Transkript
BERICHT
Triage bei Hautpatienten in der hausärztlichen Praxis
Hilfestellung zur Diagnose der häufigsten Dermatosen
Patienten mit Dermatosen stellen in der hausärztlichen Praxis eine Herausforderung dar. Denn aufgrund der grossen Anzahl der verschiedenen Krankheitsbilder ist es sogar für Hautärzte schwierig, die richtige Diagnose zu stellen. Über die Triage bei Dermatosen sprach Dr. med. Stephan Nobbe, Leitender Arzt und Facharzt FMH für Dermatologie am Kantonsspital Frauenfeld und Oberarzt am Universitätsspital Zürich (USZ), im Rahmen der Fortbildung «Dermatologie – anwendbares Wissen fur̈ Grundversorger» an der Dermatologischen Klinik des USZ.
Susanna Steimer Miller
Dermatosen sind ein häufiger Grund für die Konsultation einer Allgemeinarztpraxis. Von Akne sind etwa 85 Prozent der Jugendlichen betroffen. Die Prävalenz der aktinischen Keratose liegt bei über 80-jährigen Kaukasiern bei über 80 Prozent. An Rosazea leiden über 20 Prozent der über 30-Jährigen. Rund 10 bis 20 Prozent der Kinder haben eine atopische Dermatitis. Etwa 10 Prozent der Bevölkerung erkranken an Interdigitalmykose. Das seborrhoische Ekzem tritt bei 3 bis 10 Prozent der Mitteleuropäer auf, und an Psoriasis leiden 1 bis 4 Prozent der Bevölkerung.
krankheiten, wie Ekzemkrankheiten, Akne und akneartige Dermatosen, Psoriasis, Urtikaria oder Autoimmundermatosen. Bei rund einem Achtel der behandelten Fälle lag eine infektiöse Erkrankung mit Mykosen, Bakterien, Viren oder Parasiten vor. In die heterogene Restgruppe, die ebenfalls ein Achtel der Fälle ausmachte, teilte der Spezialist alle weiteren Dermatosen ein, wie zum Beispiel vaskuläre, traumatische, metabolische und genetische Hautkrankheiten.
entzündlich
(ca. 50%)
neoplastisch
(ca. 25%)
Weg zur Diagnose
Selbst für den Dermatologen ist es nicht immer einfach, in der ersten Konsultation die Diagnose zu stellen. «Manchmal benötigt es mehrere Konsultationen, bis wir eine gesicherte Diagnose haben», erklärt Nobbe. Der Weg zur Diagnose führt über die Anamnese und den Hautstatus. Bei der Anamnese sollte sich der behandelnde Arzt nicht nur auf das aktuelle Leiden konzentrieren. Wichtig sind auch die zeitliche Abfolge, weitere Symptome, die persönliche Anamnese, die Berufs-, Hobby-, Sexual- und Familienanamnese. Zudem sollte sich der Arzt nach eingenommenen Medikamenten, Noxen und bekannten Allergien erkundigen. Alter, Geschlecht und Hauttyp des Patienten sind für die Diagnosestellung ebenfalls wichtig. Beim Hautstatus spielt die Lokalisation des Befundes, die Verteilung und die Art der Effloreszenzen eine Rolle. Der Referent wies darauf hin, dass bei jeder Hauterkrankung ein Ganzkörperhautstatus gemacht werden sollte. Er erklärte: «Bei der Kontrolle der
infektiös
(ca. 12,5%)
Restgruppe
andere Ursachen (ca. 12,5%)
Vier Hauptgruppen
Insgesamt sind mehr als 2000 Dermatosen bekannt, die meisten davon treten äusserst selten auf, sodass der Allgemeinpraktiker nicht alle kennen kann und muss. Um sich einen Überblick der am häufigsten auftretenden Hautkrankheiten zu verschaffen, hat Nobbe die rund tausend Zuweisungen kategorisiert, die 2016 am Kantonsspital in Frauenfeld behandelt wurden (siehe Abbildung 1). Bei einem Viertel der Fälle handelte es sich um benigne oder maligne neoplastische Dermatosen. 50 Prozent der Zuweisungen erfolgten aufgrund von entzündlichen Haut-
papulosquamöse Dermatosen
Ekzemkrankheiten
Autoimmundermatosen
Akne/akneartige Dermatosen
Urtikaria und Ekzeme
maligne benigne
viral bakteriell parasitär mykotisch
vaskulär toxisch traumatisch metabolisch genetisch
...
