Transkript
FORTBILDUNG
COPD – Besonderheiten der weiblichen Lunge
Immer mehr Frauen leiden an der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung
Aktuelle Daten zeigen, dass immer mehr Frauen an der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) leiden. Gender-Unterschiede machen sich auch bei den therapeutischen Massnahmen, wie bei der Raucherentwöhnung, bemerkbar. Dies sollte der Arzt in der Behandlung stärker berücksichtigen.
Regina Prenzel
und Frauen jedoch annähernd gleich (67% bei Männern vs. 65% bei Frauen) (2, 3). Die Spirometrie bei der Diagnosestellung der COPD ist demnach bedeutsam, vor allem bei Frauen. Sie wird in der Diagnostik aber insgesamt zu wenig eingesetzt (19). Zudem erhalten Frauen weniger spezialisierte Untersuchungen (18). Die Alters-, Packyear- und DyspnoeScore-adjustierten Daten zeigen: Frauen werden weniger häufig mittels Spirometrie untersucht als Männer. Die Folge: COPD wird bei Frauen nicht so oft diagnostiziert und kann somit nicht konsequent behandelt werden.
In den USA lag im Jahr 2000 die Anzahl der Frauen, die an COPD verstorben sind, höher als bei Männern (1). Rauchen ist der grösste Risikofaktor. Die steigende COPD-Prävalenz könnte durch die weltweit veränderten Lifestyle-Gewohnheiten der Frauen bedingt sein, die zunehmend auch den gleichen Arbeitsplatzrisiken ausgesetzt sind. Die höhere Sterblichkeit von Frauen mit COPD könnte auch dem Unterschied der Komorbiditäten, wie Depression und Kachexie, geschuldet sein. Chapman konnte 2001 zeigen, dass bei Rauchern mit Husten und Auswurf die Diagnose COPD bei Männern (65%) häufiger gestellt wurde als bei Frauen (45%). Nach spirometrischen Untersuchungen war die COPD-Rate bei Männern
MERKSÄTZE
O Die Prävalenz der COPD nimmt weltweit bei Frauen zu. Sie zeigen häufiger den Phänotyp der chronischen Bronchitis.
O Im Vergleich zu Männern äussern Frauen eine schlechtere Lebensqualität und berichten über mehr Luftnot.
O Frauen mit Symptomen wie Husten, Auswurf und Luftnot sollten eine spirometrische Untersuchung erhalten, damit man frühzeitig und zur Progressionsvermeidung eine angepasste Therapie einleiten kann.
O Die Komorbiditäten wie Ängstlichkeit und Depression sind bei Frauen deutlich ausgeprägter als bei Männern.
O Zudem geben weniger Frauen das Rauchen auf und halten die Raucherentwöhnung auch nicht so lang durch wie männliche Patienten, obwohl sie von der Nikotinabstinenz mehr profitieren. Daher sollten Frauen mehrfach zur Raucherentwöhnung angehalten werden.
Tabakempfindlichkeit
Es stellt sich die Frage, ob Frauen eine höhere Empfindlichkeit gegenüber Tabak aufweisen. Die Atemwege von Frauen haben einen kleineren Durchmesser, sodass bei gleicher Menge Zigarettenrauch eine grössere Schädigung resultiert. Ferner werden hormonelle Effekte in der Lungenentwicklung sowie eine höhere Sensitivität der Beta- und Acetylcholinrezeptoren und ein unterschiedlicher Zigarettenrauchmetabolismus diskutiert (4). In der British Lung Study korrelierte das Risiko, eine COPD zu entwickeln, mit dem Zigarettenkonsum, aber nicht mit dem Geschlecht (5). In Familien mit früh auftretender COPD zeigte sich in der Silverman-Studie eine deutlich höhere Prävalenz bei Frauen (71%). Bei weiblichen Verwandten ersten Grades fanden sich zudem ein deutlich höheres Risiko einer FEV1-(Einsekundenkapazität-)Abnahme und ein signifikant stärkeres Ansprechen auf Bronchodilatation im Vergleich zu den männlichen Verwandten ersten Grades. Dieser Unterschied wurde nur bei aktiven Rauchern und bei Exrauchern gesehen. Eine mögliche genetische Disposition für eine raucherbedingte, genderspezifische Lungenschädigung ist naheliegend (6).
