Transkript
BERICHT
Rauchstopp – was hilft wirklich?
Medikamente oder Nikotinsupplement ohne Beratung nicht sinnvoll
Die Raucherquote ist in der Schweiz seit der Jahrtausendwende zunächst kontinuierlich gesunken und in den letzten Jahren auf etwa dem gleichen Niveau stabil geblieben. Medikamente oder Nikotinsupplemente können beim Rauchstopp zwar helfen, sollten aber in ein umfassendes Beratungskonzept einbettet sein, um den Raucher auf seinem Weg zur Tabakabstinenz zu begleiten. An einer Fortbildungsveranstaltung in Zürich erläuterte PD Dr. med. Isabella Sudano, mit welchen Erfolgsquoten man rechnen darf.
Beratung, ohne medikamentöse Hilfsmittel, seien es etwa 5 bis 10 Prozent, sagte Sudano. Tipps für die Beratung bietet das Manual «Ärztliche Rauchstoppberatung», das bei der Herzstiftung gratis angefordert werden kann (www.swissheart.ch; siehe auch Kasten 1 mit Terminen für ärztliche Fortbildungskurse zur Rauchstoppberatung).
Renate Bonifer
Im Jahr 2014 wurde in der Schweiz eine Raucherquote von etwa 25 Prozent ermittelt, wobei rund 17 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer angaben, täglich zu rauchen, und 8 Prozent angaben, gelegentlich zu rauchen. Der höchste Raucheranteil fand sich bei den 25- bis 34-Jährigen (23,5% täglich; 11,2% gelegentlich). Rund ein Viertel der Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren rauchte, etwa die Hälfte von ihnen täglich, die anderen gelegentlich.
Kasten 1:
Kurstermine «Rauchstoppberatung» der Schweizerischen Herzstiftung für Ärzte und medizinische Fachpersonen
Jeweils 14 bis 18 Uhr: 11. Mai 2017, Universitätsspital Zürich 15. Juni 2017, Kantonsspital St. Gallen 9. November 2017, Universitätsspital Basel 16. November 2017, Universitätsspital Zürich 23. November 2017, Inselspital Bern 7. Dezember 2017, Kantonsspital St. Gallen
Clinical Update: 2. November 2017, 13.30–17.45 Uhr, Bern, Hotel Bern
Anmeldung und weitere Informationen unter: www.swissheart.ch © Angebote für Ärzte und Fachpersonen © Kurse Rauchstoppberatung
Primär mit den Vorteilen des
Rauchstopps motivieren
Man dürfe beim Ansprechen des Rauchens in der Praxis nicht vergessen, dass Raucherinnen und Raucher ihre Gewohnheit auch als etwas Positives mit hohem Coolness-Faktor betrachteten, während «wir Ärztinnen und Ärzte immer nur das Negative sehen», sagte PD Dr. med. Isabella Sudano am 21. Zürcher Herzkreislauftag. Sie empfahl, die Rauchstoppbotschaft «nicht moralisierend» zu kommunizieren, sondern primär den potenziellen Nutzen zu betonen: «Sie haben viel zu gewinnen!» Wer mit dem Rauchen aufhört, vermindert die Risiken auch wieder. In einer 2015 publizierten Studie errechnete man, dass das kardiovaskuläre Risiko ab dem Rauchstopp kontinuierlich sinkt und nach rund 20 Jahren annähernd das Risikoniveau eines permanenten Nichtrauchers erreicht (1). Andere positive Effekte des Rauchstopps zeigen sich rascher (z.B. Geruchs- und Geschmackssinn, Haut, Husten, Atemnot). Vor allem darauf sollte man Raucherinnen und Raucher hinweisen, um deren Motivation zum Rauchstopp zu fördern. Ohne Beratung, ganz auf sich allein gestellt, schaffen es nur die Wenigsten mit dem Rauchstopp. Man schätzt ihre Erfolgsquote auf 1 bis 2 Prozent. Mit
Medikamente als Hilfsmittel
