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BERICHT
Immunsystem gegen die eigene Leber
Update zu Diagnose und Therapie von autoimmunen Lebererkrankungen
Bei autoimmunen Lebererkrankungen richtet sich das körpereigene Immunsystem gegen die Leber beziehungsweise die Gallengänge. Die Ursachen für die Fehlsteuerung dieser unterschiedlich verlaufenden Erkrankungen sind noch weitgehend ungeklärt. An der Jahrestagung der Schweizer Gesellschaft für Gastroenterologie (SGG) in Lausanne gab Prof. Dr. Gideon Hirschfield von der Universität Birmingham einen Überblick.
Klaus Duffner
Die drei wichtigsten autoimmunen Lebererkrankungen sind die Autoimmunhepatitis (AIH), die primär biliäre Cholangitis (PBC) und die primäre Sklerosierende Cholangitis (PSC). Zwar zeichnen sich diese Haupttypen durch verschiedene Krankheitsbilder und Verläufe aus, eines ist ihnen jedoch gemeinsam: Die eigene Immunabwehr greift die Leber an, und es kommt zu einer Entzündung, die dann nach Jahren zu einer Leberzirrhose führen kann.
Chronische Autoimmunhepatitis
Die chronische Autoimmunhepatitis (AIH) ist mit einer Prävalenz von 17 pro 100 000 Einwohner eine seltene Erkrankung. Sie tritt zu 90 Prozent bei Frauen auf, wobei zwei Krankheitsgipfel unterschieden werden, nämlich zwischen dem 10. und 30. sowie zwischen
dem 50. und 70. Lebensjahr. Unbehandelt kommt es zu einer fortschreitenden Zerstörung des Leberparenchyms, was eine Letalität von bis zu 50 Prozent nach drei Jahren zur Folge hat. Je nach Autoantikörpermuster werden mehrere Krankheitstypen unterschieden. So können bei der häufigsten Autoimmunhepatitis vom Typ 1 antinukleäre Antikörper (ANA) und Antikörper gegen glatte Muskelfasern (Anti-SMA) sowie eventuell lösliche Leber-Antigene/LeberPankreas-Antigene (Anti-SLA/LP) nachgewiesen werden. Bei der Autoimmunhepatitis vom Typ 2 sind hingegen Antikörper gegen Leber-Niere-Mikrosomen (LKM) vorhanden. Als Symptome werden Müdigkeit, Anorexie, Übelkeit, Erbrechen, Bauch- und Kopfschmerzen oder Diarrhö beschrieben. Auch das Auftreten einer Hepatosplenomegalie
PBC: Alkalische Phospatase und Bilirubin als Prädiktoren
Seit wenigen Jahren wird versucht, auch bei autoimmun bedingten Lebererkrankungen Risikostratifizierungen vorzunehmen. So konnte in einer Arbeit aus dem Jahr 2014 gezeigt werden, dass alkalische Phosphatase-(ALP-) und Bilirubinspiegel gute Prädiktoren für den weiteren Verlauf einer PBC sind (9). Sind nämlich die Werte dieser beiden Parameter übernormal hoch, ist das Risiko eines schlechten Krankheitsverlaufs für Patienten mit primär biliärer Cholangitis in den folgenden zehn Jahren sehr gross (p<0,01). Während bei normalem Bilirubinwert in diesem Zeitraum etwa 80 Prozent der Patienten transplantationsfrei überleben, tun dies bei überhöhten Spiegeln nur rund 40 Prozent. Auch eine anhaltende Erhöhung des Serummarkers ALP ist mit einem erhöhten Risiko für Leberversagen, Lebertransplantation und Tod verbunden, warnte Hirschfield. «Wenn also am Ende des ersten Jahres nach Diagnosestellung diese Werte erhöht sind, wissen wir, dass solche Menschen ein ausserordentlich hohes Risiko besitzen und intensiv betreut werden müssen.»