Abbildung 1: Kategorisierung von Hauterkrankungen nach Ursachen und entsprechende Anteile von insgesamt tausend dem Kantonsspital Frauenfeld zugewiesenen Dermatosefällen (nach Nobbe)
1014
ARS MEDICI 22 I 2017
BERICHT ABC
Abbildung A: Schuppende Kopfhaut, was steckt dahinter?
Abbildungen B–E: Dermatosen im Gesicht – entzündlich oder infektiös?
DE
Abbildung 2: Wissen Sie Bescheid? Ihre Diagnosen können Sie mit der Auflösung auf der Seite 1016 unten vergleichen.
Haut am ganzen Körper suchen wir einerseits nach weiteren Manifestationen der vorliegenden Hauterkrankung. Andererseits finden sich immer wieder Zufallsbefunde, und nicht selten diagnostizieren wir auch maligne Hautveränderungen, die nicht Grund für die Konsultation waren und vom Patienten als harmlos eingestuft wurden.» Sollten Anamnese und Hautstatus nicht ausreichen, um eine zuverlässige Diagnose zu stellen, sind weitere Untersuchungen notwendig, wie zum Beispiel der Einsatz der Dermatoskopie, die Durchführung von Direktpräparaten oder einer Hautbiopsie, eine Untersuchung mit der Wood-Lampe (damit können bestimmte Mikroorganismen erkannt werden), Blutuntersuchungen, mikrobielle, allergologische oder phlebologische Diagnostik.
Fallbeispiel 1: schuppige Haut-
entzündung auf der Kopfhaut
Anhand eines Fotos einer schuppenden Kopfhaut besprach Nobbe das Vorgehen bei der Differenzialdiagnostik (Abbildung 2A). Allein durch Betrachten
der Kopfhaut kann häufig keine eindeutige Diagnose gestellt werden. Hinweise für ein atopisches Ekzem wären zum Beispiel eine bekannte Pollenallergie in der Anamnese oder die typischen Zeichen der atopischen Dermatitis im übrigen Hautstatus, wie zum Beispiel Ekzeme in den Beugen oder eine doppelte Lidfalte unter den Augen (sogenannte Dennie-Morgan-Falte). Um auszuschliessen, dass es sich um ein Kontaktekzem handelt, sollte der Arzt nach der Benutzung von Haarfärbemitteln, Haarsprays, Haarshampoos und Pflegemitteln fragen. Eine Psoriasis würde sich in der Regel mit Effloreszenzen an anderen Körperstellen, wie unter anderem an den Ellenbogen, Genitalien und Fingernägeln, bemerkbar machen. Bei älteren Patienten treten im Kopfbereich, insbesondere an der Kopfhaut, häufig Präkanzerosen und invasive Malignome auf, wie zum Beispiel die aktinische Keratose, die ebenfalls mit schuppender Kopfhaut einhergeht. Für die Diagnose seborrhoisches Ekzem spricht, wenn neben dem behaarten Kopf auch im Bereich der Augenbrauen, um die
Nase und allenfalls über dem Sternum eine fettig-schuppige Hautentzündung vorliegt. Nicht zuletzt muss bei schuppenden Kopfhautveränderungen auch an eine Tinea capitis gedacht werden, insbesondere bei engem Kontakt mit Tieren.
