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FORTBILDUNG
Was tun bei persistierender Diarrhö?
Diagnose, Erregerspektrum und spezifische Therapien
Das Erregerspektrum für persistierende Diarrhö ist breit, und es unterscheidet sich von demjenigen bei akutem Durchfall. In diesem Review aus den USA werden die Empfehlungen für eine empirische beziehungsweise erregerspezifische Therapie bei sonst gesunden Personen zusammengefasst.
JAMA
Von eine persistierenden Diarrhö spricht man, wenn sie länger als 14 Tage anhält. Im Gegensatz zur chronischen Diarrhö (ab 4 bis 6 Wochen Dauer) beruht eine persistierende Diarrhö meist auf einer Infektion mit Protozoen (Einzeller) oder Bakterien, nur selten sind Würmer oder Viren die Ursache. Die Datenlage bezüglich Diagnose und Therapie bei persistierender Diarrhö ist in den industrialisierten Ländern eher schlecht. Am meisten weiss man dazu über die Bevölkerung in Entwicklungsländern sowie über Reiserückkehrer aus solchen Regionen, wobei etwa 3 Prozent dieser Reisenden mit persistierender Diarrhö in die USA zurückkehren.
Infektiös oder nicht infektiös? Persistierende Diarrhö kann viele verschiedene Ursachen haben. Typischerweise handelt es sich um langwierige Infektionen (z.B. mit Parasiten) oder rezidivierende Infektionen (z.B. C. difficile). Möglich sind aber auch anscheinend nicht
infektiöse Verläufe, die infolge einer Infektion entstehen, nachdem der ursprüngliche Erreger ausgemerzt worden ist (z.B. postinfektiöses Reizdarmsyndrom oder nicht infektiöse Ursachen), wie beispielsweise Laktoseunverträglichkeit, die Einnahme osmotischer Substanzen oder Krebserkrankungen. Im Folgenden werden in erster Linie Parasiten und Bakterien als infektiöse Ursachen der persistierenden Diarrhö und die entsprechenden diagnostischen und therapeutischen Empfehlungen erläutert.
Parasiten
Die häufigste infektiöse Ursache persistierender Diarrhö sind Parasiten, und hier insbesondere Protozoen (Einzeller) wie Giardia spp., Cryptosporidium spp., Entamoeba histolytica, Cyclospora spp., Cystoisospora belli und Dientamoeba fragilis. Ebenfalls recht häufige Ursachen sind Strongyloides stercoralis (Zwergfadenwurm) und den Pilzen zugeordnete Organismen wie Microsporidia spp. (z.B. Enterocytozoon bieneusi, Encephalitozoon intestinalis). Seltener ist Blastocystis hominis die Ursache, wobei die pathogene Bedeutung dieses Einzellers unklar ist, weil er auch im Darm völlig gesunder Personen zu finden ist. Findet sich keine andere plausible Ursache für die persistierende Diarrhö, muss jedoch auch dieser Erreger eradiziert werden. Ebenfalls eher selten bei persistierender Diarrhö zu finden sind die Bilharziose auslösenden Pärchenegel Schistosoma mansoni und (noch seltener) Schistosoma haematobium, die nur in bestimmten Endemieregionen vorkommen.
MERKSÄTZE
O Persistierende Diarrhö wird meist von Parasiten oder Bakterien verursacht.
O Die erste therapeutische Massnahme ist die Rehydratation.
O Bei Reiserückkehrern aus Entwicklungsländern ist die empirische Gabe einer Einzeldosis Azithromycin (1000 mg für Erwachsene) möglich. Prinzipiell sollte jedoch so weit wie möglich erreger- und resistenzspezifisch therapiert werden.
O Medikamente wie Aktivkohle, Quellstoffe oder Adstringenzien sind nicht indiziert, solange die infektiöse Ursache nicht bekannt ist und spezifisch behandelt wird. Das Gleiche gilt für Loperamid.
Bakterien
Normalerweise lösen Bakterien akuten Durchfall mit einer Dauer von maximal einer Woche aus. Bestimmte Bakterien erhöhen jedoch das Risiko einer persistierenden Diarrhö. Hierzu gehören EACE (oder EAggEC: enteroaggregative E. coli), Shigellen, Campylobacter, Salmonellen, Vibrio parahemolyticus, Aeromonas spp. und Arcobacter butzleri. Clostridium difficile ist ein Erreger der persistierenden Diarrhö, der bekanntermassen unabhängig von dem eingangs geschilderten Reiserisiko auftritt, nämlich infolge einer Antibiotikatherapie. Unbekannt ist der Erreger der sogenannten Brained-Diarrhö, benannt nach dem erstmaligen Ort ihres Auftretens, der Stadt Brained in Minnesota. Die Patienten litten unter plötzlichen und explosionsartigen, wässrigen Durchfällen, 10- bis 20-mal pro Tag. Fast alle bisher bekannten Ausbrüche dieser Diarrhö ereigneten sich in den USA, nur einer davon auf einem Kreuzfahrtschiff.
