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STUDIE REFERIERT
Multiple Sklerose: Wie effektiv sind «Second-line»-Therapeutika?
Vergleichsstudie mit Alemtuzumab, Natalizumab und Fingolimod versus Beta-Interferon
Alemtuzumab senkt die jährliche Rezidivrate und das Fortschreiten der Invalidität der schubförmig remittierenden multiplen Sklerose gleich wirksam wie Natalizumab. Die bessere Wirksamkeit von Alemtuzumab gegenüber Beta-Interferon wurde erneut bestätigt.
The Lancet Neurology
Eine neu diagnostizierte hochaktive multiple Sklerose (MS) beziehungsweise ein Wechsel der bisherigen oralen MS-Medikation zu Natalizumab, Alemtuzumab oder Fingolimod sind häufige klinische Situationen, ohne dass bisher Informationen über die Wirksamkeit von Alemtuzumab im Vergleich zu anderen Immunsuppressiva verfügbar waren. Ein internationales Studienteam unter der Führung des Australiers Tomas Kalincik verglich nun erstmals die Wirksamkeit der Medikamente miteinander.
MSBase-Register liefert die Daten Das MSBase-Register ist eine laufend aktualisierte, internationale Datenbank, welche in 73 Ländern Informationen (Patientendaten, Untersuchungsresultate etc.) über MS-Patienten sammelt und Forschern zur wissenschaftlichen Auswertung zur Verfügung stellt. In der vorliegenden Studie wurden Daten von MSBaseZentren in 21 Ländern sowie 6 weiteren Zentren in England, Irland und
MERKSÄTZE
O Alemtuzumab vermindert die Rezidivrate und das Fortschreiten der Invalidität gleich wirksam wie Natalizumab.
O Alemtuzumab ist bei der Abnahme der Rezidivrate wirksamer als Beta-Interferon und Fingolimod.
O Natalizumab vermag im ersten Anwendungsjahr Invaliditätssymptome zu reduzieren.
Deutschland ausgewertet. Die verwendeten Daten wurden zwischen dem 1. November 2015 und dem 30. Juni 2016 erhoben. Damit handelt es sich um eine sogenannte vergleichende Beobachtungsstudie, deren Daten im klinischen Alltag und nicht unter Studienbedingungen erhoben wurden. Die fehlende Randomisierung wird dabei durch statistische Bereinigung der unausgewogenen Baseline-Charakteristika kompensiert (propensity score matching).
Über 150 000 MS-Patienten
evaluiert
Einschlusskriterien für die Studie waren unter anderem eine bestätigte schubförmig remittierende MS, die Einnahme eines der Studienmedikamente über mindestens 6 Monate, ein Follow-up von mindestens 12 Monaten Dauer, ein Alter von 65 Jahren oder jünger sowie ein Score auf der EDSS (Expanded Disability Status Scale) von 6,5 oder weniger. Insgesamt wurden in diese Studie 15 783 Patienten eingeschlossen, wovon 189 Alemtuzumab, 1160 Natalizumab, 828 Fingolimod und 2155 Patienten Beta-Interferon einnahmen. Der Beginn der Medikamenteinnahme lag teilweise über 10 Jahre zurück (Beta-Interferon) oder entsprach dem Jahr der Zulassung. Als primärer Endpunkt wurde die auf ein Jahr umgerechnete Rezidivrate unter medikamentöser Therapie festgelegt. Ein Rückfall wurde als das Auftreten von neuen Symptomen beziehungsweise einer Exazerbation bestehender Symptome definiert, welche länger als 24 Stunden andauerten
Alemtuzumab ist ein gentechnologisch hergestellter, humanisierter monoklonaler IgG1K-Antikörper. Er bindet spezifisch an CD52, einem Glykoprotein auf der Zelloberfläche von Lymphozyten und anderen Zellen der Immunabwehr, welche dadurch zerstört werden. Alemtuzumab ist ein hocheffektives Immuntherapeutikum bei der Behandlung der schubförmig verlaufenden multiplen Sklerose (MS) und wird als Infusion verabreicht. Durch Lymphozytendepletion und eine anhaltende Veränderung im Lymphozytenrepertoire kommt es bei den meisten Patienten zur langfristigen Stabilisierung einer aktiven MS-Erkrankung.
Natalizumab ist wie Alemtuzumab ein humanisierter monoklonaler IgG4-Antikörper. Er bindet an a4-Integrin, einem Oberflächenprotein von Lymphozyten, und blockiert so deren Funktion. Natalizumab wird als Monotherapie eingesetzt und intravenös verabreicht.
