Transkript
FORTBILDUNG
Flüchtlinge beim Hausarzt
So erkennen und behandeln Sie wichtige Infektionskrankheiten von Migranten
Aufgrund der derzeit stark zunehmenden Zahl von Flücht-
lingen aus den unterschiedlichsten Ländern benötigen
Hausärzte hierzulande immer häufiger spezifische Kennt-
nisse über verschiedenste Infektionskrankheiten, die vor-
mals nicht immer in diesem Mass praxisrelevant waren.
Dieser Artikel soll zum einen ganz generell über die Be-
deutung und die Ursachen von Infektionskrankheiten
bei Flüchtlingen aufklären, zum anderen einen Überblick
über einige wichtige Infektionskrankheiten bieten, die bei
Flüchtlingen vorkommen.
Florian Reim, Uwe Ziegler, Gerhard Förch und August Stich
Kriege, Vertreibung und Armut sind die Hauptursachen für die derzeit ausgedehnten Migrationsbewegungen von Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern nach Europa. Mit dieser «Flüchtlingswelle» kommen natürlich auch viele potenzielle neue Patienten auf uns zu. Eine zentrale Rolle in der medizinischen Versorgung dieser Patienten spielen Infektionskrankheiten, die bei Flüchtlingen sicherlich häufiger vorkommen als in der durchschnittlichen heimischen Bevölkerung. Eine dadurch verursachte Gesundheitsgefährdung für die Allgemeinbevölkerung muss aber nicht befürchtet werden, denn auch Flüchtlinge leiden meistens an Infektionen durch landläufige Krankheitserreger (grippaler Infekt, Gastroenteritis etc.). Manche Infektionskrankheiten, die Flüchtlinge aus ihren zum Teil fernen Heimatregionen mitbringen oder auf ihrer Fluchtroute erwerben, kamen hierzulande zwar bisher tatsächlich eher selten vor und stellen Mediziner deshalb gelegentlich vor unbekannte Herausforderungen. Gefährliche, hochinfektiöse Erreger spielen dabei allerdings kaum eine Rolle.
MERKSÄTZE
O Fluc̈ htlinge sind hierzulande nicht gefährlich, sie sind vielmehr gefährdet.
O Die Einschleppung hochkontagiöser hämorrhagischer Fieber durch Fluc̈ htlinge ist sehr unwahrscheinlich.
Auch die Gefahr durch eine Zunahme multiresistenter Erreger (MRE) im Rahmen der gegenwärtigen Migrationsströme hält sich in Grenzen. Zwar kann die häufigere Besiedlung mit multiresistenten Erregern (v.a. MRSA und 3- oder 4-MRGNKeime) in dieser Patientengruppe bei Infektionen ein therapeutisches Problem darstellen, eine relevante Übertragung von MRE in Erstaufnahmeeinrichtungen erscheint allerdings dennoch unwahrscheinlich (1). Generelle MRE-ScreeningProgramme in Flüchtlingsunterkünften werden daher auch vom Robert-Koch-Institut nicht empfohlen (2). Die teilweise verbreitete Angst vor der «Einschleppung gefährlicher Krankheitserreger» durch Flüchtlinge ist also nicht begründet. Hingegen lautet die entscheidende Erkenntnis all derer, die im Feld der Migrantenmedizin tätig sind: Flüchtlinge sind nicht gefährlich, sie sind gefährdet (3)! So fehlt vielen Asylsuchenden der hierzulande übliche Impfschutz, zudem kommen Immunschwächezustände (Mangelernährung, HIV) bei Flüchtlingen häufiger vor. Ausserdem begünstigen die Lebensbedingungen in den oft hygienisch bedenklichen und überfüllten Not- und Massenunterkünften eine zum Teil ausbruchsartige Verbreitung von Infektionskrankheiten – darunter sind auch solche, die hierzulande mittlerweile eigentlich (durch die üblichen hohen Hygienestandards) selten geworden sind.
Infektionskrankheiten, die man bei Flüchtlingen kennen sollte
Im Folgenden werden hier (gegliedert nach Symptomkomplexen) wichtige Infektionskrankheiten in der Migrantenmedizin aufgeführt. Einige bei Flüchtlingen besonders häufige Infektionen, die aber in der durchschnittlichen einheimischen Bevölkerung kaum vorkommen, werden dann noch näher vorgestellt.
