Transkript
BERICHT
Highlights vom europäischen Herzkongress
Neue Substanzen, Guidelines und Erkenntnisse
In Barcelona trafen sich eine Woche nach dem Attentat mehr als 32 000 Kardiologen aus aller Welt – nur ganz wenige hatten sich aufgrund des Anschlags entschieden, dem Grossanlass fernzubleiben. Die Veranstalter sowie die Stadt Barcelona haben mit einem grossen Aufgebot an Sicherheitskräften dafür gesorgt, dass auch am diesjährigen Jahreskongress der European Society of Cardiology die kardiologischen Inhalte im Zentrum standen. Eine kleine Auswahl der Studienhighlights vom Kongress haben wir als Vorgeschmack auf unser später erscheinendes Kongressheft bereits jetzt für Sie zusammengestellt.
© ESC
Christine Mücke und Valérie Herzog
COMPASS: KHK- und pAVK-Patien-
ten profitieren von Rivaroxaban
plus ASS
Kardiovaskuläre Erkrankungen betreffen rund 4 Prozent der Weltbevölkerung und sind für zirka ein Drittel der weltweit 55 Millionen Todesfälle jährlich verantwortlich. Zur Schlaganfallprävention wird bis anhin mehrheitlich ASS eingesetzt, jedoch mit moderatem Effekt. Vor diesem Hintergrund untersuchte die Studie Cardiovascular OutcoMes for People using Anticoagulation StrategieS (COMPASS), ob sich durch die zusätzliche Gabe von Rivaroxaban bei Patienten mit stabiler Koronarerkrankung (KHK) oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) eine hinsichtlich der Sicherheit akzeptable Verbesserung erzielen liesse. Bei beiden Erkrankungen sind bessere therapeutische Optionen dringend gefragt, so Dr. John Eikelboom, McMaster University, Hamilton, Kanada, der die Daten in der Hotline Late-Breaking Clinical Trials Session präsentierte (1). In der doppelblinden, randomisierten, dreiarmigen Phase-III-Studie mit 27 395 KHK-Patienten aus mehr als 600 Zentren in 33 Ländern führte der Einsatz einer niedrigen Dosis von Rivaroxaban (2,5 mg 2-mal täglich) plus ASS (100 mg 1-mal täglich) im Vergleich zur Monotherapie mit ASS (100 mg) oder Riva-
roxaban (5 mg 2-mal täglich) zu einer signifikanten Reduktion des zusammengesetzten primären Endpunktes (kardiovaskulärer Tod, Schlaganfall oder Myokardinfakt; Hazard Ratio [HR]: 0,76; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,66– 0,86; p < 0,0001). Unter der Kombination kam es zu 379 Ereignissen (4,1%), unter Rivaroxaban allein zu 448 (4,9%) und zu 496 (5,4%) unter Monotherapie mit ASS. Das Ergebnis war in erster Linie auf eine Reduktion der Schlaganfälle um 42 Prozent sowie der kardiovaskulären Todesfälle um 22 Prozent zurückzuführen. Die Gesamtmortalität konnte um 18 Prozent reduziert werden (HR: 0,82; 95%-KI: 0,71–0,96; p = 0,01), und das bei hinsichtlich Lipid- und Blutdrucksenkung entsprechend den Guidelines bereits gut vorbehandelten Patienten. Zwar kam es unter dem kombinierten Ansatz im Vergleich zu ASS allein zu insgesamt mehr Blutungsereignissen (HR: 1,70; 95%-KI: 1,40–2,05; p < 0,0001), jedoch ohne Anstieg der tödlichen, intrakraniellen oder kritischen Organblutungen, wie Co-Studienleiter Eikelboom unterstrich. Der klinische Nettonutzen wurde mit einer HR von 0,8 (95%-KI: 0,7–0,91; p = 0,0005) beziffert. Aufgrund des Vorteils für die Kombination empfahl das Data Safety Monitoring Board nach einem mittle- ren Follow-up von 23 Monaten den vorzeitigen Abbruch der Monotherapiearme. Für die Patienten unter alleiniger Therapie mit Rivaroxaban ergab sich im Vergleich zu ASS kein signifikanter Vorteil. Die