Transkript
FORTBILDUNG
Empfohlene Massnahmen in der Behandlung von COPD-Exazerbationen
Gemeinsame Guideline der European Respiratory Society und der American Thoracic Society
Ein aus europäischen und US-amerikanischen Exper-
ten zusammengesetztes Gremium hat bestehende
Guidelines zum Management von akuten Exazerbatio-
nen bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung
(COPD) dem neuesten Stand angepasst und ergänzt.
European Respiratory Journal
Der chronische und fortschreitende Verlauf der COPD wird häufig durch Exazerbationen akzentuiert, die als Episoden verstärkter respiratorischer Symptome (Dyspnoe, Husten, Auswurf, Sputumpurulenz) definiert sind. COPD-Exazerbationen haben einen ungünstigen Einfluss auf die Lebensqualität, beschleunigen die Krankheitsprogression und können zu Spitaleinweisung und Tod führen. Die Expertengruppe formulierte sechs Fragen, zu denen sie als Antwort auf Basis der systematisch gesammelten und gewichteten Evidenz eine Empfehlung erarbeiteten. Unterschieden wird zwischen starker und bedingter Empfehlung: O «Starke Empfehlung»: Das Expertengremium war sich sicher,
dass die erwünschten Folgen einer Intervention die unerwünschten Folgen übertreffen. O «Bedingte Empfehlung»: Hier war das Expertengremium nicht sicher hinsichtlich der erwünschten und unerwünschten Folgen einer Intervention. Gründe für die Unsicherheit umfassten Evidenz tiefer oder sehr tiefer Qualität, eine sehr feine Balance zwischen Nutzen und Schaden oder das Gewicht zugrunde liegender Werte oder Präferenzen.
MERKSÄTZE
O Ein Expertengremium befürwortet für ambulante Patienten mit COPD-Exazerbation orale Kortikosteroide und Antibiotika.
O Für Patienten, die mit schwerer COPD-Exazerbation hospitalisiert werden mussten, werden orale anstatt intravenöse Kortikosteroide sowie die nicht invasive mechanische Beatmung empfohlen.
O Der Beginn einer pulmonalen Rehabilitation sollte erst innert dreier Wochen nach Spitalentlassung erfolgen.
O Die Empfehlungen unterscheiden sich nicht von denjenigen anderer Institutionen wie NICE oder GOLD.
Sollen orale Kortikosteroide bei Patienten eingesetzt
werden, deren COPD-Exazerbation leicht genug ist, um
ambulant behandelt werden zu können?
Aus systematischen Reviews und Metaanalysen ergibt sich, dass orale Kortikosteroide bei ambulanten Patienten mit COPD-Exazerbation die Lungenfunktion verbesserten. Es bestand auch ein Trend für weniger Hospitalisationen. In Studien wurden verschiedene Nebenwirkungen (Anfälle, Schlaflosigkeit, Gewichtszunahme, Angst, Depression, Hyperglykämie) erwähnt. Unklar blieb, ob die zur Erfassung eingesetzten Methoden ähnlich waren. Insgesamt waren die Fallzahlen zu klein, um Unterschiede bei den Risiken zwischen oralen Kortikosteroiden und Plazebo zu erfassen. Informationen zur Auswirkung auf das Intervall bis zur nächsten Exazerbation fehlen. Das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) empfahl 2010 systemische Kortikosteroide bei hospitalisierten Patienten mit COPD-Exazerbation und die Erwägung einer solchen Therapie bei ambulanten Patienten. Auch das Strategiepapier der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) beurteilte systemische Kortikosteroide 2014 positiv. Empfehlung: Für ambulante Patienten mit COPD-Exazerbation schlagen wir eine kurze (≤ 14 Tage) orale Kortikosteroidbehandlung vor (bedingte Empfehlung, Evidenz sehr geringer Qualität).
Sollen Antibiotika bei ambulanten Patienten mit COPD-
Exazerbation eingesetzt werden?
