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STUDIE REFERIERT
Kurzfristige Kortikosteroide bei Halsschmerzen: eine gute Option
Kortikosteroide können nicht nur bei bakteriellen Pharyngitiden indiziert sein, sondern bewirken auch bei viralen Infekten nach einmaliger Gabe eine schnellere Schmerzreduktion. Davon können vor allem Patienten mit starken Schmerzen profitieren.
British Medical Journal
Halsschmerzen sind einer der häufigsten Gründe für eine Konsultation beim Arzt oder in der Notaufnahme. Etwa 5 Prozent der Arztbesuche bei Kindern und 2 Prozent bei Erwachsenen gehen auf Schmerzen in der Halsregion zurück. Die häufigste Ursache ist eine akute virale Pharyngitis. Meist kommen Paracetamol und nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) für die Schmerzbehandlung zur Anwendung. Beide Medikamente haben eine zeitlich begrenzte Wirkung. Selten sind dabei auch ernsthafte Nebenwirkungen möglich. Liegt ein bakterieller Infekt vor, muss antibiotisch behandelt werden. Antibiotika nehmen ebenfalls nur mässigen Einfluss auf Schmerzlinderung und Fiebersenkung und lösen zusätzlich Resistenzen aus. Häufig werden trotz des viralen Ursprungs einer Pharyngitis vom Arzt Antibiotika verschrieben, nicht selten, weil dies in den Augen des Arztes vom Patienten erwartet wird. Wahrscheinlich aber steht bei dieser Erwartungshaltung des Patienten der Wunsch nach einem Medikament im Vordergrund, das möglichst rasch zu einer Besserung seiner Sym-
MERKSÄTZE
O Die ein- bis zweimalige Verabreichung von Dexamethason 10 mg p.o. oder i.m. lindert Halsschmerzen früher und führt früher zu einer vollständigen Schmerzfreiheit.
O Als Kurztherapie verabreicht, sind Nebenwirkungen selten.
O Kortikosteroide bieten eine Möglichkeit zur rascheren Schmerzreduktion bei viralen oder bakteriellen Pharyngitiden.
ptome, in erster Linie der Schmerzen, führt. Kortikosteroide können dafür eine zusätzliche therapeutische Option sein. Plazebokontrollierte Studien lassen darauf schliessen, dass sich eine niedrige bis mittlere Dosis eines Kortikosteroids positiv auf Schmerzsymptome auswirkt. Trotzdem werden Steroide bei Halsinfekten nicht regelmässig angewendet, was möglicherweise auf Unsicherheiten seitens der Ärzte im Hinblick auf die Unbedenklichkeit der Behandlung zurückzuführen ist. Neueste Studien zeigen, dass kein Grund für mögliche Vorbehalte besteht.
Update des Cochrane-Reviews
von 2012
Der hier besprochene systematische Review ist ein Teil des Projekts «BMJ Rapid Recommendations», welches zusammen mit dem MAGIC-Forschungsprogramm (siehe www.magicproject. org) durchgeführt wird. Ziel des Projektes ist es, bei Vorliegen von neuen evidenzbasierten Studiendaten, die zu einer Änderung der Behandlungspraxis führen könnten, innert nützlicher Frist zuverlässige Guidelines anbieten zu können. Den Anstoss zur hier besprochenen Überblicksarbeit gab die kürzlich durchgeführte Studie TOAST (Treatment Options without Antibiotics for Sore Throat), welche über 500 Halsschmerzpatienten untersuchte und den vorteilhaften Einfluss von Kortikosteroiden auf die Schmerzen nachweisen konnte. Deshalb drängte sich ein Update des letzten Cochrane-Reviews von 2012 zur Frage nach der Wirksamkeit und Sicherheit von Kortikosteroiden bei der Behandlung von Pharyngitiden auf (1). Gemäss dem Studienablauf nach «BMJ Rapid Recommendations» wirkten bei der Auswahl, Gewichtung und Bewertung der Studienresultate
sowie mit einem Feedback zu Studienprotokoll und Manuskript auch fünf von Halsschmerzen betroffene Patienten als fester Bestandteil des GuidelineGremiums mit. Zwischen Januar 2010 und Mai 2017 wurden randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) aus Medline, Embase und dem Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL) gefiltert, welche die Behandlung von Halsschmerzen mit Kortikosteroiden und einer Standardschmerztherapie oder Plazebo verglichen. Von den 2349 gefundenen Studien erfüllten schliesslich 10 die Reviewkriterien. Berücksichtigt wurden Studien mit Erwachsenen und Kindern ab einem Alter von fünf Jahren. Studien mit hospitalisierten und immunsupprimierten Patienten oder mit Patienten, welche an Mononukleose, Halsschmerzen nach Intubation, gastroösophagealem Reflux, Kehlkopfdiphterie oder peritonsillären Abszessen litten, wurden nicht eingeschlossen. In den Interventionsgruppen wurde überwiegend Dexamethason oral verabreicht (Erwachsene: 10 mg, Kinder: 0,6–10 mg) oder Dexamethason 10 mg i.m. als Einzeldosis (3 Studien mit Erwachsenen). Die Kontrollgruppen erhielten eine herkömmliche Schmerztherapie mit Paracetamol und/oder NSAR und wenn nötig Antibiotika.
