Transkript
FORTBILDUNG
Barotrauma beim Fliegen vermeiden
Den Druck vom Ohr nehmen
Unangenehmes Druckgefühl, Schmerzen im Ohr und eingeschränktes Hörvermögen während einer Flugreise – insbesondere während der Landung – sind die typischen Symptome eines Barotraumas. Diese Druckverletzung ist meist harmlos und reversibel, kann jedoch auch ernste Folgen für die Ohren und das Hörvermögen nach sich ziehen.
Jens Bielenberg
Ein Barotrauma ist eine Gesundheitsstörung, die durch Unter- oder Überdruck in lufthaltigen Körperhöhlen entsteht und durch schnellen Druckwechsel beim Tauchen oder Fliegen verursacht ist. Das Barotrauma kann zu Erkrankungen des Mittelohrs führen, im Extremfall zu Schwerhörigkeit oder Trommelfelleinziehung bis hin zum Hörverlust. Über Ohrbeschwerden beim Fliegen – mit zeitweise eingeschränktem Hören und auftretenden Schmerzen – klagen 65 Prozent der Kinder und 46 Prozent der erwachsenen Flugpassagiere (1). Den meisten Menschen sind leichtere Formen aus Bergbahnen, beim Autofahren im Gebirge oder beim Fliegen (Start und Landung) bekannt. Meist lassen sie sich durch Schlucken oder kräftigen Ausatmungsdruck bei geschlossenen Lippen und zugehaltener Nase (Valsalva-Manöver) beheben. Es können auch Ohrschmerzen auftreten sowie Einblutungen ins Mittelohr, Einreissen des Trommelfells, Hörverschlechterungen und Drehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen. Kleinkinder sind wegen der anatomischen Beschaffenheit ihrer Tuben besonders häufig betroffen. Kinder leiden zudem
MERKSÄTZE
O Druckschwankungen beim Fliegen können Schäden an Trommelfell, Mittelohr und Innenohr nach sich ziehen.
O Zum Druckausgleich dienen das Valsalva- und das FrenzelManöver.
O Mögliche Hilfsmittel sind schleimhautabschwellende Nasentropfen und spezielle Ohrenstöpsel.
öfter an viralen Infektionen der oberen Atemwege, die eine verstopfte Nase und einen beeinträchtigten Druckausgleich über die Eustachi-Röhre zur Folge haben.
Barotrauma – Folgen für das Hörorgan
Beim Fliegen treffen während der Start- und der Landephase starke Luftdruckschwankungen auf das Trommelfell. Diese Druckschwankung wiederum kann eine ganze Palette gesundheitlicher Folgen nach sich ziehen, wie das Reissen des Trommelfells mit anschliessender Schallleitungsschwerhörigkeit auf dem verletzten Ohr. Bleibt das Trommelfell stabil, wird der starke Druckimpuls hingegen auf die Kette der Gehörknöchelchen übertragen. Dabei können Hörknöchelchen brechen oder bindegewebige Verbindungen zerreissen. Solche Schädigungen sind schwer zu operieren und bergen für den Patienten ein erhöhtes Risiko, dauerhaft schwerhörig zu bleiben. Schlimmstenfalls halten zwar die Gehörknöchelchen der Belastung stand, stattdessen reisst dann aber das ovale Fenster (Fenestra vestibuli) zum Innenohr. Ein ähnlicher Effekt tritt auf, wenn durch die Druckschwankung das runde Fenster (Schneckenfenster) zerreisst, das für den Druckausgleich zwischen Innen- und Mittelohr sorgen soll. In extremen Fällen zerfetzt der Druck sowohl das ovale als auch das runde Fenster. Die Nervenenden im Corti-Organ sterben dann innerhalb weniger Stunden ab, und die Hörfähigkeit erlischt.
Wie machen das Piloten?
