Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Ausnahmsweise beginnen wir mit einem Zitat. Dies schreibt swissinfo.ch, das Nachrichtenportal, am 20. Oktober 2017: «Ärzte mit eigener Apotheke verschreiben mehr Medikamente. Eine neue Studie belegt nun, dass zwar besonders Spezialisten, aber auch Hausärzte damit die Gesundheitskosten in die Höhe treiben. Die Selbstdispensation erhöht die Medikamentenkosten bei Hausärzten um 51 und bei Spezialärzten um 32 Prozent, wie eine Studie der Ökonomen Daniel Burkhard, Christian Schmid und Kaspar Wüthrich von Ende September zeigt, die der ‹TagesAnzeiger› und ‹Der Bund› am Freitag zitierten. (…) Die Mehrkosten gingen vor allem darauf zurück, dass mehr Medikamente verschrieben würden, und die Steigerung der Gesundheitskosten gehe dabei stärker von den Hausärzten aus. Hochgerechnet verursacht die Medikamentenabgabe durch Hausund Spezialärzte demnach zusammengerechnet jährliche Mehrkosten von rund 300 Millionen Franken. Ein Grund für die Verschreibung von mehr Medikamenten wird im finanziellen Anreiz vermutet, da die Ärzte mit einer gesetzlich geregelten Vertriebsmarge mitverdienen, die auf den Fabrikabgabepreis draufgeschlagen wird.»
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Die «neue» Studie ist die alte Klamotte aus dem Jahr 2013. Offenbar versuchen die Autoren, die gammelnde Information altersmariniert neu an naive und nicht wissensvorbelastete Mannen und Frauen zu bringen. Tatsächlich wurde die Studie im Sommer dieses Jahres in der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» publiziert. Die bereits 2013/14 höchst umstrittene Studie wird dadurch nicht besser oder richtiger, wird aber bei willigen Ärztekritikern sicher gerne wieder gelesen und zitiert. Angaben zum offiziellen Titel der Studie, zum Auftraggeber oder zum Forschungsdesign fehlen. Hauptkritikpunkt der Ärzteschaft an der Studie war schon vor vier Jahren der Nichteinbezug der LOA
in den Vergleich SD- und Apothekerkosten. Ohne die Kosten der LOA im Apothekenkanal ist jede Studie unvollständig und unglaubwürdig.
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Die später in Auftrag gegebene und – man darf vermuten, wegen ihrer für die SD günstigen Resultate – lange Zeit nicht publizierte BAG-Studie, verfasst von Polynomics, hat die Resultate von Burkhard, Schmid und Wüthrich längst konterkariert und die LOA korrekt in die Beurteilung mit einbezogen. Wobei: auch ohne LOA-Kosten schnitt dort die SD klar und deutlich besser ab. Auch die Medikamentenkosten pro versicherte Person und Kanton belegen, dass SD-Ärzte günstiger sind. Dies insbesondere im Vergleich zur Westschweiz, wo die Medikamentenabgabe ausschliesslich über ein Rezept erfolgt.
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Auch die Tarmed-Revision ist einen Schritt weiter. Immerhin noch 470 der von Bundesrat Berset angepeilten 700 Millionen Franken sollen eingespart werden. Nicht bei all den vielen Nichtärzten am Futtertrog des Gesundheitswesens natürlich, sondern bei jenen (den einzigen), die tatsächlich Wert schöpfen: den Ärzten. Einer der vielen umstrittenen Punkte bei der TarmedRevision waren die «Leistungen in Abwesenheit des Patienten». Die Krankenversicherer verdächtigen die Ärzte, diese Position zu grosszügig abzurechnen. Das BAG will deshalb mehr Transparenz schaffen: Die Ärzte müssen künftig angeben, was genau sie in Abwesenheit des Patienten wie lange getan haben – Akten studieren, Erkundigungen bei Kollegen einholen oder mit Angehörigen sprechen. Das senke den Anreiz, diese Tarifposition «unbedacht» abzurechnen, meint das BAG. Zudem wird die Position von 60 auf 30 Minuten pro Vierteljahr halbiert (wobei diese Massnahme immerhin nicht für besonders junge und ältere Patienten gilt).
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Es ist leicht vorherzusagen, was die Tarmed-Revision bewirken wird: höheren administrativen Aufwand, weniger Zeit für die Patienten, schlechter oder gar nicht mehr bezahlte Kommunikation mit Patienten, den Vorwurf der Mengenausweitung, weil wir gezwungen werden, noch konsequenter aufzuschreiben und abzurechnen, und am Ende höhere Gesamtkosten. Aber egal, die Politik wird einfach eine neue Sparrunde ansetzen – natürlich auf unsere Kosten.
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Schon wieder bittet ein Freund darum, eine Petition zu unterschreiben. Na gut, dem Freund zuliebe. Aber eigentlich: Wozu soll man Petitionen unterschreiben? Petitionen sind so was wie Bitten, ärger noch: sind Gebettel bei Regierungen oder andern Verantwortlichen. Betteln worum? Um etwas, das einem zusteht? Dann sollte man eher fordern als betteln. Um etwas, das einem nicht zusteht? Dann sollte man das Betteln bleiben lassen. Nein, Petitionen haben etwas Unwürdiges an sich. Nun, hoffentlich hat der Freund trotzdem Erfolg.
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«Einen guten Roten erkennt man an seinem Abgang.» Ein Satz, der bei Winzern weltweit und in Deutschland nach der Bundestagswahl nicht ganz die gleiche Bedeutung hat.
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Und das meint Walti, trotzig genderinkorrekt: Einer Frau sagen, sie soll aufhören rumzujammern, während sie rumjammert – gibt es da Erfahrungsberichte von Überlebenden?
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 21 I 2017