Auswertung der COMPASS-Studie wurde zeitgleich im «New England Journal of Medicine» publiziert (2). Die von Prof. Sonia Anand, McMaster University, Hamilton, Kanada, vorgestellten Daten der COMPASS-PADStudie zeigten ebenfalls für die mit der Kombination behandelte Subgruppe einen vergleichbaren Nutzen (3). Kardiovaskulärer Tod, Schlaganfall oder Myokardinfarkt konnten um 28 Prozent reduziert werden, extremitätengefährdende Ischämien inklusive Amputation um 46 Prozent. Alles in allem resultierte die kombinierte Gabe von Rivaroxaban und ASS in einer signifikanten Senkung von MACE (major adverse cardiac events) und MALE (major adverse limb events) um 31 Prozent. Mü O Quellen: 1. Eikelboom JW: Cardiovascular OutcoMes for People using Anticoagulation StrategieS (COMPASS) trial: primary results. Präsentiert im Rahmen der Hot Line: Late-Breaking Clinical Trials 1, ESC 2017, 26. bis 31. 8. 2017 in Barcelona. 2. Eikelboom JW et al.: Rivaroxaban with or without aspirin in stable cardiovascular disease. N Engl J Med 2017 Aug 27; DOI: 10.1056/NEJMoa1709118. 3. Anand S: COMPASS PAD-Cardiovascular OutcoMes for People using Anticoagulation StrategieS trial: results in patients with peripheral artery disease. Präsentiert im Rahmen der Hot Line: Late-Breaking Clinical Trials 1, ESC 2017, 26. bis 31. 8. 2017 in Barcelona. 834 ARS MEDICI 19 I 2017 BERICHT Neue Substanz unterbindet PCSK9-Synthese Im Rahmen der Hotline Late-Breaking Clinical Trials Session wurde auch die Orion-1-Studie vorgestellt (1). In der multizentrischen, plazebokontrollierten, doppelblinden, randomisierten Phase-IIStudie gelang es, mit dem subkutan zu injizierendem Wirkstoff Incliseran bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko erhöhte LDL-Werte bis zu einem Jahr lang zu senken. Die Substanz, die aus N-Acetylgalactosamin sowie einer kurzen Ribonukleinsäure (siRNA, small interfering RNA) besteht, unterbindet als erster Vertreter einer neuen Klasse die PCSK9-Synthese in der Leber und muss nur zweimal jährlich gegeben werden. Diese Vorgehensweise verspricht eine Verbesserung der Adhärenz, die unter allen bisherigen Therapieoptionen ein Problem darstellt, wie Studienleiter Prof. Kausik K. Ray, Imperial College London, UK, bei der Vorstellung der Studie betonte. 501 Patienten mit ungenügenden LDL-Werten, trotz maximal tolerierter Statintherapie, wurden randomisiert in verschiedenen Dosierungen untersucht. Als zu hoch galten Werte über 1,81 mmol/l bei Patienten mit manifester atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung und Werte über 2,59 mmol/l bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko zum Beispiel durch Diabetes oder familiäre Hypercholesterinämie. Aktuell konnten die Forscher 1-JahresDaten zur Senkung des LDL-Choleste- rins (sekundärer Endpunkt) präsentie- ren; auf diesen Zeitraum bezogen konnten die LDL-Werte zusätzlich zu Statinen (73%) mit oder ohne Ezetimib (31%) unter einer einzelnen Dosis von 200, 300 oder 500 mg Inclisiran um 31,6, 38,1 und 39,8 Prozent gesenkt werden. Unter 100, 200 oder 300 mg Inclisiran zweimal jährlich wurden Re- duktionen um 31,0, 41,1 und 46,8 Pro- zent erzielt. Abgesehen von numerisch vermehrten lokalen Reaktionen war die Sicherheit in beiden Gruppen ver- gleichbar. Die 1-Jahres-Daten bestätigen und er- weitern die 6-Monats-Zahlen (2): Die grösste Reduktion habe nebenwir- kungsfrei unter 2-mal jährlicher Injek- tion von Incliseran 300 