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BERICHT
© EASD
Highlights vom europäischen Diabeteskongress EASD
Viele alte Bekannte auf dem kardialen Prüfstand
Am diesjährigen 55. Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes waren 15 000 Teilnehmer zugegen. Schwerpunkte der präsentierten klinischen Studien waren kardiovaskuläre Auswirkungen von bereits eingesetzten Antidiabetika und der Einsatz von SGLT-2-Hemmern bei Typ-1Diabetikern.
Valérie Herzog
SGLT-2-Hemmer bei Typ-1-Diabe-
tikern vielversprechend
SGLT-2-Hemmer haben sich in der Therapie des Typ-2-Diabetes bewiesen. Sie reduzieren in der Niere die Glukosereabsorption, was zu einer erhöhten Glukoseexkretion führt. Neben der HbA1c-Reduktion kommt es zu Gewichtsverlust und Blutdrucksenkung, was letztlich auch zu einer kardiovaskulären Risikoreduktion führt, wie grosse Studien gezeigt hatten (1, 2). Ob dieser Wirkmechanismus bei schlecht kontrollierten Typ-1-Diabetikern unter Insulintherapie zusätzlich hilfreich ist, untersuchte nun die multizentrische, doppelblind randomisierte Phase-III-Studie DEPICT-1. Dabei erhielten 778 Typ-1Diabetiker zwischen 18 und 75 Jahren mit Insulintherapie länger als 12 Monate und einem HbA1c zwischen 7,7 und 11 Prozent entweder Dapagliflozin 5 mg (n = 277), Dapagliflozin 10 mg (n = 296 mg) oder Plazebo (n = 260) zusätzlich zur Insulintherapie. Als primärer Endpunkt war die Veränderung des HbA1c nach 24 Wochen definiert. Sekundäre Endpunkte waren unter anderem die Veränderungen in Gewicht, Insulinverbrauch sowie der prozentuale Anteil der Patienten mit einer HbA1c-Reduktion ≥ 0,5 Prozent ohne Hypoglykämie. Folgendes kam heraus: Von einem durchschnittlichen Ausgangs-HbA1cWert von 8,53 Prozent sank dieser nach 24 Wochen unter beiden DapagliflozinDosen im Vergleich zu Plazebo (5 mg: −0,42%; 10 mg: −0,45%) signifikant. Der BMI sank ebenfalls um 2,96 bezie-
hungsweise. 3,72 Prozent signifikant (Baseline 82,4 kg; Reduktion bis zu 3,1 kg), wie auch die täglich benötigten Insulindosen um −8,8 respektive −13,2 Prozent (5 mg: von 62,91 auf 56,12 IU; 10 mg: von 59,59 auf 52,35 IU). Darüber hinaus reduzierten sich die Glukoseschwankungen unter beiden Dapagliflozindosen, die damit behandelten Patienten befanden sich täglich 2,5 Stunden länger im Glukosezielbereich zwischen 3,9 und 10 mmol/L. Die Nebenwirkungen hielten sich im zu erwartenden Bereich. Hypoglykämien traten unter beiden Dosierungen nicht signifikant mehr auf als unter Plazebo. Unter Dapagliflozin 5 mg kam es zu vier diabetischen Ketoazidosen (1%), unter Dapagliflozin 10 mg zu fünf (2%) und unter Plazebo zu drei (1%). Ein Versagen von Insulinpumpen oder vergessene Insulinshots waren mitunter Gründe für ein Auftreten einer Ketoazidose. «Diese Resultate sind wichtig, zeigen sie doch, dass mit Dapagliflozin zusätzlich zum Insulin die glykämische Kontrolle von schlecht kontrollierten Typ-1-Diabetikern verbessert werden kann», so Studienleiterin Prof. Paresh Dandona, Division of Endocrinology, University of Buffalo, am EASD-Kongress. Die Studie wurde zeitgleich im «Lancet Diabetes & Endocrinology» publiziert (3).
Was das bedeutet
Wie dieses Resultat zu bewerten ist, erklärte Prof. Maciej T. Malecki, Department of Metabolic Diseases, Jagiellonian University Medical College, Kra-
kau (PL), in einem Kommentar. Die In-
zidenz von Todesfällen sei bei Typ-1-
Diabetes viel höher als bei der Gesamt-
bevölkerung, die erhöhte Mortalität
fast ausschliesslich kardiovaskulären
Erkrankungen geschuldet. Vor diesem
Hintergrund mache eine Reduktion
von kardiovaskulären Risikofaktoren
Sinn. Die DEPICT-1-Studie war jedoch
keine kardiovaskuläre Outcome-Stu-
die, sie zeige aber einen Nutzen als The-
rapiezusatz bei übergewichtigen und
unkontrollierten Typ-1-Diabetikern.
