Transkript
FORTBILDUNG
Neue US-Guideline zum Gebrauch oraler Antidiabetika
Was folgt auf Metformin als nächster Schritt?
Die meisten Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes erhalten
eine alleinige Therapie mit oralen Antidiabetika. Medika-
mente, die injiziert werden müssen, kommen weniger häu-
fig zum Einsatz. Das American College of Physicians (ACP)
hat kürzlich eine aktualisierte Praxisleitlinie zur Gabe von
oralen Antidiabetika herausgegeben.
Annals of Internal Medicine
Seit der Veröffentlichung der ACP-Leitlinie zur Wirksamkeit und Sicherheit oraler Therapien für Typ-2-Diabetes im Jahr 2012 wurden neue Studien zu Diabetesmedikamenten veröffentlicht, und die Food and Drug Administration (FDA) liess einige neue Substanzen für diese Indikation zu. Daher wurde nun ein Update der ACP-Leitlinie erforderlich. Es beruht auf einem systematischen Review randomisierter, kontrollierter Studien sowie auf Beobachtungsstudien, die über die Wirksamkeit oraler Medikamente zur Behandlung von Typ-2Diabetes bis Dezember 2015 publiziert wurden. Zu den untersuchten Substanzen zählten Metformin, Glitazone, Sulfonylharnstoffe, Dipeptidylpeptidase-(DPP-)4-Hemmer und SGLT-(«sodium glucose cotransporter»-)2-Inhibitoren. Die evaluierten Outcomes umfassten folgende Parameter: O HbA1c O Gewicht O systolischer Blutdruck O Herzfrequenz O Gesamtmortalität
MERKSÄTZE
O Das American College of Physicians (ACP) empfiehlt Metformin, wenn Typ-2-Diabetiker eine medikamentöse Therapie zur Besserung der glykämischen Kontrolle benötigen.
O Wird zusätzlich zu Metformin ein zweites orales Antidiabetikum erforderlich, empfiehlt das ACP den Einsatz eines Sulfonylharnstoffs, Glitazons, SGLT-2-Inhibitors oder DPP4-Hemmers. Arzt und Patient sollten die Therapieentscheidung nach Diskussion von Nutzen, Nebenwirkungen und Kosten gemeinsam treffen.
O kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Morbidität und Mortalität
O Retinopathie O Nephropathie O Neuropathie O Nebenwirkungen.
Die wichtigsten Ergebnisse
Obwohl alle oralen Antidiabetika den HbA1c-Wert senkten, waren die DPP-4-Inhibitoren hinsichtlich dieses Outcomes gegenüber Metformin und Sulfonylharnstoffen unterlegen. Metformin zeigte im Hinblick auf das Gewicht einen grösseren Nutzen als alle anderen Substanzen mit Ausnahme der SGLT-2-Inhibitoren, und die SGLT-2-Hemmer senkten den Blutdruck effektiver als Metformin. Kombinationstherapien mit Metformin und einem SGLT-2-Hemmer oder einem DPP-4-Inhibitor reduzierten HbA1c-Werte, Gewicht und Blutdruck effektiver als eine Metforminmonotherapie. Direkte Vergleichsstudien verschiedener Kombinationstherapien ergaben, dass Metformin zusammen mit einem SGLT-2-Hemmer die HbA1c-Werte effektiver senkte als eine Kombination aus Metformin und einem DPP-4-Inhibitor oder eine Kombination aus Metformin und einem Sulfonylharnstoff; allerdings waren diese Unterschiede nach Ansicht der Leitlinienautoren von fraglicher klinischer Bedeutung. Die Metforminmonotherapie war im Vergleich zu anderen Monotherapien mit einem niedrigen Hypoglykämierisiko assoziiert. Die Evidenz zeigte, dass Sulfonylharnstoffe das Hypoglykämierisiko erhöhten, dass Glitazone das Herzinsuffizienzrisiko steigerten und dass SGLT-2-Inhibitoren das Risiko genitaler Mykosen erhöhten. Glitazone und Sulfonylharnstoffe waren im Vergleich zu Metformin, DPP-4-Hemmern und SGLT-2-Inhibitoren mit einer Gewichtszunahme assoziiert. Kasten 1 fasst Nutzen und Risiken oraler Antidiabetika zusammen, in Kasten 2 sind wichtige klinische Überlegungen dargestellt.
