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FORTBILDUNG
Schlafstörungen im Alter
Altersnormale Veränderungen von ernsten Ursachen unterscheiden
Ältere Patienten klagen häufig über Schlafstörungen. Sie
müssen dann behandelt werden, wenn die Lebensqualität
leidet, funktionelle Probleme im Alltag auftauchen oder die
Selbstversorgung ungünstig beeinflusst wird. So gross die
Zahl der Schlafstörungen, so unterschiedlich und vielfältig
ist auch die Therapie.
Jeanina Schlitzer und Helmut Frohnhofen
Schlafstörungen sind häufiger Anlass für den Arztbesuch. Ist der Schlaf des Patienten nicht erholsam, vermindern sich sein Wohlbefinden und seine Lebensqualität. Die Folge: Er ist reizbar, weniger stresstolerant, seine Leistungsfähigkeit lässt nach. Obwohl viele Patienten über schlechten Schlaf klagen – sowohl im Krankenhaus als auch in der Hausarztpraxis –, findet dies meist wenig Berücksichtigung. Gerade ältere Menschen leiden häufig darunter. Das Wissen um Schlafstörungen und die Abgrenzung des im höheren Alter noch normalen Schlafs von ernst zu nehmenden Störungen sollten jedem geläufig sein, der ältere Patienten betreut. Tabelle 1 zeigt wichtige Fachbegriffe im Zusammenhang mit Schlaf. Kenntnisse über die altersnormalen Veränderungen sind wichtig, um Fehlerwartungen des Patienten an das eigene Schlafvermögen zu korrigieren und normalen von relevant gestörtem Schlaf abzugrenzen (2). Tabelle 2 zeigt die Schlafparameter, die sich mit zunehmendem Alter verändern. Die Daten stammen aus einer Metaanalyse mit 3577 Probanden und einer Altersspanne von 5 bis 102 Jahren (3). Die Gesamtschlafzeit nimmt demnach vom 40. bis zum 70. Lebensjahr um etwa 10 Minuten pro Lebensdekade ab und verändert sich danach kaum noch. Alle 10 Jahre sinkt der Tiefschlafanteil um etwa 2 und die Schlafeffizienz um etwa 3 Prozent. Vom 30. bis zum 70. Lebensjahr steigt die nächtliche Wachzeit (WASO) um etwa 10 Minuten pro Lebensdekade an und bleibt dann etwa auf diesem Niveau. Weniger deutliche Veränderungen zeigten die Einschlaflatenz und der Anteil an Leichtschlaf (Schlafstadien 1 und 2). Die Zeit der
MERKSÄTZE
O Ist der Schlaf nicht erholsam, vermindern sich Wohlbefinden und Lebensqualität.
O Bei über 90 Prozent der älteren Menschen ist Schlaflosigkeit mit zusätzlichen Erkrankungen assoziiert.
20-Jährigen, die sie brauchen, bis sie einschlafen, war um etwa 5 Prozent kürzer als die der über 70-Jährigen (3). Die Anamnese ist die Grundlage, um eine Schlafstörung im Alter abzuklären. Typischerweise klagen Patienten über Einund Durchschlafstörungen, Früherwachen, Tagesschläfrigkeit oder nicht erholsamen Nachtschlaf. Diese Symptome können einzeln oder in Kombination auftreten (4), erlauben aber noch keine verlässliche Diagnosestellung. Zur weiteren Abklärung haben sich Screeningfragen bewährt (Tabelle 3) (4).
Schlaflosigkeit (Insomnie) beim alten Menschen
Eine Insomnie liegt vor, wenn der Schlaf als ungenügend erlebt wird oder der Patient sich nach der üblichen Schlafzeit nicht erholt fühlt (1). Die Diagnose darf gestellt werden, wenn die Symptomatik an wenigstens 3 Tagen in der Woche auftritt und für wenigstens 1 Monat andauert. Etwa die Hälfte der älteren Menschen ist von einer Insomnie betroffen (5). Untersuchungen zeigen, dass bei über 90 Prozent der Personen höheren Alters die Schlaflosigkeit mit zusätzlich vorliegenden Erkrankungen assoziiert ist. Man sollte deshalb immer nach zugrunde liegenden Erkrankungen suchen (Tabelle 4) (6). Höheres Lebensalter allein ist dabei kein isolierter Risikofaktor für die Entwicklung einer Insomnie. Lebenszufriedenheit, Sozialisation, geistige Gesundheit und Komorbiditäten sind wesentlichere Einflussfaktoren (3). Ältere Menschen mit Insomnie stürzen häufiger, zeigen öfter kognitive Probleme, sind in ihrer Leistungs- und Selbstversorgungsfähigkeit deutlicher beeinträchtigt und haben eine höhere Mortalität als Ältere ohne Insomnie (4). Behandlungsgrundlage der Insomnie im höheren Alter ist die konsequente Suche nach auslösenden Faktoren und Erkrankungen. Neben einer Umsetzung der Empfehlungen der Schlafhygiene (Tabelle 5), die eher mässig wirksam ist, müssen vor allem depressive Episoden und persistierende Schmerzen erkannt und behandelt werden (7). Verhaltenstherapeutische Massnahmen wie Stimuluskontrolle und Schlafrestriktion sowie Entspannungsverfahren sind auch bei alten Menschen wirksam (7, 8). Mit der schlafphysiologischen Absenkung der akustischen Weckschwelle reagieren ältere Patienten auch auf relativ leise Geräusche mit Aufwachen – ein Problem gerade in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Einfache Massnahmen, wie die Berücksichtigung dieser Tatsache durch die Mitarbeiter in Krankenhaus und Heim oder das Tragen von Ohrstöpseln durch den Patienten, können hier für Abhilfe sorgen. Konstante Bett- und Aufstehzeiten stabilisieren den Tag-NachtRhythmus und wirken hierdurch schlaffördernd. Die im Bett nicht schlafend verbrachte Zeit sollte so kurz wie möglich gehalten und auf Stimulanzien wie Kaffee, Alkohol oder Nikotin in den letzten Stunden vor dem Schlafengehen sollten verzichtet werden. Viele alte Menschen sind empfindlich