ist typisch, bei etwa der Hälfte der Betroffenen ist zudem ein Ikterus zu beobachten. Zwar ist keine ursächliche Behandlung dieser chronischen Erkrankung möglich, mit einer langfristigen Kombination aus Azathioprin und Prednisolon lassen sich jedoch Leberentzündung und Symptome zurückdrängen. Bei adäquater Behandlung haben 90 Prozent der Patienten, die auf die Therapie ansprechen, eine nur unmerklich reduzierte Lebenserwartung. Bei sehr schwerem Verlauf liegt die 10-Jahres-Überlebensrate jedoch bei nur 10 Prozent. Bei solch therapieresistenten Fällen sollte rechtzeitig an eine Lebertransplantation gedacht werden.
Primär biliäre Cholangitis
Die mit 20 bis 40 Fällen pro 100 000 Personen häufigste der autoimmunen Lebererkrankungen ist die primär biliäre Cholangitis (PBC) (früher: «Primär biliäre Zirrhose») (1). Sie betrifft in rund 90 Prozent der Fälle Frauen – und zwar vor allem solche mittleren Alters (durchschnittliches Diagnosealter Grossbritannien: 45 Jahre). So leide jede 1000. Frau über 40 an dieser Entzündung der Gallengänge der Leber, erklärte Hirschfield. Solche Entzündungen greifen langfristig von den Gallengängen auf das gesamte Lebergewebe über und können im Endstadium zur Zirrhose führen. Durch eine Therapie lässt sich der Verlauf günstig beeinflussen. Trotzdem müssten sich laut den britischen Daten rund die Hälfte aller Patienten, die in einem Alter von unter 50 Jahren die Diagnose PBC erhalten hatten, einer Lebertransplantation unterziehen, berichtete Hirschfield. Die häufigsten Symptome sind Müdigkeit, Erschöpfung und Juckreiz. Auch trockene Schleimhäute und Restless Legs sind möglich. Typische diagnostische Parameter sind erhöhte
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Primär biliäre Cholangitis: Neue Optionen in der Therapie
Derzeit sind eine Reihe unterschiedlicher Substanzen in klinischer Prüfung, die verschiedene Rezeptoren innerhalb der Zelle oder auf der Zellmembran angreifen, berichtete Prof. Gideon Hirschfield. Für die Therapie der primär biliären Cholangitis (PBC) zeigen neue Studien mit Obeticholsäure hoffnungsvolle Ergebnisse. Dieses bindet an den Farnesoid-X-Rezeptor (FXR), einen Rezeptor im Kern von Zellen in Leber und Darm. FXR ist ein wichtiger Regulator des Gallensäure-Stoffwechselwegs. In einer 2016 veröffentlichten kontrollierten, klinischen Studie mit 217 Teilnehmern wurde gezeigt, dass bei mit Obeticholsäure (Ocaliva®*) behandelten PBC-Patienten im Vergleich zu Plazebo die ALP-Spiegel signifikant reduziert waren. Dieser Effekt konnte bereits in den ersten drei Monaten festgestellt und dann über den gesamten 12-monatigen Studienzeitraum gehalten werden. Allerdings litten die mit Obeticholsäure behandelten Patienten anfänglich stärker unter Juckreiz, was sich jedoch im Laufe der Studie verringerte. Diese neue Option sei jedoch nicht der Endpunkt der «therapeutischen PBC-Reise», sondern erst der Start, so die Erwartung des britischen Experten.
In einer weiteren randomisierten, plazebokontrollierten Doppelblind-Studie (BEZURSO, noch unveröffentlicht) wurde Bezafibrat** bei PBC-Patienten eingesetzt, die inadäquat auf Ursodeoxycholsäure reagiert hatten. Dabei normalisierte sich in der Verumgruppe bei 30 Prozent der Beteiligten die Leberfunktion (Plazebo 0%) und bei 67 Prozent der ALP-Wert (Plazebo 0%), ebenfalls interessante Ergebnisse, so Hirschfield. Auch der peroxisome proliferator-activated receptor (PPAR) delta agonist MBX-8025 (Seladelpar) wies bei vielen PBC-Patienten eine signifikante Normalisierung der ALP-Werte auf. Allerdings zeigten drei Teilnehmer eine reversible Grad-3-Alanin-Aminotransferase-Erhöhung, sodass die Studie nach Behandlung von 41 Patienten vorzeitig abgebrochen wurde (10).