mg erzielt wer- den können, berichtete Ray. Die Daten unterstützen eine 2-mal jährliche Gabe nach initialer Injektion an Tag 1 und an Tag 90. Die Erhaltungsdosis ist an Tag 270 und dann alle 180 Tage vorgese- hen. Phase-III-Studien zur LDL-C-Sen- kung laufen bereits, eine grosse Studie zu kardiovaskulären Endpunkten ist in Vorbereitung. Mü O Quellen: 1. Ray KK: Impact of a single or two dose regimen of in- clisiran, a novel siRNA inhibitor to PCSK9 on time averaged reductions in LDL-C over 1 year. ORION 1. Präsentiert im Rahmen der Hot Line: Late-Breaking Clinical Trials 2, ESC 2017, 26. bis 31. 8. 2017 in Barcelona. 2. Ray KK et al.: Inclisiran in patients at high cardiovascular risk with elevated LDL cholesterol. N Engl J Med 2017; 376(15): 1430–1440. Foto: vh PURE-Studie stellt bisherige Fett-Diätempfehlungen infrage In die Studie Prospective Urban-Rural Epidemiology (PURE) sind Daten von mehr als 135000 Teilnehmern aller Einkommensverhältnisse aus 18 Ländern eingeflossen. Demnach ist eine hohe Kohlenhydrataufnahme mit einer schlechteren Gesamt- und kardiovaskulären Mortalität verknüpft, während eine hohe Fettaufnahme mit einem niedrigeren Risiko assoziiert war. Die Resultate stehen in Widerspruch zu gängigen Empfehlungen, die zu einer Beschränkung der Gesamtfettaufnahme auf 30 Prozent der Tageskalorien und einer Aufnahme gesättigter Fettsäuren von weniger als 10 Prozent der Tagesenergiemenge raten. Dass eine Beschränkung der Gesamtfettaufnahme zur Verbesserung der Gesundheit führe, sei unwahrscheinlich, hingegen scheine ein Fettanteil von 35 Prozent an der Gesamtenergie bei gleichzeitiger Einschränkung der Kohlenhydrate das Sterblichkeitsrisiko zu senken, berichtete nun Dr. Mahshid Dehghan, PhD, Population Health Research Institute, McMaster University, Hamilton, Kanada. Menschen, die mehr als 60 Prozent ihrer Energie aus Kohlenhydraten beziehen, könnten von einer Senkung dieses Anteils zugunsten einer Steigerung des Fettanteils profitieren. Eine Kohlenhydrataufnahme aus dem höchsten Fünftel ging im Vergleich zum niedrigsten Fünftel mit einem signifikant um 28 Prozent erhöhten Gesamtsterblichkeitsrisiko einher, das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung war jedoch nicht erhöht. Eine Fettaufnahme im höchsten Viertel senkte im Vergleich zum niedrigsten das Risiko der Gesamtsterblichkeit um 23 Prozent, das Schlaganfallrisiko um 18 und das Risiko nicht kardiovaskulärer Todesfälle um 30 Prozent. Dabei sank das Mortalitätsrisiko sowohl unter gesättigten, einfach ungesättigten als auch unter mehrfach ungesättigten Fetten. Die Aufnahme höher gesättigter Fette ging ausserdem mit einer Senkung des Schlaganfallrisikos um 21 Prozent einher. Da sowohl die LDL- als auch die HDLWerte mit der Aufnahme gesättigter Fettsäuren stiegen, war der Nettoeffekt eine bessere LDL-HDL-Ratio. «Die Konzentration auf einen einzigen Lipidwert wie zum Beispiel den LDL-Wert erlaubt ARS MEDICI 19 I 2017 835 BERICHT keine Aussage über den klinischen Net- tonutzen verschiedener Nährstoffe auf das kardiovaskuläre Risiko», unter- strich denn auch Dehghan. Die Studie wurde zeitgleich in «The Lancet» pu- bliziert (2). Mü O Quellen: 1. Dehghan M: Dietary fats are protective but carbohy- drates are harmful: First results of the PURE nutrition study on 135 000 people from 18 countries in 5 continents. Präsentiert im Rahmen der Hot Line: Late-Breaking Registry Results 1, ESC 2017, 26. bis 31. 