Unter diesen Aspekten drängt sich die Frage auf, wie Piloten mit dem Problem des Barotraumas umgehen. Eine aktuelle Publikation dokumentiert, dass Barotraumen eine potenzielle Gefahr für die Flugsicherheit darstellen. Am dänischen Aeromedical Center wurden 463 Piloten mit Hals-NasenRachen-Barotrauma und Infektionen der oberen Atemwege befragt (2). Die Antworten verglich man mit den Antworten von 940 Piloten, denen man zehn Jahre zuvor die gleichen Fragen gestellt hatte (3). Innerhalb dieser zehn Jahre erhöhte sich der Anteil jener Piloten von 42,8 auf 50,1 Prozent, die trotz der Anzeichen einer Infektion der oberen Atemwege fliegen. Der Anteil der Personen, die dekongestiv wirksame Nasentropfen verwendeten, stieg von 43,3 auf 59,5 Prozent. Während zuvor 37,4 Prozent der Piloten mehr als ein Barotrauma erlitten hatten, waren es nunmehr 55,5 Prozent. Von einer Barosinusitis (Entzündung einer oder mehrerer Nasennebenhöhlen durch ein Barotrauma nach dem Fliegen oder Tauchen) waren vor zehn Jahren 19,5 Prozent betroffen, jetzt waren es 27,9 Prozent; die Hälfte dieser Piloten flog
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trotz der Symptome einer Barosinusitis. Auch stuften mehr Berufsflieger als vor zehn Jahren diese Nasennebenhöhlenentzündung nicht als Grund für eine Krankmeldung ein, entgegen anderslautender internationaler flugmedizinischer Empfehlungen.
Druckkabine gegen dünne Luft
Bekanntlich wird die Luft mit zunehmender Höhe immer dünner. Moderne Verkehrsflugzeuge sind deshalb mit einer Druckkabine ausgestattet, damit der Luftdruck annähernd erhalten bleibt. Das Flugzeug wird quasi aufgepumpt, was bedeutet, dass sich zum Beispiel der Umfang bei einem A340 dabei um 26 Zentimeter dehnt, was eine starke Belastung der Flugzeugzelle darstellt. Der Druck in der Kabine wird jedoch während des Flugs mit zunehmender Höhe leicht abgesenkt. Der Passagier erlebt einen Höhenanstieg bis auf etwa 2400 m. Damit der Druck trotz der Luftzufuhr in die Kabine nicht immer höher wird, sorgt ein Ventil für einen permanenten Ausgleich mit der Atmosphäre und hält den Überdruck im Flugzeug im Rahmen. Gesteuert von einem Rechner, überwacht das Auslassventil die Druckveränderungen in der Kabine und lässt möglichst gleichmässig Luft in die Umgebung ab. Dabei werden auch die Flughöhe und der Aussendruck beachtet, die beide in die Berechnung des Druckausgleichs in der Kabine eingehen.
Druckunterschied und gesundheitliche Beschwerden
Bei einem Höhenunterschied von 122 m verändert sich der Luftdruck um 15 mm Quecksilbersäule. Diese Druckdifferenz kann eine funktionierende Eustachi-Röhre recht gut ausgleichen. Während des Landeanflugs wölbt sich mit zunehmendem Luftdruck das Trommelfell nach innen. Die Ohrtrompete als mechanisches Hindernis widersetzt sich dem Ausstrom der Luft aus dem Innenohr. Bei grösseren Druckdifferenzen gibt es gesundheitliche Auswirkungen: O 60 mmHg: unangenehmes Druckgefühl O 90 mmHg: Verschluss der Eustachi-Röhre, Druckausgleich
unter keinen Umständen mehr möglich; kräftige Ohrenschmerzen O 100 bis 150 mmHg: Trommelfellriss mit Beendigung des Schmerzes, aber Hörverlust, häufig auch Schwindel, Erbrechen.
Eustachi-Röhre: Ohrtrompete belüftet Mittelohr
Die Eustachi-Röhre ist beim Erwachsenen ungefähr 3,75 cm lang und sitzt an der Rückseite des Rachens, etwa auf Höhe der Nasenlöcher. Die Röhre ist normalerweise geschlossen, hat aber eine hohe, variable Durchlässigkeit. Manche Personen mit enger oder teilweise versperrter Röhre haben Probleme, einen Druckausgleich im Mittelohr herbeizuführen. So besitzt die Tube durch ihren Biegungswinkel und ihre Form die Fähigkeit, das Mittelohr unter erhöhten Druck setzen zu können. Individuen mit verhältnismässig grossen Nasennebenhöhlen sind gegenüber Druckveränderungen weniger tolerant, da die tatsächliche Volumenänderung im Mittelohr für einen vorgegebenen Höhenabstieg, der mit einem Druckanstieg einhergeht, grösser ist. Zur Hälfte ist die Eustachi-Röhre knöchern umgeben, die membranöse andere Hälfte kann Druckänderungen des Atmungssystems aufnehmen. Auch beim Schlucken ziehen Muskeln des weichen Gaumenzugs an dem Tubus, wodurch sie sich öffnet.
