Transkript
FORTBILDUNG
Was umfasst das «Tauchattest»?
Risiken erfassen, Patienten beraten
Ob vom Anfänger, der im nächsten Urlaub einen Schnupperkurs buchen will, oder vom erfahrenen Sporttaucher – mit dem Wunsch nach einer sogenannten Tauchtauglichkeitsuntersuchung werden auch Hausärzte konfrontiert. Was diese genau umfasst und welche Qualifikationen der Arzt mitbringen sollte, wird im folgenden Artikel vermittelt.
Kay Tetzlaff und Claus-Martin Muth
einen Tauchunfall erhöhen. Dazu gehören Beschwerden, die eine Bewusstseinstrübung, eine Orientierungsstörung oder eine Panik unter Wasser auslösen können. Denn eine Einschränkung kognitiver Leistungen und/oder eine Panikreaktion beim Tauchen bringen prinzipiell die Gefahr des Ertrinkens mit sich. Auch sind Leiden beziehungsweise Organpathologien auszuschliessen, die das Risiko eines Barotraumas erhöhen. Durch schnelle und ausgeprägte Druckänderungen unter Wasser kommt es zu Volumenänderungen gasgefüllter Organe, zum Beispiel im Hals-, Nasenund Ohrenbereich, in der Lunge und im Magen-Darm-Trakt.
Hat der Hausarzt mit einem Taucher in seiner Praxis zu tun, muss er eines wissen: Der Begriff «Tauchtauglichkeit» kommt aus dem militärischen und kommerziellen Tauchen. Das bedeutet auch, dass die entsprechenden Untersuchungen durch militärische Dienstvorschriften beziehungsweise berufsgenossenschaftliche Grundsätze und Gesetze geregelt sind. Beim Sporttauchen sieht das anders aus: Für den Allgemeinarzt ist die Kontrolle der Tauchtauglichkeit eine tauchsportärztliche Konsultation. Dabei geht es weniger um die Bescheinigung einer Tauglichkeit, sondern vielmehr um eine Vorsorgeuntersuchung mit dem Ziel, medizinische Risiken des Patienten für das Sporttauchen abzuschätzen und ihn richtig zu beraten. Diese Untersuchung hat beim Sporttauchen keine gesetzliche Grundlage. Sie ist eine freiwillige Massnahme zur Tauchunfallprävention. Ob der Patient zu dieser Kontrolle geht, liegt in seinem eigenen Ermessen. Er muss in der Regel auch die entstehenden Kosten selbst tragen. Die tauchsportärztliche Untersuchung hat ihre medizinische Grundlage in einer einfachen wissenschaftlichen Erkenntnis: Der Aufenthalt des Menschen in einer extremen Umgebung, eingetaucht ins Wasser unter einem erhöhten und sich gegebenenfalls schnell verändernden Umgebungsdruck, ist mit gesundheitlichen Risiken behaftet – besonders bei bestimmten vorbestehenden Gesundheitsstörungen (1). Für den Arzt ist wichtig, im Rahmen der tauchsportärztlichen Kontrolle die Faktoren aufzudecken, die das Risiko für
Patient sollte fit sein
Auch wenn kein Mensch überdurchschnittliche körperliche und geistige Voraussetzungen erfüllen muss, um tauchen zu gehen, sollte doch eine gewisse gesundheitliche Fitness des Patienten vorliegen. Denn nicht selten muss er auf plötzliche, unerwartete physische und/oder psychische Belastungssituationen schnell und adäquat reagieren können. Hat er noch dazu kardiovaskuläre Probleme, die seine körperliche Belastbarkeit einschränken, ist auch sein Unfallrisiko deutlich erhöht. Die tauchsportärztliche Untersuchung sollte immer ein Kompromiss aus detaillierter Befragung des Tauchkandidaten und orientierender apparativer Untersuchung sein. In Deutschland hat die Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin (GTÜM) e. V. Empfehlungen zum Umfang und zu den Intervallen der Tauchtauglichkeitsuntersuchung bei Sporttauchern auf ihrer Homepage veröffentlicht (www.gtuem.org). Auch standardisierte Dokumente können dort heruntergeladen werden, wie der Untersuchungsbogen und das Zertifikat/Attest für die Tauchtauglichkeit. Der Untersuchungsumfang, der dort erläutert wird, bezieht sich auf die aktuellen Empfehlungen der GTÜM. Richtlinien und Formulare für die Schweiz finden sich auf der Homepage der Schweizerischen Gesellschaft für Unterwasserund Hyperbarmedizin (SUHMS) (www.suhms.org) in der Rubrik «Diving Medical Forms» (www.suhms.org/medical_ forms.html).
