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BERICHT
Zeckenstiche, FSME-Risiko und die Impfung
Immer noch mehr als 200 FSME-Betroffene pro Jahr in der Schweiz
Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist in Europa die wichtigste durch Zecken übertragene Viruserkrankung. In der Schweiz erkranken seit 2005 zwischen 150 und 250 Menschen jährlich daran, obgleich für alle Personen über sechs Jahre eine wirksame Impfung zur Verfügung steht.
Christine Mücke
Das klinische Spektrum der FSMEErkrankung ist vielfältig. Es kann von Fieber bis hin zu einer schweren Enzephalitis mit oder ohne Myelitis reichen und endet in 0,5 bis 2 Prozent der Fälle tödlich (1). Zu neurologischen Langzeitdefiziten kommt es der WHO zufolge in bis zu 58 Prozent der Fälle. Bis heute ist keine kausale Behandlung bekannt, der Infektion und damit der Erkrankung kann lediglich durch das Vermeiden von Zeckenstichen durch Präventionsmassnahmen respektive eine Impfung vorgebeugt werden.
Im europäischen Raum stehen zwei Impfstoffe zur Verfügung (s. Tabelle), beide werden gut toleriert und sind wirksam bei immunkompetenten Personen ab einem Jahr. Die FMSE-Inzidenz variiert quer durch Europa erheblich. Die Schweiz zählt zu den Ländern mit mittlerer Inzidenz, diese schwankte in den letzten zehn Jahren zwischen 1,16 (2012) und 2,48 (2013) pro 100 000 Einwohner (1). Dabei gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Kantonen; 2016 war sie am höchsten im Kanton Uri
(11,12/100 000), in Nidwalden (7,07/ 100 000) und in Appenzell Innerrhoden (6,26/100 000)(2).
Wo gibt es FMSE-infizierte Zecken?
Als Endemiegebiete für FSME gelten insbesondere die Kantone des Mittellandes, in diesen sind zirka 0,5 bis 3 Prozent der Zecken FSME-infiziert (2). Einen Überblick über betroffene Regionen gibt eine Karte des BAG, auf der die Gebiete verzeichnet sind, für die eine entsprechende Impfempfehlung ausgesprochen wurde (s. Abbildung 1). Oberhalb von 1000 Metern sind bisher keine Regionen mit FSME-infizierten Zecken bekannt. Bislang glaubte man, dass Zecken in der ganzen Schweiz ohnehin nur bis zu einer Höhe von zirka 1500 m verbreitet sind. An diese «offizielle geografische Obergrenze» scheinen sie sich aber nicht mehr zu halten, mit steigenden Temperaturen findet man Zecken offenbar auch in höheren Lagen (s. Kasten 1). Durch Zecken übertragene Krankheiten haben insbesondere von März bis November Saison, dementsprechend steigen die damit einhergehenden Arztbesuche, wie die aktuellen Zahlen des BAG zeigen. Bis Ende April waren hochgerechnet bereits 2400 Arztbesuche wegen Zeckenstichen zu beobachten (3). Mehrheitlich geht es dabei um Borreliosen, schätzungsweise gibt es pro Jahr 6000 bis 12 000 Borreliosefälle in der Schweiz. FSME-Erkrankungen schwanken gemäss BAG-Statistik zwischen 100 und 250 Fällen jährlich, zuletzt wurden 2016 202 Fälle erfasst.
Abbildung 1: Karte des BAG – Gebiete mit FSME-Impfempfehlung
© swisstopo, BAG, BAFU
Mehrheit der Betroffenen
bleibt symptomfrei
Die überwiegende Mehrheit der von einer FSME-infizierten Zecke gestochenen Personen bleibt symptomfrei, nur bei einer Minderheit kommt es inner-
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Tabelle:
FSME-Impfschema
Encepur® N (≥12 Jahre), Encepur® N Kinder (1–11 Jahre)
1. Injektion 2. Injektion 3. Injektion
Konventionelles Schema
Tag 0 Monat 1 bis 3 Monat 9 bis 12*
Schnellimmunisierung
Tag 0 Tag 7 Tag 21
FSME-Immun® CC (≥ 16 Jahre), FSME-Immun® Junior (1–15 Jahre)
1. Injektion 2. Injektion 3. Injektion
Konventionelles Schema
Tag 0 Monat 1 bis 3 Monat 5 bis 12*
Schnellimmunisierung
Tag 0 Tag 14 Monat 5 bis 12*
EKIF und BAG empfehlen die Impfung für alle Personen mit Expositionsrisiko (ein Tag Aufenthalt in einem Endemiegebiet genügt) ab einem Alter von 6 Jahren; bei Bedarf ist eine frühere Impfung möglich. Die Auffrischimpfung sollte gemäss EKIF und BAG bei weiterhin bestehendem Expositionsrisiko nach 10 Jahren erfolgen.
