Transkript
FORTBILDUNG
Neue Optionen bei metastasierendem Nierenzellkarzinom
Zielgerichtete systemische Medikamente und ihre Kombinationen verbessern den Therapieerfolg
Früher galt Interferon alpha als Eckpfeiler der Behandlung
von Nierenzellkarzinomen. Mittlerweile stehen jedoch neue
zielgerichtet wirksame Medikamente zur Verfügung, die
mit höherem Ansprechen und besseren Überlebensraten
verbunden sind. In einem Review haben amerikanische
Wissenschaftler den aktuellen Wissensstand zur Behand-
lung des metastasierenden Nierenzellkarzinoms zusam-
mengefasst.
New England Journal of Medicine
Nierenkrebs gehört in den USA zu den 10 am häufigsten diagnostizierten Krebsarten bei Männern und bei Frauen. Die durchschnittliche 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei 74 Prozent. Bei Patienten mit lokal fortgeschrittener Erkrankung (Stadium III) beträgt sie 53 Prozent und bei metastatischer Erkrankung nur noch 8 Prozent. An Nierenkrebs erkranken vorwiegend Personen in mittlerem oder höherem Alter. 91 Prozent der Betroffenen erhalten die Diagnose ab einem Alter von 45 Jahren, und 48 Prozent sind 65 Jahre oder älter. In 90 Prozent aller Fälle handelt es sich um ein Nierenzellkarzinom. Bei Männern tritt es etwa doppelt so häufig auf wie bei Frauen. Die häufigste Form des Nierenzellkarzinoms ist das klarzellige Nierenzellkarzinom (70%), die zweithäufigste das papilläre Nierenzellkarzinom (10%). Zu den selteneren Nierenkrebsformen gehören chromophobe Tumoren (≤ 5%), das Ductus-Bellini-Karzinom (Sammelrohrkarzinom; < 1%), das renale medulläre Karzinom (< 1%) und das Translokationskarzinom (< 1%).
MERKSÄTZE
O Hormontherapien und zytotoxische Chemotherapien sind beim Nierenzellkarzinom wenig oder gar nicht wirksam.
O Mit hoch dosiertem Interleukin 2 kann bei etwa 5 Prozent der Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom ein dauerhaftes Ansprechen erreicht werden.
O Zur Behandlung des metastasierenden Nierenzellkarzinoms stehen Tyrosinkinaseinhibitoren, VEGF-Antikörper, mTOR-Inhibitoren und ein Immun-Checkpoint-Inhibitor zur Verfügung.
Trotz verbesserter Früherkennungsmethoden sind bei einem Drittel der Nierenkrebspatienten zum Zeitpunkt der Diagnose bereits regionale Metastasen oder Fernmetastasen vorhanden. Von den Patienten mit lokalisiertem Nierenzellkarzinom erleidet etwa ein Viertel nach kurativer Nephrektomie ein Rezidiv in entfernteren Bereichen. Die Fernmetastasen befinden sich am häufigsten in der Lunge, in den Lymphknoten, in der Leber, in den Knochen und im Gehirn.
Systemische Therapie
Hormontherapien und zytotoxische Chemotherapien sind bei metastatischen Nierenzellkarzinomen nur wenig oder gar nicht wirksam. Bis vor etwa 10 Jahren galt Interferon alpha als Eckpfeiler der Behandlung. Die Ansprechrate lag allerdings nur bei 12 Prozent. Mit hoch dosiertem Interleukin-(IL-)2 kann bei etwa 5 Prozent der Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom ein vollständiges und oft auch dauerhaftes Ansprechen erzielt werden. Da IL-2 mit schweren kardiovaskulären Toxizitäten verbunden ist, kann diese Behandlung jedoch nur in Hospitälern mit entsprechenden Versorgungsmöglichkeiten vorgenommen werden. In den letzten 10 Jahren wurde Interferon alpha durch neuere Medikamente ersetzt, die mit höheren Ansprechraten, längerem progressionsfreien Überleben oder beidem verbunden sind. Dazu gehören antiangiogenetische Substanzen, die sich gegen VEGF (vascular endothelial growth factor) und seine Rezeptoren richten, mTOR-(«mechanistic target of rapamycin»-)Inhibitoren und ein Immun-Checkpoint-Inhibitor (siehe Kasten). Die Auswahl individuell geeigneter Medikamente basiert auf Ergebnissen randomisierter Phase-III-Studien sowie auf der Art und der Dosierung vorheriger Therapien. Des Weiteren orientiert sich die Medikamentenwahl an individuellen Patientencharakteristika und den Toxizitätsprofilen der verfügbaren Einzelsubstanzen und Medikamentenklassen. So sollte ein Diabetespatient beispielsweise eher ein Antiangiogenetikum als einen mTOR-Inhibitor erhalten, da Letzterer mit Hyperglykämien verbunden ist. Der Immun-CheckpointInhibitor Nivolumab ist wiederum nicht für Patienten mit Autoimmunerkrankungen geeignet. Derzeit stehen jeweils mehrere Medikamente zur Erst- und zur Zweitlinientherapie des metastatischen Nierenzellkarzinoms zur Verfügung. Die Reviewautoren haben auf der Basis randomisierter Studien eine Entscheidungsstrategie zur Behandlung des fortgeschrittenen klarzelligen Nierenzellkarzinoms erarbeitet (Abbildung).
