Transkript
STUDIE REFERIERT
Verbesserung der Gangsicherheit bei MCIPatienten senkt möglicherweise Sturzrisiko
Ginkgo-biloba-Extrakt steigert die Dual-Task-Gangsicherheit
Schon eine milde Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten kann mit Gangunsicherheiten einhergehen, insbesondere bei Mehrfachanforderungen leiden die koordinativen Fähigkeiten. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Prof. Reto W. Kressig, Felix-Platter-Spital-Basel, zeigte in einer Pilotstudie eine tendenzielle Verbesserung der Gangsicherheit unter Einnahme eines Ginkgo-biloba-Extraktes über mindestens 6 Monate.
Aging Clin Exp Res
Jahrzehntelang ging man davon aus, dass der Gang auf spinaler Ebene reguliert wird. Erst mit einer Verbesserung des Neuroimagings sowie elektrophysiologischer Techniken wurde deutlich, dass bei der neuromotorischen Gangkontrolle auch frontale und zentrale Hirnanteile eine wichtige Rolle spielen. Insbesondere Exekutivfunktionen, die von der Integrität des präfrontalen Kortex abhängen, scheint in der Gangkontrolle eine Schlüsselfunktion zuzukommen. Folglich sind schon bei einem Mild Cognitive Impairment (MCI) nicht nur diese Exekutivfunktionen, sondern auch die Gangkontrolle beeinträchtigt. Können auch beide von einer entsprechenden Behandlung profitieren? Zu den therapeutischen Optionen bei älteren Patienten mit MCI ist wenig bekannt. Bei Demenz konnte in einer Metaanalyse mit 2625 Patienten durch Behandlung mit einem Ginkgo-bilobaExtrakt (120 oder 240 mg täglich über 22 Wochen) eine Verbesserung der Kognition und der Alltagsfähigkeiten erzielt werden. Die in In-vitro- und Invivo-Studien beschriebene Wirkmechanismen von Ginkgo biloba umfassen unter anderem eine Verbesserung der zerebralen Mikrozirkulation sowie eine reduzierte vaskuläre Permeabilität. Eine bessere Durchblutung des präfrontalen Kortex könnte sowohl die verbesserte Exekutivfunktion als auch die höhere Gangstabilität erklären.
Zusätzliche kognitive Aufgabe
erschwert Gangkontrolle
In der explorativen, randomisierten, doppelblinden und plazebokontrollierten Phase-IV-Studie wurden 50 Patienten im Alter von 50 bis 85 Jahren mit diagnostiziertem MCI und assoziierten Gangproblemen bei Dual-Task-Anforderungen (Verlangsamung der Gehgeschwindigkeit um mindestens 10% gegenüber Single Task) eingeschlossen. Sie erhielten 6 Monate lang entweder einen Ginkgo-biloba-Extrakt (120 mg 2-mal tgl.) oder Plazebo. Im Anschluss daran folgte eine Open-label-Phase von weiteren 6 Monaten, in der beide Gruppen identische Mengen des Extrakts bekamen. Der Gang wurde zum Ausgangszeitpunkt sowie nach 3, 6 und 12 Monaten untersucht. Als primärer und sekundärer Endpunkt wurden die Ganggeschwindigkeit sowie die Schrittzeit definiert. Die Ganganalyse erfolgte mithilfe des GAITRite®-Systems, eines 10 Meter langen elektronischen druckempfindlichen Gangteppichs, der schon geringe Veränderungen im Gangbild erkennen lässt. Die Patienten sollten entweder einfach in ihrer normalen Geschwindigkeit gehen (Single Task) oder dabei zusätzliche Aufgaben ausführen (von 50 an in Zweierschritten rückwärts zählen bzw. Tiere beim Namen nennen; Dual Task). Auf diese Weise werden motorisch kognitive Interferenzen
überprüft, die als Hinweis auf eine Abnahme der Gangkontrolle gelten.
Höherer Effekt
bei längerer Behandlung
Nach einem halben Jahr hatten sich die Dual-Task-Fähigkeiten der Verumgruppe tendenziell verbessert – aufgrund des Pilotcharakters leider nicht signifikant, wie Kressig berichtete. «Das ist von klinischer Bedeutung, da wir wissen, dass ein verbessertes Dual Tasking während des Gehens das Sturzrisiko signifikant senkt, welches ja bei Demenzkranken erhöht ist. Der andere interessante Aspekt dieser Studie ist, dass wir grössere Effekte sehen, je länger wir mit Ginkgo behandeln. Das ist eine Bestätigung früherer Untersuchungen, wie der GuidAge-Studie, die gezeigt hat, dass bei Patienten mit MCI nach 4 Jahren ein Effekt sichtbar wurde.» Eine möglichst frühe und anhaltende Gabe von Ginkgo biloba in einer täglichen Dosierung von 240 mg scheint sich günstig auswirken zu können, so der Experte zusammenfassend.
Auch an Lebensstilmodifikation
denken
Er erinnerte in diesem Zusammenhang auch an die belegten positiven Auswirkungen von Lebensstilmodifikationen. Täglich Bewegung, Ernährung nach neuesten Gesichtspunkten, kognitive und soziale Aktivitäten sowie eine gute Kontrolle kardiozerebrovaskulärer Risikofaktoren brächten bei Demenz-Hochrisikopatienten ungemein viel, dazu gebe es prospektive Daten, die man nicht unterschätzen dürfe: «In der Prävention spielt die Eigenverantwortung eine wichtige Rolle. Als Ärzte sollten wir zudem von Patienten geäusserte Hinweise auf Veränderungen der Kognition ernst nehmen. Wir wissen heute, dass die subjektive kognitive Beeinträchtigung als ungemein starker Prädiktor einer späteren Demenz gilt, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem wir mit den bekannten Testverfahren noch nichts nachweisen können», schloss der Experte. MüO
Quelle: Gschwind YJ et al.: Ginkgo biloba special extract LI 1370 improves dual-task walking in patients with MCI: a randomised, double-blind, placebocontrolled exploratory study. Aging Clin Exp Res. DOI 10.1007/s40520-016-0699-y.
Interessenlage: Die Studie wurde von der Akutgeriatrischen Klinik des Universitätsspitals Basel finanziert und von Vifor SA unterstützt.
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ARS MEDICI 10 I 2017