Infektionen mit Hautveränderungen
Hautveränderungen sind ein häufiger Grund für ärztliche Konsultationen durch Flüchtlinge. Neben nicht infektiösen Ursachen sollte (je nach Befund) auch an die in Tabelle 1 aufgeführten Infektionskrankheiten gedacht werden.
Skabies Die nur bis zu 0,5 mm grossen, intradermal lebenden Krätzmilben werden vor allem durch längeren, engen Hautkontakt übertragen. Sie verursachen einen heftigen Juckreiz, welcher sich nachts noch verstärkt. Prädilektionsstellen sind die Interdigitalfalten, die Axillen, der Brustwarzenhof, der Nabel, der Penisschaft sowie die Inguinal- und die Perianalregion.
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Tabelle 1:
Hautinfektionen/Infektionen mit klassischen Hautveränderungen bei Flüchtlingen
Diagnose Bakterielle Hautinfektionen Virusexantheme
Scharlach
Dermatomykosen Pedikulosis Skabies
Kutane Leishmaniose
Besonderheiten
Therapie
O Abszesse, Phlegmone, Erysipel, O Impetigo contagiosa O meist Staphylokokken/Streptokokken
Antibiotika
Masern: O generalisiert und grossfleckig O Koplik-Flecken enoral O ausbruchsartige Verbreitung in O Notunterkünften möglich
symptomatisch
Windpocken: O starker Juckreiz O multiple, unterschiedlich grosse O fleckige Läsionen, teilweise verkrustet O («Sternenhimmel») O ausbruchsartige Verbreitung in O Notunterkünften möglich
symptomatisch
O systemische Infektion durch O Streptococcus pyogenes O feinfleckiger Ausschlag mit O Pharyngitis und Fieber O Munddreieck ausgespart O ausbruchsartige Verbreitung in O Notunterkünften möglich
Penicillin
O flächig dezent gerötete, juckende O und schuppende Hautareale O häufig intertriginös
Antimykotika (i.d.R. topisch)
O Jucken und Kratzspuren am Kopf O Kopfläuse und Nissen im Haar
insektizidhaltige Externa (Läuseshampoo)
O oft interdigital oder inguinal O starker Juckreiz (v. a. nachts) O oft nur kleine Papeln und Pusteln O manchmal Milbengänge sichtbar O ausbruchsartige Verbreitung in O Notunterkünften möglich
topisch: Permethrincreme
systemisch: Ivermectin
O parasitäre Infektion O durch Sandmücken übertragen O schmerzlose Ulzerationen O im Gegensatz zur viszeralen O Leishmaniose auf Haut begrenzt
in Abhängigkeit von Ausbreitung und Erregerspezies topisch oder systemisch möglich
Prophylaxe Hautpflege und Hygienemassnahmen Impfung
Impfung
Hygienemassnahmen
Hautpflege und Hygienemassnahmen Hygienemassnahmen Hygienemassnahmen
in Deutschland keine Übertragung
Dort sieht man meist stecknadelkopfgrosse Papeln und Pusteln, einzeln oder gruppiert. Pathognomonisch (aber eher selten) findet man unregelmässig gewundene, kurze Milbengänge. Durch Kratzeffekte, Verkrustung und Impetiginisierung entsteht im Verlauf oft auch ein vielfältiges morphologisches Bild, das diverse Hauterkrankungen imitieren kann (4) (Abbildung 1). Zur lokalen Therapie wird häufig Permethrin-5%-Creme eingesetzt. Meist ist eine einmalige Applikation über Nacht ausreichend (4). Zur systemischen Therapie kann in geeigneten Fällen Ivermectin (Einmalgabe von 200 µg pro kg Körpergewicht) eingesetzt werden, welches seit Kurzem auch offiziell in Deutschland zur Skabiesbehandlung zugelassen ist. In der Schweiz ist Ivermectin dagegen bis anhin nicht regis-
triert. Bei Fortbestand des Krankheitsbildes kann innerhalb von 14 Tagen eine Zweitbehandlung erfolgen (5). Die Kontrolle von Krätzeepidemien in Gemeinschaftsunterkünften ist oft eine erhebliche Herausforderung (3). Durch die Verfügbarkeit der oralen «Single-dose»-Therapie mit Ivermectin wird die Durchführung einer erforderlichen Massenchemotherapie sicherlich vereinfacht.
