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FORTBILDUNG
Schmerzende Gelenke – früh an Rheuma denken!
Patienten mit Gelenkbeschwerden suchen primär meist den Allgemeinarzt oder den Facharzt für Orthopädie/Unfallchirurgie auf. Die Ursachen sind oft degenerativ, funktionell oder traumatisch. In selteneren Fällen spielen entzündliche Veränderungen für Gelenkbeschwerden eine Rolle, die in der Frühphase meist schwer zu erkennen sind. Da eine frühe Diagnose rheumatischer Erkrankungen mit der heutigen innovativen Therapie in vielen Fällen zu einer Remission der Erkrankung führt, ist die Früherkennung bei den Primärversorgern bedeutsam. Dies wird hier – insbesondere anhand der rheumatoiden Arthritis – gezeigt.
Uwe Schwokowski
Nach den Klassifikationskriterien ist die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis im beschriebenen Fall (siehe Kasten) nicht gesichert: O 1 grosses Gelenk ist geschwollen = 0 Punkte O Anti-CCP hoch positiv = 3 Punkte O CRP positiv = 1 Punkt O Dauer > 6 Wochen = 1 Punkt.
Danach ergeben sich 5 Punkte. Die Diagnose einer rheumatoiden Arthritis (RA) ist somit nicht wahrscheinlich, dies wäre erst ab 6 Punkten der Fall (Tabelle 2). Für den Rheumatologen ist die Diagnose allerdings sehr wahrscheinlich, da der CCP-Antikörper sehr hoch ist und in der Anamnese auch ein kleines Gelenk geschwollen war. Weitere Diagnostik mit Röntgen, Arthrosonografie und erweitertem Labor folgt, um die Diagnose der RA zu sichern und frühzeitig eine spezifische Therapie einzuleiten. Das Wissen und die Erfahrung des
MERKSÄTZE
O Der CCP-AK kann der klinisch nachweisbaren rheumatoiden Arthritis bereits um Jahre vorausgehen.
O In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Therapie rheumatischer Erkrankungen revolutioniert worden.
Kasuistik
Patientin, Reinigungskraft, 49 Jahre Anamnese: Erstmalig akute Schwellung des MCP-2Gelenks rechts, unter Ibuprofen (3-mal 600 mg) allerdings rückläufig. Morgensteifigkeit der Hände von zirka 30 Minuten. Aktuell Schmerzen und Schwellung im rechten Sprunggelenk. In der weiteren Anamneseerhebung kein Hinweis auf eine periphere Spondyloarthritis (SpA-Kriterien siehe unten) und kein Hinweis auf eine Gicht oder reaktive Arthritis. Die Familienanamnese ist unauffällig.
Klinische Untersuchung: Bei der Palpation der Finger-, Hand-, Ellenbogen-, Schulter- und Kniegelenke sind keine synovialen Schwellungen nachweisbar. Es liegt kein Druckschmerz vor. Geringe Schwellung des rechten OSG, mässige Überwärmung, dort leichter Druckschmerz, Funktion erheblich schmerzhaft eingeschränkt.
Prozedere: Nach der Anamnese und der klinischen Untersuchung ergibt sich mit Ausnahme der berichteten MCP-2-Schwellung kein Hinweis auf eine rheumatoide Arthritis. Der Hausarzt hat in seiner Primärdiagnostik bereits Laborwerte bestimmen lassen.
Labor: Auffällig waren folgende Werte: CRP (C-reaktives Protein): 12,78 mg/l (Normwert: < 5), CCP-AK (Antikörper gegen zyklische zitrullinierte Peptide): > 500 U/ml (Normwert: < 7). Der leicht erhöhte CRP-Wert und insbesondere der stark erhöhte CCP-AK ergeben den Verdacht auf eine rheumatoide Arthritis. Die Klassifikationskriterien der ACR/EULAR können angewandt werden. Es liegt eine Arthritis vor (OSG). In der Anamnese und Diagnostik kein Anhalt für eine anderweitige Ursache (Tabelle 1).
Arztes spielen hierbei eine herausragende Rolle. Menschen mit Symptomen einer RA sollten nach Empfehlungen der EULAR innerhalb von sechs Wochen einem in Diagnose und Differenzialdiagnostik kundigen Arzt vorgestellt werden (1).
