Transkript
FORTBILDUNG
Milben, Tierhaare und Pilze
Neues zu Innenraumallergenen
Ganzjährige Allergien auf Hausstaubmilben, Hunde, Kat-
zen oder Schimmelpilze sind wichtige Asthmaauslöser.
Durch die Komplexität dieser Allergenquellen ergeben sich
für den betreuenden Arzt vielfältige Herausforderungen
sowohl im diagnostischen als auch im therapeutischen
Bereich. Zum Stand der Forschung und zu möglichen künf-
tigen Entwicklungen bietet dieser Beitrag einen Überblick.
Petra Zieglmayer
Inhalative Allergien wie Rhinitis allergica und Asthma bronchiale sind zu einem erheblichen Prozentsatz durch ganzjährige Allergenquellen wie Milben, Felltiere und Schimmelsporen verursacht. So verzeichnen wir in Europa Sensibilisierungsraten von über 30 Prozent für Hausstaubmilben und rund 27 Prozent für Felltiere (1), weltweit erreichen die Zahlen in einzelnen Regionen sogar noch höhere Werte. Im Gegensatz zu Pollenallergien, die primär mit Heuschnupfen und gegebenenfalls sekundären Nahrungsmittelallergien assoziiert sind, verursachen ganzjährige Allergenquellen Asthma bronchiale und finden sich bevorzugt auch bei Patienten mit atopischer Dermatitis. Die Entwicklung einer Sensibilisierung, also die Bildung allergenspezifischer IgE-Antikörper, ist per se noch nicht gleichzusetzen mit einer klinisch manifesten Allergie. So konnte in einer grossen multizentrischen, multinationalen Studie mit
MERKSÄTZE
O Eine Sensibilisierung, also die Bildung allergenspezifischer IgE-Antikörper, ist per se noch nicht gleichzusetzen mit einer klinisch manifesten Allergie.
O Asthmapatienten mit Hausstaubmilbenallergie reagieren auf mehr unterschiedliche Allergene als die Nichtasthmatiker, und sie entwickeln auch deutlich höhere IgE-Spiegel.
O Zumindest für Hund und Rind ist zweifelsfrei bewiesen, dass regelmässiger Kontakt zur Entwicklung einer immunologischen Toleranz führt.
O Schimmelsporen werden erst in Konzentrationen, die hoch genug sind, um einen modrigen Geruch zu erzeugen, klinisch bedeutsam.
über 4000 Kindern gezeigt werden, dass die natürliche Hausstaubmilbenexposition unabhängig von der Allergenkonzentration durchaus zur Entwicklung von milbenspezifischen Antikörpern, aber nicht zwangsläufig zur Entwicklung von Asthma bronchiale führt. Nicht einmal bei Hochrisikokindern, die die Hälfte der untersuchten Population ausmachten, war ein Zusammenhang zwischen Allergenkonzentration, Sensibilisierung und Asthmaentwicklung erkennbar (2).
