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Sieben Lebensjahre weniger wegen MS
Untertitel
-
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Die mit einem Zeitraum von 60 Jahren bis anhin längste Kohortenstudie zur Lebenserwartung bei multipler Sklerose belegt eine im Durchschnitt kürzere Lebensspanne für MSPatienten. Die gute Nachricht: Der Unterschied bezüglich der Lebenserwartung zwischen Personen mit oder ohne MS wird immer kleiner.
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MEDIEN - MODEN - MEDIZIN
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32056
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Immunologie
So macht IgA pathogene Bakterien im Darm unschädlich

Wie sekretorische IgA-Antikörper im Darm vor Infektionen schützten, war bisher unklar. Eine Forschergruppe an der ETH in Zürich hat es nun herausgefunden: Die Antikörper legen Krankheitserreger, die sich im Darm ausbreiten, sozusagen in Ketten. Damit verhindern sie eine Erkrankung und unterbinden gleichzeitig die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen. Die IgA-Antikörper heften die Tochterbakterien nach der Vermehrung aneinander. Die verketteten Bakterien können sich zwar weiterhin vermehren, doch bleiben auch alle ihre Nachkommen in diesen Klumpen gefangen. Die Verklumpung verhindert die Ansteckung des Darmgewebes und beschleunigt das Ausscheiden des Erregers. Darüber hinaus wird unterbunden, dass genetisch unterschiedliche Stämme in Kontakt miteinander treten und Erbinformation austauschen können. Die Klumpenbildung von Antikörpern und

Bakterien war schon lange bekannt, man nahm aber an, dass sie nur bei einer hohen Antikörper-/Bakteriendichte funktioniert. Im Darm sind solche hohen Erregerdichten die Ausnahme. Erstmals wurde nun nachgewiesen, dass sich solche Klumpen auch bei geringer Erregerdichte formieren und dies nicht von der Konzentration der Bakterien abhängt. Treibende Kraft hinter der Klumpenbildung ist vielmehr die Vermehrungsrate der Krankheitserreger. «Das System ist effizient. Es ist für das Immunsystem einfacher, einen ganzen Klumpen loszuwerden, als jede einzelne Bakterienzelle einzufangen und zu eliminieren», sagte die ETH-Oberassistenin und Projektleiterin Emma Slack. «Das Clevere an der Klumpenbildung ist, dass die Antikörper die Bakterien nicht töten. Dies könnte im schlimmsten Fall zu einer heftigen Immunreaktion führen. Sie verhindern lediglich, dass die Mikroben

mit dem Wirt, untereinander oder mit

nahen Verwandten wechselwirken», er-

gänzte Prof. Wolf-Dietrich Hardt, ETH Zü-

rich.

Seine Experimente führte das Team mit

Tieren durch, bei denen mit einer Impfung

spezifische, sekretorische IgA im Darm

gegen Salmonellen induziert wurden. Die

gleiche Impfstrategie ist im Prinizip auch

für weitere Erreger von Darmerkrankun-

gen wie Shigellen oder Listerien möglich.

Primär sei eine solche Salmonellenimp-

fung für Nutztiere sinnvoll, heisst es in

einer Pressemitteilung der ETH. In der

Regel infizieren sich Menschen durch den

Kontakt mit diesen Tieren und ihrem

rohen Fleisch. Eine Impfung für Menschen

wäre aber auch denkbar, beispielsweise

für Helfer in Katastrophen- oder Seuchen-

gebieten oder für Reisende in Hochrisiko-

regionen.

redO

Pressemitteilung der ETH Zürich vom 18. April 2017.

Geriatrie
Gehirnjogging bringts eher nicht

Um seinem alternden Gehirn etwas Gutes zu tun, ist körperliches Training vermutlich besser, als vor dem Computerbildschirm zu sitzen, um sogenanntes Gehirnjogging zu betreiben. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer kürzlich publizierten, kleinen Studie. Die mittels Gehirnjogging am Computer trainierten Fähigkeiten seien meist sehr spezifisch, sodass ein Transfer der Leistungsfähigkeit auf andere Aufgaben so gut wie nicht stattfinde, sagte der Studienautor Prof. Neil Charness von der Florida State University: «Wenn ich sehr gut beim Lösen von Kreuzworträtseln werde, wird mir das helfen, meine Schlüssel wiederzufinden? Die Antwort lautet wahrscheinlich: Nein.» Hingegen wisse man aus anderen Studien, dass aerobes Training die Gehirnstruktur und -funktion tatsächlich positiv beeinflusse, so Charness. Man könne durch Denksport erreichen, dass Personen «fantastisch gut spezifi-