Unterschiedliche Wahrnehmung
Frauen berichten auch häufiger von schwerer Luftnot – trotz deutlich geringerem Nikotinkonsum. In einer FEV1-gematchten Fallstudie waren die Frauen deutlich jünger und hatten eine geringere Raucheranamnese. Trotzdem berichteten sie von grösserer Dyspnoe (7). Bei gleichem Grad der Lungenfunktionseinschränkung empfinden Frauen mehr Luftnot und eine grössere Einschränkung ihres Gesundheitszustands (8). Die Wahrnehmung von Dyspnoe ist auch abhängig von emotionalen Faktoren. MRT-(Magnetresonanztomografie-)Studien zeigen, dass die Aktivierung im lateralen präfrontalen Kortex durch negative Stimuli bei Männern und Frauen verschieden ist (9, 10). Die unterschiedliche Aktivie-
1042 ARS MEDICI 22 I 2017
FORTBILDUNG
rung dieser Regionen könnte eine Ursache für die anders wahrgenommenen Beschwerden sein. Frauen entwickeln ein stärkeres Bewusstsein für somatische Störungen, wodurch sie Luftnot eher erkennen können (11). Ängstlichkeit und Depression sind bei COPD-Patienten mit 49 Prozent dreimal häufiger als in der Normalbevölkerung vorzufinden (15, 16). Fabiano konnte zeigen, dass die Prävalenz für Ängstlichkeit und Depression bei COPD-Patientinnen im Vergleich zu einer altersadjustierten, gesunden Kontrollgruppe signifikant erhöht ist (17). Depressive Symptome bei COPD-Patienten treten deutlich häufiger bei erhöhtem Body-Mass-Index (BMI), erhöhtem mMRC-(Modified Medical Research Council-)Index und bei Frauen auf (16). Das weibliche Geschlecht ist bei COPD-Patienten demnach ein Risikofaktor für Depression.
Eine Frage der Hormone?
Studien legen den Verdacht nahe, dass Sexualhormone die Atemwegsfunktion beeinflussen. Die Inzidenzrate für Asthma ist bei Mädchen bis zum Alter von 15 Jahren geringer als bei Jungen. Danach steigt sie bei Frauen bis zur perimenopausalen Phase an. Eine prospektive Kohortenstudie zeigt, dass eine postmenopausale Hormonsubstitution das Risiko eines neu diagnostizierten Asthmas erhöht. Bei neu festgestellter COPD besteht kein Unterschied zwischen der Hormonsubstitutionsgruppe und den hormonnaiven Patientinnen (12). Sexualhormone scheinen einen Einfluss auf die Atemwegsfunktion bei Asthma zu haben. Deren Bedeutung bei der Pathogenese der COPD ist weiterhin unklar.
Chronische Bronchitis/Emphysem
Histologische Untersuchungen der Bronchien von Frauen zeigen eine geringere Rate von schwergradigem Emphysem in der Lungenperipherie, deutlich dickere Atemwege und kleinere Lumina. Die chronische Bronchitis scheint bei Frauen öfter aufzutreten, während die Prävalenz des Emphysems bei Männern erhöht ist. Da die COPD eine chronisch inflammatorische Erkrankung mit progressiver Infiltration von Leukozyten in die Lunge ist, könnte das Ansprechen des Immunsystems ein Faktor für die Prädominanz der chronischen Bronchitis bei Frauen sein.
