Transkript
FORTBILDUNG
Orthopädische OP: Nachsorge in der Praxis
Wundversorgung, Analgesie, Thromboseprophylaxe und Reha
Der Ersatz von Knie-, Hüft- und Schultergelenken gehört zu den häufigsten arthroplastischen Eingriffen in Grossbritannien. Die postoperative Analgesie erfolgt meist mit Paracetamol oder schwachen Opioiden. Für die langfristige Funktionsfähigkeit des Implantats sind Physiotherapie und Rehabilitation von grosser Bedeutung.
British Medical Journal
In einem «Practice Pointer» informieren britische Wissenschaftler über wichtige Aspekte der Nachsorge bei einem Gelenkersatz von Hüfte, Knie und Schulter. Mit intensivierten Genesungsprogrammen, die mittlerweile zur arthroplastischen Standardversorgung des National Health Service (NHS) gehören, konnten die Mortalität verringert und die Dauer des Spitalaufenthalts verkürzt werden. Im Rahmen des Genesungsprogramms erhalten die Patienten vor der Operation eine Schulung zu ihrem Gelenkersatz. Während des Eingriffs wird eine möglichst geringe körperliche Belastung angestrebt, und anschliessend beginnen Physiotherapeuten frühzeitig (Tag 0 oder 1) mit der Mobilisierung des Gelenks. Bei der Entlassung aus dem Spital erhält der Patient Verhaltensanweisungen und Analgetika. Nach 6 Wochen wird der Genesungsfortschritt überprüft, und nach 1 Jahr wird der Behandlungserfolg abschliessend evaluiert.
Wundversorgung
Zum Verschluss orthopädischer Operationswunden werden am häufigsten Klammern und Nylonfäden verwendet. Da beide Materialien nicht absorbierbar sind, müssen sie wieder entfernt werden. Dies erfolgt meist zwischen dem 10. und dem 16. Tag nach der Operation. In einigen Fällen können auch absorbierbare Nahtmaterialien verwendet werden. Das Nässen der Wunde sollte bis zum 3. oder 4. postoperativen Tag aufgehört haben. Bei längerer Dauer erhöht sich das
MERKSÄTZE
Bei Verdacht auf eine Gelenkprotheseninfektion sollten keine empirischen Antibiotika verschrieben werden.
NSAR sollten beim Gelenkersatz vorsichtig angewendet werden.
Für die langfristige Funktionsfähigkeit des Implantats und die Vermeidung von Komplikationen sind postoperative Physiotherapie und Rehabilitation von grosser Bedeutung.
Nach dem Gelenkersatz sollten die Patienten mindestens sechs Wochen lang nicht Auto fahren.
Risiko für die Entwicklung von Gelenkinfektionen. Zu den Risikofaktoren für verlängertes Wundnässen gehören Diabetes, Adipositas und die Einnahme von Antikoagulanzien. Wenn eine Wunde 10 Tage nach der Operation noch exsudiert oder sich nicht vollständig geschlossen hat, könnten Komplikationen zugrunde liegen, die einen operativen Eingriff erfordern. Die Wundspülung kann 10 bis 16 Tage nach der Operation beendet werden. Bis zur vollständigen Heilung der Narbe bleibt die Wunde abgedeckt. In einer Metaanalyse zwölf randomisierter, kontrollierter Studien zeigte sich, dass Film- oder Hydrofaserverbände im Vergleich zu passiven Verbänden mit weniger Wundkomplikationen verbunden sind.