sche Aufgaben lösen können, aber wenn die Aufgabe nur ein klein wenig anders gestellt wird, sackt die Leistung einfach weg», so fasste der Koautor Prof. Wally Boot das Ergebnis der Studie zusammen. Die Evidenz sei somit äusserst dürftig, dass Gehirnjogging mittels Kreuzworträtsel oder speziell dafür angepriesener Computerspiele das Leben in irgendeiner sinnvollen Weise verbessern könne. Insgesamt beteiligten sich 60 Personen im Alter über 65 Jahre an der Studie. Sie wurden in zwei Gruppen aufgeteilt (mit oder ohne Gehirnjogging). Die Trainingsgruppe erhielt Tabletcomputer mit Spielen, die Kognition, Exekutivfunktionen und Gedächtnis trainieren sollen. Nach einer Einführung sollten die Probanden einen Monat lang zu Hause jeden Tag drei Spiele à 15 Minuten spielen, insgesamt 45 Minuten täglich. Nach einem Monat fand sich in diversen

Tests zu Kognition, Exekutivfunktionen

und Gedächtnis kein überzeugender Vor-

teil für die Probanden mit dem Tablettrai-

ning. Als völlig nutzlos möchten die Auto-

ren die Gehirnjoggingspiele aber doch

nicht bezeichnen. Sie raten in einer Pres-

semitteilung zur Studie zwar zu einer

grossen Portion Skepsis gegenüber den

Versprechungen der Spieleanbieter, las-

sen aber eine Hintertür offen: Ein Monat

Training mit derartigen Spielen brächte

wohl sicher nichts, ob andere Spiele

und/oder ein längerfristiges Training nütz-

licher wären beziehungsweise andere All-

tagfähigkeiten als die getesteten fördern

könnten, müsse man in weiteren Studien

prüfen.

RBOO

Souders DJ et al.: Evidence for narrow transfer after short-term cognitive training in older adults. Front Aging Neurosci 2017; 9: 41; und Pressemitteilung der Florida States University vom 17. April 2017.

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ARS MEDICI 9 I 2017

MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Neurologie
Sieben Lebensjahre weniger wegen MS

Rückspiegel

Die mit einem Zeitraum von 60 Jahren bis anhin längste Kohortenstudie zur Lebenserwartung bei multipler Sklerose belegt eine im Durchschnitt kürzere Lebensspanne für MSPatienten. Die gute Nachricht: Der Unterschied bezüglich der Lebenserwartung zwischen Personen mit oder ohne MS wird immer kleiner. Für ihre Studie werteten die Autoren die Daten von 1388 Patienten in der Region Hordaland in Westnorwegen aus, bei denen eine MS zwischen 1953 und 2012 erstmals diagnostiziert worden war, und glichen sie mit dem norwegischen Sterberegister ab. Die mittlere Lebenserwartung war für MS-Patienten im Vergleich mit dem Bevölkerungsdurchschnitt um rund 7 Jahre kürzer (74,7 vs. 81,8 Jahre). Der typische Abstand zwischen den Geschlechtern zeigte sich auch bei MS-Patientinnen und -Patienten: Frauen mit MS erreichten im Mittel 77,2 Jahre, Männer mit MS 72,2 Jahre. Bei schubförmiger MS war die Lebenserwartung höher als bei primär progredienter MS (77,8 vs. 71,4 Jahre).

Über den gesamten Beobachtungszeitraum

hinweg zeigte sich jedoch auch, dass das er-

höhte Mortalitätsrisiko für MS-Patienten

stetig gesunken ist und sich mittlerweile

demjenigen der Allgemeinbevölkerung an-

genähert hat. Die standardisierte Mortali-

tätsrate (SMR: standardized mortality ratio)

gibt an, um wie viel höher das Mortalitätsri-

siko einer bestimmten Personengruppe im

Vergleich mit der zu erwartenden Sterberate

ist (aufgrund von Alter, Geschlecht, Geburts-

datum etc.). Ist sie höher als 1,0, bedeutet

dies, dass in der spezifischen Gruppe ein hö-

heres Mortalitätsrisiko besteht. Während die

SMR für MS-Patienten im Vergleich mit der

Allgemeinbevölkerung zwischen 1953 und

1974 noch 3,1 betrug, sank sie zwischen 1975

und 1996 auf 2,6 und zwischen 1997 bis 2012

auf 0,7. Insofern ist damit zu rechnen, dass

die Lebenserwartung für MS-Patienten in

der Zukunft einmal genauso hoch sein wird

wie in der Allgemeinbevölkerung.