Empfehlungen der ACP-Leitlinie
Empfehlung 1: Das ACP empfiehlt Metformin, wenn Typ-2Diabetiker eine medikamentöse Therapie zur Besserung der glykämischen Kontrolle benötigen (starke Empfehlung, Evidenz moderater Qualität). Metformin reduziert die Blutzuckerwerte effektiv und ist mit Gewichtsabnahme sowie mit weniger hypoglykämischen Episoden assoziiert. Hinzu kommt, dass Metformin kostengünstiger ist als die meisten anderen Substanzen. Hinsichtlich der kardiovaskulären Mortalität kann Metformin gegenüber
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FORTBILDUNG
Kasten 1:
Nutzen und Risiken oraler Antidiabetika
Nutzen
Klinische Outcomes: O Die Metforminmonotherapie war mit einer geringeren kar-
diovaskulären Mortalität assoziiert als die Sulfonylharnstoffmonotherapie.
HbA1c: O Die meisten Substanzen senkten den HbA1c-Wert in ähnlichem
Umfang. O DPP-4-Inhibitoren reduzierten die HbA1c-Werte in geringerem
Mass als Metformin oder Sulfonylharnstoffe. O Alle Kombinationstherapien mit Metformin waren der Metfor-
minmonotherapie überlegen.
Gewicht: O Im Hinblick auf das Gewicht war Metformin besser als Glita-
zone, Sulfonylharnstoffe oder DPP-4-Hemmer. O Kombinationen aus Metformin und einem SGLT-2-Inhibitor senk-
ten das Gewicht deutlicher als eine Metforminmonotherapie. O Glitazone und Sulfonylharnstoffe in Mono- oder Kombinations-
therapie waren mit schlechteren Ergebnissen im Hinblick auf das Gewicht assoziiert.
Systolischer Blutdruck: O SGLT-2-Inhibitoren in Monotherapie oder kombiniert mit Met-
formin senkten den systolischen Blutdruck im Vergleich zu einer Metforminmonotherapie.
Unerwünschte Wirkungen
Metformin: O erhöhtes Risiko für gastrointestinale Nebenwirkungen
Sulfonylharnstoffe: O erhöhtes Hypoglykämierisiko im Vergleich zu anderen Substanzen
Glitazone: O erhöhtes Herzinsuffizienzrisiko
SGLT-2-Inhibitoren: O vermehrt genitale Mykosen
Kasten 2:
Klinische Überlegungen
O Zur nicht medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes zählen Ernährungsumstellung, regelmässige körperliche Aktivität, Lebensstilmodifikationen und Gewichtsabnahme.
O Das Management des Typ-2-Diabetes umfasst oft medikamentöse und nicht medikamentöse Interventionen. Dazu zählen Patientenedukation, Evaluation, Selbstmanagement von mikro- und makrovaskulären Komplikationen durch den Patienten, Behandlung der Hyperglykämie sowie Minimierung von kardiovaskulären und anderen langfristigen Risikofaktoren.
O Die Einleitung einer medikamentösen Therapie ist ein wichtiger Ansatz für ein effektives Management des Typ-2-Diabetes, wenn Gewichtsabnahme oder Lebensstilinterventionen versagen.
O Metformin reduziert die Glykämie in Form einer Monotherapie und in Kombination mit einer zweiten Substanz effektiv. Zudem senkt Metformin das Körpergewicht.
O Zwar reduziert eine Kombinationstherapie die HbA1cWerte effektiver als eine Monotherapie, doch geht die kombinierte Behandlung häufiger mit Nebenwirkungen einher.
O Die DPP-4-Inhibitoren Saxagliptin und Alogliptin können das Herzinsuffizienzrisiko erhöhen, insbesondere bei Patienten, die bereits eine Herz- oder Nierenerkrankung haben.
O Metformin gilt bei Patienten mit milder chronischer Nierenerkrankung und bei manchen Patienten mit mässiger Niereninsuffizienz als sicher; bei Patienten mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate von < 30 ml/min/1,73 m2 ist Metformin jedoch kontraindiziert.
einer Sulfonylharnstoff-Monotherapie möglicherweise einen Vorteil bieten (obwohl die Evidenz hierzu von geringer Qualität war). Daher ist Metformin – sofern keine Kontraindikationen vorliegen – für Patienten mit Typ-2-Diabetes das Medikament der Wahl; zusätzlich sind Lebensstilmodifikationen vorzunehmen. Kontraindiziert ist Metformin nach Angaben der FDA bei Patienten mit: O verminderter Gewebsperfusion oder hämodynamischer
Instabilität O fortgeschrittener Lebererkrankung O Alkoholabusus O akuter instabiler Stauungsherzinsuffizienz O anderen Erkrankungen, die zu einer Laktatazidose führen
können.