Therapeutische Implikationen
Von einer Rauchentwöhnung profitieren Frauen hinsichtlich ihrer Lungenfunktion deutlich mehr als Männer, aber nicht bezogen auf die Symptome (13). Giemen und Auswurf scheinen bei Männern unter Nikotinkarenz deutlich reduziert. Diese fehlende Symptomverbesserung könnte eine Erklärung dafür sein, dass Frauen grössere Schwierigkeiten haben, eine lang anhaltende Abstinenz zu erzielen (14). Im Kurzzeit- wie auch im Langzeit-Follow-up haben Frauen grössere Schwierigkeiten, das Rauchen aufzugeben, profitieren allerdings mehr vom Nichtrauchen. Bei den pharmakologischen Standardtherapien der COPD sind Gender-Unterschiede nicht belegt, da die Medikamentenstudien den Geschlechtsunterschied nicht ausreichend berücksichtigen. Da COPD zunehmend häufiger bei Frauen auftritt, müssen künftige Studien auch auf diese Geschlechtsunterschiede gepowert werden. Die EuroSCOPE-Studie konnte bei der Anwendung inhalativer Steroide eine Reduktion von Sputum bei Männern,
jedoch nicht bei Frauen nachweisen. Diese Ergebnisse sind
vergleichbar mit den Untersuchungen bei Asthma bron-
chiale, bei dem sich ein grösserer Steroideffekt bei Männern
als bei Frauen zeigte. Bei Asthmapatienten war die Plasma-
salbutamolkonzentration, bei der eine maximale Broncho-
dilatation beobachtet wurde, bei Männern zweimal so hoch
wie bei Frauen. Dies lässt den Schluss zu, dass Frauen eine
höhere Sensitivität für Salbutamol haben. Vergleichbare
Daten für die COPD existieren zurzeit nicht.
O
Dr. med. Regina Prenzel Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Gastroenterologie D-26121 Oldenburg
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Mannino D et al.: Chronic obstructive pulmonary disease surveillance: United States,
1971–2000. MMWR Surveill Summ 2002; 51: 1–16. 2. Chapman K et al.: Gender bias in the diagnosis of COPD. Chest 2001; 119: 1691–1695. 3. Miravitlles M et al.: Attitudes toward the diagnosis of chronic obstructive pulmonary
disease in primary care. Arch Bronconeumol 2006; 42: 3–8. 4. Ben-Zaken Cohen S et al.: The growing burden of chronic pulmonary disease and lung
cancer in women: examining sex differences in cigarette smoke metabolism. Am J Respir Crit Care Med 2007; 176: 113–120. 5. Gan WQ et al.: Female smokers beyond the perimenopausal period are at risk of chronic obstructive pulmonary diesase: a systematic review and meta-analysis. Respir Res 2006; 7: 52. 6. Silverman E et al.: Gender-related differences in severe early-onset chronic pulmonary disease. Am J Respir Crit Care Med 2000; 162: 2152–2158. 7. de Torres JP et al.: Gender and COPD in patients attending a pulmonary clinic. Chest 2005; 128: 2012–2016. 8. de Torres Tajes JP et al.: Gender associated differences in determinants of quality of life in patients with COPD: a case series study. Health Qual Life Outcomes 2006; 4: 72. 9. Becklake MR et al.: Gender differences in airway behaviour over human life span. Thorax 1999; 54: 1119–1138. 10. Paulson PE et al.: Gender differences in pain perception and patterns of cerebral activation during noxious heat stimulation in humans. Pain 1998; 76: 223–229. 11. Shields SA, Simon A: Is awareness of bodily change in emotion related to awareness of other bodily processes? J Pers Assess 1991; 57: 96–109. 12. Barr RG et al.: Prospective study of postmenopausal hormone use and newly diagnosed asthma and chronic obstructive pulmonary disease. Arch Intern Med 2004; 164: 379–386. 13. Scanlon PD et al.: Smoking cessation and lung function in mild-to-moderate chronic obstructive pulmonary disease. The Lung Health Study. Am J Respir Crit Care Med 2000; 161: 381–390. 14. Varkey AB: Chronic obstructive pulmonary disease in women: exploring gender differences. Curr Opin Pulm Med 2004; 10: 98–103. 15. Laurin C et al.: Sex differences in the prevalence of psychatric disorders and psychological distress in patients with COPD. Chest 2007; 132: 148–155. 16. Chavannes NH et al.: Associations of depressive symptoms with gender, body mass index and dyspnea in primary care COPD patients. Fam Pract 2005; 22: 604–607. 17. Fabiano DM et al.: Anxiety and depression in COPD patients: the roles of gender and disease severity. Respir Med 2006; 100: 1767–1774. 18. Franks P et al.: Sex, access and excess. Ann Intern Med 1995; 123: 548–550. 19. Kesten S et al.: Physician perception and management of COPD. Chest 1993; 104: 254–258.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 14/2017. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
ARS MEDICI 22 I 2017
1043