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FORTBILDUNG
Kasten:
Medikamente zur Behandlung des metastatischen Nierenzellkarzinoms
Zytokine O Interferon alpha (2a, Roferon-A®) O Interleukin-2 (rekombinantes Aldesleukin: Proleukin®)
Tyrosinkinaseinhibitoren O Axitinib (Inlyta®) O Cabozantinib (Cometriq®) O Lenvatinib (Lenvima®) O Pazopanib (Votrient®) O Sorafenib (Nexavar®) O Sunitinib (Sutent®)
VEGF-Antikörper O Bevacizumab (Avastin®)
mTOR-Inhibitoren O Everolimus (Afinitor®, Certican®, Votubia®) O Temsirolimus (Torisel®)
PD-1-Inhibitoren O Nivolumab (Opdivo®)
First-Line-Optionen Die oralen Antiangiogenetika Sunitinib und Pazopanib richten sich gegen die VEGF-Rezeptoren (VEGFR) 1, 2 und 3 sowie gegen Blutplättchenwachstumsfaktorrezeptoren und andere Tyrosinkinasen. In einer Phase-III-Studie erwies sich Pazopanib als First-LineMedikament im Hinblick auf das progressionsfreie Überleben als nicht unterlegen gegenüber Sunitinib. Ähnliche Ergebnisse wurden bezüglich des Gesamtüberlebens beobachtet. Das mediane Überleben betrug in beiden Gruppen annähernd 30 Monate. Pazopanib war mit einer höheren Inzidenz hepatischer Toxizitäten verbunden als Sunitinib (60% vs. 43%). Unter Sunitinib kam es im Vergleich zu Pazopanib häufiger zu Fatigue (63% vs. 55%), Hand-Fuss-Syndromen (50% vs. 29%) und Thrombozytopenien (78% vs. 41%). Nach Auskunft der Patienten wurde ihre Lebensqualität von Sunitinib stärker beeinträchtigt als von Pazopanib, weshalb sie Letzteres bevorzugten. Der mTOR-Inhibitor Temsirolimus ist die First-Line-Option für Patienten mit klarzelligem Nierenzellkarzinom und hohem Risiko. Temsirolimus wird einmal wöchentlich intravenös appliziert. Zu den metabolischen Toxizitäten der mTOR-Inhibitoren gehören Hyperglykämien, Hypercholesterinämie und Hyperlipidämie. Sunitinib und Pazopanib sind bei Patienten mit hohem Risiko ebenfalls wirksam und werden aufgrund der oralen Applizierbarkeit mitunter bevorzugt.
Second-Line- und weitere Optionen Nach einer gegen VEGF gerichteten Therapie stehen der orale mTOR-Inhibitor Everolimus und der orale VEGFRInhibitor Axitinib zur Verfügung. In einer Phase-III-Studie war Everolimus bei Patienten, die unter Sunitinib, Sorafenib
oder beiden Substanzen ein Rezidiv erlitten hatten, mit einem längeren progressionsfreien Überleben verbunden als Plazebo. Axitinib war bei Patienten nach einer Erstlinientherapie (meist Sunitinib oder Zytokine) mit einem längeren progressionsfreien Überleben verbunden als Sorafenib. Diese Verlängerung des progressionsfreien Überlebens war nach einer Vorbehandlung mit Sunitinib von kürzerer Dauer als nach einer Vorbehandlung mit Zytokinen (medianer Zeitgewinn 1,4 Monate vs. 5,6 Monate). Mit der Zeit entwickeln sich bei fast allen Patienten Resistenzen gegenüber VEGF- und mTOR-Inhibitoren. Eine Gegenstrategie besteht in der Kombination von Medikamenten beider Klassen, um die Resistenzentwicklung unter der jeweiligen Monotherapie hinauszuzögern. In drei randomisierten Studien zeigte sich allerdings unter Bevacizumab/Temsirolimus oder unter Bevacizumab/Everolimus im Vergleich zu Bevacizumab/Interferon alpha keine verbesserte Wirksamkeit, sondern lediglich eine Zunahme der Nebenwirkungen. In einer randomisierten Phase-II-Studie wurde jedoch mit einer Kombination aus Everolimus und dem dualen VEGFR/FGFR-(Fibroblastenwachstumsfaktorrezeptor-)Inhibitor Lenvatinib ein längeres progressionsfreies Überleben und ein längeres Gesamtüberleben erzielt als mit Everolimus allein. Auch die Ansprechraten waren unter der Kombination höher als unter der Everolimusmonotherapie. Als weitere Second-Line-Option steht Cabozantinib, ein Inhibitor der Tyrosinkinaserezeptoren VEGF, MET und AXL, zur Verfügung. In einer Phase-III-Studie wurde unter Cabozantinib bei Patienten, deren Erkrankung nach einer gegen VEGF gerichteten Therapie fortgeschritten war, ein längeres progressionsfreies Überleben und ein längeres Gesamtüberleben beobachtet als unter dem Standard Everolimus. Die Anzahl nebenwirkungsbedingter Studienabbrüche war in beiden Gruppen vergleichbar. Auch der neue Immun-Checkpoint-Inhibitor Nivolumab kann zur Zweitlinienbehandlung des metastatischen Nierenzellkarzinoms angewendet werden. Dieser voll humane monoklonale IgG4-(Immunglobulin-G4-)Antikörper bindet spezifisch an den PD-(«programmed-death»-)1-Rezeptor. In einer Phase-III-Studie wurde bei Patienten mit metastatischem klarzelligen Nierenzellkarzinom unter Nivolumab ein längeres Gesamtüberleben und eine höhere Ansprechrate beobachtet als unter Everolimus – bei weniger unerwünschten Ereignissen und besserer Lebensqualität.
