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STUDIE REFERIERT
Limitatio schadet offenbar nicht
Studie zu Abgabebeschränkungen bei Blutzuckerteststreifen
Nicht nur in der Schweiz gilt für nicht insulinpflichtige Diabetiker eine Limitatio für Blutzuckerteststreifen. In einer kanadischen Studie ging man der Frage nach, ob die Einführung der Limitatio mit erhöhten Risiken für Hypo- oder Hyperglykämie beziehungsweise erhöhtes HbA1c einherging.
JAMA Internal Medicine
In der Schweiz werden seit Jahren nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern maximal 400 Teststreifen pro Jahr von der Krankenkasse bezahlt. Das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kam 2009 zu dem Schluss, dass bei nicht insulinpflichtigen Typ-2-Diabetikern zwar ein statistisch signifikanter Unterschied bei der HbA1cKontrolle mit oder ohne Blutzuckerselbstmessung bestehe, dieser aber nicht klinisch relevant sei. Trotzdem mag sich so mancher sorgen, ob die Teststreifen-Limitatio nicht doch zu einem erhöhten Hypo- oder Hyperglykämierisiko führen könnte. Nachdem man in der kanadischen Provinz Ontario im Sommer 2013 erstmals eine Limitatio für Blutzuckerteststreifen eingeführt hatte, schaute man sich nun entsprechende Daten näher an.
Die kanadische Limitatio In der Provinz Ontario bezahlt die öffentliche Gesundheitsversorgung seit 2013 pro Jahr maximal 400 Streifen für nicht insulinpflichtige Diabetiker, die Medikamente mit bekanntem Hypoglykämierisiko einnehmen. Allen anderen nicht insulinpflich-
MERKSATZ
O Die Einführung einer Limitatio für Blutzuckerteststreifen in Kanada hatte innert 11/2 Jahren in einem grossen Diabetikerkollektiv weder einen Einfluss auf die Anzahl notfallmässiger Spitaleinweisungen wegen Hypo- oder Hyperglykämie noch auf den HbA1c-Wert.
tigen Diabetikern werden nur noch 200 Streifen pro Jahr bezahlt. Für Diabetiker mit Insulin beträgt die Limitatio 3000 Streifen pro Jahr, wobei nach Erfahrung der kanadischen Gesundheitsbehörde kaum ein Patient dieses Kontingent tatsächlich ausschöpft. In einer retrospektiven Studie ging man nun der Frage nach, ob die Einführung der Limitatio zu einer Veränderung des Hypo- beziehungsweise des Hyperglykämierisikos geführt hat.
Studiendesign
Die Autoren werteten die Daten von April 2008 bis März 2015 aus, das heisst rund 5 Jahre vor und 2 Jahre nach Einführung der Limitatio. Einbezogen wurden alle erwachsenen Diabetiker (ab 19 Jahren) mit Anrecht auf Übernahme von Medikamentenkosten durch den Staat. Dabei handelt es sich in der Regel um Empfänger von Sozialleistungen, Personen mit Behinderungen, Patienten, die häuslicher Pflege bedürfen oder in Pflegeheimen wohnen, sowie ältere Personen über 65 Jahre. Primärer Endpunkt war die Nofallaufnahme wegen Hypo- oder Hyperglykämie, sekundärer Endpunkt der HbA1c-Wert im Verlauf vor und nach der Einführung der Limitatio. Die Daten wurden quartalsweise ausgewertet und die Diabetiker vier Gruppen zugeordnet: insulinpflichtig, orale Antidiabetika mit Hypoglykämierisiko (Sulfonylharnstoffe, Repaglinid), orale Antidiabetika ohne besonderes Hypoglykämierisiko (Metformin, Acarbose, Glitazone) und Diabetiker ohne medikamentöse Therapie. Insgesamt wurden die Daten von 834 309 Personen ausgewertet. Im letzten Studienquartal betrug das Durchschnittsalter rund 72,3 Jahre. Die meisten Patienten waren über 65 Jahre alt (84,7%), das Geschlechterverhältnis war etwa ausgeglichen (50,4% Männer).
20 Prozent Kostenersparnis
ohne Risiko?
Die Limitatio führte zu einer deutlichen Kostenersparnis von rund 20 Prozent. Gleichzeitig sei es aber nicht zu negativen Folgen bezüglich Glykämierisiko oder HbA1c gekommen, so die Studienautoren. Der im Verlauf der Jahre deutliche Trend zu immer weniger Notfalleinweisungen wegen Hypo- oder Hyperglykämie setzte sich auch nach Einführung der Limitatio in allen Diabetikergruppen fort. Für etwa 10 Prozent der Patienten waren HbA1c-Werte verfügbar (n = 83 347). Auch hier zeigte sich keine statistisch signifikante Veränderung der Werte nach Einführung der Limitatio. Die Studienautoren sahen sich speziell die Daten von 140 118 Diabetiker mit besonders hohem Teststreifenverbrauch vor Einführung der Limitatio an und fanden ebenfalls keine negativen Folgen der eingeschränkten Kostenerstattung. Gleichzeitig weisen sie jedoch auf mehrere Aspekte hin, die die Aussagekraft ihrer Studie möglicherweise beeinträchtigen könnten: O Es wurde nur ein Zeitraum von 11/2 Jah-
ren nach Einführung der Limitatio berücksichtigt, sodass keine Aussagen zu langfristigen Folgen möglich sind. O Es ist nicht bekannt, ob und in welchem Ausmass zusätzliche Blutzuckerteststreifen nach Einführung der Limitatio privat gekauft wurden. O Das Studienkollektiv ist nicht notwendigerweise repräsentativ für alle Diabetiker.
Insofern könne nicht ausgeschlossen wer-
den, dass spezielle, kleinere Patientengrup-
pen nicht doch von einer häufigeren Blut-
zuckerselbstmessung profitieren würden,
so die Autoren. Auch seien keine Aussagen
zum Einfluss der Limitatio auf Parameter
wie beispielsweise die Lebensqualität mög-
lich.
Insgesamt sprächen die Ergebnisse ihrer
Studie jedoch dafür, dass für nicht insulin-
pflichtige Diabetiker eine Limitatio für
Blutzuckerteststreifen eingeführt werden
könne, ohne die Patienten dadurch zu
gefährden, so die Schlussfolgerung der
Studienautoren.
O
Renate Bonifer
Gomes T et al.: Association of a blood glucose test strip quantity-limit policy with patient outcomes: a population-based study. JAMA Intern Med 2017; 177(1): 61–66.
Interessenlage: Die Studie wurde vom Gesundheitsministerium der Prozinz Ontario und weiteren öffentlichen Trägern finanziert. Einer der Studienautoren deklarierte Honorare von allen Herstellern diabetologischer Produkte.
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ARS MEDICI 7 I 2017