MERKSATZ
O Wiederholungen der Tauchtauglichkeitsuntersuchung sind bei Kindern jährlich, ab dem 18. Lebensjahr alle drei Jahre und ab dem 40. Lebensjahr wieder jährlich empfohlen.
Untersuchungsumfang und Fristen
Die ausführliche Befragung zur Krankenvorgeschichte stellt den Schwerpunkt der tauchsportärztlichen Untersuchung dar. Mit Blick auf die zuvor genannten Konditionen sollte nach vorbestehenden oder gegenwärtigen gesundheitlichen Störungen gesucht werden, die das Risiko eines Tauchunfalls erhöhen. Die allgemeine Anamnese ist, besonders bei der
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NACHGEFRAGT
Wer braucht die Tauchtauglichkeitsuntersuchung?
Wer kommt zur tauchsportärztlichen Untersuchung zu Ihnen: eher diejenigen, die ihr Hobby langfristig und ernsthaft betreiben wollen, oder junge Leute, die zur Probe «nur mal im Urlaub abtauchen» wollen? Dr. med. Harald Lettl: Es kommt «alles» vor: erfahrene Sporttaucher, die wissen, dass sie ohne gültige ärztliche Untersuchung keinen Versicherungsschutz haben, Anfänger, die Tauchkurse schon gebucht haben, oder auch Unerfahrene, die am nächsten Tag am Morgen fliegen wollen und auf den letzten Drücker eine Tauchtauglichkeitsuntersuchung brauchen. Den Letzteren kann man selten eine komplette Untersuchung mit Labor und Ergometrie anbieten. Sie bekommen keine Tauchtauglichkeit nach GTÜM bescheinigt. Diese Taucher können eventuell am Urlaubsort einen Arzt aufsuchen. Manche Veranstalter geben sich nur mit einer Unterschrift des Tauchers über dessen Tauchtauglichkeit zufrieden. Die beiden letzten Möglichkeiten sind nicht GTÜMkonform.
Sollten auch jene Personen tauchsportärztlich untersucht werden, die im Urlaub nur schnorcheln wollen, also langfristig nicht an ambitionierten Tauchsport denken? Gibt es da gerade für Ältere bestimmte Überlegungen?
Taucht gern selbst mal ab: Harald Lettl.
Lettl: Wer mittels Schnorchel nur in die Tiefe schauen will, ohne abzutauchen, braucht keine Untersuchung. Wer mit Schnorchel oder Gerät abtauchen will, braucht eine Tauchtauglichkeitsuntersuchung. Der Wasserdruck wirkt schon bei 1,5 Metern Wassertiefe schmerzhaft auf die Ohren. Taucher müssen zudem fit sein. Besonders Ältere sollten eine weitere Sportart konsequent betreiben. Ab dem 40. Lebensjahr ist die Ergometrie Pflicht. Mir persönlich gibt meine jährliche Ergometrie Sicherheit.
Dr. med. Harald Lettl ist niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und GTÜM-Taucharzt in Deutschland.
