Transkript
STUDIE REFERIERT
Schützt Vitamin D vor Atemwegsinfektionen?
Neue Metaanalyse weist einen (geringen) protektiven Effekt nach
Beobachtungsstudien zeigen eine Assoziation zwischen niedrigen 25-Hydroxyvitamin-D-Werten im Serum und einer Anfälligkeit gegenüber respiratorischen Infekten. Kann man sich durch die Einnahme von Vitamin-D-Supplementen vor akuten Atemwegsinfekten schützen?
British Medical Journal
25-Hydroxyvitamin D unterstützt die Induktion antimikrobieller Peptide als Reaktion auf virale und bakterielle Stimuli – dies könnte ein potenzieller Wirkmechanismus sein, über den Vitamin D eine protektive Wirkung gegenüber Atemwegskeimen entfaltet. Randomisierte, kontrollierte Studien (RCT), in denen Vitamin D zur Prävention von Atemwegsinfekten gegeben wurde, brachten widersprüchliche Ergebnisse. Eine Möglichkeit, Faktoren zu identifizieren, die diese Heterogenität erklären können, ist die sogenannte IPD-(«individual participant data»-) Metaanalyse. Bei der IPD-Methode werden individuelle Teilnehmerdaten ausgewertet, nicht die Endergebnisse der einzelnen Studien. Ein internationales Forscherteam führte kürzlich eine solche IPD-Metaanalyse durch, um herauszufinden, ob eine Vitamin-D-Supplementierung Atemwegsinfekte verhindert und welche Faktoren diesen Effekt gegebenenfalls modifizieren können. In ihre Metaanalyse schlossen die Autoren randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudien ein, in denen Personen zwischen
MERKSÄTZE
O Vitamin-D-Supplemente können gemäss der aktuellen Metaanalyse vor Atemwegsinfekten schützen.
O Am meisten schienen Personen mit Vitamin-D-Mangel zu profitieren.
O Nicht alle Experten teilen jedoch die Ansicht, dass Vitamin D zur Prävention nicht muskuloskelettaler Erkrankungen verabreicht werden sollte.
0 und 95 Jahren Vitamin-D3- oder Vitamin-D2-Supplemente erhielten. 25 Studien erfüllten die Einschlusskriterien, insgesamt lagen für 10 933 Teilnehmer individuelle Daten vor.
Patienten mit ausgeprägtem
Vitamin-D-Mangel profitieren
am meisten
Die Gabe von Vitamin D reduzierte das Risiko für akute Atemwegsinfektionen in der Gesamtkohorte (adjustierte Odds Ratio [OR]: 0,88; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,81–0,96; NNT [number needed to treat] = 33). In der Subgruppenanalyse beobachteten die Untersucher protektive Effekte bei Teilnehmern, die täglich oder wöchentlich Vitamin D, jedoch keine zusätzlichen Bolusgaben erhielten (adjustierte OR: 0,81; 95%-KI: 0,72–0,91; NNT = 20), nicht jedoch bei denjenigen, die eine oder mehrere Bolusdosen bekamen. Unter den Probanden, die täglich oder wöchentlich Vitamin D einnahmen, war der Schutzeffekt bei denjenigen mit einem 25-Hydroxyvitamin-D-Ausgangswert < 25 nmol/l grösser (NNT = 8) als bei denjenigen mit Ausgangswerten ≥ 25 nmol/l (kein statistisch signifikanter Effekt). Am grössten war die Schutzwirkung bei Teilnehmern, die anfangs einen ausgeprägten Vitamin-DMangel aufgewiesen hatten (NNT = 4). Vitamin D hatte keinen Einfluss auf den Anteil der Teilnehmer, die mindestens ein schweres unerwünschtes Ereignis erlitten.
Fazit der Autoren
Die Supplementierung mit Vitamin D war sicher und schützte insgesamt vor akuten respiratorischen Infekten. Patienten mit ausgeprägtem Vitamin-D-
Kritisches Editorial
Die Vitamin-D-Supplementierung sei ein «heisses Thema», das leidenschaftlich diskutiert werde, heisst es in einem begleitenden Editorial zur Metaanalyse. Erst kürzlich erschien im «British Medical Journal» eine Arbeit, die zu dem Schluss kam, dass Erwachsene keine Vitamin-DSupplemente zur Prävention nicht muskuloskelettaler Erkrankungen nehmen sollten. Und nun wird Vitamin D in der aktuellen Metaanalyse präventiv zur Verhinderung von Atemwegsinfekten empfohlen.
Das Hauptergebnis der neuen Metaanalyse ist laut den Autoren des Editorials, dass der Anteil der Teilnehmer, die mindestens eine akute Atemwegsinfektion erlitten, durch die Gabe von Vitamin D von 42 auf 40 Prozent gesenkt werden konnte. Es scheint unwahrscheinlich, dass eine absolute Risikoreduktion um 2 Prozent für die Allgemeinbevölkerung eine ausreichende Rechtfertigung für eine Supplementierung darstelle, schreiben die Editorialisten. Sie vertreten die Meinung, dass die klinische Praxis aufgrund der jüngsten Ergebnisse nicht geändert werden sollte. Die Resultate der vorliegenden Metaanalyse sollten vielmehr in randomisierten, kontrollierten Studien mit adäquater Teilnehmerzahl überprüft werden.
Nach Ansicht der Editorialisten stützt die aktuelle Evidenz den Einsatz von Vitamin-D-Supplementen in präventiver Absicht nicht. Eine Ausnahme bilden Personen mit hohem Osteomalazierisiko, das derzeit durch 25-Hydroxyvitamin-D-Spiegel unter 25 nmol/l definiert wird.
Quelle: Bolland MJ et al.: Do vitamin D supplements help prevent respiratory tract infections? BMJ 2017; 356: j456.
Mangel sowie Teilnehmer, die keine
Bolusdosen erhielten, profitierten am
meisten.
Die Ergebnisse dieser Metaanalyse
stützen nach Ansicht der Autoren die
Einführung öffentlicher Gesundheits-
massnahmen wie die Anreicherung von
Lebensmitteln mit Vitamin D, insbe-
sondere in Gegenden mit ausgeprägtem
Vitamin-D-Mangel.
O
Andrea Wülker
Quelle: Martineau AR et al.: Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory tract infections: systematic review and meta-analysis of individual participant data. BMJ 2017; 356: i6583.
Interessenlage: Diese Studie wurde vom National Institute for Health Research (NIHR) finanziell unterstützt.
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ARS MEDICI 11 I 2017