sollte dagegen eine initiale Behandlung mit Fluorchinolonen oder Trimethoprim/Sulfamethoxazol erwogen werden. Orale Breitspektrum-Cephalosporine und Pivmecillinam weisen
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Tabelle (Fortsetzung):
Antibiotika zur Behandlung der akuten Pyelonephritis bei Erwachsenen (nach Johnson und Russo 2017)
Medikament
Intravenös* Penicilline Piperacillin-Tazobactam (Tazobac® und Generika), 3,375–4,5 g alle 6 Stunden Mecillinam, 400 mg 3-mal täglich Cephalosporine Ceftriaxon (Rocephin® und Generika), 1 g alle 24 Stunden Cefepim (z.B. Cefepim Labatec), 1–2 g alle 8–12 Stunden Ceftolozan (1 g)Tazobactam (0,5 g) (Zerbaxa®), alle 8 Stunden
Ceftazidim (2 g)Avibactam (0,5 g), alle 8 Stunden
Carbapeneme Ertapenem (Invanz®), 1 g alle 24 Stunden
Meropenem (Meronem® und Generika), 1 g alle 8 Stunden Aminoglykoside Gentamicin (z.B. Gentamicin AApot), 5,0–7,5 mg/kg alle 24 Stunden Amikazin (Amikin® und Generika), 15–20 mg/kg alle 24 Stunden
Behandlungsdauer (Tage)
10–14 10–14 7–10 7–10
7 7–14
7–10 7–10
7–10 7–10
Aktivitätsspektrum Anmerkungen
Sicherheit in der Schwangerschaft**
Gramnegative Bazillen, Aktiv gegen einige cephalosporinresistente
Enterokokken
gramnegative Bazillen
Gramnegative Bazillen In der Schweiz nicht erhältlich
B B
Gramnegative Bazillen, einige grampositive Kokken
Applikation allein oder zur Ergänzung eines oralen Antibiotikums; aktiv gegen die meisten fluorchinolonresistenten gramnegativen Bazillen
Gramnegative Bazillen, einige grampositive Kokken
Aktiv gegen die meisten fluorchinolonresistenten und einige ceftriaxonresistenten gramnegativen Bazillen
Resistente gramnegative Bazillen
Aktiv gegen die meisten fluorchinolonresistenten und einige ceftriaxonresistenten gramnegativen Bazillen (nicht aktiv gegen Neu-Dehli-Metallo-Betalaktamase)
Resistente gramnegative Bazillen
Nicht im AK der Schweiz Aktiv gegen die meisten fluorchinolonresistenten und ceftriaxonresistenten gramnegativen Bazillen und viele carbapenemresistente gramnegative Bazillen (nicht aktiv gegen Neu-Dehli-Metallo-Betalaktamase)
Resistente gramnegative Bazillen
Resistente gramnegative Bazillen
Applikation allein oder als Ergänzung eines oralen Antibiotikums; aktiv gegen die meisten fluorchinolonresistenten und ceftriaxonresistenten gramnegativen Bazillen
Aktiv gegen die meisten fluorchinolonresistenten und einige ceftriaxonresistente gramnegative Bazillen
Gramnegative Bazillen
Resistente gramnegative Bazillen
Applikation allein oder als Ergänzung eines oralen Antibiotikums; aktiv gegen die meisten fluorchinolonresistenten und ceftriaxonresistenten gramnegativen Bazillen
Applikation allein oder als Ergänzung eines oralen Antibiotikums; aktiv gegen viele gentamicinresistente gramnegative Bazillen
B B B B
B B D D
* intravenöse Applikation zu Hause, in der Arztpraxis oder im Spital; als initiale Ergänzung der oralen Behandlung ** Kategorien der Food and Drug Administration (FDA) zur Sicherheit während der Schwangerschaft:
B: kein Risiko in Tierstudien beobachtet; keine entsprechenden Studien bei Menschen durchgeführt C: Risiko kann nicht ausgeschlossen werden; Risiken in Tierstudien beobachtet D: Risiko nachgewiesen; Risiken in Studien bei Menschen beobachtet
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zwar ein verlässlicheres Suszeptibilitätsprofil auf, sind aber mit einer geringeren Bioverfügbarkeit verbunden. Zudem liegt zu ihrer Wirksamkeit bei Pyelonephritis nur eine begrenzte Evidenz vor. Patienten, die mit einem oralen Antibiotikum nach Hause entlassen werden, sollten vorher zusätzlich eine initiale Dosis eines lang wirksamen parenteralen Antibiotikums mit breiterem Spektrum wie Ceftriaxon, Gentamicin, Amikazin oder Ertapenem erhalten, sofern die Wahrscheinlichkeit einer Resistenz und die Patientenfaktoren nicht dagegensprechen.