Studien mit verschiedenen Antibiotika (Amoxicillin/Clavulansäure, Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Amoxicillin oder Doxycyclin) zeigten, dass Antibiotika das Risiko eines Therapieversagens reduzierten und die Zeit zwischen COPD-Exazerbationen verlängerten. Patienten, die Antibiotika erhielten, zeigten einen Trend für mehr Nebenwirkungen, die meistens leicht waren (z.B. Diarrhö). Die NICE-Empfehlungen raten zu Antibiotika bei COPD-Exazerbationen mit eitrigem Auswurf. Auch die GOLD-Empfehlungen sehen Antibiotika unter gewissen Bedingungen positiv, unterscheiden aber nicht spezifisch ambulante Patienten. Empfehlung: Für ambulante Patienten mit COPD-Exazerbation schlagen wir die Verabreichung von Antibiotika vor. Die Wahl des Antibiotikums sollte lokale Empfindlichkeitsmuster berücksichtigen (bedingte Empfehlung, Evidenz mittlerer Qualität).
Sollen intravenöse oder orale Kortikosteroide eingesetzt
werden, um Patienten zu behandeln, die mit einer COPD-
Exazerbation hospitalisiert wurden?
Es gibt Evidenz, die den Einsatz systemischer Kortikosteroide bei Patienten mit schwerer, hospitalisationsbedürftiger COPD-Exazerbation stützt. Hoch dosierte intravenöse Kortikosteroide könnten keine bessere Wirksamkeit haben als orale, aber mit einem höheren
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FORTBILDUNG
Kasten:
Die sechs Empfehlungen der European Respiratory Society und der American Thoracic Society zum Management von COPD-Exazerbationen
O Für ambulante Patienten mit COPD-Exazerbation schlagen wir eine kurze (≤ 14 Tage) orale Kortikosteroidbehandlung vor (bedingte Empfehlung, Evidenz sehr geringer Qualität).
O Für ambulante Patienten mit COPD-Exazerbation schlagen wir die Verabreichung von Antibiotika vor. Die Wahl des Antibiotikums sollte lokale Empfindlichkeitsmuster berücksichtigen (bedingte Empfehlung, Evidenz mittlerer Qualität).
O Für Patienten, die wegen einer COPD-Exazerbation hospitalisiert sind, schlagen wir die Verabreichung von oralen anstatt intravenösen Kortikosteroiden vor, wenn Zugang zum Magen-Darm-Trakt und gastrointestinale Funktion intakt sind (bedingte Empfehlung, Evidenz geringer Qualität).
O Für hospitalisierte Patienten mit akutem oder akut exazerbiertem hyperkapnischem Atemversagen bei COPD-Exazerbation schlagen wir den Einsatz von nicht invasiver mechanischer Beatmung vor (starke Empfehlung, Evidenz niedriger Qualität).
O Für Patienten mit einer COPD-Exazerbation, die eine Notfallstation aufsuchen, schlagen wir ein zu Hause durchgeführtes Managementprogramm vor (bedingte Empfehlung, Evidenz mittlerer Qualität).
O Für Patienten, die mit einer COPD-Exazerbation hospitalisiert sind, schlagen wir den Beginn einer pulmonalen Rehabilitation innert dreier Wochen nach Krankenhausentlassung vor (bedingte Empfehlung, Evidenz sehr geringer Qualität).
Nebenwirkungsrisiko belastet sein. Der systematische Review der Expertengruppe fand zwei Studien zu dieser Frage. Zwischen oraler und intravenöser Verabreichung ergab sich für eine Verminderung des Therapieversagens kein Unterschied. Nur eine kleine Studie untersuchte die Nebenwirkungshäufigkeit präziser und fand eine geringe numerische Häufung von Hyperglykämien und Verschlechterungen bei Hypertonie unter intravenöser Kortikosteroidtherapie. Die NICE-Guideline hat die beiden Verabreichungswege nicht verglichen. GOLD rät, orales Prednisolon vorzuziehen. Empfehlung: Für Patienten, die wegen einer COPD-Exazerbation hospitalisiert sind, schlagen wir die Verabreichung von oralen anstatt intravenösen Kortikosteroiden vor, wenn Zugang zum MagenDarm-Trakt und gastrointestinale Funktion intakt sind (bedingte Empfehlung, Evidenz geringer Qualität).