8. 2017 in Barcelona. 2. Dehghan M et al.: Associations of fats and carbohydrate intake with cardiovascular disease and mortality in 18 countries from 5 continents (PURE): a prospective cohort study. Lancet 2017 Aug 28; [Epub ahead of print]. OOO RE-DUAL PCI: Duale antithrom- botische Therapie bei VHF und PCI senkt Blutungsrate Um das beste Vorgehen bei Patienten mit Vorhofflimmern (VHF), die sich einer perkutanen Koronarintervention (PCI) unterziehen müssen, ging es in der RE-DUAL-PCI-Studie (1). Zur Schlaganfallprävention haben sich NOAK gegenüber einer plättchenhemmenden Therapie als überlegen erwiesen, bei der PCI ist eine duale plättchenhemmende Therapie der alleinigen Gabe von ASS überlegen. Bei Einsatz einer Tripeltherapie ist dementsprechend eine weitere Erhöhung des Risikos zu erwarten. Die vom Studienleiter Dr. Christopher Cannon, Brigham and Women’s Hospital, Boston, USA, vorgestellte Studie (n = 2752) verglich nun die Standardtripeltherapie (Warfarin [n = 981] mit einer INR zwischen 2 und 3; P2Y12-Hemmer und ASS) mit einer dualen Behandlung mit Dabigatran (entweder 150 [n = 763] oder 110 mg [n = 981], abhängig von Ort und Alter) plus einem P2Y12-Hemmer (1). Infrage kamen Patienten mit paroxysmalem, persistierendem oder permanentem VHF, die sich entweder akut oder elektiv erfolgreich einer PCI mit Stenteinlage unterzogen haben. Eine schwer eingeschränkte Nierenfunktion (CrCl < 30 ml/ min) galt als Ausschlusskriterium. Das mittlere Follow-up betrug 14,1 beziehungsweise 14,3 Monate unter Dabigatran (110 bzw. 150 mg) und bei der Tripeltherapie 13,8 Monate. Die duale Therapie reduzierte im Vergleich zur Tripeltherapie das Blutungsrisiko signifikant und war hinsichtlich der gesamten thrombotischen Ereig- nisse nicht unterlegen. Die Zeit bis zum Eintreten eines ersten Ereignisses konnte signifikant verlängert und die Ereignisrate signifikant reduziert wer- den. Unter Dabigatran 110 mg und 150 mg lag das absolute Risiko hin- sichtlich des primären Endpunktes (Eintreten einer schweren oder nicht schweren, aber klinisch relevanten Blu- tung) um 11,5 beziehungsweise 5,5 Pro- zent niedriger als unter der Standard- tripeltherapie. Die beiden dualen The- rapieregime, die auf weltweit in der Therapie der Schlaganfallprävention zugelassenen Dosierungen basieren, geben den Ärzten zwei zusätzliche Optionen zur Betreuung von VHF-Pa- tienten nach PCI. Die Studie wurde zeitgleich im «New England Journal of Medicine» publiziert (2). Mü O Quellen: 1. Cannon CP: RE-DUAL PCI: Dual antithrombotic therapy with Dabigatran after percutaneous coronary intervention in patients with atrial fibrillation. Präsentiert im Rahmen der Hot Line: Late-Breaking Science in PCI 2, ESC 2017, 26. bis 31. 8. 2017 in Barcelona. 2. Cannon CP et al.: Dual antithrombotic therapy with dabigatran after PCI in atrial fibrillation. N Engl J Med 2017 Aug 27; [Epub ahead of print]. OOO Interleukin-1-Hemmer reduziert Reinfarktrisiko Herzerkrankungen sind auch entzündungsbedingt. Durch die Reduktion der Entzündung mit dem Interleukin-1Hemmer Canakinumab, der zurzeit bei autoinflammatorischen Fiebersyndromen und bei systemischer juveniler idiopathischer Arthritis eingesetzt wird, sinkt auch das Risiko eines Reinfarkts bei Patienten mit vorangegangenem Herzinfarkt. Das zeigte die in 39 Ländern durchgeführte CANTOSStudie, in der 10 061 Patienten mit Herzinfarkt und anhaltend hohen