RBOO

Lunde H MB et al.: Survival and cause of death in multiple sclerosis: a 60-year longitudinal population. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2017; online first 1 April 2017.

Psychiatrie
Doxycylin gegen posttraumatische Belastungsstörung?

Ein Forscherteam unter der Leitung von Prof. Dominik Bach, Psychiatrische Universitätsklinik Zürich, ging der Frage nach, ob die Hemmung der für die Gedächtnisbildung wichtigen Metalloproteinasen mittels Doxycyclin traumatische Erinnerungen mindern oder gar löschen könnte. Knapp 80 Personen, eingeteilt in Experimental- und Kontrollgruppe, nahmen am Versuch teil. Die Probanden erhielten leicht schmerzhafte elektrische Reize, die sie mit einer spezifischen Farbe zu verknüpfen lernten. Die Probanden in der Experimentalgruppe erhielten vorher 200 mg Doxycyclin, die Kontrollgruppe Plazebo. Sieben Tage später wiesen die Probanden der Kontrollgruppe –  während sie die Farbe sahen – stärkere Schreckreaktionen auf als die Probanden mit Doxycylin: «Bei Probanden der Experimentalgruppe waren die späteren Schreckreaktionen im Vergleich zur Kontrollgruppe rund zwei Drittel schwä-

cher», so Dominik Bach. Damit habe man erstmals bewiesen, dass Doxycyclin das emotionale Gedächtnis abschwächt, wenn es von einem negativen Ereignis eingenommen wird und gleichzeitig wurden neue Anknüpfungspunkte für die Entwicklung therapeutisch wirksamer Substanzen für Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung gefunden. Vorerst will man es aber mit Doxycyclin versuchen: Dabei sollen Traumaerinnerungen in einer Psychotherapie gezielt aktiviert und gleichzeitig durch die Gabe von Doxycyclin abgeschwächt werden. Dieses Vorgehen solle zunächst bei gesunden Personen experimentell getestet werden, heisst es in der Pressemitteilung.
Bach DR et al.: Blocking human fear memory with the matrix metalloproteinase inhibitor doxycycline. Mol Psychiatry 2017; online first 4 April 2017; und Pressemitteilung der Universität Zürich vom 4. April
2017.

Vor 10 Jahren
Prionenimpfung
In den USA wird an Mäusen ein oraler Impfstoff gegen Prionen getestet. Die Tiere entwickeln Antikörper und bleiben trotz Inokulation von Prionen über 400 Tage symptomfrei, während es normalerweise nur 120 Tage dauert, bis die typischen Symptome auftreten. Ziel ist zunächst ein Impfstoff für wildlebende Hirsche in Nordamerika, deren Bestand durch eine BSE-ähnliche Erkrankung bedroht ist. Während dieser Impfstoff 2015 erstmals an Hirschen getestet wird, ist bis heute weder ein Impfstoff noch eine Therapie gegen die BSE-Variante der CreutzfeldtJakob-Krankheit (vCJD) verfügbar.
Vor 50 Jahren
Einfrieren für zweites Leben
Als erster Mensch lässt sich der Psychologieprofessor James Hiram Bedford nach seinem Krebstod in der Hoffnung auf den zukünftigen medizinischen Fortschritt einfrieren. Der tiefgekühlte Leichnam wird in der Folge zunächst an verschiedenen Orten aufbewahrt. Seit Anfang der Achtzigerjahre liegt er in einem Tank des nach eigener Aussage weltweit führenden Unternehmens zur Kryokonservierung Verstorbener in den USA.

Vor 100 Jahren
Strophantin

Begeistert berichtet in ARS MEDICI ein Arzt,

dass sich einer seiner Patienten dank 91

Strophantin-Injektionen und diuretischer

Therapie nach wie vor seines Lebens erfreue,

obwohl ihn ein Konsiliarius bereits zwei

Jahre zuvor wegen akuter Herzschwäche für

so gut wie tot erklärt hatte. «Dem Mann geht

es zurzeit ausgezeichnet, er geht täglich ins

Café und macht Reisepläne.» Strophantin i.v.

(syn: Ouabain) gilt bis Anfang der 1990er

Jahre als Mittel der Wahl bei akuter Herz-

schwäche; danach verliert es zugunsten des

Digoxins an Bedeutung.

RBO

ARS MEDICI 9 I 2017