Transkript
WAS WURDE AUS …
Was wurde eigentlich aus dem Gewinnerprojekt von Prof. Dr. Dr. Thomas Hügle?
Die Entzündung als Reparaturmechanismus der Kniearthrose
Die Entstehung der Arthrose ist eng mit Entzündungsreaktionen und Knochenveränderungen verknüpft. Doch welche Mechanismen liegen diesen beiden Prozessen zugrunde und inwieweit beeinflussen sie sich gegenseitig? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, initiierte Prof. Dr. Dr. Thomas Hügle, CHUV Lausanne, ein Forschungsprojekt, für das er 2012 den AbbVie Rheumatology Grant erhielt.
Die schmerzhafte Arthrose ist eine chronische, degenerative Gelenkerkrankung, welche bei vielen Patienten das Kniegelenk befällt (1). Frauen sind häufiger betroffen als Männer, wobei die Prävalenz insgesamt mit zu-
nehmendem Alter steigt (2). Die Erkrankung ist durch viele Veränderungen im Gelenk gekennzeichnet, unter anderem eine synoviale Entzündung und subchondrale Knochenveränderungen (2). Die subchondralen Kno-
chenveränderungen umfassen dabei verschiedene Prozesse, wie Osteophytenbildung, Knochenumbau, Knochenschwund und subchondrale Osteosklerose (3). Obwohl bereits bekannt ist, dass es bei der Arthrose sowohl zu Knochenveränderungen als auch zu einer Entzündungsreaktion kommt, konnte das Zusammenwirken beider Erkrankungsmerkmale noch nicht vollständig geklärt werden. Aus diesem Grund widmete sich Prof. Dr. Dr. Thomas Hügle der Frage inwieweit die an der Entzündung beteiligten Immunzellen den Knochenumsatz durch Inter-
NACHGEFRAGT
Prof. Dr. Dr. Thomas Hügle ist Professor an der Universität Lausanne und Leiter der Rheumatologie am CHUV. Er ist seit vielen Jahren in der Forschung tätig und gründete unter anderem das Osteoarthritis Research Center in Basel. Neben seiner klinischen Forschung hat er an verschiedenen technischen Innovationen mitgewirkt und so beispielsweise ein Gerät zur Optimierung von Synovialbiopsien und die erste anatomische Armschale für Unterarmgehstützen mitentwickelt.
Worin sehen Sie die heutige Relevanz der Studienergebnisse für die Praxis?
Prof. Dr. Dr. Thomas Hügle: Der AbbVie Rheumatology Grant ermöglichte es mir, direkt im Anschluss an einen Forschungsaufenthalt diese Studie zur Kniearthrose durchzuführen und damit meine akademische Laufbahn aktiv voranzubringen. Im Rahmen unserer Untersuchungen konnten wir ein besseres Verständnis der Entzündungsreaktion und des Knochenumbauprozesses bei dieser Erkrankung erlangen. Wir haben gezeigt, dass die Entzündung nicht grundsätzlich schädlich ist, sondern
eher einem Reparaturvorgang entspricht. Im Prinzip dient die Reaktion dazu, den Knochen zu schützen, bis die gestörte Biomechanik wieder normalisiert wird. Dies deutet darauf hin, dass in der Behandlung der Arthrose eine Entzündungshemmung zwar zu einer Verbesserung führen kann, für sich allein jedoch eher nicht sinnvoll ist. Stattdessen bedarf es zusätzlich einer Korrektur der Biomechanik, beispielsweise durch Umstellungsosteotomie oder Orthesen. Für die Entzündungshemmung
gibt es bereits eine Reihe von Medikamenten aus der Rheumatologie. Theoretisch können sowohl Lymphozyten selbst als auch ihre Kommunikation untereinander gehemmt werden. Da wir in unserer Studie gesehen haben, dass vor allem Makrophagen im Knochen vorhanden sind, könnte man bei diesen Zellen ansetzen. Studien, die Botenstoffe der Makrophagen hemmen, waren bisher jedoch nicht erfolgreich, was vermutlich mit der fehlenden Korrektur der Biomechanik zusammenhängt. Ein anderer Ansatz wäre, die Differenzierung von Makrophagen in Osteoklasten zu hemmen, wobei dafür weitere Studien notwendig wären. Eine Förderung der Umwandlung in Osteoblasten wäre höchstens in einem sehr frühen Stadium sinnvoll, da sonst das Risiko einer Osteosklerose besteht. Insgesamt wäre die Empfehlung, eine biologische mit einer biomechanischen Therapie zu kombinieren, um so die natürlichen Reparaturvorgänge des Körpers ausnutzen zu können.