hsCRP-Werten (high sensitive C-reactive protein) nach aggressiver Lipidsenkung doppelblind randomisiert 50, 150 oder 300 mg Canakinumab oder Plazebo subkutan alle 3 Monate während 4 Jahren erhielten. Als primärer Endpunkt waren nicht tödlicher Herzinfarkt, nicht tödlicher Hirnschlag oder kardiovaskulär bedingter Tod definiert. Als sekundärer Endpunkt galten Hospitalisationen zur notfallmässigen Revaskularisation infolge instabiler Angina pectoris. Unter den Dosierungen von 150 und 300 mg sank das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis signifikant um 15 respektive 14 Prozent, das Risiko für den sekundären Endpunkt um 17 Prozent. Canakinumab ist in dieser Indikation noch nicht zugelassen. Die Entzündungshemmung stelle damit unabhängig von Lebensstilanpassung und Lipidsenkung ein zusätzliches Instrument in der Prävention von kardiovaskulären Ereignissen dar, so fasste der Studienautor Prof. Paul Ridker, Direktor des Center for Cardiovascular Disease Prevention, Brigham and Women’s Hospital, Boston, USA, die Bedeutung seiner Resultate am ESC-Kongress zusammen (1). Die Studie wurde zeitgleich mit der Präsentation am Kongress im «New England Journal of Medicine» veröffentlicht (2). vh O Quellen: 1. Ridker P: CANTOS – The Canakinumab Anti-Inflamma- tory Thrombosis Outcomes Study. Präsentiert im Rahmen der Hot Line: Late-Breaking Trials 1, ESC 2017, 26. bis 31. 8. 2017 in Barcelona. 2. Ridker P et al.: Antiinflammatory therapy with canakinumab for atherosclerotic disease. N Engl J Med 2017 Aug 27; [Epub ahead of print]. OOO Renale Denervation bei resisten- ter Hypertonie überzeugt Die minimalinvasive Nierennervenablation, auch renale Denervation genannt, hat eine kurvenreiche Geschichte hinter sich. Da die zuletzt publizierte Sham-kontrollierte SIMPLICITY-HTN3Studie keinen zusätzlich blutdrucksenkenden Effekt zeigen konnte, wurde mit einem neuen Multielektrodenverfahren (Symplicity Spyral) mit insgesamt mehr Ablationen ein weiterer Versuch unternommen. Die SPYRAL-HTN-OFFStudie rekrutierte 80 Patienten mit unkontrollierter Hypertonie (150– 180/90 mmHg; 24-h-Messung 140– 170 mmHg), die unter keiner pharmakologischer Therapie standen oder diese mindestens 4 Wochen zuvor gestoppt hatten. Die Patienten wurden doppelblind randomisiert einer renalen Denervation (n = 38) oder Plazeboprozedur (Sham) (n = 42) unterzogen. Verglichen zum Ausgangsblutdruck war der Blutdruck 3 Monate später in der Ablationsgruppe um 10 mmHg systolisch und 5,3 mmHg diastolisch (24-hMessung: 5,5/4,8 mmHg) signifikant 836 ARS MEDICI 19 I 2017 BERICHT Tour de Cœur: Schweizer Kardiologen wieder mit dem Velo unterwegs © ESC Wie in den vergangenen Jahren haben auch diesmal etliche Schweizer Kardiologen schon auf dem Weg zum Kongress viel Einsatz gezeigt: 49 Teilnehmer kamen mit dem Velo nach Barcelona. Sie wurden bei der Eröffnungszeremonie des Publikumsanlasses zum ESC-Jahrestreffen von ESC-Präsident Prof. Jeroen Bax am Arco de Triumfo willkommen geheissen. gesunken. In der Plazebogruppe betrug die Reduktion 2,3 mmHg systolisch und 0,5 mmHg diastolisch (24-h-Mes- sung: 0,5/0,4 mmHg). Schwere Neben- wirkungen wurden in keinem der Stu- dienarme gemeldet, trotz intensivierter Ablation. Dank der neuen Technik und der Tatsache, dass keine Verfälschung durch etwelche Hypertoniemedikatio- nen stattgefunden hat, konnte ein blut- drucksenkender Effekt durch die renale Denervation demonstriert