Fingolimod ist ein synthetisch nachgebildetes Immunsuppressivum aus dem Pilz Isaria sinclairii. Es wirkt als Sphingosin-1Phosphat-Analogon und hemmt die Abgabe von Lymphozyten aus den Lymphknoten ins Blut und ins Gehirn und wirkt damit selektiv immunsuppressiv. Fingolimod wird als Kapsel eingenommen.
und 30 Tage und länger nach dem letzten Rezidiv auftraten. Als sekundäre Endpunkte wurden das kumulative Rückfallrisiko sowie eine Zunahme beziehungsweise eine Verbesserung invalidisierender Symptome definiert (Zu- bzw. Abnahme des EDSS-Scores um 1 Punkt). Die Studie bestätigte, dass die durchschnittliche jährliche Rezidivrate unter Alemtuzumab signifikant tiefer liegt als unter Beta-Interferon (0,91 vs. 0,53) und Fingolimod (0,15 vs. 0,34), jedoch etwa gleich gross ist wie diejenige von Natalizumab (0,20 vs. 0,19). Bezüglich der Zunahme von Behinderungssymptomen ist Alemtuzumab etwa gleich
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ARS MEDICI 10 I 2017
STUDIE REFERIERT
wirksam wie Beta-Interferon (Hazard Ratio [HR]: 0,66), Natalizumab (HR: 0,81) und Fingolimod (HR: 1,27). Die Wahrscheinlichkeit einer Symptomverbesserung unter Alemtuzumab ist gleich gross wie unter Beta-Interferon (0,98) und Fingolimod (0,50), aber kleiner als unter Natalizumab (0,35).
Alemtuzumab und Natalizumab
sind valable MS-Therapie-Optionen
Somit sind Alemtuzumab und Natalizumab etwa gleich effektiv in der Verminderung der Rezidivrate und bezüglich des Fortschreitens von Invaliditätssymptomen während einer 4-jährigen Follow-up-Phase. Unter Natalizumab kommt es sogar eher zu einer Verbesserung der Behinderungssymptome, insbesondere während des 1. Jahres der Einnahme. Die vorliegende Studie konnte zudem die Resultate vorgängiger Studien bestätigen, wonach Alemtuzumab bei der Verminderung der Rezidivrate wirksamer ist als BetaInterferon.
Die wichtigste Limitation der Studie sehen die Autoren darin, dass die klinischen und insbesondere subklinischen Befunde nicht durch MRI-Bilder bestätigt werden konnten. Die Baseline-Aktivität im MRI ist einer der wichtigsten Entscheidungsfaktoren bei der Behandlung der MS. Eine weitere Schwierigkeit bei der Interpretation der Ergebnisse liegt im speziellen Einnahmeschema von Alemtuzumab (2 Zyklen an 5 Tagen im ersten bzw. an 3 Tagen im zweiten Behandlungsjahr): Die Therapiepersistenz von Alemtuzumab lässt sich nicht mit derjenigen der anderen drei Medikamente vergleichen. Die Häufigkeit der Arztbesuche wurde deshalb als Indikator für die Therapiepersistenz gewertet. Es bleibt mittels weiterer Vergleichsstudien zu bestätigen, ob die Sicherheit der beiden Medikamente Alemtuzumab und Natalizumab auch bei einer Langzeittherapie gewährleistet ist, da beide Immunsuppressiva komplexe Nebenwirkungen aufweisen. Deshalb ist die sorgfältige Abwägung des
individuellen Risikos bei einer Thera-
pieentscheidung nach wie vor unab-
dingbar.
O
Marianne I. Knecht
Quelle: Kalincik T et al.: Treatment effectiveness of alemtuzumab compared with natalizumab, fingolimod, and interferon beta in relapsing-remitting multiple sclerosis: a cohort study. The Lancet Neurol 2017; 16: 271–281.
Interessenlage: Die referierte Originalstudie wurde durch den National Health and Medical Research Council of Australia und die Universität Melbourne finanziert. Laut den Autoren besteht vonseiten der Sponsoren keinerlei Einfluss auf das Studiendesign sowie die Erfassung, Auswertung und Interpretation der Daten oder auf das Verfassen des Artikels. Die MSBase-Stiftung ist eine Nonprofit-Organisation und wird durch Merck, Biogen, Novartis, Bayer Schering, Sanofi Genzyme und Teva finanziell unterstützt.