Transkript
FORTBILDUNG
Asthma: Was ist 2017 neu?
Aktuelles Strategiepapier der Global Initiative for Asthma
Routinemässig überprüft das wissenschaftliche Komitee der Global Initiative for Asthma (GINA) alle zwei Jahre die Literatur und publiziert ein Update des Strategiepapiers zum Management und zur Prävention von Asthma. Turnusgemäss erfolgte 2017 eine neue Publikation. Im Folgenden werden die wichtigsten Änderungen zusammengefasst.
www.ginasthma.org
Der Begriff «Asthma-COPD-Overlap-Syndrom» wird nicht mehr verwendet (Kasten 1). Neu soll es nur noch «AsthmaCOPD-Overlap» heissen. Patienten mit einem AsthmaCOPD-Overlap sind in der Praxis häufig. Sie werden aber fast immer von randomisierten, kontrollierten Studien, welche die Basis für Empfehlungen bilden, und auch von Untersuchungen zu den grundlegenden Mechanismen ausgeschlossen. Die aktuellen Guidelines senden gegensätzliche Signale: O bei Asthma nie lang wirksame Betaagonisten (LABA) ohne
inhalative Kortikosteroide (ICS) einsetzen O bei COPD soll die Therapie mit LABA oder lang wirksamen
Muskarinantagonisten (LAMA), aber ohne ICS begonnen werden.
MERKSÄTZE
O Auch bei gleichzeitigem Vorliegen von Asthma- und COPDSymptomen sollen lang wirksame Betaagonisten nicht ohne inhalative Kortikosteroide (ICS) eingesetzt werden.
O Für die meisten erwachsenen Patienten mit Asthma sollte die Lungenfunktion alle 1 bis 2 Jahre dokumentiert werden, bei Patienten mit höherem Risiko jedoch häufiger.
O Auf Basis der heute verfügbaren Evidenz empfiehlt GINA für die meisten Asthmapatienten, auch für solche mit weniger häufigen Symptomen, zur Senkung des Exazerbationsrisikos eine Therapie mit ICS.
O Eine sublinguale Immuntherapie ist geeignet bei Asthmapatienten mit nachgewiesener Hautsstaubmilbensensibilisierung und allergischer Rhinitis, die trotz ICS Exazerbationen erfahren.
Die Unterscheidung zwischen Asthma und COPD kann problematisch sein, wie im Strategiepapier eingeräumt wird, dies vor allem bei Rauchern und älteren Menschen. Einige Patienten können auch Symptome beider Krankheiten aufweisen. Der beschreibende Begriff «Asthma-COPD-Overlap» ist nützlich, um daran zu erinnern, dass solche Patienten bei Ärzten, Forschern und Regulatoren «vergessen» gehen und in den einzelnen Guidelines zu den beiden Krankheiten nicht berücksichtigt werden.
Wie oft soll man die Lungenfunktion messen?
Die Empfehlung lautete bis anhin: «Die Lungenfunktion sollte bei Diagnosestellung oder nach dem Beginn der Behandlung gemessen werden, dann nach 3 bis 6 Monaten unter asthmakontrollierender Therapie sowie periodisch danach.» Den dehnbaren Begriff «periodisch» präzisiert GINA nun so: Für die meisten erwachsenen Patienten sollte die Lungenfunktion alle 1 bis 2 Jahre dokumentiert werden, bei Patienten mit höherem Risiko jedoch häufiger. Bei Kindern sollte die Überprüfung, basierend auf dem Schweregrad des Asthmas und dem klinischen Verlauf, häufiger erfolgen.
FENO
Bei der Bedeutung der Messung von Stickoxid in der Ausatmungsluft (fraction of exhaled nitric oxide, FENO) erfolgen neue Präzisierungen. Dieser Messwert unterliegt einer ganzen Reihe von Faktoren, die entweder zu höheren oder tieferen Werten führen. Die FENO-Messung ist nicht geeignet, um eine Asthmadiagnose zu beweisen oder auszuschliessen. Bei allergischen Patienten wurde FENO jedoch zur Liste der unabhängigen Prädiktoren für Exazerbationen hinzugefügt. Einzelmessungen sind mit Vorsicht zu interpretieren, aussagekräftiger sind Verläufe. Zum jetzigen Zeitpunkt, so das GINA-Strategiepapier, kann FENO nicht empfohlen werden, um bei Patienten mit einer sicheren oder vermuteten Asthmadiagnose gegen eine Behandlung mit ICS zu entscheiden. Auf Basis der heute verfügbaren Evidenz empfiehlt GINA für die meisten Asthmapatienten, auch für solche mit weniger häufigen Symptomen, zur Senkung des Exazerbationsrisikos eine Therapie mit ICS.
