Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
tisch überhaupt nicht auf der gleichen Wellenlänge – aus dem [FB-]Leben nicht mehr wegzudenken ist).
All zu viele Kolleginnen und Kollegen findet man nicht auf Facebook. Ist ja auch heikel, als Respektsperson, die man als Arzt irgendwie sein sollte, allzu viel Persönliches preiszugeben. Und doch gibt es sie vereinzelt, die noch nicht pensionierten Ärzte mit Facebook-Profil. Den Kardiologen G. zum Beispiel, der seine Freunde regelmässig mit originellen Bildern unterhält, dessen teilweise schwarzen Humor man ihm gar nicht zugetraut hätte. Auch Hausarzt und Ex-Gesundheitspolitiker B. hat keine Hemmungen, gelegentlich Privates zu posten. Man sieht ihn plötzlich in einem ganz andern Licht als früher, als man sich nur von Sitzungen kannte. B. ein Fan von Dolly Parton – wer hätte das gedacht? F. hingegen, noch immer politisch tätig, nutzt Facebook vermutlich mehr dazu, um unerkannt und unbeobachtet das Treiben von Freunden und Kollegen (und vielleicht auch von Patienten) zu beobachten, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Ärztinnen und Ärzte scheinen eine natürliche (und wohl begründete) Scheu vor diesem arg viel offenbarenden Social Medium zu haben. Facebook ist und bleibt halt eine ebenso problematische wie spannende und, wenn entsprechend genutzt, höchst unterhaltsame Sache.
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Ja, Facebook ist problematisch. Weil man immer mal wieder versucht ist, Dinge von sich preiszugeben, die man besser für sich behielte. Andererseits ein Paradies für Voyeure, weil man so manches über andere erfährt. Einiges, von dem die «Freunde» wollen, dass man’s erfährt, einiges, von dem sie nicht ahnen, dass es eine interessante Information ist. Jedenfalls gibt jeder, der sich auf FB tummelt, viel mehr über sich preis, als er ahnt. Sogar wenn er oder sie selbst nichts «postet», sondern nur «liked». Die Facebooker outen sich da als Tierfreunde, als Spieler, als verhinderte oder Feierabend-Politiker, als Musikfreaks, als Videoclip-Addicts, als Das.gab’s-heuteim-Restaurant-XY-Tellerknipser, als
Sprücheklopfer, als Landschafts-, Sonnenuntergangs- und Gewitterstimmungsenthusiasten, als leicht Gschpinnerte, von denen keiner erwartet hätte, dass sie Spass haben an Unfug, an Unfällen mit Lastwagen etwa oder an Verschwörungstheorien und vielem mehr. Ganz prickelnd sind «Entfreundungen» – weil man sie meist lange nicht bemerkt. «Freunde» also, die einen aus ihrer Freundesliste entfernt haben. Kommt selten vor, ist aber gelegentlich eine Offenbarung. Und dann gibt’s natürlich auch die «Freunde», die ganz sicher keine Freunde sind, sondern eher Feinde, die man aber – schlaue Taktik – als FB-«Freunde» ganz gut unter Kontrolle halten kann.
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Bei in die Tausende gehenden Freundschaften auf Facebook ist klar, dass von «Freundschaft» keine Rede sein kann; es sind die taktischen Freundschaften der Politiker. (Zum Glück hat FB eine Obergrenze eingeführt: Keiner kann mehr als 5000 «Freunde» haben. Aber vielleicht ist das auch eine Präventivmassnahme gegen FB-Sucht – so wie es Ausschlüsse von Spielsüchtigen aus Spielcasinos gibt.) Zu den ungewöhnlichsten «Freunden» gehören jene, die man gar nicht kennt. Die aus irgendeinem Grund im Freundesnetz hängen geblieben sind, als Mitspielpartner bei «Gardens of Time» zum Beispiel. Und die man trotzdem nicht mehr missen möchte, weil sie einem aus irgendeinem Grund ans Herz gewachsen sind und einen in völlig fremde Welten hineingucken lassen. LaTrese aus Reno, Carlota aus Mexiko, Brenda aus Gloucester, Tina aus Washington, Verena aus Nordrhein-Westfalen, Sonja aus Haarlem (NL), Cretia aus Kansas, Suzie aus Kalifornien – und natürlich Richard Altorfer aus Neuseeland (der ursprünglich nur wegen einer leicht erklärbaren namentlichen Verwechslung ein «Freund» wurde, inzwischen aber – obschon noch nie getroffen oder persönlich gesprochen und poli-
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Kontrolleur: «Warum fahren Sie mit einem Kinderbillett?» – Ertappter: «Warum wohl? Da sehen Sie mal, wie lange ich auf das Tram warten musste.»
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Manchmal muss man, wenn auch ungern, eingestehen, dass man – vermutlich – nicht genügend Intelligenz mitbringt, um zu verstehen, was sehr viel intelligentere Menschen schreiben. Solches zum Beispiel: «Die Person ist nur Person, indem sie zugleich präpersonal ist, und bringt doch etwas unvorhersehbar Neues auf: ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung durch Selbstzuschreibung als Fall mehrerer Gattungen. Mit ihrem Durchbruch aus der Gefangenschaft in Situationen entsteht die Welt als Antwort auf das menschliche Ansprechen mit satzförmiger Rede, die aus Situationen schöpft.» Vielleicht muss man diese Sätze ja mehr als dreimal lesen, um sie zu verstehen. Was aber, wenn man einfach keine Lust darauf hat? Leider hilft auch der folgende Satz nicht weiter: «Diese Doppelgesichtigkeit von Verankerung und Neubildung in der Epigenese wird in dem Buch an verschiedenen Themen verfolgt.» Nein, der Rezensent dieses Buches («Zur Epigenetik der Person», Verlag Karl Alber) verfolgt etwas ganz anderes: Das Buch jedenfalls kommt garantiert nicht auf die Liste der «must have».
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Das schrullige Sprichwort: Dumm ist, wenn die Ratten das verlassene Schiff versenken.
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Und das meint Walti: Und wenn sie noch so günstig, nahrhaft, ökologisch unbedenklich, gut verdaulich und gut gewürzt sind, ich bleibe dabei: Ich fresse keine Insekten!
Richard Altorfer
ARS MEDICI 10 I 2017
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