Subtile Anamnese und Rheumafragebogen Denken Sie bei Gelenkbeschwerden und insbesondere bei Gelenkschwellungen immer auch «rheumatologisch»! Wichtig ist zunächst eine subtile Anamnese; diese kann bereits durch einen Rheumafragebogen erhoben werden. Entzündlich rheumatische Symptome sind Schwellung, leichte bis mittelgradige Überwärmung, palpabler Gelenkerguss und
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Tabelle 1:
EULAR/ACR – finale Klassifikationskriterien 2010
Voraussetzung Die Klassifikationskriterien werden nur angewandt, wenn: 1. eine Arthritis vorliegt; 2. die Gelenkbeschwerden nicht durch eine andere Erkrankung
erklärt werden können (z.B. Gicht, Psoriasisarthritis, Lyme-Borreliose usw.).
1. Kriterium Bei Vorliegen einer radiologisch festgestellten Erosion besteht grundsätzlich eine rheumatoide Arthritis.
Tabelle 2:
Klassifikationskriterien von ACR und EULAR 2010
Betroffene Gelenke 1 grosses Gelenk 2–10 grosse Gelenke 1–3 kleine Gelenke 4–10 kleine Gelenke > 10 Gelenke, mindestens 1 kleines
0 1 2 3 5
Rf/anti-CCP beides negativ ein Wert mässig positiv ein Wert hoch positiv
0 2 3
CRP oder BSG negativ ein Wert positiv
0 3
Dauer der Symptome
< 6 Wochen > 6 Wochen
0 1
Bei Erreichen von 6 Punkten kann die Diagnose einer RA als gesichert betrachtet werden.
(mindestens 1 synovialitisch geschwollenes Gelenk – andere Ursachen ausgeschlossen)
schmerzhaft eingeschränkte Funktion. Begleitsymptome wie Abgeschlagenheit, Müdigkeit (Fatigue), allgemeines Krankheitsgefühl und Morgensteifigkeit spielen häufig eine Rolle und sind in Verbindung mit Gelenkbeschwerden nicht vorschnell als Fibromyalgiesyndrom abzuhandeln. Wichtig sind in der Anamnese auch die SpA-(Spondyloarthritis-)Kriterien, da die Spondyloarthritiden (u.a. die Psoriasisarthritis) mit peripherem Gelenkbefall zumeist an den Gelenken der unteren Extremität beginnen. Fragen Sie nach nächtlichem Rückenschmerz, Psoriasis, Uveitis, Enthesitis, Daktylitis und Morbus Crohn beziehungsweise Colitis ulcerosa. Auch die Familienanamnese ist bedeutsam. Richten Sie Ihre Fragen gezielt auf RA, Psoriasis beziehungsweise Psoriasisarthritis und Morbus Bechterew. «Oma hatte Rheuma» – diese Antwort ist wenig aussagekräftig; Sie werden sie bei fast jeder zweiten Anamneseerhebung erhalten.
In der klinischen Untersuchung ist die weiche, synoviale Schwellung der Gelenke verdächtig für eine Arthritis. Sie ist zu unterscheiden von der knöchernen Gelenkverhärtung, der Heberdenarthrose in den Fingerendgelenken. Die Untersuchung der Fingergelenke erfolgt nach der Vier-Finger-Methode, wobei die synoviale Schwellung gut verschieblich ist. Bei der RA ist der DAS (Disease Activity Score) 28 ein Ausgangs- und Verlaufsparameter der Erkrankung und kann die Diagnostik lediglich unterstützen. In der Laborprimärdiagnostik sind die Entzündungsparameter BSG (Blutsenkungsgeschwindigkeit) und CRP von Bedeutung, der CCP-AK ist spezifischer als der Rheumafaktor. Der CCP-AK kann der klinisch nachweisbaren RA bereits um Jahre vorausgehen und hat bei einer noch undifferenzierten Arthritis einen hohen prädiktiven Wert für die Entstehung, aber auch für den Verlauf einer RA. Sofern keine Verdachtsmomente in der Anamnese vorliegen, empfehle ich, in der Primärdiagnostik auf Laborwerte wie ANA (antinukleäre Antikörper), ANCA (antineutrophile zytoplasmatische Antikörper), Borrelien, Yersinien, Chlamydien und andere zu verzichten.