* in der Schweiz erhältlich , aber noch nicht zugelassen, ** der Einsatz bei Lebererkrankungen gilt in der Schweiz als kontraindiziert
Cholestasemarker (aP, y-GT; Bilirubin in Frühstadien normwertig) und IgM sowie ein positiver Nachweis antimitochondrialer Antikörper (AMA). Auch die Histologie kann hilfreich sein. Die Behandlung mit Ursodeoxycholsäure (UDCA) kann den Krankheitsverlauf verlangsamen oder zum Stillstand bringen. Ob zusätzliche Immunsuppressiva einen Vorteil bringen, ist heute umstritten.
Primär sklerosierende Cholangitis
Im Gegensatz zu den anderen autoimmunen Lebererkrankungen sind bei der primär sklerosierenden Cholangitis (PSC), mit einem Verhältnis von 2 zu 1, mehr Männer als Frauen betroffen (2). Die Diagnose wird typischerweise zwischen dem 36. und dem 52. Lebensjahr gestellt. Derzeit geht man von einer Prävalenz von 4 bis 16 pro 100 000 Einwohner aus. Die PSC führt zu einer progressiven Destruktion des intraund/oder extrahepatischen Gallenwegsystems mit seriellen Stenosen und kleinen Abszessen. Später greift sie auch auf das Lebergewebe über, was zur Entwicklung einer Fibrose oder Zirrhose führen kann. Ähnlich wie bei der PBC sind die ersten Symptome unspezifisch: Fatigue, Gewichtsverlust, unklare Oberbauchbeschwerden (50–75%), Juckreiz (10– 70%) oder Ikterus (25–75%). Etwa jeder dritte Patient ist bei Diagnose jedoch asymptomatisch. Bei mindestens zwei Drittel der Betroffenen ist die PSC mit entzündlichen Darm-
erkrankungen assoziiert, mehr als die Hälfte hat zusätzlich eine Colitis ulcerosa (3). Zudem besitzen die Betroffenen ein erhöhtes Risiko für verschiedene Malignome (13–14%), vor allem für das cholangiozelluläre Karzinom, aber auch für das kolorektale, hepatozelluläre oder Gallenblasenkarzinom (4). «Manche Patienten machen einen guten Eindruck, und bei der nächsten Kontrolle müssen wir leider ein fatales cholangiozelluläres Karzinom feststellen», berichtete Hirschfield. Die mittlere Überlebenszeit von PSC-Patienten beträgt nach Diagnosestellung ohne Lebertransplantation zwischen 12 und 18 Jahre (5). Die medikamentöse Behandlung und Prävention mit UDCA wird aufgrund unterschiedlicher Studienergebnisse seit Jahren kontrovers diskutiert. Beispielsweise wird im Universitätsspital Zürich bei stabiler Leberfunktion ohne Tumorverdacht eine UDCA-Therapie (15 mg/kg Körpergewicht) verschrieben. Während die amerikanischen Guidelines in der Vergangenheit eine UDCA-Therapie nicht empfahlen, gilt diese Ablehnung nach den Leitlinien von 2015 nur noch für die Hochdosistherapie mit mehr als 28 mg/kg Körpergewicht (6). Jüngeren Studien zufolge gehen Dosierungen bis 20 mg/kg Körpergewicht mit einem besseren Krankheitsverlauf einher. «Insgesamt stehen Patienten mit primär sklerosierender Cholangitis jedoch immer noch unter extremem Leidensdruck», so der britische Gastroenterologe.
Was sind die Ursachen?