Konzept der Therapiestufen bleibt unverändert
Das Management bei Asthma orientiert sich gemäss GINA an einem Kreis von Abklärung, Therapiebeginn, Therapieanpassung, erneuter Bestandesaufnahme von Symptomen und Exazerbationen und entsprechenden Reaktionen bei den Behandlungsmassnahmen (Kasten 2). Unverändert propagiert
502
ARS MEDICI 11 I 2017
FORTBILDUNG
Kasten 1:
Wichtige Punkte, bei denen die Global Initiative for Asthma 2017 Änderungen vorgenommen hat
O Neu wird der Begriff «Asthma-COPD-Overlap» verwendet, nicht mehr «AsthmaCOPD-Overlap-Syndrom»: Es handelt sich nicht um eine Krankheitsentität, sondern um ein Geschehen mit verschiedenen Phänotypen und unterschiedlichen zugrunde liegenden Mechanismen. Der Begriff «Syndrom» ist hier irreführend.
O Die Empfehlungen zur Häufigkeit der Lungenfunktionsmessung nach Diagnose wurden klarer gefasst.
O Weitere Informationen zu den Faktoren, welche die Fraktion des ausgeatmeten Stickstoffmonoxids (FENO) beeinflussen, sowie Informationen zur Beziehung von FENO und eosinophiler Atemwegsentzündung und zum prädiktiven Wert von FENO wurden aufgenommen.
O Als zusätzliche Option auf den Therapiestufen 3 und 4 kann nun als Add-on eine sublinguale Immuntherapie (SLIT) bei erwachsenen hausstaubmilbensensitiven Patienten mit Asthma und allergischer Rhinitis und Exazerbationen trotz inhalativer Kortikosteroide (ICS) erwogen werden, sofern das Erstsekundenvolumen (FEV1) bei > 70 Prozent liegt.
O Auf Therapiestufe 5 ist Reslizumab als weitere gegen Interleukin 5 gerichtete Therapie bei Erwachsenen mit schwerem eosinophilem Asthma berücksichtigt worden.
O Add-on-Leukotrienrezeptorantagonisten sind als Option zur Verringerung der Dosis von ICS aufgenommen worden.
O Für Patienten mit chronischer Rhinosinusitis wird präzisiert, dass die Behandlung der Nase zwar die nasalen Symptome lindern kann, aber im Allgemeinen das Asthma nicht verbessert.
O Bei Säuglingen sind länger andauernder Husten und Husten mit Erkältungssymptomen assoziiert mit später von den Eltern berichtetem und ärztlich diagnostiziertem Asthma – unabhängig von Wheezing beim Säugling.
O Informationen zur Auswirkung von schlecht kontrolliertem Asthma und zur Therapie mit ICS bei Kindern wurden jetzt in den Hauptbericht aufgenommen.
GINA ein schrittweises Vorgehen bei der Therapie. Nach Abklärung und Diagnosestellung kommen zunächst die Beeinflussung auslösender Faktoren, nicht pharmakologische Strategien sowie Kontrollmedikamente zum Einsatz. In einem ersten Schritt sind dies niedrig dosierte ICS, ergänzt durch kurz wirksame Betaagonisten (SABA) bei Bedarf. In einem zweiten Schritt kann zusätzlich ein Leukotrienrezeptorantagonist (LTRA) hinzugefügt werden. Schritt drei umfasst zusätzlich zum ICS einen lang wirksamen Betaagonisten (LABA), beide in niedriger Dosierung. Bei Schritt vier wird die Dosierung dieser beiden Wirkstoffe erhöht. In Schritt fünf erfolgt die Überweisung zum Spezialisten für weitere Abklärungen und Therapieoptionen. Bei diesen wurde die gegen Interleukin 5 gerichtete Therapie mit Mepolizumab (Nucala®) neu durch Reslizumab (Cinqaero®, in der Schweiz bislang nicht zugelassen) ergänzt.
Ergänzende Massnahmen und Step-down
Je nach individueller Konstellation können die Therapieschritte zur Asthmakontrolle um weitere Massnahmen ergänzt werden. Unter diesen wurde neu die sublinguale Immuntherapie (SLIT) zur Desensibilisierung bei allergischem Asthma aufgenommen. Die SLIT ist geeignet für Patienten mit nachgewiesener Hausstaubmilbensensibilisierung und allergischer Rhinitis, die trotz ICS Exazerbationen erfahren und deren Erstsekundenvolumen (FEV1) über 70 Prozent des Sollwerts beträgt.
Kasten 2:
Abklärung von unkontrolliertem Asthma in der Grundversorgung
Patient bei der Verwendung des Inhalators beobachten, Adhärenz und Hindernisse bei der Verwendung diskutieren
Inhalationstechnik mit einer gerätespezifischen Checkliste vergleichen und Fehler korrigieren; häufig überprüfen. Empathische Diskussion der Schwierigkeiten bei der Adhärenz.
