Transkript
FORTBILDUNG
Ist mein Patient flugtauglich?
Reisen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen
Die Anzahl von Flugreisen ist in den letzten Jahrzehnten rapide gestiegen, und Flugzeuge gelten nach wie vor als sicherstes Transportmittel. Doch ist der Aufenthalt im Flieger – bei veränderten Druckbedingungen und Luftverhältnissen – auch dann noch sicher, wenn der Gesundheitszustand des Reisenden bedenklich ist, etwa bei einer Lungenerkrankung oder nach einer erst kürzlich überstandenen Operation? Häufig ist in diesen Fällen der Hausarzt der erste Ansprechpartner und Vermittler bei Abstimmungen mit dem medizinischen Dienst der Fluggesellschaft.
Yvonne Schönfelder
2015 wurde im deutschen Passagierluftverkehr ein neuer Rekord aufgestellt: Über 85 Millionen Flugpassagiere starteten von deutschen Flughäfen aus ins Ausland (1). Damit dürfte sich auch die Zahl der Reisenden erhöht haben, bei denen eine akute oder chronische Erkrankung vorliegt und die deswegen unsicher sind, ob sie die Flugreise überhaupt antreten können. Zur Überprüfung der Flugtauglichkeit wird dann vor der Reise häufig als Erstes der Hausarzt aufgesucht.
Atmosphärische Bedingungen an Bord beachten Neben der Reisedauer, die aufgrund der Immobilität der Passagiere relevant ist, muss der Arzt bei der Überprüfung der Flugtauglichkeit insbesondere die veränderten atmosphärischen Bedingungen in der Flugkabine und deren physiologischen Auswirkungen auf den Körper berücksichtigen. Hier wird es physikalisch: Bei regulären Langstreckenflügen wird eine Flughöhe von etwa 12 000 m ü. M. erreicht. Die Druckkabinen können diese Höhe allerdings so weit ausgleichen, dass im Flugzeug atmosphärische Bedingungen herr-
MERKSÄTZE
O Patienten mit Lungenerkrankungen sind als flugtauglich einzustufen, wenn auf Meereshöhe und bei Raumluft die Sauerstoffsättigung bei > 92 Prozent, der Sauerstoffpartialdruck bei > 70 mmHg und der Kohlenstoffdioxidpartialdruck bei > 45 mmHg liegt.
O Der medizinische Dienst der Airline entscheidet final über die Flugtauglichkeit des Patienten und organisiert den notwendigen Unterstützungsbedarf.
schen, die einer Höhe von maximal 2400 m ü. M. entsprechen. Trotzdem: Mit steigender Höhe nimmt der Luftdruck und damit der Sauerstoffpartialdruck (paO2) der Einatmungsluft ab (von 160 mmHg auf 118 mmHg bei maximaler Flughöhe); man spricht hier von einer hypobaren Hypoxie. Dies entspricht einem Sauerstoffanteil auf Meereshöhe von 15 Prozent (statt der üblichen 21%). Darüber hinaus dehnen sich mit zunehmender Druckabnahme Gase aus, was sich am ehesten bei den gefangenen Gasen in den Nebenhöhlen und im Mittelohr bemerkbar macht (Volumenzunahme um ca. 30% bei maximaler Flughöhe). Zusätzlich reduziert sich unter der Druckabnahme die Menge an gelösten Gasen in Körperflüssigkeiten. Dies ist beispielsweise bei vorhergehenden Tauchgängen oder bei plötzlichem Druckabfall im Flieger von Relevanz. Diese Betrachtungen müssen vor dem Hintergrund der Grunderkrankung des Patienten in die Beurteilung des Arztes einbezogen werden.
Richtlinien der Airlines beachten
Viele Fluggesellschaften legen eigene Kriterien zur Beurteilung der Flugtauglichkeit fest, sodass international unterschiedliche Richtlinien gelten. Auf Basis dieser Richtlinien behalten sich die Airlines das Recht vor, die Beförderung von Passagieren unter bestimmten Bedingungen abzulehnen. Einzusehen sind die Kriterien in den Beförderungsbedingungen der Fluggesellschaft, die auf den jeweiligen Websites zu finden sind. So könnte beispielsweise laut Bestimmungen der Fluggesellschaft Air Berlin die Beförderung eines Passagiers innerhalb der ersten vier Tage nach Anlegen eines Gipsverbands aus Sicherheitsgründen verweigert werden. Der Arzt entscheidet daher nicht allein über die Flugtauglichkeit seines Patienten. Nach Beurteilung des Gesundheitszustands muss Kontakt mit dem medizinischen Dienst der jeweiligen Fluggesellschaft aufgenommen werden. Auf der Website der Airline Lufthansa findet man beispielsweise das sogenannte MEDA-Formular, über welches der Arzt dem medizinischen Dienst alle relevanten Informationen zur Erkrankung des Patienten sowie gegebenenfalls notwendige Unterstützungsmassnahmen mitteilt. Der medizinische Dienst der Airline entscheidet final – wenn notwendig nach Rücksprache mit dem Arzt – über die Flugtauglichkeit und organisiert ebenfalls den notwendigen Unterstützungsbedarf für den Reisenden.
