Transkript
Harnsäuresenkung zwischen Wunsch und Wirklichkeit
Therapieoptionen werden in der Praxis noch zu zaghaft umgesetzt
BERICHT
Gicht ist die häufigste Arthritis mit weltweit zunehmender Inzidenz und Prävalenz. Massnahmen zum Management der Erkrankung sind gut etabliert, werden im klinischen Alltag aber oft nur zaghaft umgesetzt. Dies betrifft die allgemeine hyperurikämische Population ebenso wie besondere Risikogruppen.
Reno Barth
Ab einer Konzentration von 381 µmol/l (6,4 mg/dl) im Plasma kann Harnsäure bei 37 Grad auskristallisieren. Das klinische Ergebnis ist Gicht, eine Arthritis als Reaktion auf Harnsäurekristalle in den Gelenken. Im Rahmen der Sekundärprävention ist daher eine Uratsenkung unter den Zielwert von 357 µmol/l (6 mg/dl) anzustreben. Dazu werden Lebensstilmodifikationen wie der Verzicht auf Alkohol sowie eine purinarme Kost empfohlen. Allerdings wird mit diesen Massnahmen der Zielwert oft nicht erreicht beziehungsweise werden die Empfehlungen nicht oder nicht konsequent befolgt. Daher ist bei der Mehrzahl der Betroffenen eine medikamentöse Harnsäuresenkung indiziert, die in aller Regel mit Allopurinol oder Febuxostat durchgeführt wird. Beide reduzieren durch kompetitive Hemmung der Xanthinoxidase (die Hypoxanthin in Xanthin und weiter in Harnsäure oxidiert) den Harnsäurespiegel.
Mehr Hospitalisationen aufgrund
mangelnder Sekundärprävention
Im klinischen Alltag läuft allerdings auch die medikamentöse Sekundärprävention der Gicht oft suboptimal, wie eine im Rahmen des EULAR in Madrid präsentierte Studie zeigte (1). Zumindest in Südschweden nahmen Patienten, die wegen Gicht hospitalisiert wurden, vor ihrem Krankenhausaufenthalt mehrheitlich keine uratsenkende Medi-
kation ein. Das Problem hat eine hohe Relevanz. Insgesamt stieg die Zahl der Krankenhausaufnahmen wegen Gicht in dieser Region zwischen 2000 und 2012 von 12,2 auf 16,7 pro 100 000 Erwachsene (p = 0,0038). Dies steht im Gegensatz zu einem in Schweden seit Jahren zu beobachtenden Trend zu weniger intramuralen Behandlungen. Der Anstieg betraf vor allem Männer ab 65 Jahren und war in den letzten drei Jahren der Studie am deutlichsten. Auch die Dauer der Krankenhausaufenthalte wegen Gicht nahm zwischen 2000 und 2012 von median 3 auf 5 Tage zu (p = 0,021). Konkret hatten von den in der Region Südschweden zwischen 2000 und 2012 wegen Gicht in Krankenhäuser aufgenommenen Patienten lediglich 19 bis 27 Prozent in den sechs Monaten vor ihrer Hospitalisierung uratsenkende Medikamente eingenommen. Die vermehrten und verlängerten Hospitalisierungen führten zu einem erheblichen Anstieg der Kosten.
Durch Einsatz von Pflegekräften
Compliance verbessern
Eine weitere im Rahmen des EULAR vorgestellte Studie zeigt einen Weg zur Verbesserung der Compliance in der uratsenkenden Therapie. Einer britischen Gruppe gelang es, durch verstärktes Einbeziehen von Pflegekräften mehr Patienten in den Uratzielbereich zu bringen (2). Die Studienpatienten wurden
über Gicht aufgeklärt und anschliessend in zwei sorgfältig gematchte und gut vergleichbare Gruppen randomisiert, von denen eine von einer Pflegekraft, die andere vom praktischen Arzt betreut wurde. Nach zwei Jahren wurden signifikante Unterschiede in der Zielerreichung festgestellt: In der Pflegekraftgruppe waren 95 Prozent der Patienten stabil im Zielbereich, in der Hausarztgruppe waren es 29 Prozent. Der Grund für diese unterschiedlichen Therapieergebnisse dürfte in der Compliance liegen: In der Pflegekraftgruppe standen nach zwei Jahren 97 Prozent unter Therapie mit Allopurinol, im Vergleich zu 54 Prozent in der Arztgruppe (p < 0,001). Achtung bei Niereninsuffizienz Allerdings ist eine langfristige uratsenkende Therapie in bestimmten Patientenpopulationen nicht nur aus Gründen der Compliance schwierig. Bei niereninsuffizienten Patienten sind erhöhte Harnsäurespiegel häufig, und die Hyperurikämie gilt als Risikofaktor für