Bei schlanken Typ-1-Diabetikern dage-
gen brauche es keine zusätzliche Ge-
wichtsreduktion. Zusätzlich stellte er
die Frage in den Raum, ob eine Insulin-
dosisreduktion sicher sein kann. Diesen
Punkt griff Prof. John Petrie, Institute
of Cardiovascular and Medical Sci-
ences, University of Glasgow (UK), im
Editorial zur Studienpublikation auf
(4). Die gefürchtete Ketoazidose müsse
bei dieser Therapieoption im Hinter-
kopf behalten werden, obwohl es in der
Studie zu ganz wenig Fällen in allen
Studienarmen gekommen sei. Mit einer
Limitierung der Insulindosisreduktion
auf maximal 20 Prozent und einer re-
gelmässigen Messung der Ketonkörper,
wie es in diesem Studiendesign der Fall
war, könne die zusätzliche Therapie
mit einem SGLT-2-Hemmer bei Patien-
ten, die die Frühzeichen einer Ketoazi-
dose kennen, etwas bringen.
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Quellen: Dandona P, Malecki M: «SGLT2 inhibitors: novel therapies for type 1 diabetes». Präsentiert am EASD 2017, 11.–15. 9. 2017 in Lissabon.
1. Zinman B et al.: Empagliflozin, cardiovascular outcomes, and mortality in type 2 diabetes. N Engl J Med 2015; 373: 2117–2128.
2. Neal B: Canagliflozin and cardiovascular and renal events in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 644–657.
3. Dandona P et al.: Efficacy and safety of dapagliflozin in patients with inadequately controlled type 1 diabetes (DEPICT-1): 24 week results from a multicentre, double-blind, phase 3, randomised controlled trial. Lancet 2017 Sep 14; Epub ahed of print.
4. Petrie J: SGLT2 inhibitors in type 1 diabetes: knocked down, but up again? N Engl J Med 2017; 377: 644–657.
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Exenatid schadet dem Herzen nicht
In einer der grössten Typ-2-Diabetes-
Studien, der EXSCEL-Studie, ging es
darum, kardiovaskuläre Auswirkun-
gen des GLP-1-Rezeptoragonisten Exe-
natid zu untersuchen. Dabei wurden
14 752 Patienten mit Typ-2-Diabetes in
35 Ländern mit oder ohne vorange-
gangene kardiovaskuläre Ereignisse
eingeschlossen. Alle erhielten während
3,2 Jahren im Rahmen ihrer Diabetes-
therapie zusätzlich Exenatid ER (Re-
tardformulierung) 2 mg subkutan pro
Woche oder Plazebo. Primärer End-
punkt war ein grösseres kardiales Ereig-
nis (MACE) wie kardiovaskulärer Tod,
nicht tödlicher Herzinfarkt oder nicht
tödlicher Hirnschlag.
Die Studie zeigte, dass Exenatid keine
schädlichen kardiovaskulären Effekte
hat. Die Ereignisrate unterschied sich in
beiden Gruppen nicht signifikant. Exe-
natid ist anderen Antidiabetika im Pla-
zeboarm bezüglich Endpunkte nicht
unterlegen, aber auch nicht besser.
«Das heisst, dass Exenatid bei Typ-2-
Diabetikern mit kardiovaskulärer Vor-
geschichte mit ruhigem Gewissen abge-
geben werden kann, sagte Erstautor
Prof. Rury Holman, Diabetes Trials
Unit, University of Oxford. Das Risiko
für Hyperglykämie, akute Pankreatitis,
Pankreaskrebs oder medulläres Schild-
drüsenkarzinom war unter dem GLP-
1-Rezeptoragonisten ebenfalls nicht er-
höht. Die Studie wurde zeitgleich im
«New England Journal of Medicine»
veröffentlicht (1).
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Quelle: Holman R: «EXenatide Study of Cardiovascular Event Lowering (EXSCEL): primary results». Präsentiert am EASD 2017, 11.–15. 9. 2017 in Lissabon.