«Wir gehen von einer Kombination von genetischen Ursachen und Umwelteinflüssen aus», erklärte Hirschfield. Relevant seien das Geschlecht, die Ethnie, das Alter, bestimmte immunologische und nicht immunologische Gene, epigenetische Strukturen, aber auch Bakterien und Viren. Zwar kenne man heute viele pathologische Gene, die eigentlich spannende Frage, nämlich ihre Interaktionen mit der Umwelt, sei jedoch weitgehend unbeantwortet. So tragen japanische Populationen andere Gensignaturen als chinesische, was für unterschiedliche pathogenetische Wege spricht. Das Ergebnis, nämlich eine entzündete Leber, sei jedoch das Gleiche, so der Experte.
Genetische Übereinstimmung
Auch die Verbindung zwischen der primär sklerosierenden Cholangitis und chronisch entzündlichen Darmerkrankungen beschäftigt die Wissenschaftler. Gemäss einer neueren Veröffentlichung sei die starke Komorbidität der beiden das Resultat einer einzigen Erkrankung und damit genetisch verschieden von den «klasssischen» entzündlichen Darmerkrankungen (IBD) (7). «Wenn also ein Patient von einer PSC und Morbus Crohn betroffen ist, leidet er genetisch gesehen unter einer einzigen Krankheit.» Allerdings wurden signifikante Unterschiede in der Zusammensetzung des Mikrobioms von IBD-, PSC- und Kontrollpersonen festgestellt und gleichzeitig eine geringere Bakteriendiversität bei IBD- und PSC-Patienten (8). Was für die Beantwortung vieler offener Fragen erschwerend hinzukommt, ist die Tatsache, dass, von Ausnahmen abgesehen, bis heute keine adäquaten Mausmodelle für solche immunologischen Lebererkrankungen existieren. O
Klaus Duffner
Quelle: «Autoimmune liver disease: tracing a journey towards rational new therapies for patient benefit», Vortrag am Jahrestreffen der SGG/SSG am 14.9.2017 in Lausanne.
Literatur unter www.arsmedici.ch
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Literatur: 1. Nevens F et al.: A placebo-controlled trial of obe-
ticholic acid in primary biliary cholangitis. N Engl J Med 2016; 375: 631–643. 2. Lindkvist B et al.: Incidence and prevalence of primary sclerosing cholangitis in a defined adult population in Sweden. Hepatology 2010; 52: 571–577. 3. Chapman R et al.: Diagnosis and management of primary sclerosing cholangitis. Hepatology 2010; 51: 660–678. 4. Bergquist A et al.: Hepatic and extrahepatic malignancies in primary sclerosing cholangitis. J Hepatol 2002; 36: 321–327. 5. Tischendorf JJ et al.: Characterization, outcome, and prognosis in 273 patients with primary sclerosing cholangitis: A single center study. Am J Gastroenterol 2007; 102: 107–114. 6. Lindor KD, Kowdley KV, Harrison ME: ACG Clinical Guideline: Primary sclerosing cholangitis. Am J Gastroenterol 2015; 110(5): 646–659. 7. Elinghaus D et al.: Analysis of five chronic inflammatory diseases identifies 27 new associations and highlights disease-specific patterns at shared loci. Nature Genetics 2016; 48: 510–518 . 8. Bajer L et al.: Distinct gut microbiota profiles in patients with primary sclerosing cholangitis and ulcerative colitis. World J Gastroenterol 2017; 23(25): 4548–4558. 9. Lammers WJ et al.: Levels of alkaline phosphatase and bilirubin are surrogate end points of outcomes of patients with primary biliary cirrhosis: an international follow-up study. 2014; 147 (6): 1338–1349.e5. 10. Jones D et al.: Seladelpar (MBX-8025), a selective PPAR-␦ agonist, in patients with primary biliary cholangitis with an inadequate response to ursodeoxycholic acid: a double-blind, randomised, placebocontrolled, phase 2, proof-of-concept study. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2017; 2(10): 716–726.
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