Fallbeispiel 2:
Dermatosen im Gesicht
Hauterkrankungen treten oft im Gesicht auf, wo sie für Betroffene besonders störend sind. Anhand von vier Fotos (Abbildung 2B bis 2E) fragte Nobbe die Teilnehmenden nach ihren wichtigsten Differenzialdiagnosen. Für eine Acne vulgaris sprechen vorhandene Komedonen, die primäre Effloreszenz bei Akne vulgaris sowie die Nodi und Pusteln. Eine bakterielle Impetigo contagiosa manifestiert sich vor allem bei Neugeborenen und Kindern, kann aber in jeder Altersstufe auftreten. Die Hauterkrankung beginnt meist im Gesicht mit roten Flecken, die sich zu flüssigkeitsgefüllten, schlaffen Bläschen und Blasen entwickeln, die nässen und später gelbe Krusten bilden. Die Folli-
ARS MEDICI 22 I 2017
1015
BERICHT
kulitis barbae ist eine Entzündung der Barthaarfollikel. Auslöser ist meist das grampositive Bakterium Staphylococcus aureus. An der perioralen Dermatitis leiden vor allem Frauen rund um das dritte Lebensjahrzent. Doch auch Kinder und ältere Menschen können daran erkranken. Die genauen Ursachen dieser Dermatose sind unklar, der unkontrollierte Einsatz von verschiedenen Pflegekosmetika oder von glukokortikoidhaltigen Cremes/Salben spielen häufig eine Rolle. Die Erkrankung führt zu leicht schuppenden Erythemen, Papeln und Pusteln rund um den Mund. Charakteristisch ist das Freibleiben einer unmittelbar an das Lippenrot angrenzenden Zone.
Hinweise für Hautinfektion
Für eine infektiöse Hauterkrankung sprechen ein eher rasches Auftreten, Schmerzen und ein Nichtansprechen auf die häufig eingesetzte «Ekzembehandlung» mit Kortisonpräparaten. Meist ist der Hautbefall asymmetrisch, und als Effloreszenzen finden sich Bläschen, Blasen oder Pusteln. Beim Eczema herpeticatum handelt es sich um eine meist akut auftretende, fieberhafte lokal begrenzte oder ausgedehnte Infektion mit Herpes simplex in ekzematisierter Haut. Die Krankheit kann im Rahmen
einer Primärinfektion oder eines Rezidivs der Herpesinfektion auftreten. Das Erkennen dieser Komplikation eines Ekzems ist essenziell für die weitere Therapie. Vor allem bei Kindern und immunsupprimierten Patienten gilt das Ekzema herpaticum als dermatologischer Notfall. Die Diagnose des Herpes zoster wird im Gesicht und an den Extremitäten manchmal erst spät richtig gestellt. Hinweise für den Herpes zoster sind asymmetrisch beziehungsweise halbseitig und segmental auftretende Hautbeschwerden. Als Einzeleffloreszenz finden sich, wie bei der Infektion mit Herpes-simplex-Viren, gruppiert stehende Bläschen auf gerötetem Grund. Gelbliche Krusten oder Blasen können ein Zeichen für die durch Staphylokokken oder Streptokokken verursachte Impetigo contagiosa sein. Blasen können aber auch beim Erysipel auftreten, bei dem die oberen Hautschichten und Lymphwege in der Regel mit Streptokokken befallen werden und welches zu einer schmerzhaften, scharf begrenzten Rötung der Haut führt. Insektenstiche können ebenfalls zur Blasenbildung führen. Pusteln, die zu Haarfollikeln assoziiert sind, sind auch ein Hinweis für eine Hautinfektion. Um dem Erreger auf die Spur zu kommen,
kann ein Direktpräparat, ein Abstrich beziehungsweise das Anlegen einer Kultur/PCR-Untersuchung oder eine Hautbiopsie nützlich sein. Auch wenn Bläschen, Blasen und Pusteln bei vielen nicht infektiösen Dermatosen auftreten, sollte deren Vorliegen immer an eine infektiöse Dermatose denken lassen.
Hinweis für Malignität Zum Schluss seines Vortrages wies Nobbe darauf hin, dass eine fehlende Besserung eines Hautbefundes trotz vermeintlich adäquater Therapie ein Hinweis für Malignität sein kann. Insbesondere bei nicht heilenden Ulzerationen oder therapierefraktären «Ekzemen» muss immer an ein Malignom gedacht werden. Die Verdachtsdiagnose sollte in solchen Fällen mittels Hautbiopsie weiter abgeklärt werden. O
Susanna Steimer Miller
Quelle: «Häufiges ist häufig – die Triage bei Hautpatienten», Vortrag an der Fortbildung «Dermatologie – anwendbares Wissen für Grundversorger», Dermatologische Klinik des Universitätsspitals Zürich, Juni 2017.
Auf den Bildern von Seite 1015 finden Sie Folgendes: A: seborrhoisches Kopfhautekzem B: Acne vulgaris C: Impetigo contagiosa D: Follikulitis barbae E: periorale Dermatitis
1016
ARS MEDICI 22 I 2017