Hausstaubmilben
Milbenallergene werden intensiv beforscht, die wenigsten davon sind jedoch momentan als Testallergene nutzbar. Für rund ein Dutzend der bekannten Milbenallergene stehen Assays zur Verfügung, die sich zumindest für Studienzwecke verwenden lassen. In den derzeit verfügbaren Studiendaten ist klar erkennbar, dass für Patienten zumindest sechs dieser Allergene allergologisch relevant sein dürften. In einer neueren Studie aus Wien konnte gezeigt werden, dass unter 150 pädiatrischen Patienten deutliche Unterschiede zwischen asthmatischen und nicht asthmatischen Kindern bestanden: Die Asthmapatienten hatten ein deutlich breiteres Sensibilisierungsprofil, reagierten also auf erheblich mehr unterschiedliche Allergene als die Nichtasthmatiker und entwickelten auch deutlich höhere IgE-Spiegel (3). Zur Routinediagnostik stehen uns derzeit allerdings nur drei Allergene zur Verfügung: die Hauptallergene der Gruppen 1 und 2 sowie ein Muskelprotein, welches kreuzreaktiv mit Shrimps ist und auf das etwa 10 Prozent der Milbenallergiker sensibilisiert sind. Die zwei wichtigsten Hausstaubmilben, Dermatophagoides pteronyssinus und Dermatophagoides farinae, sind hoch kreuzreaktiv, etwa 95 Prozent aller Patienten haben Antikörper auf beide Milbenspezies. Wichtig für eine erfolgreiche Immuntherapie ist allerdings, dass die Allergene, auf die ein Patient sensibilisiert ist, auch in ausreichender Menge im Impfpräparat enthalten sind. Zur Herstellung von Milbenextrakten werden unterschiedliche Rohstoffe verwendet, die sich in ihrer Zusammensetzung erheblich unterscheiden können (4). Milbengesamtextrakte enthalten nicht nur das allergene Material der Milben, sondern auch das ihrer gesamten Exkremente, was zu einer quantitativen Dominanz von Gruppe-1-Allergenen führt. In Extrakten gewaschener Milben, bei denen nur gereinigte Milbenkörper extrahiert wurden, ist das Verhältnis von Gruppe-1- und Gruppe-2-Allergenen meistens ausgewogen. Allerdings ist damit eine ausreichende Konzentration anderer relevanter Allergene für die Immuntherapie noch nicht gewährleistet. Um dem zu begegnen, liegt ein Forschungsfokus derzeit
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FORTBILDUNG
auf der Entwicklung rekombinanter Impfstoffe, in denen die für die Patienten wichtigen Allergene in ausreichender Menge und gleichbleibender Qualität enthalten sein sollen.
Felltiere
Felltierallergien stellen sich ähnlich komplex dar: Allergene der Katze finden sich quasi ubiquitär, also auch im öffentlichen Bereich, spezifische IgE-Antikörper sind bereits im Kleinkindalter nachweisbar. Es konnte aber in der Vergangenheit zumindest für Hund und Rind zweifelsfrei bewiesen werden, dass regelmässiger Kontakt zur Entwicklung einer immunologischen Toleranz führt. Felltiere besitzen ein sehr breites und in ihrer quantitativen Zusammensetzung stark schwankendes Allergenmuster. Etliche ähnlich strukturierte Allergene finden sich in fast allen Felltieren, eine zumindest serologische Kreuzreaktivität ähnlicher Allergene konnte in einzelnen aktuellen Studien bereits gezeigt werden. Zwei kreuzreaktive Gruppen lassen sich hier herauskristallisieren: die der Serumalbumine, Minorallergene mit unterschiedlicher klinischer Relevanz, und die der Lipocaline (5). Lipocaline sind häufig Hauptallergene und primäre Allergieauslöser. Sie sind aber deshalb von besonderem Interesse, da sie mit Asthma bronchiale assoziiert werden. So weisen besonders Kinder mit schwerem Asthma oft Sensibilisierungen gegen mehrere unterschiedliche Lipocaline auf (6). Unklar war allerdings bisher, ob multiple Lipocalinsensibilisierungen ausschliesslich als serologische Kreuzreaktivitäten zu bewerten sind oder ob hier auch eine klinische Bedeutung gegeben ist. In einer aktuellen klinischen Studie in Wien wurde diese Fragestellung beleuchtet. Unter anderem konnte eine Assoziation zwischen Lipocalinen von Katze und Pferd hergestellt werden, die auch klinisch relevant sein dürfte: Wohl entwickelten die Patienten höhere spezifische IgE-Spiegel auf das Tier, mit dem sie regelmässig Kontakt hatten, waren aber unabhängig von einer Exposition auch klinisch reaktiv auf das kreuzreaktive Tier. Der hypoallergene Hund konnte mittlerweile übrigens in das Reich der Märchen verbannt werden: In einer niederländischen Studie wurde bewiesen, dass als hypoallergen beworbene Hunderassen wie Labradoodle oder Spanischer Wasserhund mitnichten weniger Allergene produzieren, ganz im Gegenteil. Unter den untersuchten Hunderassen war der Labrador-Retriever diejenige mit den niedrigsten Allergenkonzentrationen (7). In der Entwicklung neuer Vakzine zur Immuntherapie gibt es unterschiedliche Herangehensweisen. Auch hier spielen rekombinante Allergene eine wesentliche Rolle, hinzu kommen aber noch verschiedene Applikationsformen. Unter anderem beforscht wird die intralymphatische Applikation, die sich als sehr vielversprechend darstellt. So induziert ein Bruchteil der üblicherweise subkutan applizierten Allergenmenge eine vergleichbare Immunantwort, ohne aber nennenswerte unerwünschte Wirkungen nach sich zu ziehen (8). Weiterhin scheint eine vergleichsweise geringe Anzahl von Applikationen genauso nachhaltig zu wirken wie die regelmässige subkutane Gabe. Bleibt zu hoffen, dass Entwicklungen wie diese den Markt auch erreichen.