Kutane Leishmaniose Die kutane Leishmaniose der Alten Welt (Orientbeule) ist eine durch Sandfliegen übertragene parasitäre Infektion, die vor allem bei Flüchtlingen aus Syrien nicht selten ist. Das Verbreitungsgebiet der Erreger (L. tropica, L. major, L. aethiopica) umfasst den gesamten Nahen Osten, Ostafrika, Zen-
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(Gesicht und Extremitäten). Da die Läsionen erst nach etwa einem Jahr abheilen (und dies oft mit Narbenbildung), ist vor allem bei Befall des Gesichts und bei multiplen Läsionen eine Therapie indiziert. Die Therapie kann (abhängig von Erreger und Ausbreitung) topisch oder lokal erfolgen. Topisch kann Antimon (periläsional) oder Paromomycin verwendet werden. Zur systemischen Therapie eignen sich Miltefosin (in der Schweiz nur als Tierarzneimittel zugelassen) oder AzolAntimykotika (7).
Abbildung 1: Klassischer, vor allem interdigitaler Skabiesbefall
Abbildung 2: Kutane Leishmaniose am Unterarm
Abbildung 3: Tbc-verdächtiger Röntgenthorax mit auffälligem Infiltrat und Kaverne im rechten Oberlappen
tralasien und vereinzelt sogar Südeuropa (6). Bei der gängigen kutanen Leishmaniose der Alten Welt entsteht dabei einige Wochen bis Monate nach dem Stich einer infizierten Sandfliege eine kleine, blaurote, erhabene Papel, die sich langsam vergrössert und im Verlauf in ein meist schmerzloses, flaches (oft verschorftes) Ulkus mit erhabenem Randwall übergeht (Abbildung 2). Multiple Ulzera sind möglich. Die meisten Läsionen finden sich an unbedeckten Körperteilen
Infektionen der Atemorgane
Infektionen der oberen Atemwege (inklusive HNO-Trakt) und Pneumonien sind vor allem in der (für viele Flüchtlinge ungewohnten) kalten Jahreszeit in Flüchtlingssprechstunden recht häufig. Zudem können besonders kontagiöse Infektionen (wie z.B. Influenza oder Pertussis) in überfüllten Notunterkünften bei mangelnder Durchimpfung gelegentlich ausbruchsartig auftreten. Vor einer eventuell notwendigen Antibiotikatherapie (z.B. bei Pneumonie oder HNO-Infektionen) sollte ein gegebenenfalls erhöhtes Risiko für MRE zumindest in Erwägung gezogen werden. Im Zweifelsfall sollte grosszügig eine mikrobiologische Testung erfolgen. Bei lange andauerndem, produktivem Husten oder gar Hämoptysen sollte bei Flüchtlingen und Migranten aber immer auch an eine Tuberkulose gedacht werden.
Tuberkulose 2014 war die Inzidenz der Tuberkulose (Tbc) in Deutschland bei ausländischen Staatsbürgern mit 33,6 pro 100 000 Einwohnern mehr als 13-mal so hoch wie in der deutschen Bevölkerung (8). Das ist auch der Grund, weswegen alle Flüchtlinge in Deutschland generell einer Screeninguntersuchung unterworfen werden. Hierfür erfolgt entweder eine Thoraxröntgenaufnahme oder (bei Schwangeren und Personen unter 15 Jahren) alternativ der Tuberkulinhauttest oder ein IGRA (interferon-gamma release assay). Frühe Stadien der pulmonalen Tbc und extrapulmonale Formen können durch das Thoraxröntgen aber nicht erfasst werden, und Tuberkulinhauttest und IGRA können sowohl falschnegative als auch falschpositive Befunde liefern (3). Ausserdem differiert die Inzidenz der Tbc in den unterschiedlichen Herkunftsländern der Flüchtlinge gewaltig. Syrer haben in ihrer Heimat eine Inzidenz der Tbc, die sich nur gering von derjenigen in Deutschland unterscheidet. Dagegen liegt in Somalia die Inzidenz der Tbc mehr als 100-mal höher als hierzulande (9). Klassische Hinweise auf eine