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Patient mit persistierender Diarrhö *3 ungeformte Stühle pro Tag seit mindestens 14 und bis zu 30 Tagen
Anamnese: 1 Begleitsymptome 2 Exposition und prädisponierende Faktoren 3 Reisen 4 Stuhlkonsistenz
1 hauptsächlich abdominelle Schmerzen und Beschwerden
Screening auf Pathogene (Stuhlkultur, Parasiten, PCR) Abklären: • ischämische Kolitis • Reizdarmsyndrom (IBS) • entzündliche Darmerkran• kungen (IBD)
2 Symptome während oder nach Spital-/Pflegeheimaufenthalt oder Antibiotikatherapie
Stuhl testen auf C.-difficile-Toxin
3 Symptome auf Reisen durch Entwicklungsländer
Azithromycin empirisch: Erwachsene: 1000 mg einmalige Einzeldosis Kinder: 5–10 mg/kg KG/Tag als Einzeldosis für 3 Tage
4 blutig, schleimig oder wässrig
Behandlung wirksam?
positiv auf C. difficile?
Nein
Ja
Patient gemäss Symptomatik und Anzahl rezidivierender Episoden/ Infektionen behandeln
Ja
Screening auf Pathogene (Stuhlkultur, Parasiten, PCR)
Ja
Pathogen
Nein
identifiziert?
Behandlung gemäss Pathogen
Abklären: • ischämische Kolitis • Reizdarmsyndrom (IBS) • entzündliche • Darmerkrankungen (IBD)
Endoskopie erwägen
kein Befund?
empirische Therapie gegen Protozoen erwägen
Abbildung: Algorithmus zur Abklärung bei persistierender Diarrhö (in den USA und anderen industrialisierten Ländern)
Diagnose
Aufgrund der bereits länger bestehenden Diarrhö sind die Patienten bei der Vorstellung meist stark beeinträchtigt, und sie haben an Gewicht verloren. Mit Ausnahme der durch Amöben verursachten Diarrhö (blutiger Stuhl) gibt es keine pathognomonischen klinischen Symptome. Richtungsweisend für die Diagnose sind Beginn und Dauer der Symptome sowie der Zusammenhang mit Reisen und/oder dem Konsum roher Speisen und möglicherweise verunreinigtem Wasser. Bei unklarer Diagnose sollte
mindestens einmal eine Stuhlprobe untersucht werden, bei weiterhin anhaltenden Symptomen trotz negativem Befund sollten weitere Stuhlproben im Abstand von 2 bis 3 Tagen erfolgen. Bei Patienten mit persistierender oder rezidivierender Diarrhö nach einem Aufenthalt in einem Spital oder Pflegeheim sollte die Stuhlprobe auf Clostridium-difficile-Toxin getestet werden. Ein Algorithmus zur Vorgehensweise in der Praxis ist in der Abbildung dargestellt.
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Tabelle:
Empfohlene Therapiemassnahmen entsprechend dem jeweiligen Pathogen
Pathogen Bakterien Aeromonas- oder Shigella-Arten
Campylobacter Clostridium difficile Escherichia coli
Salmonella-Spezies Vibrio parahaemolyticus
Erwachsene
Kinder
Ciprofloxacin, Norfloxacin, Trimethoprim/Sulfamethoxazol Erythromycin Vancomycin, Fidaxomicin, Nitazoxanid1 Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Norfloxacin, Ciprofloxacin Ciprofloxacin, Norfloxacin Doxycyclin, Ciprofloxacin
Azithromycin, Ceftriaxon, Ciprofloxacin
Erythromycin Vancomycin Ceftriaxon, Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Ciprofloxacin Ceftriaxon, Azithromycin Doxycyclin
Viren Zytomegalie HIV
Norovirus
Ganciclovir, Valganciclovir Crofelemer2 in Kombination mit antiretroviraler Therapie Nitazoxanid1
Ganciclovir antiretrovirale Therapie
supportive Therapie
Protozoen Cryptosporidium Cyclospora cayetanensis Cystoisospora belli Dientamoeba fragilis Entamoeba histolytica
Giardia
Microsporidium-Arten
Nitazoxanid1 Trimethoprim/Sulfamethoxazol Trimethoprim/Sulfamethoxazol Paromomycin, Iodoquinol3 Metronidazol plus Diloxanid oder entweder Fuorat oder Paromomycin Nitazoxanid1 Tinidazol oder Nitazoxanid1
Albendazol oder Fumagillin4
Nitazoxanid1 Trimethoprim/Sulfamethoxazol Trimethoprim/Sulfamethoxazol Paromomycin, Iodoquinol3 Metronidazol, danach Iodoquinol3 oder Paromomycin
Metronidazol oder Nitazoxanid1 oder Tinidazol Albendazol
Stramenopiles
Metronidazol, Trimethoprim/Sulfamethoxazol, Albendazol, Metronidazol, Trimethoprim/
Nitazoxanid1
Sulfamethoxazol, Nitazoxanid1, Tinidazol
Helminthen Schistosoma-Spezies Strongyloides
Praziquantel Ivermectin oder Albendazol
Praziquantel Ivermectin
1 Nitazoxanid: keine Zulassung in der Schweiz (USA, Australien: Cryptaz™, Alinia®) 2 Crofelemer: keine Zulassung in der Schweiz (USA: Fulyzaq®, Mytesi®) 3 Iodoquinol: keine Zulassung in der Schweiz (USA: Diquinol®, Yodoxin®) 4 Fumagillin: keine Zulassung in der Schweiz
Therapie
An erster Stelle steht die Prävention einer Dehydratation beziehungsweise die Rehydratation. Hierzu zählen die orale Rehydratation mit Elektrolyten und Glukoselösung (gesüsste Getränke) sowie mit Suppen und salzigen Snacks (z.B. Salzstangen), in schwereren Fällen kann die Einweisung ins Spital mit intravenöser Flüssigkeitszufuhr nötig sein.