* nach der 2. Impfung
Kasten 1:
Zecken-App hilft bei der Prävention
Die von Werner Tischhauser und Prof. Dr. Jürg Grunder von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) entwickelte Zecken-App gibt Auskunft über das aktuelle Zeckengefahrenpotenzial im Gelände und umfangreiche Informationen zur Prävention. Sie wurde seit ihrer Lancierung vor zwei Jahren mehr als 45 000 Mal heruntergeladen.
6338 Nutzermeldungen zu Zeckenstichen wurden gesammelt. Nicht immer können der exakte Zeitpunkt und der genaue Ort angegeben werden, oft wird die Zecke erst abends entdeckt. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes liefern die Daten trotzdem wichtige Informationen aus der Praxis. Möglicherweise war vielen vorher nicht klar, dass es Zecken überall gibt: «Wichtig ist die Erkenntnis, dass man sich nicht im Wald oder auf der Wiese aufhalten muss, um von einer Zecke gestochen zu werden», so Tischhauser (7).
Ob die Zecke mit FSME-Viren oder dem viel häufigeren Borreliose-Erreger infiziert war oder nicht, ist eine andere Frage, die von der App nicht beantwortet werden kann. Die App enthält jedoch unter anderem ein Zeckentagebuch, das im Fall des Falles bei der Beobachtung des Gesundheitszustands unterstützt, nach fünf, zehn und 28 Tagen mögliche Borreliosesymptome erfragt und Beispiele zeigt.
Die App «Zecke» kann kostenlos für Android- und iOS-Geräte auf Google Play und im App Store heruntergeladen werden.
halb von 2 bis 28 Tagen zu grippeähnlichen Symptomen. Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen verschwinden mehrheitlich nach wenigen Tagen vollständig. Bei 5 bis 15 Prozent der Betroffenen können sich jedoch nach weiteren 4 bis 6 beschwerdefreien Tagen zusätzlich neurologische Symptome als Zeichen einer Meningitis oder Meningo-
enzephalitis entwickeln. Schwindel, Schlaf-, Konzentrations- und Gangstörungen können über Wochen und Monate anhalten, bei schwerem Verlauf können neurologische Defizite bleiben. Von denjenigen, die neurologische Symptome entwickeln, verstirbt in der Schweiz etwa ein Prozent an den Folgen der FSME (4).
FSME-Impfung für wen?
Das Risiko zu erkranken ist klein, aber aufgrund des potenziell schwerwiegenden, selten sogar tödlichen Verlaufs empfehlen die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) und das BAG die FSME-Impfung allen Erwachsenen und Kindern ab sechs Jahren mit Expositionsrisiko, die in Endemiegebieten wohnen oder sich zeitweise dort aufhalten. Bei jüngeren Kindern, bei denen sehr viel seltener Erkrankungsfälle gefunden werden, sollte das Risiko individuell evaluiert werden. In besonderen Situationen ist die Impfung auch bei Kindern unter sechs Jahren möglich. Auch wenn die Erkrankung bei Älteren häufiger ist und aufgrund des alternden Immunsystems schwerwiegender verläuft, ist die FSME auch für eine beträchtliche Morbidität bei Kindern verantwortlich (1). Trotz generell milderer Erkrankungsverläufe sind auch bei ihnen schwere Ausprägungen der Erkrankung mit ungünstigen Langzeitwirkungen möglich. Bei Kindern mit unspezifischen ZNS-Symptomen sollte eine FSME zumindest in Betracht gezogen werden (5). Nicht alle erholen sich vollständig, beschrieben wurden kognitive Probleme im Bereich der Exekutivfunktionen und des Kurzzeitgedächtnisses. Das unterstreicht die Bedeutung der daraus in vielen Ländern abgeleiteten Impfempfehlung auch für Kinder (1).