Frühere Schmerzfreiheit
mit Kortikosteroiden
Patienten mit Kortikosteroidkurzbehandlung erreichten nach 24 Stunden doppelt so häufig eine vollständige Schmerzfreiheit wie die Plazebogruppen (relatives Risiko [RR]: 2,2; 95%Konfidenzintervall [KI]: 1,2–4,3). Nach 48 Stunden war die Wahrscheinlichkeit einer vollständigen Schmerzfreiheit bei Patienten mit Kortikosteroiden 1,5-mal grösser (RR: 1,5; 95%-KI: 1,3–1,8). Das Eintreten einer ersten spürbaren Schmerzlinderung erfolgte bei den steroidbehandelten Patienten durchschnittlich 4,8 Stunden früher als bei den Kontrollgruppen (95%-KI: −1,9 bis −7,8). Die vollständige Schmerzfreiheit trat durchschnittlich sogar 11,1 Stunden früher ein (95%-KI: −0,4 bis −21,8). Die Subgruppenanalyse zeigte zudem für die i.m.-Applikation von Dexamethason einen signifikant stärkeren Effekt. Eine der Studien konnte nachweisen, dass nur 55 Prozent der korti-
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kosteroidbehandelten Patienten aufgrund der Halsschmerzen arbeitsunfähig wurden, hingegen bis zu 68 Prozent der mit Plazebo behandelten Patienten. Eine andere Studie bezifferte die durchschnittliche Anzahl an Tagen mit Arbeitsunfähigkeit bei den Steroidpatienten auf 0,4, bei den plazebobehandelten Patienten auf 0,7. 6 der untersuchten Studien hatten für die Kortikosteroidbehandlung keinerlei Nebenwirkungen zu verzeichnen. 3 Studien berichteten in beiden Behandlungsarmen über Einzelfälle von Nebenwirkungen, die jedoch hauptsächlich Folgen der infektiösen Grunderkrankung waren (Peritonsillärabszesse, Tonsillitis, Pneumonie) und in beiden Armen gleich häufig auftraten.
Besser Kortikosteroide
als Antibiotika
Mit mässiger bis hoher Evidenz vermindern ein oder zwei Dosen Kortikosteroid sowohl Intensität als auch Dauer von Halsschmerzen bei akuter
Pharyngitis. Es bestehen Hinweise darauf, dass die I.m.-Gabe wirksamer ist als eine perorale Aufnahme. Die vollständige Schmerzfreiheit tritt unter Kortison rund 11 Stunden früher ein, und im Vergleich zu einer herkömmlichen Therapie haben nach 48 Stunden zusätzlich 18 Prozent der Patienten gar keine Schmerzen mehr. Obwohl diese Wirkung insgesamt eher moderat ist, können vor allem Patienten mit starken Schmerzen von einer kurzfristigen Steroidbehandlung profitieren und erachten diese als hilfreich. Durch die ein-, höchstens zweimalige Gabe ist das Nebenwirkungspotenzial der Steroide sehr klein, und gleichzeitig eingenommene Analgetika scheinen die schmerzreduzierende Wirkung zu verstärken. Bisher wurde die Anwendung von Kortikosteroiden bei Halsentzündungen von den Guidelines auf schwere, antibiotikapflichtige Infekte beschränkt. Unter Berücksichtigung der aktuellsten Studien hingegen besteht nun eine hin-
längliche Evidenz dafür, dass die Kurz-
zeitbehandlung mit Dexamethason eine
praktikable Alternative zur Schmerzbe-
handlung einer akuten viralen Pharyn-
gitis darstellt und damit möglicher-
weise eine unnötige Verschreibung von
Antibiotika verhindert.
O
Marianne I. Knecht
Quelle: Sadeghirad B et al.: Corticosteroids for treatment of sore throat: systematic review and meta-analysis of randomised trials. BMJ 2017; 358: j3887.
Referenzen: 1. Hayward G et al.: Corticosteroids as standalone or
add-on treatment for sore throat. Cochrane Database Syst Rev 2012; 10: CD008268.
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