Therapie der RA: Zuversicht bei Arzt und Patient
In den letzten zwei Jahrzehnten ist die Therapie rheumatischer Erkrankungen durch innovative Medikamente revolutioniert worden. «Rheuma ist behandelbar – Zuversicht bei Arzt und Patient» sind die neuen Schlagworte. Das Therapieziel ist die Remission, vor Jahren undenkbar. Voraussetzungen sind eine frühe Diagnose und eine frühe effiziente Therapie: «Hit hard and early.» Eine frühe Behandlung nach den S1-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) mit DMARD (disease-modifying antirheumatic drugs) sollte folgen; eine weitere sequenzielle Therapie mit Einbeziehung von Biologika macht – nach Versagen der vorherigen Therapie – eine Remission immer noch möglich (Abbildung 1). Häufig stellen sich Patienten mit Gelenkproblemen und mit geringer Entzündungs- und Krankheitsaktivität vor. Eine Primärbehandlung mit nicht steroidalen Antirheumatika (NSAR) ist zunächst vertretbar, eine enge Verlaufskontrolle allerdings zu empfehlen. Eine Therapie mit Kortikoiden ist für den Patienten meist sehr effektiv, allerdings werden hierdurch auch eindeutige Symptome für die Diagnostik verschleiert. Deshalb ist die frühzeitige Überweisung zu einem «rheumakundigen Arzt» bedeutsam. Ist die Wartezeit bei einem internistischen Rheumatologen zu lang, bietet sich zunächst die Überweisung zu einem Orthopäden/Unfallchirurgen oder einem rheumatologisch fortgebildeten Orthopäden (RhefO) an. Fehlallokation von Patienten mit nicht entzündlichen Krankheiten sei ein wesentlicher Grund dafür, dass die Wartezeiten beim internistischen Rheumatologen so lang sind (4). Der Orthopäde/Unfallchirurg beziehungsweise RhefO kann den weiteren Versorgungspfad des Patienten bestimmen. Zunächst erfolgt dabei die Differenzierung entzündlich versus nicht entzündlich. Bei entzündlichen Erkrankungen folgt die Diagnosesicherung und – je nach Schweregrad – die medikamentöse Einstellung. Bei problematischen Fällen ist die kurzfristige Überweisung zu einem internistischen oder orthopädischen Rheumatologen anzustreben.
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Monotherapie
DMARDKombination 1. Biologikum 2. Biologikum
Methothrexat (MTX) (15 mg/Woche) + Prednisolon 4 bis 6 Wochen
MTX-Optimierung, Prednisolonanpassung 4 bis 6 Wochen
MTX + LEF
MTX + SSZ + HCQ 3 Monate
ABC, ADM, CEZ, GOM, INX, TOZ + MTX
3 bis 6 Monate
ABC, RIX, TNF, TOZ + MTX
Alternativen: Leflunomid (LEF) Sulfasalazin (SSZ)
Gold parenteral, (Hydroxy-)Chloroquin (HCQ), Ciclosporin A (CiA), Azathioprin
MTX – CiA
Anakinra + MTX
Weitere immunmodulierende Therapien inklusive Cyclophosphamid
ABC: Abatacept; ADM: Adalimumab; CEZ: Certolizumab pegol; GOM: Golimumab; INX: Infliximab; TOZ: Tocilizumab; RIX: Rituximab; TNF: Tumornekrosefaktor-alfa-Blocker; DMARD: diseasemodifying antirheumatic drugs
Abbildung 1: Therapeutischer Stufenplan bei rheumatoider Arthritis (2)
Hausarzt
Orthopäde/U
Rheumatologisch fortgebildeter
Orthopäde – RhefO
Internistische Rheumatologie
Orthopädische Rheumatologie
Abbildung 2: Versorgungspfade der Rheumatologie (3)
Flächendeckende Praxisnetze In Schleswig-Holstein haben wir nach diesem Muster erste positive Erfahrungen mit einem «Rheuma-Netz» sammeln können, an dem auch Allgemeinärzte beteiligt sind (Abbildung 2).
Anzustreben sind weitere flächendeckende Praxisnetze, mit
denen nicht nur Frühdiagnostik und frühe Therapieeinlei-
tung optimiert werden, sondern auch durch Erzielen einer
Remission sehr viele Patientenschicksale positiv beeinflusst
werden können. Somit bleibt die Arbeitskraft der Patienten
erhalten, Frühberentungen werden vermieden. Auch für
die Krankenkassen und die Rentenversicherer dürften diese
Projekte interessant sein.
O
Dr. med. Uwe Schwokowski Orthopädische Facharztpraxis – Schwerpunkt Rheumatologie D-23909 Ratzeburg
Interessenkonflikte: honorierte Dozententätigkeit mit Firmensponsoring (u.a. AbbVie, Pfizer, Medac, UCB, BMS, Celgene).
Literatur: 1. Stoffer MA et al.: Ann Rheum Dis 2014 ; 73 : 9092–9905. 2. Krüger K et al.: Z Rheumatol 2012; 71: 592–603. 3. «Rheuma Netz»: Versorgungspfade der Rheumatologie. 4. Schnabel A: Ärztl J Ortho/Rheum 5-2015: 24–25.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 7/2017. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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