Flugtauglich trotz Lungenerkrankung?
Patienten mit Atemwegserkrankungen sind von den atmosphärischen Bedingungen an Bord besonders betroffen. Die Auswirkungen der oben beschriebenen hypobaren Hypoxie müssen bei ihnen in erster Linie bei der Untersuchung
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berücksichtigt werden. Neben der Untersuchung der Lungenfunktion können Ventilationsstörungen, pH-Verschiebungen und CO2-Retention zur Beurteilung der Flugtauglichkeit hinzugezogen werden. Die Blutgasanalyse gibt Aufschluss über das Risiko einer Sauerstoffunterversorgung während des Flugs – bei normalem Befund sind in der Regel keine Komplikationen zu befürchten (3). Auch der 50-Meter-Gehstrecken-Test ohne relevante Dyspnoe hat eine gute Aussagekraft. Der arterielle paO2 sollte bei diesen Patienten während des Flugs nicht unter 50 mmHg abfallen. Um dies vorab sicherzustellen, muss der Patient in Ruhe und bei Raumluft einen paO2 von> 70 mmHg aufweisen. Von Höhentoleranz kann bei einer Vitalkapazität von > 3 l und einer FEV1 von > 50 Prozent gesprochen werden. Ist eine zusätzliche Sauerstoffzugabe während des Flugs notwendig (bei Patienten mit paO2 < 70 mmHg oder etablierter Langzeitsauerstoffgabe), besteht die Möglichkeit, einen portablen oder einen durch die Fluggesellschaft bereitgestellten Sauerstoffkonzentrator einzurichten. Auch dies muss mit dem medizinischen Dienst abgesprochen werden. Als nicht flugtauglich werden lungenkranke Patienten unter den folgenden Bedingungen eingestuft: O bei vorliegender Globalinsuffizienz und einem Anstieg des paCO2 um > 5 mmHg unter Sauerstoff (Ausgangswert > 45 mmHg) O bei paO2 < 70 mmHg unter Sauerstoffgabe von 4 l/min O bei Vorliegen eines nicht drainierten Pneumothorax. Fliegen mit Herzerkrankungen meist nur in fortgeschrittenen Stadien kritisch Die beschriebene hypobare Hypoxie wird zwar gemeinhin mit einer O2-Flussrate von 2 l/min vollständig kompensiert, jedoch bewirkt eine Sauerstoffsättigung von nur 80 Prozent eine Steigerung des Herzzeitvolumens über den Anstieg der Herzfrequenz bei gleichbleibendem Blutdruck. Gut eingestellte Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit (Stadium CCS I und II) oder Herzinsuffizienz (Stadium NYHA I und II) sind unkritisch zu sehen. Bei den Stadien NYHA III beziehungsweise CCS III sollte dagegen zusätzlicher Sauerstoff während der Flugreise eingesetzt werden, bei den Stadien NYHA IV beziehungsweise CCS IV wird der Patient als fluguntauglich eingestuft. Patienten mit Herzschrittmacher oder einem implantierbaren Kardioverter-Defibrillator können ohne Bedenken fliegen. Sie sollten aufgrund der Metalldetektoren jedoch bei der Sicherheitskontrolle Bescheid geben, es wird dann eine manuelle Kontrolle durchgeführt. Umgang mit Frakturen Nicht selten finden Ferien in Skigebieten und anderen Regionen, in denen viel Sport betrieben wird, aufgrund von Unfällen ein abruptes Ende. Schnellstmöglich möchten solche Patienten zurück in die Heimat. Bei Reisenden mit Gipsverband ist auf den gegebenenfalls von der Airline vorgegebenen zeitlichen Abstand zwischen Anlegen des Gipses und Flug zu achten. Empfohlen wird eine Wartezeit von mindestens 24 Stunden bei einer Flugdauer von höchstens 2 Stunden. Bei längeren Flügen sollten mindestens 48 Stunden seit Gipsanlegung vergangen sein. Zum anderen muss es sich um einen gespaltenen Gips beziehungsweise einen Gips mit Dehnungsfuge handeln, da sich Wunden aufgrund des niedrigeren Luftdrucks im Flieger ausdehnen können. Im Übrigen ist bei Frakturen im Bereich der Wirbelsäule, des Beckens oder der Oberschenkel, die einen Liegendtransport