Transkript
STUDIE REFERIERT
Künstliche Süssstoffe lassen keine Kilos purzeln
Dauergebrauch könnte Gewicht zusätzlich steigern
Ziel der Propagierung von künstlich gesüssten Getränken war es damals, den Zuckerkonsum zu bremsen, um die Adipositasepidemie eindämmen zu können. Inzwischen wurden Stimmen laut, wonach Süssstoffe nicht ohne Probleme seien. Erst kam der Verdacht auf Krebsförderung auf und nun der Vorwurf, die Süssstoffe seien selbst gewichtsfördernd.
CMAJ
Adipositas ist weitverbreitet und ein grosses Problem für die öffentliche Gesundheit. Die Erkenntnis, dass der Zuckerkonsum dieser Epidemie Vorschub leistet, hat die Popularität der künstlichen Süssstoffe ohne Brennwert wie zum Beispiel Aspartam, Sucralose und Stevioside gefördert. Bereits 2008 haben über 30 Prozent der Amerikaner täglich solche Süssstoffe konsumiert, Tendenz steigend. Aus der Forschung wurden gleichzeitig Stimmen laut, dass künstliche Süssstoffe unerwünschte Auswirkungen auf Glukosemetabolismus, Darmmikrobiota und Appetitkontrolle haben könnten. Darüber hinaus haben Tierstudien eine vermehrte Nahrungsaufnahme, Gewichtszunahme und Adipositas bei chronischer Einnahme solcher Süssstoffe aufgezeigt. Die kanadische Academy of Nutrition and Dietetics vertritt die Haltung, dass künstliche Süssstoffe ohne Brennwert helfen, die Energiezufuhr zu bremsen und damit das Gewicht und den Blutzucker im Zaum zu halten. Die Einnahme von solchen Süssstoffen wurde in der Vergangenheit mit einer paradoxen Zunahme von Gewicht und Adipositasinzidenz in Verbindung ge-
MERKSÄTZE
O Künstliche Süssstoffe helfen Übergewichtigen nicht beim Abnehmen.
O Langjährige Beobachtungen aus Kohortenstudien legen einen Anstieg des BMI und die Zunahme von kardiometabolischen Folgen bei Dauereinnahme von künstlich gesüssten Getränken nahe, was durch RCT noch bestätigt werden muss.
bracht. Die derzeitige Studienlage ist verwirrend: Gemäss einer Metaanalyse weisen randomisierte, plazebokontrollierte Studien auf einen möglichen Nutzen in Form einer bescheidenen Gewichtsabnahme hin, während Beobachtungsstudien dagegen einen kleinen, aber signifikanten Zusammenhang mit einer Steigerung des Body-Mass- Indexes (BMI) zeigen. Diese Analyse untersuchte jedoch keine Parameter über die Körperzusammensatzung hinaus. Die vorliegende Arbeit untersuchte daher die Frage, ob eine Routineeinnahme von Süssstoffen ohne Brennwert bei Jugendlichen und Erwachsenen über lange Zeit kardiometabolische Effekte zeitigt.
Methodik
In diesem systematischen Review und der Metaanalyse mit randomisierten, kontrollierten Studien (RCT) und prospektiven Kohortenstudien wurden Arbeiten eingeschlossen, die den Effekt einer Einnahme von mit Aspartam, Saccharin, Sucralose, Xylitol oder Stevia versetzten Softdrinks versus Getränke ohne künstliche Süssstoffe verglichen. Dazu wurden einerseits 7 RCT mit 1003 adipösen, übergewichtigen oder hypertensiven Teilnehmern und einem durchschnittlichen Follow-up von 6 Monaten analysiert sowie 30 prospektive Kohortenstudien mit gesamthaft 405 907 Teilnehmern mit einem Follow-up von durchschnittlich 10 Jahren. Als primärer Endpunkt war der Einfluss auf den BMI definiert, als sekundäre Endpunkte galten unter anderen die Veränderung des Gewichts und des Bauchumfangs sowie das Risiko für kardiometabolische Erkrankungen.
Resultate
Während in den randomisierten, kontrollierten Studien kein signifikanter Effekt auf den BMI (mittlere Differenz: −0,37 kg/m2; 95%-KI: −1,10 bis 0,36) zu sehen war, zeigte sich in den Kohortenstudien ein kleiner Anstieg des BMI (mittlere Korrelation 0,05; 95%-KI: 0,03–0,06). Bezüglich Veränderung von Gewicht und Bauchumfang sind die Daten aus den RCT inkonsistent. In den Kohortenstudien führte die Einnahme solcher Süssstoffe zu Gewichtszunahme und Steigerung des Bauchumfangs und zu einer Erhöhung der Adipositasinzidenz. Die Inzidenz von Hypertonie, metabolischem Syndrom und Typ-2-Diabetes war in den Kohortenstudien ebenfalls erhöht, in den RCT wurde sie nicht untersucht.
Diskussion
Die Evidenz in den vergleichsweise klei-
nen und mit durchschnittlich 6 Mona-
ten kurz dauernden RCT portiert den
Nutzen von künstlichen Süssstoffen
ohne Brennwert für eine Gewichtskon-
trolle nicht so richtig.
Aus den grossen Kohortenstudien mit
sehr viel längerer Laufzeit (Durch-
schnitt 10 Jahre) ergeben sich im Ge-
genteil Hinweise darauf, dass die Ein-
nahme solcher Süssstoffe mit einem
Anstieg des BMI und des Risikos für
Adipositas, Hypertonie, metabolisches
Syndrom, Typ-2-Diabetes, Hirnschlag
und kardiovaskuläre Ereignisse assozi-
iert ist. Das entspricht zwar Langzeit-
beobachtungen, doch RCT, die dies
untermauern, fehlen und müssten zur
Bestätigung dieser Ergebnisse durch-
geführt werden.
Doch obschon RCT die beste Evidenz
liefern, können sie den Einfluss der Er-
nährung über lange Zeit nicht so gut
abbilden wie Kohortenstudien in jahr-
zehntelangen Beobachtungen. So ist es
auch nicht selten, dass Hypothesen,
ausgehend von solchen Langzeitbeob-
achtungen, in RCT später nicht bestä-
tigt werden. Daher sollten solche Daten
mit Vorsicht interpretiert werden, raten
die Autoren abschliessend.
O
Valérie Herzog
Referenzen: 1. Azad M et al.: Nonnutritive sweeteners and cardiome-
tabolic health: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials and prospective cohort studies. CMAJ 2017; 189: E929–E939.
ARS MEDICI 20 I 2017
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