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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Neurologie
Tiefe Hirnstimulation gegen Depression
Prof. Claudio Pollo führte erstmals am Inselspital eine tiefe Hirnstimulation bei Depression durch (© Insel Gruppe/Tanja Läser).
Bei Bewegungsstörungen wie zum Beispiel Morbus Parkinson hat sich die tiefe Hirnstimulation als eine der therapeutischen Optionen in den letzten zehn Jahren etabliert. Auch in Bern werden jährlich mehr als 40 Operationen bei solchen Patienten durchgeführt, heisst es in einer Pressemitteilung des Inselspitals. Nun wurde am Universitären Neurozentrum Bern am Inselspital eine tiefe Hirnstimulation bei einer depressiven
Patientin durchgeführt. Für die Neurochirurgie am Inselspital ist es der erste Fall einer tiefen Hirnstimulation wegen einer Depression. Die Patientin habe seit zwei Jahrzehnten an einer schweren therapieresistenten chronischen Depression gelitten, sodass die tiefe Hirnstimulation ihre letzte Hoffnung sei, nachdem alle anderen Behandlungsformen wie störungsspezifische Psychotherapie,
Pharmakotherapie und nicht invasive Hirn-
stimulationsverfahren erfolglos geblieben
seien, erläuterte der behandelnde Psychiater
Prof. Sebastian Walther, Universitätsklinik für
Psychiatrie und Psychotherapie der Universi-
tären Psychiatrischen Dienste Bern.
Für die tiefe Hirnstimulation werden Elektro-
den im Gehirn platziert, die mit einem Hirn-
schrittmacher verbunden sind. Dieser wird
unter dem Schlüsselbein im Brustbereich
implantiert. Während bei Parkinson-Patien-
ten die Elektroden zum Nucleus subthalami-
cus führen, der eine grosse Rolle bei der
Steuerung der Motorik spielt, wurden die
Elektroden bei der depressiven Patientin im
Bereich des Nucleus accumbens gesetzt,
einer Hirnregion mit hoher Relevanz für
Stimmung und Motivation.
Die tiefe Hirnstimulation wird für psychiatri-
sche Erkrankungen bis lang sehr selten ein-
gesetzt. Weltweit sind rund 150 Fälle publi-
ziert. Die Resultate seien jedoch vielverspre-
chend, sodass die tiefe Hirnstimulation bei
psychiatrischen Erkrankungen künftig wohl
vermehrt zur Anwendung kommen dürfte, so
Dr. med. Ines Debove, Oberärztin am Zen-
trum für Bewegungsstörungen, Inselspital
Bern.
RBOO
Pressemitteilung des Inselspitals vom 1. November 2017.
Chronobiologie
Herzklappen-OP besser am Nachmittag
Bei Herzoperationen mit Einsatz der HerzLungen-Maschine ist mit einer perioperativen Ischämie-Reperfusions-Schädigung des Herzmuskels zu rechnen. Kardiologen und Chirurgen an der Universität Lille, Frankreich, haben nun herausgefunden, dass das Ausmass der Schädigung beim Einsetzen einer neuen Aortenklappe (Aortenstenose bei Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Ejektionsfraktion) mit der Tageszeit der Operation korreliert: Am Vormittag ist es gefährlicher als am Nachmittag. Dieser Befund passt zu dem altbekannten Phänomen, dass das Herz morgens und am Vormittag gefährdeter ist als zu anderen Tageszeiten und das Herzinfarktrisiko in den frühen Morgenstunden höher ist.
Die Forscher hatten zunächst in einer Kohortenstudie 500 Tage lang den Verlauf bei 596 Patienten verfolgt, die entweder am Vormittag oder am Nachmittag operiert worden waren. Dabei wurden jeweils Patienten mit möglichst gleichen Voraussetzungen miteinander verglichen (matched pairs). Die Inzidenz schwerer kardialer Ereignisse war bei den am Vormittag operierten Patienten deutlich höher (HR 0,5; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,32–0,77; p = 0,0021). Sodann überprüfte man diese Beobachtung in einer prospektiven, randomisierten Studie, in der 88 Patienten nach dem Zufallsprinzip einen Vor- oder Nachmittagstermin für den Eingriff erhielten (44 in jeder Gruppe). Bei ihnen wurde als Marker für die Herzschädigung
das perioperative kardiale Troponin T herangezogen. Und tatsächlich: Bei den am Vormittag operierten Patienten betrug es im Mittel 225 ng/l (95%-KI: 199–255 ng/l), bei denjenigen am Nachmittag 179 ng/l (95%KI: 161–198 ng/l). In Zellkulturexperimenten mit Herzgewebeproben der Patienten zeigten sich eine intrinische, tageszeitabhängige Variabilität der Hypoxie-ReoxygenierungsToleranz sowie gleichzeitig auftretende Veränderungen der zirkardianen Transkription bestimmter Gene. Sowohl die klinischen als auch die In-vitroBefunde sprechen somit dafür, diesen Eingriff besser nachmittags durchzuführen.
RBOO
Soininen H et al. on behalf of the LipiDiDiet clinical study group (2017): 24-month intervention with a specific multinutrient in patients with prodromal Alzheimer’s disease (LipiDiDiet): a randomised, double-blind, controlled trial. Lancet Neurology 2017; online October 31, 2017 Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 31. Oktober 2017.
1006 ARS MEDICI 22 I 2017
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Ernährung
Kann ein Nährstoffcocktail die Entwicklung der Alzheimer-Demenz stoppen?