1. Holman R et al.: Effects of once-weekly Exenatide on cardiovascular Outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017 Sept 14; Epub ahead of print.
Pioglitazon wie Sulfonylharnstoffe
kardiovaskulär neutral
In der TOSCA-Studie ging es ebenfalls um kardiovaskuläre Effekte eines alten Bekannten. In dieser randomisierten, multizentrischen Vergleichsstudie aus Italien erhielten 3028 Typ-2-Diabetiker, die unter Metformin nicht genügend eingestellt waren, zusätzlich Pioglitazon oder Sulfonylharnstoffe (Glimepirid oder Gliclazid). Als Endpunkt war eine Kombination von Tod jeglicher Ursache, nicht tödlichem Myokardinfarkt, nicht tödlichem Hirnschlag oder dringend erforderlicher Revaskularisation definiert. Zu Beginn der Studie hatten 11 Prozent der Teilnehmer ein kardiovaskuläres Ereignis in ihrer Vorgeschichte. Nach knapp fünf Jahren wurde die Studie gestoppt, weil weniger kardiovaskuläre Ereignisse eingetreten waren als angenommen. Zu diesem Zeitpunkt waren unter Pioglitazon 105 (1,5/100 000 Personenjahre) Ereignisse aufgetreten, unter den Sulfonylharnstoffen 108 (1,5/100 000 Personenjahre). Die Langzeiteffekte auf die Mortalität und Inzidenz von kardiovaskulären Ereignissen jeglicher Ursache waren somit unter beiden Therapieregimes ähnlich. Signifikanz erreichte dagegen die unter Pioglitazon tiefere Hypoglykämierate (10 vs. 34%; p = 0,0001). Zu einer moderaten Gewichtszunahme um etwa 2 kg kam es in beiden Gruppen, die Raten von Herzinsuffizenz, Blasenkrebs und Frakturen unterschieden sich nicht signifikant. Die Studie wurde gleichentags im «Lancet Diabetes & Endocrinology» publiziert (1). «Von beiden weltweit sehr verbreiteten und preisgünstigen Therapieregimes weiss man jetzt, dass man das Risiko
für kardiovaskuläre Ereignisse bei noch überwiegend herzgesunden Typ-2-Diabetikern nicht erhöht», so die Schlussfolgerung des Studienpräsentators Prof. Gabriele Riccardi, Clinical Medicine and Surgery, Federico II University, Neapel (I), am EASD-Kongress. O
Quelle: Vaccaro O: «Effects on the incidence of cardiovascular events of the add-on of pioglitazone as compared with a sulfonylurea in type 2 diabetic patients inadequately controlled with metformin: the TOSCA.IT study». Präsentiert am EASD 2017, 11.–15. 9. 2017 in Lissabon.
1. Vaccaro O et al.: Effects on the incidence of cardiovascular events of the add-on of pioglitazone as compared with a sulfonylurea in type 2 diabetic patients inadequately controlled with metformin (TOSCA.IT): a randomised multicentre trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2017 Sep 13; Epub ahead of print.