Gelenkprotheseninfektionen
Gelenkprotheseninfektionen gehören zu den schwerwiegendsten Komplikationen der arthroplastischen Chirurgie. Ihre Inzidenz beträgt etwa 1 Prozent. Die Infektionen können in akute (innerhalb von 3 bis 6 Wochen nach der Operation) und chronische Infektionen (nach 6 Wochen) unterteilt werden. Diese Zeiträume sind auf zellbiologische Vorgänge zurückzuführen. Zu Beginn einer Infektion entwickelt sich innerhalb von 4 Wochen ein Biofilm auf dem Implantat, der die Bakterien vom Immunsystem des Patienten abschirmt. Wird die Infektion vor der Bildung des Biofilms diagnostiziert und behandelt, kann sie häufig mit Antibiotika, Spülungen und Débridement beseitigt werden. Hat sich der Biofilm bereits etabliert, sind diese Massnahmen nutzlos. In diesen Fällen ist eine Revisionsoperation erforderlich, bei der alle Komponenten ausgetauscht werden. Gelenkprotheseninfektionen manifestieren sich unterschiedlich. Am einfachsten ist eine Sepsis mit Eiterabsonderungen der Wunde diagnostizierbar. Häufig weisen die Patienten jedoch subtilere Symptome wie anhaltende Schmerzen, Hautrötungen oder Wundexsudat auf. Die Unterscheidung zwischen oberflächlichen und tiefen Infektionen ist oft schwierig, und häufig ist eine Gelenkpunktion erforderlich. Bei Verdacht auf eine Infektion sollte der Patient an den Chirurgen überwiesen und dessen Stellungnahme eingeholt werden. Vor der Identifizierung des Erregers sollten keine empirischen Antibiotika verschrieben werden, da dies die Behandlung verkomplizieren kann.
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ARS MEDICI 4 | 2018
FORTBILDUNG
Postoperatives Verhalten und Rehabilitation
Nach einem Hüftersatz kann es zu Instabilität und Dislokation des neuen Gelenks kommen. In der Vergangenheit wurden Patienten angewiesen, bestimmte Bewegungen wie eine Flexion, Adduktion oder Innenrotation des Hüftgelenks zu vermeiden, da sie eine Dislokation herbeiführen können. Aus neuerer Evidenz geht hervor, dass solche allgemeinen Vorsichtsmassnahmen eher zu schlechteren klinischen Ergebnissen führen, sodass die Patienten derzeit eine individuelle Beratung erhalten. Die Autoren des vorliegenden Reviews raten dennoch zur Einhaltung der oben genannten Bewegungseinschränkungen. Während der Rehabilitation sollen eine Zunahme der Kraft, eine Verbesserung des Gleichgewichts und der Beweglichkeit sowie eine Normalisierung des Gangbilds erreicht werden. In den ersten 6 Wochen nach einem Kniegelenkersatz sollte der Patient möglichst nicht knien oder mit überkreuzten Beinen sitzen. Im Rahmen der Rehabilitation wird eine Flexion des Kniegelenks von mindestens 90 Grad angestrebt. Zu den weiteren Zielen gehört die Stärkung des Oberschenkelstreckers und der Kniesehne. Mithilfe von Gleichgewichts- und Propriozeptionsübungen kann das hinkfreie Gehen wieder erlernt werden. Nach einem Schulterersatz wird der Arm 6 Wochen lang in einer Schlinge getragen. Bewegungen unterhalb der Körpermitte oder hinter dem Rücken sind zu vermeiden. Auch sollte der Patient innerhalb von 6 Monaten nach der Operation keine schweren Gegenstände heben. Im Rahmen der Rehabilitation wird 6 Wochen nach dem Gelenkersatz mit Übungen zur Muskelstärkung begonnen. Dabei wird vor allem auf eine Kräftigung der Rotatorenmanschette und der Deltamuskeln geachtet. Vor dem arthroplastischen Eingriff sollte der Patient darüber aufgeklärt werden, dass der ursprüngliche Zustand des Knieoder Hüftgelenks nicht wieder erreicht wird. Mit einer angepassten körperlichen Aktivität soll sichergestellt werden, dass kein akuter Schaden am Implantat entsteht und das Gelenk möglichst lange im Körper verbleiben kann. Sportarten, die mit einer starken Belastung oder Verdrehungen des Gelenks verbunden sind, sollten vermieden werden. Dies gilt auch für Kontaktsportarten. Geeignete Alternativen sind Schwimmen, Aerobic, Walking, Tanzen und Golf. Nach einem Schulterersatz sollten sportliche Aktivitäten mit Wurfbewegungen (wie Basketball) oder hammerartigen Bewegungen (wie Tennis) unterbleiben. Des Weiteren sind Sportarten zu vermeiden, bei denen der Patient auf den ausgestreckten Arm fallen könnte. Zu den geeigneten körperlichen Aktivitäten gehören Velofahren, Walken, Schwimmen oder Golf.