Der erste Schritt sei sicher nicht, dem Raucher ein Medikament in die Hand zu drücken, sagte Sudano, denn das Wichtigste sei, die Motivation zum Aufhören durch die Beratung zu stärken. Der Raucher müsse selbst wirklich fest davon überzeugt sein, dass er aufhören wolle – und nicht andere ihn dazu nur überredeten. Für Raucher, die fest entschlossen sind, mit dem Rauchen aufzuhören, können nikotinhaltige Pflaster, Kaugummi oder Sprays (Nicotinell®, Nicorette®, Nicostop®), Bupropion (Zyban®) oder Vareniclin (Champix®) hilfreich sein. Man solle diese Medikamente aber nicht Rauchern geben, denen die nötige Motivation zum Aufhören fehle, so die Referentin: «Nichts kann den Willen des Patienten aufwiegen!» Im Vergleich mit einem tiefen Zug aus einer Zigarette dauert es aber wesentlich länger, bis Nikotinpräparate ihre Wirkung im Gehirn entfalten. Man nimmt an, dass sie darum keine nennenswerte physiologisch suchterzeugende Wirkung haben. «Aber wir schliessen es nicht aus», sagte Sudano und wies darüber hinaus auf eine mögliche psychologische Abhängigkeit hin. Auch sei es wichtig, dem Patienten klarzumachen, dass diese Nikotinprodukte keinen «Kick» erzeugten, wie er ihn von der Zigarette her kenne. Der zweite wichtige Punkt: Die Nikotindosis muss für den jeweiligen Patienten
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BERICHT
Kasten 2:
So ermitteln Sie die Nikotinabhängigkeit
Anzahl der Zigaretten pro Tag? Zeitspanne zwischen dem Aufwachen und der ersten Zigarette? Entzugserscheinungen beim Rauchstoppversuch?
Nikotinabhängigkeit Zigaretten pro Tag Zeitspanne bis zur ersten Zigarette nach dem Aufwachen Entzugssymptome
schwach 1–9
> 60 min
moderat stark sehr stark
10–19
20–30
> 30
30–60 min 5–30 min 5 min
keine/minimal moderat stark sehr stark
inviduell ausreichend sein (Kasten 2). Mit einer Zigarette nehme man, unabhängig von der Zigarettenmarke, etwa 1 bis 1,5 mg Nikotin auf, sagte Sudano. Entsprechend sollte man den Nikotinersatz wirklich ausreichend dosieren, damit es nicht zu Entzugssymptomen komme.
Welches Präparat hilft am besten?
Die bis anhin grösste Vergleichsstudie mit Vareniclin, Bupropion und einem Nikotinpflaster wurde im vergangenen Jahr publiziert (2). Insgesamt 8144 Teilnehmer wurden in die Studie aufgenommen; etwa die Hälfte von ihnen in eine Kohorte mit psychiatrischen Störungen, wobei diese Patienten entweder medikamentös behandelt wurden oder sich in einer stabilen Phase ihrer Erkrankung befanden. Die Probanden wurden in vier Gruppen aufgeteilt und erhielten jeden Tag vier Tabletten und ein Pflaster. In der Plazebogruppe waren alle Präparate nur Plazebo, in den anderen drei Gruppen jeweils zweimal Plazebo und einmal Verum (triple dummy). Behandelt wurde somit entweder mit einem Nikotinpflaster (21 mg/Tag) oder zwei Tabletten Vareniclin (1 mg 2 × tgl.) oder zwei Tabletten Bupropion (150 mg 2 × tgl.) oder nur mit Plazebo. Die Behandlung dauerte drei Monate, danach folgten drei Monate Follow-up. An der Studie waren 140 Zentren in 16 Ländern beteiligt. Die Häufigkeit der neuropsychiatrischen Nebenwirkungen lag in beiden Patientenkohorten etwa auf dem Plazeboniveau (ca. 2% in der nicht psychiatrischen und ca. 5% in der psychiatrischen Kohorte). «Bei Patienten mit stabilen psychiatrischen Erkrankungen
sind diese Medikamente sicher, und sie funktionieren auch», sagte Sudano. Der Rauchstopp klappte für ein halbes Jahr trotz medikamentöser Hilfestellung nur bei maximal jedem Vierten. Am besten schnitt in dieser Studie das Vareniclin ab. Nach einem halben Jahr (Studienzeitraum inkl. Follow-up) waren in der Gruppe mit Vareniclin 3 von 4 Probanden (74,5%) in der nicht psychiatrischen Kohorte rückfällig geworden und hatten wieder geraucht, gefolgt von Bupropion (82,2%), dem Nikotinpflaster (81,5%) und Plazebo (89,5%). In der psychiatrischen Kohorte lagen die Rückfallquoten etwas höher, die Rangfolge war dieselbe: Vareniclin (81,7% Rückfälle), Bupropion (86,3%), Nikotinpflaster (87%) und Plazebo (91,7%).