pulmonale Tbc sind persistierender Husten, Hämoptysen oder verdächtige Befunde im Röntgenthorax (Abbildung 3). Extrapulmonale Formen können durch Lymphknotenvergrösserungen (LK-Tbc), Aszites (Peritoneal-Tbc), Pleuraerguss (tuberkulöse Pleuritis), unklare ossäre Destruktionen (Knochen-Tbc) und eine sterile Leukozyturie (Urogenital-Tbc) auffallen. Bei entsprechendem Verdacht sollte immer (nach evtl. prophylaktischer Isolation) sofort eine mikrobiologische Erregerdiagnostik erfolgen. Hier liefert dann die Mikroskopie (nach Ziehl-NeelsenFärbung) die schnellsten Ergebnisse. PCR und kulturelle Anzucht sind jedoch weitaus sensitiver. Entscheidend ist dabei aber immer auch die korrekte Asservierung von ge-
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Tabelle 2:
Gastrointestinale Wurm- und Parasiteninfektionen bei Flüchtlingen
Diagnose Giardiasis
Erreger Giardia lamblia
Amöbiasis
Zestoden (Bandwürmer)
Oxyuriasis (Madenwürmer)
Entamoeba histolytica (andere Amöben meist ohne Krankheitswert)
Rinderbandwurm (Taenia saginata) Schweinebandwurm (Taenia solium)
Enterobius vermicularis
Strongyloidiasis
Strongyloides
(Zwergfadenwurm) stercoralis
Zystische Echinokokkose
Hundebandwurm (Echinococcus granulosus)
Besonderheiten
Therapie/Prophylaxe
O voluminöse, oft übel riechende O Fettstühle
T: Metronidazol P: Lebensmittelhygiene
O blutige Durchfälle O Leberabszess (auch nach Montaten O oder Jahren)
T: erst Metronidazol, T: dann Paromomycin P: Lebensmittelhygiene (11)
O Infektion: Finnen (rohes Fleisch), O oft keine Beschwerden O bei T. solium aber potenziell O gefährliche Zystizerkose möglich
T: Anthelminthika P: Lebensmittelhygiene, P: Fleisch durchbraten
O fäkal orale Schmierinfektion O oft rez. Selbstinfektionen O Symptome: v.a. analer Juckreiz und O unspezifische abdominelle Beschwerden O selten Appendizitis
T: Mebendazol (wiederholt) T: Familientherapie P: Hygienemassnahmen
O in Tropen und Subtropen häufig perkutane O Primärinfektion, dann oft rez. Selbstinfektion O Hautläsionen, Bluteosinophilie und pulmoO nale Symptome durch Larvenwanderung O gastrointestinale Beschwerden durch adulteO O Würmer im Darm, schwere Verläufe bei O Immunsupprimierten möglichO
T: Ivermectin P: Hygienemassnahmen, P: enge Kontaktpersonen P: mituntersuchen (6)
O v.a. in Regionen mit Schafzucht O septierte, zystische Läsionen in der Leber O (vgl. Abb. 4), gelegentlich auch Lunge O betroffen
T: Albendazol, chirurgische T: Resektion (Cave! Ruptur), T: (in Zentren auch PAIR)
eignetem Untersuchungsmaterial, da sonst falschnegative Befunde entstehen können. Die insgesamt 6-monatige Standardtherapie bei nachgewiesener aktiver Tbc erfolgt üblicherweise über 2 Monate mit einer tuberkulostatischen Vierfachkombination (Rifampicin, Isoniazid, Ethambutol und Pyrazinamid) und dann noch für 4 Monate mit einer Zweifachkombination (Rifampicin und Isoniazid). Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist die konsequente, regelmässige Einnahme der Medikamente
Abbildung 4: Sonografie einer ausgedehnten zystischen Echinokokkose in der Leber
für die gesamte Therapiedauer. Allerdings erschwert das spezielle Setting in der Migrantenmedizin (v.a. die Sprachbarriere) oft die Compliance. Ein weiteres Problem der tuberkulostatischen Therapie bei Flüchtlingen ist die deutlich erhöhte Rate an resistenten Tbc. Fast alle in Deutschland registrierten Patienten mit multiresistenter Tbc sind Ausländer (3).
