Transkript
Blutungsrisiko vorausberechnen
Mit DAPT-Rechner die Einnahmedauer der dualen Plättchenhemmung individualisieren
FORTBILDUNG
Nach einer perkutanen Koronarintervention braucht
es eine längere duale Plättchenhemmung, um Reste-
nosen und Herzinfarkte zu vermeiden. Doch birgt
diese Therapie auch das Risiko von Blutungen. Kardio-
logen aus dem Inselspital Bern haben herausgefun-
den, wovon das Blutungsrisiko abhängt, und ein ein-
faches Berechnungstool mit fünf Parametern ent-
wickelt, mit dem sich die Höhe des Blutungsrisikos
abschätzen lässt. Damit lässt sich die Therapiedauer
individualisieren.
BMJ/Lancet
Bei Patienten mit Koronarstents reduziert eine duale Plättchenaggregationshemmung (dual antiplatelet therapy, DAPT) ischämische Rückfälle. Dieser Vorteil wird allerdings durch ein höheres Blutungsrisiko konterkariert, das linear mit der Dauer der Therapie ansteigt (1). Normalerweise folgt nach Koronarstenteinlage eine 12-monatige DAPT. Ob dies aber genau die richtige Therapiedauer ist, ist eigentlich gar nicht klar. Eine Reduktion auf 3 bis 6 Monate reduziert einerseits die Blutungsgefahr, eine Verlängerung der 12-monatigen Therapie senkt andererseits bei jenen, die die ersten 12 Monate keine Blutung hatten, die Gefahr ischämischer Rückfälle. Ein Dilemma also.
Entscheidungshilfe Um im Voraus besser entscheiden zu können, wer die Therapie wie lange erhalten soll, haben Berner Kardiologen den PRECISEDAPT-Score entwickelt und validiert (2), der das voraussichtliche Blutungsrisiko bei einer dualen Plättchenhemmung mit beispielsweise Acetylsalicylsäure plus P2Y12-Inhibitor einschätzt. Dazu analysierten sie Daten aus acht randomisierten klinischen Studien mit gesamthaft 14 963 Patienten, die einen Koronarstent, elektiv, dringend oder notfallmässig, und anschliessend eine DAPT erhielten. Die Therapie bestand aus Acetylsalicylsäure plus P2Y12-Inhibitor, in 88 Prozent der Fälle war dies Clopidogrel. Patienten mit Indikation für eine oralen Langzeitantikoagulation wurden aus der Analyse ausgeschlossen. Als primärer Endpunkt dieser Untersuchung galt ein Blutungsereignis später als sieben Tage nach der Prozedur und ausserhalb des Spitals. Dabei stellte sich heraus, dass mit den fünf Parametern Hämoglobin, Alter, Leukozytenzahl, Kreatininclearance und vorangegangene Blutung eine Voraussage möglich war. Patienten, denen der Risikorechner ein hohes Blutungsrisiko attestierte, profitierten nicht nur nicht von einer verlängerten DAPT, sondern erlitten auch mehr Blutungen. Eine län-
NACHGEFRAGT ...
... bei den Entwicklern Prof. Stephan Windecker und Prof. Marco Valgimigli, Kardiologie, Inselspital Bern:
Spielt es bei diesem Score eine Rolle, womit die Plättchenaggregation gehemmt wird, beziehungsweise sind die Unterschiede von Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor für die Voraussage relevant? Das durchschnittliche Risiko von Blutungen ist höher mit Pasugrel oder Ticagrelor im Vergleich zu Clopidogrel. Dem steht jedoch gegenüber, dass das durchschnittliche Risiko eines Herzinfarkts mit Prasugrel oder Ticagrelor geringer ist als mit Clopidogrel. Daher wird bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom Prasugrel und Ticagrelor der Vorrang gegeben, solange keine zusätzliche orale Antikoagulation nötig ist. Der PRECISEDAPT-Score funktioniert gleichermassen gut für Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor.
Was bedeutet dieser Score in der Praxis? Der PRECISE-DAPT-Score hilft, das Blutungsrisko in der Praxis vorherzusagen. Folglich können Kardiologen oder Hausärtze die Dauer der Plättchenaggregation optimal auf den individuellen Patienten anpassen. Eine kurze Dauer empfiehlt sich bei Patienten mit hohem Blutungsrisiko, während eine längere Dauer bei Patienten ohne erhöhtes Blutungsrisiko empfohlen wird.
gere DAPT bei Patienten ohne erhöhtes Blutungsrisiko führte dagegen nicht oder nur marginal zu mehr Blutungen und einer signifikanten Reduktion der Blutungsereignisse (2).
Schnelles Resultat mittels Webkalkulator
Das Blutungsrisiko kann im Internet mit dem PRECISE-DAPT-
Webkalkulator ermittelt werden. Nach Ausfüllen der fünf Zahlen-
werte ergibt sich ein Score mit Bewertung des Blutungsrisikos. Bei
einem hohen Blutungsrisiko (> 25 Punkte) sollte die Standardthe-
rapiedauer von 12 Monaten verkürzt werden. Patienten mit einem
Score von < 25 Punkten können dagegen von der Standarddauer und/oder einer Verlängerung profitieren. O Valérie Herzog Referenzen: 1. Navarese EP et al.: Optimal duration of dual antiplatelet therapy after percutaneous coronary intervention with drug eluting stents: meta-analysis of randomised controlled trials. BMJ 2015; 350: h1618. 2. Costa F et al.: Derivation and validation of the predicting bleeding complications in patients undergoing stent implantation and subsequent dual antiplatelet therapy (PRECISE-DAPT) score: a pooled analysis of individual-patient datasets from clinical trials. Lancet 2017; 389: 1025–1034. ARS MEDICI 11 I 2017 513