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ARS MEDICI 16 I 2017
WAS WURDE AUS …
AbbVie Rheumatology Grant
Der AbbVie Rheumatology Grant fördert innovative und zukunftsorientierte Projekte in den Bereichen Rheumatologie und klinische Immunologie. Der Forschungspreis ist für junge Wissenschaftler bestimmt und mit 50 000 Franken dotiert. Selbst in verschiedenen Therapiegebieten forschend, startete AbbVie dieses Förderprojekt mit der Einführung von Humira® vor 14 Jahren als Engagement über die Therapie hinaus.
Jedes Jahr hat seither eine Jury die Aufgabe, aus einer Reihe von vielversprechenden Projekten dasjenige auszulesen, welches gefördert werden soll. ARS MEDICI wird sich damit beschäftigen, was aus den ausgezeichneten Projekten entstanden ist. Was ermöglicht diese Unterstützung – auch auf längere Sicht? Was konnten die Forscher damit erreichen? Und wie wichtig ist ein solcher Anreiz für junge Wissenschaftler?
aktion mit residenten Zellen im Knochen beeinflussen können (4). In Zusammenarbeit mit Dr. Jeroen Geurts, der mittlerweile Forschungsleiter der Spinalen Chirurgie am Universitätsspital Basel ist, begann er mit der Umsetzung des Forschungsprojekts «Entzündungsbedingter subchondraler Knochenumbau als therapeutisches Target der Arthrose», welches im Jahr 2012 mit dem AbbVie Rheumatology Grant gefördert wurde.
Zusammenwirken von Entzün-
dungsreaktion und Knochenabbau
In der Studie wurden Tibiaplateaus von 14 Patienten untersucht, die eine Kniegelenksprothese erhalten hatten (4). Mittels computertomografischer Osteoabsorptiometrie erfolgte eine Analyse der Knochen, um festzustellen, in welchen Regionen ein Knochenumbau stattgefunden hat. Dies ermöglichte eine gezielte Untersuchung von Immunzellen und knochenresidenten Zellen an diesen Stellen. Dafür wurden histologische Schnitte angefertigt, in denen B-Lymphozyten und Makrophagen im subchondralen Knochenmarksgewebe detektiert werden konnten (4). Dabei war die relative Häufigkeit dieser Zellen in sklerotischen im Vergleich zu nicht sklerotischen Knochenproben signifikant erhöht. Auch Osteoklasten konnten vermehrt in sklerotischen Proben und dabei vor allem assoziiert mit Blutgefässen gefunden werden. Um die Zellen noch besser charakterisieren zu können, wurde eine durchflusszytometrische Analyse von direkt aus dem subchondralen trabekulären Knochenmark isolierten Zellen als neue Methode etabliert (5). Hierbei bestätigte sich das Vorhandensein von Knochenvorläuferzellen, Osteoklastenvorläuferzellen und Makrophagen. Um einen Einblick zu erhalten, wie die verschiedenen Zellen zusammenwirken, wurden zudem in vitro Untersuchungen durchgeführt (4). Kultivierte Osteoblasten reagierten dabei lediglich auf Proben aus nicht skle-
rotischen Knochen, jedoch nicht auf
Proben aus sklerotischen Knochen. Im
Fall einer Osteosklerose scheint dem-
entsprechend keine Induktion der Akti-
vität von Osteoblasten zu erfolgen.
Insgesamt konnte gezeigt werden, dass
es bei der Kniearthrose tatsächlich zu
einer Entzündungsreaktion kommt, die
sich vor allem auf knochenabbauende
Zellen auswirkt. Das Zusammenwir-
ken von Makrophagen und Osteo-
klasten, sowie die phänotypischen Ver-
änderungen der Osteoblasten beein-
flussen den Knochenumbau und damit
letztlich auch die subchondrale Osteo-
sklerose. Es scheinen sowohl die Kno-
chenbildung als auch die Knochen-
resorption verändert zu sein, wobei die
natürlich vorhandene Kopplung beider
Prozesse nur noch eingeschränkt funk-
tioniert.
O
Christin Döring
Referenzen: 1. Arthrose. Rheumaliga Schweiz, 02/2015. 2. Behrens R: Management der Kniearthrose. Ars Medici
2012; 19: 989–993. 3. Bas H: Arthroseupdate – Von der «Abnützungserschei-
nung» zur entzündlichen Beteiligung von Knochen und Synovia. Ars Medici 2012; 10: 498–502. 4. Geurts J et al.: Elevated marrow inflammatory cells and osteoclasts in subchondral osteosclerosis in human knee osteoarthritis. Journal of Orthopaedic Research 2016; 34(2): 262–269. 5. Pippenger B et al.: Multicolor flow cytometry-based cellular phenotyping identifies osteoprogenitors and inflammatory cells in the osteoarthritic subchondral bone marrow compartment. Osteoarthritis and cartilage 2015; 23(11): 1865–1869.
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