Gastrointestinale Infektionen
Virale (z.B. Noro-, Rotavirus) und bakterielle Erreger (Salmonellen, Shigellen, Yersinien, Campylobacter) von Durchfallerkrankungen können sich in Flüchtlingsunterkünften oft rasch (epidemieartig) ausbreiten. Bei hoch fieberhafter Enteritis muss zudem bei Flüchtlingen auch die Möglichkeit von Typhusinfektionen (Inkubationszeit bis 60 Tage möglich) in Betracht gezogen werden. Eine ebenfalls in Flüchtlingssprechstunden häufig thematisierte gastrointestinale Infektion ist die Typ-B-Gastritis. Hier muss man beachten, dass bei vielen Flüchtlingen vor allem makrolidresistente Helicobacter-pylori-Stämme auftreten. Deswegen sollte in der Regel bereits initial eine erweiterte Eradikationstherapie (z.B. bismuthaltige Quadrupeltherapie) eingesetzt werden (10). Bei Flüchtlingen kommen zudem auch gastrointestinale Infektionen durch Würmer und Parasiten gehäuft vor, die hierzulande zum Teil wenig bekannt sind (vgl. Tabelle 2).
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Fazit für die Praxis
O Infektionskrankheiten kommen bei Flüchtlingen häufiger vor. Oft handelt es sich um «banale» Haut- oder Atemwegsinfektionen.
O Bei Flüchtlingen aus manchen Herkunftsländern muss ein erhöhtes Risiko für multiresistente Erreger einkalkuliert werden.
O Bei anhaltendem Husten immer auch an Tuberkulose denken! Auch extrapulmonale Formen der Tbc kommen bei Flüchtlingen häufiger vor.
O Einige Infektionskrankheiten bei Flüchtlingen kommen in Mitteleuropa sonst kaum vor, sodass ein gewisses infektiologisch/ tropenmedizinisches Sachwissen in der medizinischen Versorgung unerlässlich ist.
O Viele Infektionskrankheiten werden durch die schlechten Hygieneverhältnisse in den Flüchtlingsunterkünften begünstigt. Präventive Massnahmen (Verbesserung der Hygiene in Flüchtlingsunterkünften und regelmässige Impfprogramme) sind von grosser Bedeutung (3).
O Flüchtlinge stellen bezüglich Infektionskrankheiten keine Gefahr für die Allgemeinheit dar, sind selbst aber oft durch Infektionskrankheiten relevant gefährdet.
Urogenitale Infektionen Harnwegsinfektionen können bei Flüchtlingen gelegentlich ein Problem darstellen, da eine Besiedlung mit multiresistenten, gramnegativen Erregern in dieser Patientengruppe gehäuft vorkommt (12). Es empfiehlt sich daher, vor einer antibiotischen Therapie eine mikrobiologische Testung mittels Urinkultur durchzuführen. Bei Symptomen einer Urethritis sollte (v.a. bei sexuell aktiven Patienten) immer auch an Gonokokken und Chlamydien gedacht werden, denn sexuell übertragene Erkrankungen (STD) kommen auch in Flüchtlingsunterkünften vor. Erwähnt werden soll hier auch die Lues, welche gelegentlich durch ihren klassischen Primäraffekt (Ulcus durum) am Genitale auffällt. Recht häufig sind bei Frauen aufgrund schlechter hygienischer Bedingungen auch Vaginalmykosen, welche therapeutisch meist allerdings kein Problem darstellen. Ausserdem sollte vor dem Aushändigen von Tampons an weibliche Flüchtlinge immer sichergestellt werden, dass diese mit der korrekten Anwendung vertraut sind.
Andere akut bis hoch akut verlaufende Infektionskrankheiten Eine akut hoch fieberhafte Erkrankung, die in Mitteleuropa extrem selten ist, aber bei Flüchtlingen zuletzt gehäuft nachgewiesen wurde, ist das Läuserückfallfieber. Es handelt sich hierbei um eine besonders in Äthiopien und Eritrea endemische Infektionskrankheit, die durch bakterielle Erreger (Borrelia recurrentis) hervorgerufen und durch Kleiderläuse von Mensch zu Mensch übertragen wird. Bei antibiotischer Therapie (Doxycyclin oder Penicilline) des Läuserückfallfiebers muss immer besonders auf gefährliche Herxheimer-Reaktionen geachtet werden (3).