werden, so Studienleiter Prof. Michael Böhm, Kli- nik für Innere Medizin, Universitätskli- nikum des Saarlandes, Homburg/Saar, am ESC. Die erreichte Bludrucksen- kung unter Ablation sei zwar nicht gross, doch führten bereits kleine Re- duktionen zu einer signifikanten Risi- koreduktion für Hirnschlag und kar- diovaskuläre Ereignisse. Als Nutznies- ser dieser Methode kommen für Böhm Patienten mit resistenter Hypertonie infrage, die partout keine Medika- mente schlucken wollen (1). Die Studie wurde zeitgleich in «The Lancet» ver- öffentlicht (2). vh O Quelle: 1. Boehm M: SPYRAL HTN OFF-MED Study. Präsentiert im Rahmen der Hot Line: Late-Breaking Trials 2, ESC 2017, 26. bis 31.8.2017 in Barcelona. 2. Townsend R et al.: Catheter-based renal denervation in patients with uncontrolled hypertension in the absence of antihypertensive medications (SPYRAL HTN-OFF MED): a randomised, sham-controlled, proof-of-concept trial. The Lancet 2017 Aug 28; [Epub ahead of print]. Apixaban senkt Hirnschlagrisiko Patienten mit Vorhofflimmern haben ein hohes Hirnschlagrisiko. Diesem wird mit der Wiederherstellung des Sinusrhythmus und mit Antikoagulation begegnet. In der EMANATEStudie hatten antikoagulationsnaive Patienten mit Vorhofflimmern, die für eine Kardioversion vorgesehen waren, unter Apixaban ein niedrigeres Risiko, einen Hirnschlag zu entwickeln, als unter Heparin und danach Warfarin. An der multizentrischen, randomisierten Studie nahmen 1500 Patienten teil, die peroral 2,5–5 mg Apixaban (n = 753), davon die Hälfte vorgängig eine Ladedosis (n = 342), oder parenteral Heparin und danach Warfarin erhalten hatten. Dabei interessierten als primärer Endpunkt die Raten von Hirnschlag, Tod, grösseren oder klinisch relevanten Blutungen. Unter Apixaban traten signifikant weniger Schlaganfälle und vergleichbar viele Blutungen auf. Grössere Blutungen traten in 3 Fällen unter Apixaban auf und in 6 Fällen unter der Standardtherapie, klinisch relevante Blutungen in 11 beziehungsweise 13 Fällen. In der Apixabangruppe ereigneten sich 2 Todesfälle, in der Standardtherapiegruppe 1 Todesfall. Gemäss dem Studienleiter Prof. Michael Ezekowitz, Sidney Kimmer Medical College, Thomas Jefferson University, Philadelphia, USA, ist die Behandlung mit Apixaban mit oder ohne Ladedosis mit wenigen Blutungen sicher und führt zu weniger Schlaganfällen als die konventionelle Therapie. vh O Quelle: Ezekowitz MD: Apixaban vs conventional therapy in anticoagulation-naive patients with atrial fibrillation undergoing cardioversion: The EMANATE Trial. Präsentiert im Rahmen der Hot Line: Late-Breaking Trials 2, ESC 2017, 26. bis 31. 8. 2017 in Barcelona. OOO Einfacher Algorithmus zum raschen Herzinfarkteinschluss oder -ausschluss 10 Prozent aller Patienten auf Notfallstationen haben akute Myokardinfarktsymptome, aber nur wenige von ihnen auch einen echten Myokardinfarkt. Eine schnelle Identifizierung eines akuten Herzinfarkts hilft, Leben zu retten, zeitnah die richtige Therapie einzurichten und die Patienten, die keinen Herzinfarkt haben, wieder nach Hause zu schicken. Die ESC-Guidelines empfehlen bei Verdacht auf einen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) den 0/1-Stunden-Algorithmus mit hochsensitivem Troponin T und I (hs-cTnT und hs-cTnI) dem 0/3-Stunden-Algorithmus vorzuziehen. Die Troponinmessung wird somit bei Präsentation auf der Notfallstation so- 838 ARS MEDICI 19 I 2017 BERICHT wie eine Stunde später nochmals durch- geführt. Wie verlässlich die Aussage der Messung in diesem Zeitintervall ist, prüften Forscher um den Studienautor Dr. Raphael Twerenbold, Cardiovascu- lar Research, Universitätsspital Basel, anhand der gepoolten prospektiven Daten der APACE- und BACC-Studien mit gesamthaft 4350 Patienten mit akuten Brustschmerzen aus 14 Spitä- lern in 6 europäischen Ländern. 