Manöver zum Druckausgleich
Da der Druckausgleich im Innenohr vor allem über die Eustachi-Röhre erfolgt, liegt es nahe, durch Gähnen, Kauen oder Schlucken diesen Ausgleich herzustellen. Sollte das nicht ausreichen, bietet sich, wie erwähnt, das Valsalva-Manöver als Massnahme an. Während die Nasenlöcher mit den Fingern verschlossen werden, baut sich Druck in der Brust auf. Durch die geschlossenen Nasenlöcher wird ausgeatmet. Dabei können jedoch durch «venöses Blutpooling» Synkopen oder durch Lungendehnung kardiale Arrhythmien provoziert werden (1). Durch das Frenzel-Manöver können diese Auswirkungen – besonders wichtig für Piloten – vermieden werden. Hermann Frenzel war ein deutscher Luftwaffenkommandeur, der diese Technik während des Zweiten Weltkriegs besonders für Sturzflüge entwickelte. Dabei wurden die Stimmbänder aktiv geschlossen (als ob man ein schweres Gewicht heben will) und die Nasenlöcher zugehalten. Nun versucht man, mit der Zunge ein «K» oder ein «Guh» zu bilden. Dabei heben sich das rückseitige Drittel der Zunge sowie der Adamsapfel an. In den oberen Atemwegen wird Luft komprimiert und Druck aufgebaut, wodurch das Mittelohr über die Tube ventiliert werden kann.
Der Kabinendruck wird beim Abstieg aus der Reiseflughöhe (ca. 10 000 m) in den meisten Linienmaschinen kontinuierlich um insgesamt 80 mmHg erhöht. Am Boden beträgt der übliche Luftdruck 1013 hPa, während des Flugs 750 hPa, was einer Höhe von etwa 2400 m entspricht. Die Druckänderungsgeschwindigkeit liegt bei rund 18,3 hPa/min im Steigflug und bei 11,0 hPa/min im Sinkflug (4). Die Schwere eines Barotraumas steht in engem Zusammenhang mit diesem Druckgradienten. Funktioniert der Druckausgleich durch die Tube beim Steigflug nicht ausreichend, expandiert im Steigflug die Luft im Mittelohr, sodass sich das Trommelfell nach aussen wölbt. Schwieriger sind die Verhältnisse beim Sinkflug. Hier entsteht im Mittelohr ein Unterdruck, das Trommelfell wölbt sich nach innen. Der Druckausgleich muss aktiv durch das Lippenventil der Tube erfolgen.
Medikamentöse Prävention
Bei verstopfter Nase infolge viraler Infekte oder bei Allergien scheinen vor allem systemische oder topische, die Nasenschleimhaut abschwellende Arzneistoffe sinnvoll zu sein, wie Pseudoephedrin oder Imidazole (z.B. Xylometazolin oder Oxymetazolin), um eine durch Schleim verschlossene Eustachi-Röhre zu öffnen und für den Druckausgleich frei zu machen. Ist das passive Öffnen der Tuben infolge hoher Schleimviskosität im Lumen nicht möglich, kann ein Druckausgleich über die Ohrtrompete nicht stattfinden. Wie in der dänischen Studie beschrieben wurde, nutzen Piloten häufig Dekongestiva (59,5%) (2). Manche Fluggesellschaften empfehlen abschwellende Nasensprays zur Vorbeugung eines Barotraumas. Eine Untersuchung mit 36 Patienten zwischen 12 und 75 Jahren, die eine trockene zentrale Perforation des Trommelfells aufwiesen,
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kommt zu dem Ergebnis, dass die topische Anwendung eines abschwellenden Medikaments – jedoch bei unphysiologisch hohem Druck (nach Valsalva-Manöver) – die Funktion der Eustachi-Röhre verbessern kann. 18 Patienten erhielten nach erfolglosem Valsalva-Manöver xylometazolinhaltige Nasentropfen (0,1%) direkt in die pharyngeale Öffnung der Eustachi-Röhre. Eine Kontrollgruppe von 17 Patienten bekam Plazebo (0,9% Kochsalzlösung). Nur ein Patient der Plazebogruppe zeigte anschliessend ein erfolgreiches Valsalva-Manöver. In der Verumgruppe verspürten jedoch zehn Patienten einen deutlich positiven Effekt.