Wiederholungsuntersuchung, durch eine spezielle tauchmedizinische Anamnese zu ergänzen. Diese umfasst auch Fragen zum Tauchverhalten, zur Tauchexposition und zu Problemen beim Tauchen sowie zu Tauchzwischenfällen beziehungsweise -unfällen. Die körperliche Untersuchung sollte alle Organsysteme sowie die beidseitige Inspektion der Gehörgänge mit Spiegelung des Trommelfells einschliessen. Dabei sollte geprüft werden, ob ein Druckausgleich des Mittelohrs möglich ist, zum Beispiel im Rahmen eines Valsalvamanövers. Die sorgfältige Prüfung und Dokumentation von Reflex- und Pupillenstatus sind wichtig, da beides als Status quo bei einem Tauchunfall diagnostisch beziehungsweise zur Einschätzung des Therapieverlaufs hilfreich sein kann. Die apparative Untersuchung beinhaltet eine Spirometrie mit Fluss-VolumenKurve und ein Ruhe-EKG. In der Spirometrie sollte der Arzt insbesondere die Einsekunden- (FEV1) und die forcierte Vitalkapazität (FVC) sowie den Quotienten aus FEV1/FVC (Tiffeneau-Wert) ermitteln. Bestehen Herzbeschwerden oder liegen andere Vorerkrankungen beim Patienten vor, empfiehlt sich bei allen Tauchkandidaten ab dem 40. Lebensjahr eine Belastungsuntersuchung mit EKG, zum Beispiel auf dem Fahrradergometer. Auch Personen, die beschwerdefrei sind, sollten eine solche Kontrolle machen lassen. Dieser Check muss in regelmässigen Abständen wiederholt werden, um zu prüfen, ob sich der Gesundheitszustand des Sporttauchers verändert hat. Das Untersuchungsintervall
hängt vom Lebensalter ab. Die GTÜM empfiehlt die Wiederholungsuntersuchung bei Tauchern ab dem 18. Lebensjahr alle drei Jahre und ab dem 40. Lebensjahr jährlich aufgrund der dann stark steigenden Inzidenz von Herz-Kreislauf- und Stoffwechselerkrankungen. Bei Kindern und Jugendlichen wird generell die Nachuntersuchung nach einem Jahr empfohlen. Intermittierende Erkrankungen können eine Neubewertung der Tauchsportrisiken notwendig machen. Auch bei Tauchunfällen sollte der Hausarzt eine erneute Untersuchung veranlassen, bevor der Patient wieder tauchen geht. Die genannten Kontrollen sind, nach Empfehlungen der GTÜM, der Mindestumfang, der bei der tauchsportärztlichen Untersuchung geprüft werden sollte. Ergeben sich in deren Rahmen oder aus der Anamnese bestimmte Auffälligkeiten, kann eine erneute Abklärung notwendig sein, und gegebenenfalls können weitere apparative Untersuchungen und/ oder eine fachärztliche Konsultation erforderlich werden.
Tauglichkeitsattest
Der Arzt sollte die Befunde abschliessend mit dem Patienten besprechen und kritisch hinterfragen. Das Attest bescheinigt dem Taucher, dass sein medizinisches Risiko für den Tauchsport tolerabel ist. Auch bei bestimmten Abweichungen kann das Tauchen mit Einschränkungen vertretbar sein. Die GTÜM unterscheidet zwischen relativen und absoluten Kontraindikationen, also zwischen Befunden, die das Tauchen einschränken oder ausschliessen. Die detaillierten
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Schweizerische Gesellschaft für Unterwasser- und Hyperbarmedizin (SUHMS)
http://www.suhms.org/
Untersuchungsstandards und gemeinsamen Empfehlungen von GTÜM und der Österreichischen Gesellschaft für Tauchund Hyperbarmedizin (ÖGTH) gibt es als Fachbuch (2). Darin sind auch medizinische Grenzfälle genannt, bei denen die Expertenmeinungen zur Tauchtauglichkeit auseinandergehen. Das Tauchtauglichkeitsmanual von GTÜM, ÖGTH und SUHMS kann beim Sekretariat der SUHMS bestellt werden (suhms@datacomm.ch). Eine generelle Aussage zur Tauchtauglichkeit ist oft nicht möglich, und es muss eine Einzelentscheidung getroffen werden. Hier tragen sowohl der untersuchende Arzt als auch der Taucher ein hohes Mass an Verantwortung. Mit dem ärztlichen Zeugnis bescheinigt der ausstellende Mediziner, dass der Taucher beziehungsweise der Patient gemäss den Empfehlungen der jeweiligen Fachgesellschaft für die Tauglichkeit zum Gerätetauchen untersucht wurde und aufgrund der Untersuchungsergebnisse keine Hinweise auf gesundheitliche Beschwerden vorliegen, die eine absolute Kontraindikation zum Tauchen sind. Der Arzt kann dabei Einschränkungen der normalen Tauchtauglichkeit festhalten, vor allem sobald relative Kontraindikationen vorliegen. So kann der Patient zum Beispiel die empfohlene maximale Tauchtiefe reduzieren oder das Tauchgangsprofil anderweitig anpassen, um seine Risiken zu minimieren.