Schimmelpilze
Schimmelsporenallergien sind weit seltener, mit Sensibilisie-
rungsraten im einstelligen Prozentbereich. Sie gehören zu den
sekundären Allergien im Gegensatz zu primären Allergien
wie gegen Birke oder Milbe, sind trotzdem aber potente Asth-
maauslöser.
Der betreuende Arzt steht vor nicht zu unterschätzenden Pro-
blemen sowohl im diagnostischen als auch im therapeuti-
schen Bereich. In der Fülle verschiedener Spezies sind nur we-
nige als allergologisch relevant definiert: In unseren Breiten
finden wir Alternaria spp. und sehr viel seltener noch Asper-
gillus spp. als Verursacher von Asthma bronchiale. Vor allem
im angloamerikanischen Raum wird hier noch Penicillium
spp. in Assoziation mit Asthma bei Kindern genannt. Clado-
sporium herbarum wird gelegentlich positiv getestet, verur-
sacht aber kaum je mehr als eine allergische Rhinopathie. Ein
deutlicher Zusammenhang scheint mit der Umgebungsexpo-
sition zu bestehen. Hier gilt die Faustregel, die sich wie ein
roter Faden durch die Literatur zieht: Wenn ich es rieche, ist
es relevant! Schimmelpilzsporenproben sind eigentlich
immer positiv, ohne aber für eine klinische Symptomatik ver-
antwortlich zu sein. Erst in Konzentrationen, die hoch genug
sind, um einen modrigen Geruch zu erzeugen, werden sie kli-
nisch bedeutsam (9).
Die diagnostischen und therapeutischen Probleme ergeben
sich aus der Heterogenität des biologischen Materials. So ist
es nahezu unmöglich, Test- und Therapieextrakte gleichblei-
bender Qualität zu erzeugen. Hinzu kommt die ausgeprägte
Kreuzreaktivität zwischen den verschiedenen Spezies. Dies ist
einer der Gründe, warum inzwischen mehr als die Hälfte aller
Diagnostika zur Haut- und Provokationstestung vom Markt
verschwunden ist. Hilfreich ist hier lediglich der prädiktive
Wert hochpositiver Testergebnisse: Ein spezifischer IgE-Spie-
gel über 17,4 kU/l (entspricht CAP-Klasse 4) sagt mit 99-pro-
zentiger Wahrscheinlichkeit eine klinische Reaktivität voraus;
die Testsensitivität des Hauptallergens aus Alternaria Alta1
wird mit 80 Prozent angegeben.
Die therapeutischen Optionen sind überschaubar: Als Erst-
massnahme ist auch weiterhin die sensibilisierende Schim-
melquelle zu eruieren und zu sanieren. Leider sind kaum
noch extraktbasierte Immuntherapeutika auf dem Markt
verfügbar, mit denen man Schimmelpilzasthmatiker versor-
gen könnte; komponentenbasierte Vakzindesigns stecken
noch in experimentellen Stadien. Somit ergibt sich zurzeit
keine befriedigende Zukunftsperspektive.
O
Dr. med. Petra Zieglmayer Allergiezentrum Wien West Hütteldorfer Strasse 46 A-1150 Wien E-Mail: office@allergiezentrum.at
Interessenkonflikte: Die Autorin hat keine deklariert.
Literatur unter www.arsmedici.ch
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 3/2017. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
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