Medikamente zur Linderung der Symptomatik wie Aktivkohle, Quellstoffe oder Adstringenzien sind bei einer infektiös bedingter Diarrhö nicht ratsam, solange die infektiöse Ursache nicht behandelt wird. Loperamid sollte bei Patienten mit Fieber, abdominellen Schmerzen oder Dysenterie sowie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder einer ischämischen Darm-
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Detaillierte Informationen zu Parasitosen und bakteriellen Infektionen finden sich auf der Ratgeberseite des Robert-Koch-Instituts:
http://www.rki.de > Infektionsschutz > RKI-Ratgeber für Ärzte
Für die Therapie parasitärer Infektionen gibt es erregerspezifische Empfehlungen, die ebenfalls in der Tabelle aufgelistet sind. Der Autor des Reviews betont insbesondere den Nutzen von Nitazoxanid. Aufgrund ihres breiten antiparasitären Wirkspektrums sei diese Substanz möglicherweise auch bei gut begründetem Verdacht einer parasitären Infektion empirisch einsetzbar. Nitazoxanid ist in Europa und der Schweiz nicht zugelassen.
entzündung nicht verabreicht werden. Falls ein bakterielles Pathogen identifiziert wurde, kann Loperamid in Kombination mit der Antibiotikatherapie jedoch indiziert sein, um die Stuhlfrequenz zu senken. Nach Erreichen eines normalen Hydratationsstatus gilt es, das für die Diarrhö verantwortliche Pathogen zu identifizieren. Erwachsene Reiserückkehrer aus Drittweltländern kann bereits während der laufenden Laboruntersuchung vorab eine einmalige Dosis von 1000 mg Azithromycin empirisch gegeben werden, weil bei ihnen sehr häufig bakterielle Infektionen vorliegen, die in den gängigen Labortests ohnehin nicht nachgewiesen werden können. Sobald ein Pathogen klar identifiziert wurde, sollte die antimikrobielle Therapie jedoch möglichst spezifisch sein und gemäss der in der Tabelle aufgelisteten Empfehlungen erfolgen. Das Risiko der Förderung von Resistenzen durch einen allzu grosszügigen empirischen Antibiotikaeinsatz ist nicht zu unterschätzen. So ergab eine britische Studie, dass bei 16 Prozent der Patienten nach einer Fluorochinolontherapie entsprechend resistente E.-coli-Stämme im Stuhl nachweisbar waren, die zuvor nicht gefunden worden waren. Der erste Ausbruch Azithromycin-resistenter Shigellen in den USA ereignete sich 2012. Bei rezidivierenden C.-difficile-Infektionen, die mit Antibiotika nicht in den Griff zu bekommen sind, wird heutzutage vermehrt eine Stuhltransplantation versucht, um das Mikrobiom zu normalisieren. Trotz erwiesender Wirksamkeit dieser Methode sind noch viele Fragen offen, so zum Beispiel zur optimalen Aufbereitung des Spenderstuhls.
Prognose
Die Prognose bei persistierender Diarrhö ist für sonst ge-
sunde Personen mit einem normal funktionierenden Immun-
system gut, da die Erkrankung in der Regel selbstlimitierend
ist. Persistierende Diarrhö ist in den USA und ähnlich entwi-
ckelten Ländern zwar nicht mit einem nennenswerten Mor-
talitätsrisiko verbunden, die Morbidität kann dennoch er-
heblich sein. Korrekte Diagnose und Therapie führen in der
Regel zu einer vollständigen Erholung. Trotzdem kommt es
bei manchen Patienten mit bakteriellen Infektionen (z.B.
Campylobacter, Salmonellen, Shigellen) zu einer chronischen
Entzündung, die zu postinfektiösem Reizdarmsyndrom oder
reaktiver Arthritis führen kann.
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Renate Bonifer
Quelle: DuPont HL: Persistent diarrhea: a clinical review. JAMA 2016; 315(24): 2712–2723.
Interessenlage: Der Autor des Reviews gibt Forschungsgelder und Beraterhonorare mehrerer Firmen an; der JAMA-Artikel wurde vom Unternehmen Romark Laboratories gesponsert.
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