Auch die hierzulande endemische, hoch akut verlaufende Leptospirose, die durch Nagetiere übertragen wird, kann je nach Hygienestandard der Notunterkünfte Flüchtlinge vermehrt betreffen. Meningokokkeninfektionen könnten unter Flüchtlingen bei fehlendem Impfschutz in überfüllten Unterkünften sogar ausbruchsartig auftreten. Bei unklaren hoch fieberhaften Erkrankungen sollte bei Flüchtlingen (je nach Herkunftsland) aber auch immer an die Möglichkeit einer Malaria gedacht werden. Eine gefährliche Malaria tropica durch Plasmodium falciparum ist zwar nur bis zu einem Monat nach Verlassen des Endemiegebietes möglich und wird danach eher nicht mehr auftreten. Plasmodium vivax kann aber in Form von Hypnozoiten lange in der Leber persistieren und auch noch Monate nach Verlassen des Endemiegebietes eine Malaria tertiana hervorrufen, sodass Flüchtlinge trotz langer Fluchtroute durchaus eine Malaria importieren können (3). Die Einschleppung hochkontagiöser hämorrhagischer Fieber ist hingegen vor allem durch Flüchtlinge sehr unwahrscheinlich. Zum einen ist die Inkubationszeit dieser Erkrankungen in der Regel viel kürzer, als der beschwerliche Fluchtweg aus einem möglichen Endemiegebiet dauern würde, zum anderen sind diese Erkrankungen in den meisten Herkunftsländern sehr selten oder nicht vorhanden. Die akut, aber nur selten fulminant verlaufenden Virushepatitiden (Hepatitis A und in zunehmendem Mass auch die häufiger werdende Hepatitis E) sind hingegen Erkrankungen, die in den meisten Herkunftsländern von Flüchtlingen recht häufig vorkommen. Ein Grossteil der Flüchtlinge, die bei uns ankommen, hat die Hepatitis A aber bereits oligooder asymptomatisch im Heimatland durchgemacht und ist daher mittlerweile immun, bei Kindern sollte eine Impfung erwogen werden. Bei der weltweit zunehmenden Hepatitis E ist die Durchseuchung noch nicht so hoch, sodass Neuinfektionen unter Flüchtlingen durchaus auftreten können. Eine Impfung gegen Hepatitis E ist in China zugelassen, steht in Europa aber noch nicht zur Verfügung (13).
Andere chronisch verlaufende Infektionskrankheiten
Unter den Herkunftsländern der Flüchtlinge sind zwar einige HIV-Hochprävalenzregionen zu finden, allerdings besteht diesbezüglich kein Anlass für eine Pauschalisierung und Stigmatisierung aller Flüchtlinge. Dennoch verlangt zumindest der Freistaat Bayern bei allen Flüchtlingen einen HIV-Test. Viel sinnvoller wäre hier ein differenziertes individuelles Vorgehen. Den tatsächlich Betroffenen sollte dann natürlich immer möglichst schnell und niederschwellig Zugang zu einer hochwirksamen antiretroviralen Therapie ermöglicht werden. Auch die Inzidenz chronischer Virushepatitiden liegt in einigen Herkunftsländern sicherlich höher als in Europa. In einigen deutschen Bundesländern erfolgt daher bei Aufnahme von Flüchtlingen auch pauschal eine Hepatitisserologie. Auch hier ist es jedoch besser, gezielt infizierte Personen zu identifizieren und bei Indikation leitliniengerecht zu behandeln. Eine weitere chronisch verlaufende Infektionskrankheit, die bei Flüchtlingen durchaus vorkommen kann, bei uns jedoch kaum bekannt ist, ist die Lepra. Die durch Mycobacterium leprae übertragene Erkrankung ist vor allem in ländlichen
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Gebieten des Indischen Subkontinents, im tropischen Afrika
und in Brasilien verbreitet. Bei intakter zellulärer Immunant-
wort entwickelt sich eine paucibazilläre (tuberkuloide)
Lepra. Diese ist gekennzeichnet durch vereinzelte, scharf be-
grenzte Hautläsionen, die anästhetisch oder hypästhetisch
sind. Ausserdem kommt es hier (durch die Beteiligung der pe-
ripheren Nerven) zu Sensibilitätsverlusten, Muskelatrophien
und Deformitäten (5). Bei einer inadäquaten Immunreaktion
verläuft die Erkrankung dagegen oft als multibazilläre (le-
promatöse) Lepra. Hier sind die zahlreichen, meist symme-
trisch angeordneten Hautläsionen makulös, papulös oder
nodulär oder erscheinen als flächenhafte Infiltrate. Die Betei-
ligung der Nasen-Rachen-Schleimhaut kann bis zur Zerstö-
rung des Nasenseptums und des Kehlkopfes führen. Thera-
piert wird in allen Fällen mit einer Langzeitkombinations-
therapie (multidrug therapy, MDT). Verwendung finden
hierbei in der Regel Dapson (in der Schweiz nicht registriert),
Rifampicin und Clofazimin.