17 Prozent der Vorgestellten hatten tat- sächlich einen Herzinfarkt. Der nega- tiv-prädiktive Wert für NSTEMI mit hs-cTnT betrug 99,8 Prozent, jener mit hs-cTnI 99,6 Prozent. Damit ist der Algorithmus mit dem hochsensitiven troponinbasierten Diagnoseprotokoll zum Ein- respektive Ausschluss eines akuten Myokardinfarktes laut Tweren- bold sicher und effektiv in der Triage von Patienten mit Verdacht auf akuten Herzinfarkt. vh O Quelle: Twerenbold R et al.: Performance of the ESC 0/1-hour algorithm for rapid rule-out and rule-in of acute myocardial infarction using high-sensitivity cardiac troponin I in patients with impaired and normal renal function. Eur Heart J 2017; 38 (Suppl): 465–466, Poster 2328. Neue ESC-Guidelines zu peripherer Arterienerkrankung Über 40 Millionen Europäer leiden an peripheren Arterienerkrankungen (PAD) und haben damit ein erhöhtes Risiko für Hirnschlag, Behinderung, Herzinfarkt und Tod. Deshalb hat die European Society of Cardiology (ESC) erstmals eine Guideline zu PAD entwickelt. Diese umfasst atherosklerotische Erkrankungen aller Arterien inklusive unterer Extremitäten, ausser den Koronarien und der Aorta. Die Guideline enthält unter anderem ein Kapitel zur Anwendung von Antithrombotika für jede Lokalisierung von PAD sowie einen Abschnitt über begleitende Herzerkrankungen bei Patienten mit PAD wie Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern oder Klappenerkrankungen. Neben der gänzlich neuen PAD-Guideline hat die ESC drei bestehende Guidelines überarbeitet. In jener zum akuten Herzinfarkt mit ST-Hebung (AMI-STEMI) wurde unter anderem neu der Zeitpunkt definiert, ab wann die 90 Minuten bis zur perkutanen Intervention starten sollen: Dies ist der Zeitpunkt der STEMI-Diagnose im EKG. Im Fall einer Reperfusion mittels Fibrinolyse sollen statt 30 nun nur noch 10 Minuten ab STEMI-Diagnose verstreichen, und bezüglich Pharmakotherapie kann eine Verlängerung der dualen Plätt- chenhemmung (DAPT) auf 12 Monate erwogen werden. Das Update der DAPT-Guideline bei koronarer Herzkrankheit nach Inter- vention hat Dr. Marco Valgimigli, Kar- diologie, Inselspital Bern, vorgestellt. Wichtig ist dabei, dass die DAPT die ei- gentliche Therapie darstellt und nicht die zuvor erfolgte minimalinvasive, in- vasive oder pharmakotherapeutische Intervention, so der Berner Kardiologe. Bei einem akuten Koronarsyndrom soll die DAPT standardmässig 12 Monate dauern, bei guter Verträglichkeit auch länger, 6 Monate dagegen bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko. Die vierte Guideline, die ein Update er- fahren hat, betrifft das Management der Klappenerkrankungen. Darin wur- den die neuen Erkenntnisse seit dem letzten Update von 2012 aus den Stu- dien mit Vergleichen des chirurgischen und transkatheteralen Klappenersatzes (SAVR bzw. TAVI) berücksichtigt. Die TAVI erfuhr dabei eine Indikationser- weiterung auf Personen mit mittlerem Risiko. vh O Quelle: https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-PracticeGuidelines. ARS MEDICI 19 I 2017 839