Soll die nicht invasive Beatmung bei Patienten eingesetzt werden, die mit einer COPD-Exazerbation und Atemversagen hospitalisiert sind? Aus systematischen Reviews und einer Metaanalyse ergibt sich, dass die nicht invasive Beatmung Intubationsbedarf, Sterblichkeit, Therapiekomplikationen und Aufenthaltsdauer in der Intensivstation und im Krankenhaus bei Patienten mit akutem oder akut exazerbiertem Atemversagen reduzierte. Über negative Auswirkungen wird nicht berichtet. Die NICE-Guideline von 2010 diskutiert diese Frage nicht, eine ältere Fassung befürwortet die nicht invasive Beatmung bei Atemversagen trotz optimaler medikamentöser The-
rapie. Das GINA-Strategiepapier empfiehlt die nicht invasive Beatmung bei respiratorischer Azidose oder bei schwerer Dyspnoe mit klinischen Zeichen. Empfehlung: Für hospitalisierte Patienten mit akutem oder akut exazerbiertem hyperkapnischen Atemversagen bei COPD-Exazerbation schlagen wir den Einsatz von nicht invasiver mechanischer Beatmung vor (starke Empfehlung, Evidenz niedriger Qualität).
Soll ein zu Hause durchgeführtes Managementprogramm («hospital-at-home») bei Patienten mit COPD-Exazerbationen eingerichtet werden? Ein zu Hause durchgeführtes Managementprogramm unter Einbezug einer Krankenschwester und allenfalls anderer Fachpersonen (Ärzte, Sozialarbeiter, Physiotherapeut) bietet die Option einer frühen assistierten Krankenhausentlassung oder eine Alternative zur Spitaleinweisung für Patienten, die sich mit einer COPD-Exazerbation auf der Notfallstation melden. Einige klinische Studien, die dieses Vorgehen mit einer Standardbehandlung verglichen, sowie die Metaanalyse der gepoolten Daten zeigten, dass das Modell des zu Hause durchgeführten Managementprogramms die Zahl der Rehospitalisationen und möglicherweise auch die Mortalität reduziert. Über negative Auswirkungen wurde nirgends berichtet. Die NICE- und GOLD-Empfehlungen gehen im Detail nicht auf diese Frage ein, erwähnen das Modell aber als gangbare Option. Empfehlung: Für Patienten mit einer COPD-Exazerbation, die eine Notfallstation aufsuchen, schlagen wir ein zu Hause durchgeführtes Managementprogramm vor (bedingte Empfehlung, Evidenz mittlerer Qualität).
Soll eine pulmonale Rehabilitation bei Patienten eingerichtet werden, die mit einer COPD-Exazerbation hospitalisiert werden? Aus 13 Studien und einer Metaanalyse der gepoolten Daten ergibt sich trotz gewisser methodisch bedingter Inkonsistenzen, dass eine während des Krankenhausaufenthalts begonnene pulmonale Rehabilitation die Belastungskapazität verbesserte. Eine innert dreier Wochen nach Spitalentlassung begonnene pulmonale Rehabilitation reduzierte die Rehospitalisationen und verbesserte die Lebensqualität. Eine Verbesserung der Belastungskapazität wurde auch beobachtet, wenn die pulmonale Rehabilitation innert acht Wochen nach Spitalentlassung begonnen wurde. Ein Beginn während der Hospitalisation erhöhte die Mortalität. Andere Nebenwirkungen waren selten. Die NICE-Guideline empfiehlt, dass eine pulmonale Rehabilitation allen geeigneten Patienten mit COPD zugänglich sein sollte, inklusive jenen mit kürzlich zurückliegender Hospitalisation wegen einer Exazerbation. Empfehlung: Für Patienten, die mit einer COPD-Exazerbation hospitalisiert sind, schlagen wir den Beginn einer pulmonalen Rehabilitation innert dreier Wochen nach Krankenhausentlassung vor (bedingte Empfehlung, Evidenz sehr geringer Qualität). O
Halid Bas
Quelle: Papi A et al.: Management of COPD exacerbations: a European Respiratory Society/ American Thoracic Society guideline. Eur Respir J 2017; 49: 1600791. DOI: 10.1183/ 13993003. 00791-2016.
Interessenlage: Für Vorsitzende und Panel-Mitglieder der Expertengruppe galt die Anforderung, dass mindestens die Hälfte frei von Interessenkonflikten sein musste. Teilnehmer mit Interessenkollisionen konnten an der Diskussion der Evidenz teilnehmen, traten aber bei der Formulierung der Empfehlungen in Ausstand.
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