Nierenversagen, doch die Uratsenkung kann an Grenzen stossen, da die Dosierung von Allopurinol bei eingeschränkter Nierenfunktion nach unten angepasst werden muss. Zu Febuxostat sind bei Patienten mit einer Kreatininclearance unter 30 ml/min die Daten spärlich, bei Patienten mit leichter oder mittelschwerer Nierenfunktionseinschränkung ist keine Dosisanpassung erforderlich (3). Eine nun im Rahmen des EULAR vorgestellte Studie trägt zum Schliessen dieser Evidenzlücke bei (4). Untersucht wurde der Einsatz von Febuxostat bei Patienten mit mittel- bis hochgradiger Niereninsuffizienz (mindestens Stadium 3b, teilweise aber auch 4 und 5), die unter Therapie mit Allopurinol nicht in den Harnsäurezielbereich von unter 357 µmol/l (6 mg/dl) ARS MEDICI 20 I 2017 891 BERICHT Urikosurikum als neue Strategie Als interessant bezeichnete Prof. Alexander So aus Lausanne den urikosurischen Wirkstoff Lesinurad aus der Gruppe der URAT1-(urate transporter 1-)Inhibitoren, der in Kombination mit einem Xanthinoxidasehemmer (Allopurinol, Febuxostat) zur Behandlung von Gicht und Hyperurikämie eingesetzt werden könne. Lesinurad wurde 2015 von der FDA, 2016 von der EMA zugelassen und wird ab Anfang nächsten Jahres als Zurampic® auch in der Schweiz erhältlich sein. Eine neue Therapiestrategie sei die Kombination solcher Urikosurika mit Xanthinoxidasehemmern: So konnte in der Studie CLEAR 2 gezeigt werden, dass durch die Kombination von Lesinurad plus Allopurinol 55 Prozent der Patienten nach 6-monatiger Therapie den SUA-Zielwert erreichten; unter Allopurinolmonotherapie waren es etwa 25 Prozent (1). Urikosurika könnten die Harnsäure ebenso effektiv senken wie Xanthinoxidasehemmer, sagte So. Als mögliche Risiken der Urikosurika nannte er Nierensteinbildung, einen vorübergehenden Anstieg der Kreatininclearance (Lesinurad), Hepatotoxizität (Benzbromaron) sowie gastrointestinale Unverträglichkeit (Probenacid). Die EULAR-Empfehlungen bewerten Urikosurika als Alternative zu Allopurinol, falls dieses nicht genommen werden kann. Referenz: 1. Bardin T et al.: Lesinurad in combination with allopurinol: a randomised, double-blind, placebo-controlled study in patients with gout with inadequate response to standard of care (the multinational CLEAR 2 study). Ann Rheum Dis 2017; 76(5): 811–820. Quelle: Hot session «Gout and microcrystal arthritis» beim Annual European Congress of Rheumatology (EULAR 2017), 14. bis 17. Juni 2017 in Madrid. gebracht werden konnten. Nach der Umstellung auf Febuxostat konnten bei Kontrollen nach 6 sowie nach 12 Monaten signifikante Senkungen der Harnsäurespiegel festgestellt werden (310±125 µmol/l [5,2 ± 2,1 mg/dl] nach 6 Monaten und 292 ± 131 µmol/l [4,9 ± 2,2 mg/dl] nach 12 Monaten, p < 0,001). Innerhalb eines Jahres konnten fast 80 Prozent der Patienten (79,2%) in den Zielbereich gebracht werden. Die meisten Patienten wurden mit 40 oder 80 mg Febuxostat behandelt. Es traten keine unerwarteten Nebenwirkungen auf, die Kreatininspiegel der Patienten stiegen über 12 Monate signifikant um 220 ± 146 µmol/l (3,69 ± 2,46 mg/dl [p < 0,01]) an. O Reno Barth Quelle: Präsentationen beim Annual European Congress of Rheumatology (EULAR 2017), 14. bis 17. Juni 2017 in Madrid. Referenzen: 1. Dehlin MI, Sigurdardottir V, Drivelegka P et al.: Trends and costs for gout hospitalization in Sweden. EULAR 2017; Madrid: Abstract OP0262. 2. Doherty M, Jenkins W, Richardson H et al.: Nurse-led care versus General Practitioner care of people with gout: a UK community-based randomised controlled trial. EULAR 2017; Madrid: Abstract OP0268. 3. EMA, Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels; http://www.ema.europa.eu/docs/de_DE/docu ment_library/EPAR_-_Product_Information/human/ 000777/WC500021812.pdf 4. Oh YJ et al.: Safety and efficacy of febuxostat in advanced CKD patients with hyperuricemia. EULAR 2017; Madrid: Abstract THU0467. 892 ARS MEDICI 20 I 2017