Die FDA stellte jedoch kürzlich fest, dass Metformin bei Patienten mit milder Nierenfunktionsstörung sowie bei manchen Patienten mit mässiger Nierenfunktionsstörung sicher ist. Doch ist Metformin bei Patienten mit einer geschätzten glomerulären Filtrationsrate von < 30 ml/min/1,73 m2 kontraindiziert. Empfehlung 2: Wird zusätzlich zu Metformin ein zweites orales Antidiabetikum zur Verbesserung der glykämischen Kontrolle erforderlich, empfiehlt das ACP, den Einsatz eines Sulfonylharnstoffs, Glitazons, SGLT-2-Inhibitors oder DPP4-Hemmers in Betracht zu ziehen (schwache Empfehlung, Evidenz mässiger Qualität). Arzt und Patient sollten die Therapieentscheidung nach Diskussion zu Nutzen, Nebenwirkungen und Kosten gemeinsam treffen. Kombinationstherapien mit Metformin konnten im Vergleich zur Metforminmonotherapie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes
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FORTBILDUNG
die HbA1c-Werte, das Gewicht und den Blutdruck effektiver senken. Diese Empfehlung wird aufgrund des empfindlichen Gleichgewichts von Nutzen und Risiken der verschiedenen Kombinationen als schwach klassifiziert. In der Übersichtsarbeit wurden keine Therapien mit mehr als zwei Kombinationspartnern berücksichtigt. Im Vergleich zu den Monotherapien waren die Kombinationstherapien mit einem erhöhten Risiko für Nebenwirkungen assoziiert. Sulfonylharnstoffe werden seit vielen Jahren eingesetzt, und sie sind die kostengünstigsten oralen Substanzen, die mit Metformin kombiniert werden können. Jedoch sind Sulfonylharnstoffe sowohl in Mono- als auch in Kombinationstherapie mit einem erhöhten Risiko für leichte, mässige und schwere Hypoglykämien sowie mit einer Gewichtszunahme assoziiert. Bei Patienten, die unter Sulfonylharnstoffen eine gute Blutzuckereinstellung aufweisen und keine Nebenwirkungen zeigen, kann die Therapie beibehalten werden. SGLT-2-Inhibitoren werden als Add-on-Therapie zusätzlich zu Metformin gegenüber den Sulfonylharnstoffen aufgrund der günstigeren Effekte auf die Parameter kardiovaskuläre Mortalität, HbA1c, Gewicht, systolischer Blutdruck und Herzfrequenz bevorzugt. SGLT-2-Hemmer werden auch als Add-on-Therapie zusätzlich zu Metformin wegen der günstigeren Effekte auf Gewicht und systolischen Blutdruck gegenüber DPP-4-Inhibitoren präferiert. DPP-4-Inhibitoren werden als Add-on-Therapie zu Metformin gegenüber Sulfonylharnstoffen bevorzugt wegen der
besseren Ergebnisse hinsichtlich Langzeit-Gesamtmortalität und langfristiger kardiovaskulärer Mortalität sowie kardiovaskulärer Morbidität. Im Vergleich zu Pioglitazon schneiden DPP-4-Hemmer hinsichtlich der kurzfristigen kardiovaskulären Morbidität besser ab, im Vergleich zu Sulfonylharnstoffen oder Glitazonen sind DPP-4-Hemmer im Hinblick auf das Gewicht vorteilhafter. Jede Substanzklasse ist mit bestimmten Nebenwirkungen assoziiert. Die FDA warnt davor, dass die DPP-4-Hemmer Saxagliptin und Alogliptin das Herzinsuffizienzrisiko erhöhen können – insbesondere bei Patienten, die bereits eine Herz- oder Nierenerkrankung haben. SGLT-2-Hemmer gehen mit einem erhöhten Risiko für genitale Mykosen einher, Sulfonylharnstoffe mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko. Die vorliegende Leitlinie befasst sich nur mit oralen Antidiabetika. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass Patienten, die trotz Lebenstilinterventionen und Therapie mit oralen Antidiabetika eine persistierende Hyperglykämie aufweisen, möglicherweise auf Insulin eingestellt werden müssen. O
Andrea Wülker
Quelle: Qaseem A et al.: Oral pharmacologic treatment of type 2 diabetes mellitus a clinical practice guideline update from the American College of Physicians. Ann Intern Med 2017; 166(4): 279–290.
Interessenlage: Einer der Autoren erklärt, Honorare von Non-Profit-Organisationen erhalten zu haben.