Transkript
STUDIE REFERIERT
Weniger aggressive Prostatakarzinome unter Testosteronersatztherapie?
Bei fortgeschrittenen Prostatakarzinomen ist die Androgendeprivation Erstlinientherapie. Der Umkehrschluss, dass die Testosteronzufuhr bei Männern mit Hypogonadismus zu einem höheren Prostatakrebsrisiko führt, liess sich weder in Metaanalysen noch in dieser grossen Fall-Kontroll-Studie bestätigen.
Journal of Clinical Oncology
Seit der Entdeckung, dass Prostatakarzinome testosteronabhängig sind, wurde die medikamentöse oder chirurgische Kastration zur Erstlinienbehandlung bei fortgeschrittenem Prostatakrebs. Im Gegenzug wurde die Sorge vorgebracht, dass eine Testosteronersatztherapie das Prostatakrebsrisiko erhöhen könnte. Allerdings fanden Metaanalysen bei testosteronsubstituierten Männern keine Risikoerhöhung, sie stützten sich jedoch auf Studien mit substanziellen Einschränkungen. Daher hat die vorliegende Studie das Prostatakarzinomrisiko auf Bevölkerungsebene anhand einer grossen schwedischen Datenbank untersucht.
Methodik Im nationalen Prostatakarzinomregister von Schweden wurde eine eingebettete FallKontroll-Studie durchgeführt. Diese umfasst 38 570 Prostatakrebsfälle, die zwischen 2009 und 2012 diagnostiziert wurden, sowie 192 838 altersgleiche Männer ohne Prostatakarzinom. Die Assoziationen zwischen Testosteronersatztherapie und dem Risiko für Prostatakrebs wurden mittels multivariabler logistischer Regression berechnet.
MERKSÄTZE
O In einer grossen Fall-Kontroll-Studie auf Basis des schwedischen Krebsregisters war das Gesamtrisiko für Prostatakrebs bei Männern, die eine Testosteronersatztherapie erhielten, nicht erhöht.
O Diese Hormonbehandlung bei hypogonaden Männern war innert des ersten Jahres der Testosteronexposition mit einem geringeren Risiko für aggressive Prostatakarzinome assoziiert.
Ergebnisse
284 Patienten mit Prostatakrebs und 1378 Kontrollfälle hatten Rezepte für eine Testosteronersatztherapie erhalten. Zwischen der Hormonbehandlung und dem Gesamtrisiko für Prostatakarzinome ergab die multivariable Analyse keine Assoziation (Odds Ratio [OR]: 1,03; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,90–1,17). Demgegenüber hatten Patienten, die eine Testosteronersatztherapie erhalten hatten, Prostatakarzinome mit günstigerem Risiko (OR: 1,35; 95%-KI: 1,16–1,56) und ein geringeres Risiko für aggressive Prostatakarzinome (OR: 0,50; 95%-KI: 0,37–0,67). Die Zunahme von Prostatakarzinomen mit günstigem Risiko war schon innert des ersten Jahres der Testosteronersatztherapie erkennbar (OR: 1,61; 95%-KI: 1,10–2,34). Das tiefere Risiko für aggressive Prostatakarzinome wurde jedoch erst nach mehr als einem Jahr Hormonbehandlung beobachtet (OR: 0,44; 95%-KI: 0,32–0,61). Auch nach Adjustierung für vorangegangene Biopsie als Indikator für diagnostische Aktivität blieb die Testosteronersatztherapie mit prognostisch günstigeren Prostatakarzinomen und einem tieferen Risiko für aggressive Tumoren assoziiert.
Diskussion
In dieser Studie auf Bevölkerungsbasis wurde bei Patienten unter Testosteronersatztherapie keine Erhöhung des Gesamtrisikos für Prostatakrebs gefunden. Auch war eine längere Dauer der Hormonbehandlung nicht mit einem höheren Risiko verbunden, und darüber hinaus hatten hormonbehandelte Männer ein tieferes Risiko für aggressive Prostatakarzinome. Dass bei Männern unter Testosteronersatztherapie vermehrt Karzinome mit günstigem Risiko beobachtet wurden, dürfte an der Befolgung der ärztlichen Empfehlung
zum Prostatakrebsscreening unter Hormon-
behandlung gelegen haben.
Die Testosteronersatztherapie hat für
Männer mit Hypogonadismus vielfältigen
Nutzen. Sie führt zu verbesserter sexueller
Aktivität und kann einer durch Testoste-
ronmangel verursachten tiefen Knochen-
mineraldichte mit erhöhtem Frakturrisiko,
schlechter Schlafqualität und chronischer
Müdigkeit entgegenwirken. Für Prostata-
karzinome haben frühere Studien gezeigt,
dass Männer mit Hypogonadismus ein höhe-
res Risiko für aggressive Erkrankungen
tragen. Testosteron ist für die Zelldifferen-
zierung und -funktion in der normalen
Prostata wichtig. Sowohl in Prostatazellen
wie in Prostatakarzinomzellen stimuliert
Testosteron die Proliferation, wobei die
Androgenabhängigkeit des Überlebens von
Prostatakrebszellen kontroverser ist.
Die Autoren spekulieren, dass hohe oder
normale Testosteronspiegel die Prostatazel-
len und ebenso die frühen Prostatakar-
zinomzellen in einem differenzierten Zu-
stand halten. Im Gegensatz dazu würde die
altersbedingte Abnahme der Testosteron-
konzentration zu einem weniger differen-
zierten Krebsphänotyp führen. Das Kon-
zept der Zelldifferenzierung durch Testo-
steron erhält auch Unterstützung durch die
Beobachtung, dass eine hoch dosierte
Testosteronbehandlung bei Männern mit
kastrationsresistentem Prostatakarzinom
die Krebszellen in einen differenzierteren
Phänotyp transformieren kann, der dann
für eine weitere Androgendeprivation emp-
fänglich ist.
Als Schlussfolgerung aus dieser bevölke-
rungsbasierten, eingebetteten Fall-Kontroll-
Registerstudie ergibt sich keine Evidenz für
eine Assoziation zwischen Testosteroner-
satztherapie und Gesamtrisiko für Prosta-
takrebs. Vielmehr war diese Hormon-
behandlung mit einem geringeren Risiko
für aggressive Tumoren innert des ersten
Jahres nach Hormonexposition assoziiert.
Hinsichtlich des Prostatakarzinoms ist die
Testosteronersatztherapie daher bei hypo-
gonaden Männern sicher.
O
Halid Bas
Quelle: Loeb S et al.: Testosterone replacement therapy and risk of favorable and aggressive prostate cancer. J Clin Oncol 2017; 35: 1430–1436.
Interessenlage: Einige Autoren der referierten Originalstudie deklarieren finanzielle Zuwendungen von Pharmafirmen mit Interessen auf dem Gebiet der Onkologie.
ARS MEDICI 23 I 2017
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