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PCSK-9-Hemmer
bei Typ-2-Diabetikern
In der FOURIER-Studie mit 27 564 Teilnehmern zeigte der für Lipidsenkung eingesetzte PCSK-9-Hemmer Evolocumab gegenüber Plazebo eine signifikante Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen bei Patienten mit atherosklerotischen, kardiovaskulären Erkrankungen (1). Die am EASD präsentierte und zeitgleich im «Lancet Diabetes & Endocrinology» publizierte vordefinierte Analyse der FOURIER-Studie (2) untersuchte die Wirksamkeit bei Patienten mit (n = 11 031) und ohne Typ-2-Diabetes (n = 16 5333) bei Studieneinschluss und die Frage, ob Evolocumab einen Einfluss auf den Blutzucker oder die Neuentwicklung von Diabetes hat. In einer Post-hoc-Analyse wurde zudem dieselbe Fragestellung noch bei Patienten mit Prädiabetes (HbA1c 5,7–6,4%) geprüft. Das Resultat zeigt, dass Evolocumab verglichen mit Plazebo bei Diabetikern und Nichtdiabetikern die Rate der kardiovaskulären Ereignisse signifikant reduziert: Hazard Ratio 0,83 (KI 95%: 0,75–0,93; p = 0,0008) und 0,87 (KI 95%: 0,79–0,96; p = 0,0052). Der PCSK9-Hemmer erhöht das Risiko für Typ-2-Diabetes-Neuerkrankungen bei Nichtdiabetikern nicht und die Blutzuckerspiegel (HbA1c und Nüchternblutzucker) waren zu den Messzeitpunkten (nach 12 Wochen und dann alle 24 Wochen) in der Evolocumab- sowie der Plazebogruppe ähnlich, dies bei den Nichtdiabetikern, den Diabetikern und
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(Foto: S. Wysocki, EASD)
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auch jenen mit Prädiabetes. Die Nebenwirkungen von Evolocumab im Vergleich zu Plazebo unterschieden sich nicht bei Diabetikern und Nichtdiabetikern. Mit einem vergleichbaren Effekt auf das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse ohne Effekt auf den Blutzucker stellt Evolocumab eine valable Option zur LDL-Senkung auch bei Typ-2-Diabetikern dar, zumal diese per se ein grösseres Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse haben als Nichtdiabetiker, so das Résumé von Erstautor Prof. Marc Sabatine, Brigham and Women’s Hospital, Boston (USA), bei der Studienpräsentation am EASD in Lissabon. O
Quellen: Sabatine MS: «Evolucumab in diabetes and diabetes risk: novelties from the FOURIER study». Präsentiert am EASD 2017, 11.–15. 9. 2017 in Lissabon.
1. Giugliano RP et al.: Clinical efficacy and safety of achieving very low LDL-cholesterol concentrations with the PCSK9 inhibitor evolocumab: a prespecified secondary analysis of the FOURIER trial. Lancet 2017 Aug 25; pii: S0140-6736(17)32290-0. Epub ahead of print.
2. Sabatine MS et al.: Cardiovascular safety and efficacy of the PCSK9 inhibitor evolocumab in patients with and without diabetes and the effect of evolocumab on
glycaemia and risk of new-onset diabetes: a prespecified analysis of the FOURIER randomised controlled trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2017 Sep 15; Epub ahead of print.
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Hypoglykämiekontrolle lohnt sich auch in kardialer Hinsicht Insulin degludec hat in der DEVOTEStudie bei über 7500 Typ-2-Diabetiker gezeigt, dass es bezüglich kardiovaskulärer Sicherheit Insulin glargin 100 U nicht unterlegen ist. Unter Insulin degludec zeigte sich aber eine um 40 Prozent tiefere Rate von schweren Hypoglykämien und eine um 53 Prozent tiefere Rate bei den schweren nächtlichen Hypoglykämien (1). Basierend auf diesen Studiendaten wurden am EASD zwei Sekundäranalysen (DEVOTE-2 und DEVOTE-3) präsentiert, in denen die kardiovaskulären Konsequenzen von schweren Hypoglykämien untersucht wurden. In DEVOTE-2 interessierte der Zusammenhang von Tag-zu-Tag-Schwankungen des Nüchternblutzuckers mit schwe-
ren Hypoglykämien und kardiovaskulären Ereignissen. Verglichen mit tiefen Schwankungen hatten jene Patienten mit hohen Schwankungen ein viermal höheres Risiko für schwere Hypoglykämien und ein 1,5-faches für Gesamtmortalität. Das Risiko für schwere kardiale Ereignisse (MACE) blieb dagegen ähnlich (2). In DEVOTE-3 fanden die Studienautoren heraus, dass schwere Hyperglykämien das MACE-Risiko nicht erhöhen, jedoch jenes für die Gesamtmortalität um das Doppelte (3). O
Quellen: Pieber TR, Zinman B: «Insulin degludec vs glargine: cardiovascular safety in type 2 diabetes: the DEVOTE study». Präsentiert am EASD 2017, 11.–15. 9. 2017 in Lissabon.
1. Marso SP et al.: Efficacy and safety of degludec versus glargine in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 723–732.
2. Zinman B et al.: Day-to-day fasting glycaemic variability in DEVOTE: associations with severe hypoglycaemia and cardiovascular outcomes (DEVOTE 2). Diabetologia 2017 Sep 15; Epub ahead of print.
3. Pieber TR et al.: DEVOTE 3: temporal relationships between severe hypoglycaemia, cardiovascular outcomes and mortality. Diabetologia 2017 Sep 15; Epub ahead of print.
Valérie Herzog