erfordern, zu beachten, dass dieser frühzeitig bei der Airline angemeldet und von einer Fachperson begleitet wird. Bei Langstreckenflügen, die liegend erfolgen müssen, ist aufgrund der Immobilisation auch immer eine präventive Blutverdünnung in Erwägung zu ziehen. Dies gilt darüber hinaus auch bei Vorliegen von thromboembolischen Ereignissen, bei denen die Behandlung mit Heparin oder den neuen oralen Antikoagulanzien erfolgen kann. Ansteckungsschutz der Mitreisenden von grösster Bedeutung Infektionskrankheiten bringen einen weiteren Faktor mit ins Spiel, denn hier geht es nicht allein um die Sicherheit des Patienten, sondern auch um diejenige der Mitreisenden. Um eine Ansteckung zu vermeiden, besteht daher bei Vorliegen einer Infektionskrankheit ein generelles Flugverbot – unter Berücksichtigung des klinischen Verlaufs und der Inkubationszeit der jeweiligen Infektion. Im Fall einer asymptomatischen Tuberkulose beispielsweise kann der Patient nach zweiwöchiger Therapie eine Flugreise antreten, bei einer multiresistenten Tuberkulose muss der Transport jedoch unbedingt isoliert erfolgen. Unterstützung durch Begleitperson Eine besondere Gruppe bilden Patienten mit psychiatrischen Er- krankungen. Generell steht bei guter medikamentöser Einstellung einer Flugreise nichts im Weg, dagegen gelten akut psychotische Patienten als fluguntauglich. Besonders für phobische Patienten kann die beengte, fremde Situation an Bord problematisch sein; hier gilt es, Agitationen zu vermeiden. Oftmals ist eine bekannte Begleitperson für den kompletten Flug hilfreich oder bei Orientie- rungsproblemen ein Begleitservice, der die Wege am Flughafen bis zum Einstieg in den Flieger begleitet. Grosse Unsicherheit bezüglich möglicher Gefahren beim Fliegen herrscht sehr häufig bei Schwangeren. Hier gilt die Regel, dass bei einem unkomplizierten Schwangerschaftsverlauf Flüge bis zur 36. Schwangerschaftswoche (SSW) möglich sind, bei Mehrlings- schwangerschaften bis Ende der 32. SSW. Ab dann greifen im Übrigen auch die Richtlinien der IATA (International Air Transport Association), nach denen Schwangere ab der 36. SSW nicht mehr als Fluggäste akzeptiert werden dürfen (4). Vorher sollte zur Sicherheit ein ärztliches Zeugnis mit der Bescheinigung «fit-to-fly» mitgeführt werden. Zudem ist aufgrund des erhöhten Thrombose- risikos das Tragen von Stützstrümpfen angeraten. Die Strahlen- exposition während der Schwangerschaft wird entgegen häufigen Befürchtungen als unbedenklich eingeschätzt. So liegt die zusätzli- che Strahlendosis bei einem Langstreckenflug im Bereich von rund 5 Prozent der durchschnittlichen jährlichen Dosis durch natürliche Strahlung (5). O Yvonne Schönfelder Verlag Kirchheim + Co GmbH Redaktion «Der Allgemeinarzt» Kaiserstrasse 41 D- 55116 Mainz Internet: www.allgemeinarzt-online.de Literatur unter www.arsmedici.ch Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 6/2017. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin. ARS MEDICI 12 I 2017 547 FORTBILDUNG Literatur: 1. Stutz A, Ensslin A: Praxis (2016), 15 (14): 821–827. 2. Statistisches Bundesamt. 3. Informationsblatt der Deutschen Atemwegsliga e.V., Tipps für Flugreisen mit ob- struktiven Atemwegserkrankungen; http://www.atemwegsliga.de/informationsmaterial-wohnen-und-freizeit.html 4. IATA Medical Manual. 8. Auflage, April 2016; http://www.iata.org/medical-manual 5. GSF (Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit, Kommunikation) und FLUGSFachinformationsdienst; Kosmische Strahlung beim Fliegen; http://www.helmholtzmuenchen.de/fileadmin/EPCARD-Portal/PDF/Strahlung_Fliegen.pdf ARS MEDICI 12 I 2017