Nicht klarzellige Nierenzellkarzinome
Die histologischen und molekularen Charakteristika nicht klarzelliger Nierenzellkarzinome unterscheiden sich von denen klarzelliger Nierenzellkarzinome, die Vorgehensweise bei der Behandlung ist jedoch ähnlich. Bei nicht klarzelligen Nierenzellkarzinomen sind die derzeit verfügbaren Medikamente meist weniger wirksam. In drei randomisierten Phase-II-Studien war Sunitinib bei Patienten mit nicht klarzelligen Nierenzellkarzinomen (meist papilläres Nierenzellkarzinom) im Vergleich zu Everolimus mit einem Trend zu einem längeren progressionsfreien Überleben verbunden (8,3 vs. 5,6 Monate; 7,2 vs. 5,1 Monate; 6,1 vs. 4,1 Monate). Bei papillären Nierenzellkarzinomen mit verändertem MET wurde ein Ansprechen auf MET-gerichtete Medikamente
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FORTBILDUNG
Metastatisches klarzelliges Nierenzellkarzinom Niere erhalten?
Ja
Zytoreduktive Nephrektomie mit oder ohne Metastasektomie erwägen
Nein
First-Line-Optionen
Nachweis nicht resektabler Erkrankung in der Bildgebung?
Nein Ja
Bevacizumab + Interferon alpha Hoch dosiertes Interleukin 2 Pazopanib Sunitinib Temsirolimus (bei Nierenzellkarzinom mit hohem Risiko)
Metastasektomie erwägen
Second-Line- und spätere Optionen
Axitinib Cabozantinib Lenvatinib + Everolimus Nivolumab
Weitere Optionen
Everolimus Sorafenib
Abbildung: Entscheidungsstrategie zur Behandlung des fortgeschrittenen klarzelligen Nierenzellkarzinoms (nach Choueiri und Motzer 2017; Auflistung der Medikamente in alphabetischer Reihenfolge)
beobachtet. Dieses Ergebnis weist nach Ansicht der Autoren auf die Notwendigkeit weiterer Studien zur Identifizierung von Biomarkern für eine Evaluierung eines individuellen Behandlungsansprechens hin.
Chirurgie und Bestrahlung Im Management des metastatischen Nierenzellkarzinoms sind auch chirurgische Eingriffe von Bedeutung. Aus retrospektiven Analysen grosser Datenbanken geht hervor, dass Patienten, bei denen eine zytoreduktive Nephrektomie und eine Behandlung mit VEGF- oder mTOR-Inhibitoren durchgeführt wurde, länger überlebten als Personen, die nicht operiert wurden und nur Medikamente erhielten (17,1 Monate vs. 7,7 Monate; p < 0,001). Die zytoreduktive Nephrektomie ist eine Option für Patienten mit geringer systemischer
Krankheitsbelastung. Die chirurgische Entfernung von
Metastasen kann bei Patienten mit solitären Metastasen
sinnvoll sein.
Beim Nierenzellkarzinom handelt es sich um einen radiore-
sistenten Tumor. Mit Bestrahlungen kann jedoch häufig eine
Linderung der Symptome erreicht werden. Bis zu 30 Prozent
der Patienten erhalten eine Bestrahlung von Knochen- und
Gehirnmetastasen.
O
Petra Stölting
Quelle: Choueiri T, Motzer RJ: Systemic therapy for metastatic renal-cell carcinoma. N Engl J Med 2017; 376: 354–366.
Interessenlage: Beide Autoren des referierten Reviews haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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