Asthmadiagnose bestätigen
Falls die Lungenfunktion während Symptomen normal ist, Halbierung der ICSDosis erwägen und Lungenfunktionsprüfung nach 2 bis 3 Wochen wiederholen.
Potenzielle Risikofaktoren eliminieren, Begleiterkrankungen erfassen und behandeln
Nach Risikofaktoren oder Triggern wie Rauchen, Betablockern, nicht steroidalen Entzündungshemmern, Allergenen suchen. Auf Begleiterkrankungen wie Rhinitis, Adipositas, gastroösophagealen Reflux, Depression/Angst untersuchen.
Aufstockung (Step-up) der Therapie erwägen
Den Schritt zur nächsthöheren Therapiestufe in Betracht ziehen. Gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Patienten, Abwägen von potenziellem Nutzen und Risiken.
Überweisung an den Spezialisten oder an ein Asthmaambulatorium
Wenn das Asthma nach 3 bis 6 Monaten auf Therapiestufe 4 immer noch unkontrolliert ist, einen Spezialisten beiziehen. Bei schweren Symptomen oder Zweifel an der Diagnose: frühere Überweisung.
504
ARS MEDICI 11 I 2017
FORTBILDUNG
Bei guter Asthmakontrolle kommt ein Herunterfahren der Therapie (Step-down) in Betracht. Dieses sollte immer als Versuch gewertet werden, wobei sowohl Asthmakontrolle als auch Exazerbationsfrequenz im Auge zu behalten sind. Ausdrücklich wird erwähnt, dass die Evidenz für ein Stepdown zu ICS bei Bedarf in Kombination mit SABA ungenügend ist. Bei der Dosisreduktion von ICS wird jetzt darauf hingewiesen, dass LTRA als Therapieergänzung (Add-on) hilfreich sein können, um dieses Ziel zu erreichen. Bei der kurzfristigen Verschreibung von oralen Kortikosteroiden erinnert GINA neu daran, dass die Patienten immer über mögliche Nebenwirkungen wie Schlafstörungen, gesteigerten Appetit, Reflux und Stimmungsschwankungen aufgeklärt werden müssen. In verschiedenen Querschnittuntersuchungen schienen tiefe Vitamin-D-Spiegel mit beeinträchtigter Lungenfunktion, häufigeren Exazerbationen und schlechterem Ansprechen auf Kortikosteroide verbunden zu sein. In einer Metaanalyse ergab sich zwar in einigen Studien ein Nutzen einer Vitamin-DSupplementation, aber zurzeit gibt es keine Evidenz guter Qualität für die Aussage, dass eine Vitamin-D-Zufuhr die Asthmakontrolle verbessert und die Exazerbationshäufigkeit verringert; dieser Hinweis wurde neu aufgenommen. Bei Nasen- und Sinussymptomen bringen nasale topische Kortikosteroide zwar eine Linderung, haben aber keinen Einfluss auf den Verlauf des Asthmas.
Kindliches Asthma und Wachstum
Verschiedene Abschnitte des GINA-Strategiepapiers befassen sich mit Aspekten des kindlichen Asthmas. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Beeinflussung des Wachstums. Ausdrücklich empfohlen wird, bei Kindern mit Asthma die Körperhöhe mindestens einmal jährlich zu erfassen, da ein schlecht kontrolliertes Asthma das Wachstum beeinträchtigt und die Wachstumsgeschwindigkeit in den ersten ein, zwei Jahren unter Behandlung mit ICS geringer sein kann. Wird eine zu geringe Wachstumsgeschwindigkeit beobachtet, ist immer nach möglichen Ursachen wie schlechter Asthmakontrolle, (zu) häufigem Einsatz oraler Kortikosteroide oder falscher Ernährung zu suchen. Chronischer Husten und Husten ohne Erkältungssymptome scheinen gehäuft mit späterem Asthma zu korrelieren, auch wenn kein Wheezing vorliegt. Basierend auf randomisierten, kontrollierten Studien und epidemiologischen Untersuchungen hält das GINA-Strategiepapier ausdrücklich fest, dass für eine Nahrungsergänzung der Mutter mit Fisch oder langkettigen, vielfach ungesättigten Fettsäuren während der Schwangerschaft keine konsistenten Effekte aufs Risiko von Wheezing, Asthma und Atopie gezeigt werden konnten. O
Halid Bas
Quelle: Global Initiative for Asthma: Global strategy for asthma management and prevention 2017. Eine Langversion (159 Seiten) sowie ein Pocket-Guide (29 Seiten) sind abrufbar unter www.ginasthma.org
Interessenlage: Auf www.ginasthma.org werden die Interessenbindungen deklariert.