Wirksamkeitsmonitoring
Bevor die Ergebnisse bezüglich der Suszeptibilität des Erregers bekannt sind, ist bei ambulanten Patienten eine engmaschige Überwachung erforderlich, um die Verbesserung ihres Zustands sicherzustellen. Sobald die Ergebnisse der Urinkultur verfügbar sind, wird bei einer Resistenz das unwirksame durch ein wirksames Medikament ersetzt. Steht keine geeignete orale Option zur Verfügung, kann der Patient ambulant intravenös behandelt oder ins Spital eingewiesen werden. Patienten, die nach einer initialen Therapie aus dem Spital entlassen werden, können zu Hause oral oder intravenös weiterbehandelt werden. Verschlechtert sich der Zustand oder ist nach 1 bis 2 Tagen einer Antibiotikatherapie keine Besserung eingetreten, wird eine neue Urinkultur angelegt. Mit bildgebenden Verfahren kann zusätzlich abgeklärt werden, ob eine Obstruktion oder eine andere anatomische Komplikation als Ursache für die unzureichende Wirksamkeit vorliegt.
Behandlungsdauer
Bei Frauen, die mit medikamentenempfindlichen Pathogenen infiziert sind, werden mit Fluorchinolonen über 5 bis 7 Tage oder einem Aminoglykosid über 5 bis 7 Tage oder mit Trimethoprim/Sulfamethoxazol über 14 Tage Erfolgsraten von mehr als 90 Prozent erzielt. Eine limitierte Datenbasis weist darauf hin, dass bei Frauen auch eine Behandlung mit Breitspektrum-Cephalosporinen
und Mecillinam-Pivmecillinam über 10 bis 14 Tage erfolgreich sein kann. Bei etwa einem Drittel der Männer mit fiebriger Harnwegsinfektion liegt eine Pyelonephritis vor. Bei ihnen sind die Heilungsraten mit Ciprofloxazin bei einer Behandlungsdauer von 14 Tagen fast ebenso hoch wie bei einer Dauer von 28 Tagen und nur wenig höher als nach einer Behandlungsdauer von 7 Tagen. Für schwere Pyelonephritiserkrankungen, verzögertes Behandlungsansprechen und andere antimikrobielle Substanzen sind keine Daten im Hinblick auf die optimale Behandlungsdauer verfügbar.
Spezielle Patientengruppen
Während einer Schwangerschaft kann eine Pyelonephritis
rasch voranschreiten und zu lebensbedrohlichen Komplika-
tionen für Mutter und Kind führen. Schwangere Frauen soll-
ten daher ins Spital überwiesen und dort intravenöse Anti-
biotika erhalten. Hat sich ihr Zustand stabilisiert, können sie
zu Hause mit oralen Antibiotika weiterbehandelt werden.
Die antimikrobiellen Optionen sind während der Schwan-
gerschaft aufgrund potenzieller Toxizitäten für den Fetus ein-
geschränkt.
Bei nierentransplantierten Patienten kann eine Pyelonephritis
zur Abstossung des neuen Organs beitragen. Die Auswahl
eines empirischen Antibiotikums sollte in diesen Fällen unter
Berücksichtigung der prophylaktischen antibiotischen Be-
handlung erfolgen.
L
Petra Stölting
Quelle: Johnson JR, Russo TA: Acute pyelonephritis in adults. N Engl J Med 2018; 378: 48–59.
Interessenlage: Einer der beiden Autoren der referierten Übersichtsarbeit hat Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
Symposium 9th Swiss Forum for Mood and
Anxiety Disorders (SFMAD)
Behandlung von Angst und Depression: Erwartungen und Perspektiven
Donnerstag, 12. April 2018, in Zürich Anmeldung unter www.sgad.ch
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