Nachdem in der Vergangenheit Studien mit Alzheimer-Patienten in frühen Demenzstadien Vorteile für die Gabe eines bestimmten Nährstoffcocktails ergeben hatten, führte man nun erstmals eine Studie mit Personen im prodromalen Alzheimer-Stadium durch. Die Studie wurde von der EU finanziert und dauerte zwei Jahre. Elf Spitäler in Schweden, Finnland, Deutschland, Ungarn, den Niederlanden, Tschechien und Israel waren beteiligt. Die Diagnose der prädemenziellen AlzheimerPhase erfolgte anhand der IWG-1-Kriterien (IWG: international working group for new research criteria for the diagnosis of AD). Alle 311 Probanden wiesen demnach bereits eine leichte kognitive Beeinträchtigung auf. Die Hälfte der Probanden nahm die Nährstoffkombination täglich in Form eines Trinkjoghurts zu sich, die Kontrollgruppe erhielt ein Getränk, das in Geschmack, Konsistenz und Farbe identisch war, aber keine Wirkstoffe enthielt. Bei dem Wirkstoff handelte es sich um Fortasyn Connect™ (Souvenaid®), eine patentierte Mischung aus DHA, EPA, Uridinmonophosphat, Cholin, den Vitaminen B12, B6, E, C sowie Phospholipiden und Selen. Diese Nährstoffkombination soll die Synthese von Phospholipiden, die Bildung von Synapsen und die Integrität neuronaler Zellmembranen fördern. Nebenwirkungs- und Drop-out-Rate waren in beiden Gruppen gleich. Im primären Endpunkt, der kognitiven Leistung gemäss einer neuropsychologischen Testbatterie, unterschieden sich die beiden Gruppen nach den zwei Jahren nicht. Dazu wurden Fähigkeiten getestet wie Lernen, Erinnern und Erkennen von zehn Worten, das Aufzählen möglichst vieler Tiere innerhalb einer vorgegebenen Zeit oder das Lösen von Aufgaben, bei denen Buchstaben und Zahlen vertauscht werden mussten.
Die Studienautoren betonen, dass sich jedoch in zwei sekundären Endpunkten ein Nutzen der Nährstoffsupplementation zeigte. So verschlechterte sich die kognitive Leistung gemäss klinischer Einschätzung (clinical dementia rating-sum of boxes) mit dem Supplement deutlich langsamer als ohne. Dieser Parameter sage mehr zur kognitiven Leistungsfähigkeit in Alltagsdingen aus als die abstrakten, neuropsychologischen Tests, weil er den Krankheitsverlauf des Patienten anhand der Bewältigung für ihn wichtiger Aufgaben des täglichen Lebens widerspiegele. Beispiele hierfür sind die Fähigkeit, mit Notfällen im Haushalt umzugehen, finanzielle oder geschäftliche Vorgänge zu bewältigen oder wichtige Ereignisse nicht zu vergessen. Der zweite sekundäre Endpunkt mit positivem Resultat war die um ein Viertel geringere Schrumpfung des Hippocampus im Studienzeitraum bei den Patienten mit der Nährstoffbehandlung. Dass beim primären Endpunkt kein Nutzen der Nährstoffbehandlung nachweisbar gewesen sei, könnte auch daran gelegen haben, dass die kognitive Leistung der Probanden unter Plazebo wesentlich weniger stark abgenommen habe als erwartet, so die Autoren. Die Studie habe deswegen für einen statistisch signifikanten Nutzennachweis nicht genügend statistische Power (zu wenige Probanden); weitere, grössere Studien seien nötig. RBOO
Soininen H et al. on behalf of the LipiDiDiet clinical study group (2017): 24-month intervention with a specific multinutrient in patients with prodromal Alzheimer’s disease (LipiDiDiet): a randomised, doubleblind, controlled trial. Lancet Neurology 2017; online October 31, 2017. Pressemitteilung der Universität des Saarlandes vom 31. Oktober 2017.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Vioxx vor Gericht
Anfang November 2007 zahlt der Hersteller von Vioxx 4,85 Millionen US-Dollar in einen Fonds zur Entschädigung von Patienten, die unter Vioxx einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatten, und schliesst mit diesem Vergleich den grössten Teil der Klageverfahren in den USA ab. Die Firma betont, dass mit der Zahlung kein Schuldeingeständnis verbunden sei.
Vor 50 Jahren
Schweizer Rakete
Am 27. Oktober 1967 hebt von einem Truppenübungsplatz in der Region Salto di Quirra an der Ostküste Sardiniens zum ersten Mal die vom schweizerischen Unternehmen Oerlikon Contraves und von den deutschen Dornier-Werken entwickelte Forschungsrakete Zenit ab. Sie soll zur Erforschung der Ionosphäre beitragen. Die «Zenit» ist rund 5½ Meter lang, hat einen Durchmesser von 42 Zentimetern und wiegt 610 Kilogramm. Sie kann eine Nutzlast von bis zu 130 kg transportieren. Während ihres Jungfernflugs erreicht sie eine Höhe von 145 Kilometern. Sie wird in den kommenden Jahren nur noch zweimal gestartet.
Vor 100 Jahren
Schnelle Geburt im Krieg
Ein Münchner Arzt macht in ARS MEDICI im Herbst 1917 darauf aufmerksam, dass im Gegensatz zu Friedenszeiten bei fast allen Erstgebärenden, selbst bei den älteren, eine Geburt nur drei bis vier Stunden dauert, während früher die Wehen allmählicher einsetzten und ein Kreissen von 24 bis 40 Stunden normal war. Er vermutet, dass – ähnlich wie bei «Kriegsamenorrhö» – Veränderungen im vegetativen Nervensystem dafür verantwortlich sind.
RBO
ARS MEDICI 22 I 2017