Empfindlichkeit bei Druckdifferenzen während des Fliegens,
vor allem im Landeanflug.
Eine präventiv wirksame Massnahme kann die Gabe von
schleimhautabschwellenden Nasentropfen bei Infektionen
sein, obwohl hier kontroverses Datenmaterial vorliegt.
Physikalische Massnahmen und Kaubewegungen (Kau-
gummi), Schlucken (bei Babys durch Stillen erreichbar) und
Druckaufbau (Valsalva-Manöver) sind hilfreich.
Als wirksam haben sich Ohrenstöpsel erwiesen, die Druck-
veränderungen besser regulieren und dadurch die Funktion
der Eustachi-Röhre optimieren.
O
Physikalische Methoden der Prävention
Bei vielen Passagieren ist die Eustachi-Röhre wegen eines akuten (viralen) Infekts der oberen Luftwege in ihrer Funktion behindert und lässt sich nicht durch aktive Massnahmen wie Kauen oder Schlucken ausreichend öffnen. Der Druckausgleich unterbleibt also, mit entsprechender Trommelfellverschiebung und klinischer Symptomatik. Besonders Kinder sind betroffen, bei denen die Ohrtrompete noch nicht vollständig ausgebildet ist. Mit einem speziell entwickelten Filter, der in Ohrenstöpseln integriert ist, ist ein kontinuierlicher Druckausgleich zwischen Umgebung (Flugzeugkabine) und Mittelohr möglich (z.B. Sanhora Fly, Alpine FlyFit, earPlanes). Besonders beim Abstieg ist eine bessere Adaption der Druckdifferenzen zu erreichen (1). Solche Ohrstöpsel sollten vor allem bei der Landung des Flugzeugs verwendet werden. In der Startphase dagegen nimmt der Kabineninnendruck rasch ab. Ein solcher Druckabfall ist für ein gesundes Ohr in der Regel problemlos, weil die Eustachi-Röhre den relativen Überdruck im Mittelohr nur passiv ablassen muss.
Jens Bielenberg
Apotheker
Raphael-Apotheke
Bahnhofstrasse 53
D-25364 Westerhorn
E-Mail: jens.bielenberg@t-online.de
Interessenkonflikte: Der Autor erhielt ein Autorenhonorar von der Firma Sanohra.
Literatur: 1. Held K.: Barotrauma im Flugzeug. Flug- und Reisemedizin 2006; 2: 8. 2. Boel NM, Klokker M: Upper respiratory infections and barotrauma among commercial
pilots. Aerosp Med Hum Perform 2017; 88(1): 17–22. 3. Rosenkvist L et al.: Upper respiratory infections and barotraumas in commercial
pilots: a retrospective survey. Aviat Space Environ Med 2008; 79(10): 960–963. 4. Schmitz G: Klimatisieren von Flugzeugkabinen. 15.1.2004. Technische Universität
Hamburg-Harburg. 5. Jensen JH et al.: Topical application of decongestant in dysfunction of the Eustachyan
tube: A randomised, doubleblind, placebo-controlled trial. Clin Otolaryngology 1990; 15: 197–201. 6. van Herbeek N et al.: No effect of a nasal decongestant on Eustachian tube function in children with ventilation tubes. Laryngoscope 2002; 112: 1115–1118.
Fazit
Die anatomischen Besonderheiten der Eustachi-Röhre und Infekte in den oberen Luftwegen verursachen eine besondere
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 6/2017. Die leicht überarbeitete Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. Die Aufzählung verschiedener Ohrstöpsel wurde durch die Redaktion ARS MEDICI ergänzt.
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