Venöse Thromboembolien
Bei einem Kniegelenkersatz kommt es häufig zu tiefen Venenthrombosen (TVT). In einer grossen prospektiven australischen Studie betrug die Rate asymptomatischer TVT bei einseitigem Knieersatz 25 Prozent und beim Ersatz beider Kniegelenke 36,9 Prozent. Beim Ersatz des Hüftgelenks lag die Rate dagegen nur bei 8,9 Prozent und beim Ersatz des Schultergelenks bei 13 Prozent. Diese Raten wurden trotz medikamentöser und physischer Prophylaxe beobachtet.
Die Anzahl symptomatischer TVT ist deutlich geringer. Die Diagnose gestaltet sich schwierig, da Schmerzen und Schwellungen auch zu den normalen postoperativen Symptomen gehören. Im Zweifelsfall sollte der Patient an einen Spezialisten und bei Atemnot oder Brustschmerzen in eine Notaufnahme überwiesen werden. Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt bei einem Hüftersatz eine medikamentöse Thromboseprophylaxe über 28 bis 35 Tage und nach einem Knieersatz über 10 bis 14 Tage. Zur Präferenz eines bestimmten Medikaments liegt keine ausreichende Evidenz vor. Die British Hip Society (BHS) empfiehlt die Anwendung von Acetylsalicylsäure (Aspirin® und Generika), während die British Elbow and Shoulder Society (BESS) aufgrund des geringen Risikos eine mechanische Prophylaxe für ausreichend erachtet.
Analgesie
Bei der Entlassung aus dem Spital sollten die Schmerzen ohne starke Analgetika beherrschbar sein. Üblicherweise erhält der Patient für die ersten 4 bis 6 Wochen nach der Operation Paracetamol (Panadol® und Generika) oder ein schwaches Opioid wie Codein (z.B. Codicontin®). Länger anhaltende Schmerzen sollten abgeklärt werden, da sie auf eine fehlerhafte Positionierung der Prothese oder eine Infektion hinweisen können. Die Anwendung nicht steroidaler Antirheumatika (NSAR) ist beim Gelenkersatz umstritten. Studien weisen darauf hin, dass diese Substanzen mit einer Hemmung der Knochenheilung verbunden sein könnten. Somit ist die Sicherheit bei Verwendung unzementierter Prothesen, die in den Knochen integriert werden, möglicherweise nicht gewährleistet. In einer schwedischen 10-Jahres-Kohortenstudie wurde nach Hüftersatzoperationen unter Ibuprofen (Brufen® und Generika) eine erhöhte Revisionsrate beobachtet. Die Autoren des hier vorgestellten Reviews raten daher bei einem Gelenkersatz von NSAR eher ab.
Autofahren und Berufstätigkeit
Der Patient sollte erst wieder Auto fahren, wenn eine Not-
bremsung ausgeführt werden kann und die Reaktionsfähig-
keit wiederhergestellt ist. Aus Studien geht hervor, dass dies
nach einem Hüft- oder Knieersatz meist innerhalb von 4 bis
8 Wochen wieder möglich ist. Die meisten Organisationen
raten daher zu einer Fahrabstinenz von mindestens 6 Wo-
chen. Ein ähnlicher Zeitraum wird auch nach einem Schul-
terersatz empfohlen.
Die Zeit bis zur Wiederaufnahme der Berufstätigkeit variiert
erheblich und hängt von der Art der Tätigkeit sowie von der
Operation und deren Verlauf ab. In einer niederländischen
Studie nahmen die Patienten innerhalb von 1,1 bis 13,9 Wo-
chen nach einem Hüftersatz und 8 bis 12 Wochen nach einem
Knieersatz ihre Arbeit wieder auf.
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Petra Stölting
Quelle: Aresti N et al.: Primary care management of postoperative shoulder, hip, and knee arthroplasty. BMJ 2017; 359: j4431, doi: 10.1136/bmj.j4431.
Interessenlage: Die Autoren der referierten Studie erklären, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
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