Da die Kontagiosität des Erregers gering ist und einen län-
geren engen körperlichen Kontakt zu einem unbehandelten
(erregerreichen) Leprakranken voraussetzt, besteht durch
leprakranke Flüchtlinge sicherlich keinerlei Gefahr für die
Allgemeinheit.
Auch für die chronisch verlaufende Schistosomiasis (v.a. bei
Flüchtlingen aus dem tropischen Afrika) besteht hierzulande
(wegen des fehlenden Zwischenwirtes, einer Süsswasser-
schnecke) kein Ansteckungsrisiko. Symptome der portalen
Hypertension oder Hämaturie sollten bei Flüchtlingen aus
Endemiegebieten immer an eine Schistosomiasis denken
lassen. Bei Nachweis einer Schistosomiasis (durch Schisto-
somen-Eier in Stuhl oder Urin) erfolgt eine Therapie mit
Praziquantel (in der Schweiz nur als Tierarzneimittel zuge-
lassen) (5).
O
Literatur: 1. Dudareva S et al.: Cases of community-acquired meticillin-resistant Staphylococcus
aureus in an asylum seekers centre in Germany, November 2010, Euro Surveill 2011: 16(4) pii: 19777. 2. Robert Koch-Institut: Stellungnahme des Robert Koch-Instituts zu Fragen des Screenings von Asylsuchenden auf Multiresistente Erreger (MRE), Version 3 – 21.9.2016. https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/A/Asylsuchende/Inhalt/MRE-Screening_Asylsuchende. pdf? __blob=publicationFile. 3. Stich A: Häufige Infektionskrankheiten bei Migranten. Internist 2016: 57: 409–415. 4. Robert Koch-Institut: Skabies (Krätze) – RKI-Ratgeber für Ärzte. https:// www.rki.de/ DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Skabies.html. 5. Krätze: Orales Ivermectin in Deutschland verfügbar. Pharmazeutische-Zeitung, Ausgabe 18/2016. 6. Robert Koch-Institut: Steckbriefe seltener und importierter Infektionskrankheiten. http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/Steckbriefe/Steckbriefe_120606.html. 7. DTG-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der kutanen und mukokutanen Leishmaniasis in Deutschland (Stand: 11/2010). http://www.dtg.org/uploads/media/Leitlinie_ Kutane_Leishmaniasis.pdf. 8. Robert Koch-Institut: Bericht zur Epidemiologie der Tuberkulose in Deutschland für 2014. http://edoc.rki.de/series/rki-bericht-zur-epidemiologie-der-tuberkulosein-deutschland/2015/PDF/2015.pdf. 9. WHO: Global Tuberculosis report 2016. http://www.who.int/tb/publications/global_ report/en/. 10. DGVS: S2k-Leitlinie Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit. http://www.dgvs.de/leitlinien/helicobacter-pylori/. 11. Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit. Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Amöbenruhr. http://www.awmf.org/uploads/tx_szleit linien/042-002l_S1_Am%C3%B6benruhr_Diagnostik_Therapie_2016-07.docx.pdf. 12. Reinheimer C et al.: Multidrug resistant organisms detected in refugee patients admitted to a university hospital, Germany June–December 2015. Euro Surveill 2016; 21(2), DOI: 10.2807/1560-7917.ES.2016.21.2.30110. 13. Robert Koch-Institut: Hepatitis E – RKI-Ratgeber für Ärzte https://www.rki.de/DE/ Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_HepatitisE.html
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 17/2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren. Anpassungen an Schweizer Verhältnisse erfolgten durch die Redaktion von ARS MEDICI.
Dr. med. Florian Reim Dr. med. Uwe Ziegler Dr. med. Gerhard Förch Prof. Dr. med. August Stich Tropenmedizin, Missionsärztliche Klinik D-97074 Würzburg
Alle Fotos: © Reim Interessenkonflikte: keine
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