E-Zigaretten – das kleinere Übel?
Neben den klassischen E-Zigaretten, bei denen eine Flüssigkeit aerolisiert wird (Liquid), gibt es mittlerweile sogenannte iQOS. Sie enthalten Tabak, der nicht verbrannt, sondern hoch erhitzt wird. Nach Auskunft der Hersteller sei die Nikotinaufnahme hierbei ähnlich wie bei einer normalen Zigarette, das Aerosol jedoch weniger gesundheitsschädlich. Beide Strategien, da gebe es nichts zu diskutieren, seien besser als normale Zigaretten, sagte Sudano: «Aber sie sind nicht wirklich ungefährlich.» So seien die Liquids nicht gut kontrolliert, und in den Aerosolen mancher Liquids seien Substanzen wie Formaldehyd, Acrolein, Nickel, Chrom oder Blei gefunden worden. Hinzu komme, dass das Nikotin* für die Liquids nicht
* In der Schweiz ist der Verkauf nikotinhaltiger Liquids verboten, aber viele Konsumenten beziehen diese via Internethandel.
unbedingt in pharmazeutischer Qualität aus dem Tabak extrahiert werde, sodass es zu Kontaminationen mit unerwünschten, potenziell zusätzlich gesundheitsschädlichen Substanzen komme, erläuterte die Referentin. Auch seien E-Zigaretten an sich von sehr unterschiedlicher Qualität, und wer glaube, dass mit diesen das Problem des Passivrauchens vom Tisch sei, könnte sich täuschen. Eine gesundheitliche Belastung Dritter könne nicht ausgeschlossen werden, heisst es in einer Stellungnahme des Deutschen Krebsforschungszentrums, weil E-Zigaretten feine und ultrafeine lungengängige Flüssigkeitspartikel und Nikotin in die Raumluft abgeben. Für Sudano haben E-Zigaretten und iQOS überdies den Nachteil, dass das Rauchen an sich wieder attraktiv werde: «Wir hatten es fast geschafft, dass Rauchen nicht mehr salonfähig war, und jetzt kommt es durch die Hintertür wieder zurück.» Als weiteren Kritikpunkt nannte die Referentin süsse Liquids für E-Zigaretten, die besonders attraktiv für Kinder und Jugendliche seien. Dadurch steige das Risiko, mit dem Rauchen normaler Zigaretten anzufangen (3). Auch aus diesem Grund sei sie sehr froh, dass in einigen Schulen das Rauchen von E-Zigaretten bereits verboten worden sei, sagte Sudano. O
Renate Bonifer
Quelle: Sudano I: Was gibt es Neues bei der Raucherentwöhnung? Referat am 21. Zürcher Herzkreislauftag, 1. Dezember 2016.
Literatur: 1. Mons U et al.: Impact of smoking and smoking cessa-
tion on cardiovascular events and mortality among older adults: meta-analysis of individual participant data from prospective cohort studies of the CHANCES consortium. BMJ 2015; 350:h1551. 2. Anthenelli RM et al.: Neuropsychiatric safety and efficacy of varenicline, bupropion, and nicotine patch in smokers with and without psychiatric disorders (EAGLES): a double-blind, randomised, placebo-controlled clinical trial. Lancet 2016; 387: 2507–2520. 3. Barrington-Trimis JL et al.: E-cigarettes and future cigarette use. Pediatrics 2016; 138(1): e20160379.
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