Wer attestiert die Tauglichkeit? Es gibt, wie erwähnt, keine gesetzlich festgelegten Anforderungen an die tauchsportärztliche Untersuchung oder an die Ausbildung und die Kenntnisse von Ärzten, die eine Tauchtauglichkeit für Sporttaucher attestieren. Die tauchsportärztliche Untersuchung muss jedoch eine umfassende und gewissenhafte Anamnese einschliesslich der Abfrage tauchspezifischer Risikofaktoren umfassen. Dies setzt voraus, dass der untersuchende Arzt über die notwendige Ausbildung verfügt (3). Es liegt in der Eigenverantwortung des einzelnen Arztes, seine tauchmedizinischen Kenntnisse zu vertiefen, zum Beispiel durch die Teilnahme an entsprechenden
Fortbildungen beziehungsweise den Erwerb von Fachqualifikationen durch Curricula tauchmedizinischer Fachgesellschaften. In der Schweiz führt die SUHMS Kurse und Fortbildungen zur Tauchmedizin und zur hyperbaren Therapie durch. Sie sind Vorsetzung für den «Fähigkeitsausweis Tauch- und Hyperbarmedizin (SUHMS)» (siehe www.suhms.org). Wie in anderen Ländern ist die Attestierung der Tauchtauglichkeit in der Schweiz aber nicht an diesen Fähigkeitsausweis gebunden. Listen von Schweizer Ärztinnen und Ärzten, die zumindest über das Zertifikat «medical examiners of divers» der SUHMS oder auch über den weitergehenden Fähigkeitsausweis verfügen, stehen auf der Homepage der SUHMS zur Verfügung.
Fazit Dem Arzt sollte immer klar sein: Aus der Anamnese beziehungsweise den Untersuchungsbefunden können sich weitere Zusatzuntersuchungen ergeben, wie Labor, Röntgen oder Ultraschall. Ob diese Leistungen fakultativ sind oder eine medizinische Notwendigkeit im Rahmen einer weiterführenden Diagnostik darstellen, ist im Einzelfall zu prüfen. O
Prof. Dr. med. Kay Tetzlaff Medizinische Klinik, Abteilung Sportmedizin Universitätsklinikum Tübingen D-72076 Tübingen E-Mail: kay.tetzlaff@klinikum.uni-tuebingen.de
Prof. Dr. med. Claus-Martin Muth Klinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Ulm D-89075 Ulm E-Mail: claus-martin.muth@uni-ulm.de
Interessenlage: Kay Tetzlaff und Claus-Martin Muth sind Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin der GTÜM e.V.
Literatur: 1. Klingmann C, Tetzlaff K: Moderne Tauchmedizin 2012. 2. Aufl., Gentner, Stuttgart. 2. Gesellschaft für Tauch- und Überdruckmedizin e.V.: Checkliste Tauchtauglichkeit
2014. 2.Aufl., Gentner, Stuttgart. 3. Scharpenberg B: Juristische Aspekte zur ärztlichen Untersuchung der Tauchtauglich-
keit. Caisson 2015; 30(3): 32–36.
Dieser Artikel erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 6/2017 und wurde für die Schweiz von der Redaktion ARS MEDICI überarbeitet. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren.
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