Beratung von Reisenden
Gemäss der Expertengruppe sollte das Augenmerk auch auf die Beratung von Reisenden gelegt werden, die in Endemiegebiete ausserhalb der Schweiz reisen. Schätzungen zufolge ist das Risiko einer FSME-Erkrankung in einem Land mit hoher Inzidenz wie Österreich (1/10 000) vergleichbar dem Risiko, in einem hoch endemischen Gebiet an Typhus zu erkranken (1). Auch wenn exakte Zahlen zu Infektionen unter Reiserückkehrern fehlen, empfiehlt man in diesen Fällen die Etablierung der FSME-Impfung auch als Reiseimpfung.
Geringe Impfrate
Anders als Impfungen gegen ansteckende Krankheiten kann die FSMEImpfung zwar keine Herdenimmunität bewirken, aber der durch eine hohe Impfrate erzielte Individualschutz kann
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Kasten 2:
Informationsblatt Zeckenenzephalitis
Ein Factsheet zu Zeckenenzephalitis, erarbeitet durch die Eidgenössische Kommission für Impffragen in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit, kann unter folgender Adresse entweder direkt heruntergeladen oder als Block bestellt werden:
www.rosenfluh.ch/qr/ factsheet-zeckenenzephalitis
Abbildung 2: Zecken können neben der FSME auch eine Lyme-Borreliose sowie die viel selteneren Ehrlichiosen und Rickettsiosen übertragen, die im Unterschied zur FSME bakteriell verursacht werden.
dazu beitragen, die FSME weitgehend zu kontrollieren, wie das Beispiel Österreich zeigt. Seit Jahren liegen hier die Erkrankungsfälle nur noch zwischen 50 und 100 pro Jahr (6). Die österreichische Durchimpfungsrate liegt mit 82 Prozent im internationalen Vergleich am höchsten, in der Schweiz sind nur 27 bis 33 Prozent der Bevölkerung geimpft (Inzidenz 100–250 Fälle pro Jahr, s. oben) (1). Optimalerweise sollte die Grundimmunisierung bereits im Winterhalbjahr beginnen, damit zu Beginn der Zeckensaison bereits ein Schutz besteht. Es kann
aber das ganze Jahr hindurch geimpft
werden. Die vollständige Immunisie-
rung erfordert drei Dosen, die empfoh-
lenen Intervalle sollten dabei einge-
halten werden (s. Tabelle); sie unter-
scheiden sich je nach Impfstoff und
Impfschema. Da die Impfstoffe inakti-
vierte FSME-Viren enthalten, sind sie
während Schwangerschaft und Stillzeit
nicht grundsätzlich kontraindiziert, bei
der Indikationsstellung sollten hier je-
doch Nutzen und Risiken sehr sorgfäl-
tig abgewogen werden.
O
Christine Mücke
© ZHAW Phytomedizin
Referenzen: 1. Kunze U: The International Scientific Working Group
on Tick-Borne Encephalitis (ISW TBE): Review of 17 years of activity and commitment. Ticks Tickborn Dis 2016; 7: 399–404. 2. www.bag.admin.ch; Zahlen zu Infektionskrankheiten/ Zeckenenzephalitis FSME https://www.bag.admin.ch/ bag/de/home/service/zahlen-fakten/zahlen-zuinfektionskrankheiten.exturl.html/aHR0cDovL3d3dy5 iYWctYW53LmFkbWluLmNoLzIwMTZfbWVsZG/VzeXN0 ZW1lL2luZnJlcG9ydGluZy9kYXRlbmRldGFpbHMvZC9m/ c21lLmh0bWw_d2ViZ3JhYj1pZ25vcmU=.html 3. www.bag.admin.ch; Zeckenübertragene Krankheiten – Lagebericht Schweiz. https://www.bag.admin.ch/bag/ de/home/themen/mensch-gesundheit/uebertragbarekrankheiten/ausbrueche-epidemien-pandemien/ aktuelle-ausbrueche-epidemien/zeckenuebertragenekrankheiten.html 4. Factsheet Zeckenenzephalitis des BAG; www.rosenfluh.ch/qr/factsheet-zeckenenzephalitis 5. Sundin M et al.: Pediatric tick-borne infections of the central nervous system in anendemic region of Sweden: a prospective evaluation of clinical manifestations. Eur J Pediatr 2012; 171: 347–352. 6. Kunze U, Böhm G: Frühsommer-Meningo-Enzephalitis (FSME) und FSME-Schutzimpfung in Österreich: Update 2014. Wien Med Wochenschr 2015; 165: 290–295. 7. Schweizer Zeckenstichkarte: Mehr Zeckenstiche in dicht besiedelten Regionen. Medienmitteilung der ZHAW vom 10. 4. 2017.