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Tabelle 1:
Wichtige Begriffe aus der Schlafmedizin (1)
Terminus
Gesamtbettzeit (total time in bed, TIB) Gesamtschlafepisode (sleep period time, SPT) Gesamtschlafzeit (total sleep time, TST) Schlafstadium
Schlafzyklus
Einschlaflatenz (sleep latency, SL) Schlafeffizienz (sleep efficiency, SE) Wachliegezeit (wake after sleep onset, WASO) Aufwachereignis (arousal)
Definition
Zeit vom Zubettgehen bis zum endgültigen Aufstehen am Morgen Gesamtzeit vom Einschlafen bis zum letztmaligen Erwachen Summe sämtlicher Schlafstadien während einer Schlafepisode polysomnografische Klassifikation der 5 Stadien non-REM und REM Zusammenfassung einer Folge der Schlafstadien non-REM und REM Zeit zwischen dem Löschen des Lichts und dem Auftreten der ersten Schlafzeichen Quotient aus TST und TIB
Summe der Wachzeit nach dem Einschlafen und vor dem engültigen Erwachen Weckreaktion beim Schlafenden
Normalwert im höheren Lebensalter sollte die Gesamtschlafepisode nicht wesentlich überschreiten zwischen 6 und 8 h
zwischen 6 und 8 h
Verteilung ändert sich im Laufe der Nacht
Dauer 60–90 min
< 30 min > 80% bis zu 2 h
Tabelle 2:
Qualitative Veränderungen von Parametern des Schlafes im mittleren und höheren Lebensalter (5)
Altersgruppen (Jahre)
Gesamtschlafzeit Einschlaflatenz Schlafeffizienz Stadium 1 Stadium 2 Tiefschlaf REM-Schlaf REM-Latenz WASO
40–60 vs. 60–70
60–70 vs. > 70
und können nach 10 Stunden noch unter dem schlafhemmenden Effekt einer Tasse Kaffee leiden. Nikotin hemmt das Einschlafvermögen. Alkohol führt nach initial verbessertem Einschlafen durch eine milde Entzugssymptomatik in der zweiten Nachthälfte zu Durchschlafstörungen.
Mittagsschlaf besser lassen
Schlafphasen tagsüber reduzieren das nächtliche Schlafvermögen ebenso wie abendliche körperliche Anstrengung und sollten daher unterbleiben. Opulente Mahlzeiten führen, wie auch Alkohol, zu einem häufiger unterbrochenen Nachtschlaf. Grössere Flüssigkeitsmengen am Abend stören den Schlaf durch die induzierte Nykturie. Immobilität und langes Sitzen tagsüber, zum Beispiel in Rollstühlen, führt zur Flüssigkeitseinlagerung in den Unterschenkeln. Die Umverteilung nach dem Zubettgehen fördert die Diurese und führt zu einer Nykturie mit entsprechendem Einfluss auf den Nachtschlaf (9).
Tabelle 3:
Screeningfragen zur Aufdeckung von Schlafstörungen bei älteren Menschen (4)
O Um wie viel Uhr gehen Sie normalerweise zu Bett? O Zu welcher Uhrzeit erwachen Sie morgens normaler-
weise? O Fällt es Ihnen häufig schwer einzuschlafen? O Wie oft wachen Sie in der Nacht auf? O Wenn Sie nachts aufwachen, fällt es Ihnen schwer,
wieder einzuschlafen? O Schnarchen Sie nachts, oder haben Sie Atempausen? O Bewegen Sie sich nachts häufig im Bett, oder treten
Sie um sich? O Wissen Sie, ob Sie im Schlaf essen, herumlaufen,
treten oder schreien? O Fühlen Sie sich tagsüber überwiegend müde oder
schläfrig? O Schlafen Sie mehrfach tagsüber ein? O Kommt es vor, dass Sie tagsüber einschlafen, ohne
dies zu wollen? O Wie viel Schlaf benötigen Sie, um sich wach und
leistungsfähig zu fühlen? O Nehmen Sie irgendwelche Präparate, um Ihren
Nachtschlaf zu verbessern?
Für die medikamentöse Behandlung von Schlafstörungen sind als Präparategruppen Phytopharmaka, Benzodiazepine, Nichtbenzodiazepinhypnotika und Antidepressiva mit sedierender Komponente sowie Melatonin bekannt (4). Tabelle 6 zeigt eine Auswahl gängiger Medikamente bei Insomnie. Der kurzfristige Einsatz (bis zu 4 Wochen) kann durch den schnellen Wirkeintritt sinnvoll sein, um den
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Tabelle 4:
Häufige Ursachen für eine sekundäre Insomnieim Alter (4)
Ursachen komorbider Insomnien O Depression O somatische Erkrankungen O Demenzsyndrome O unbehandelter Schmerz O Immobilität und Bettlägrigkeit O unerwünschte Medikamenteneffekte O ungünstige Umgebung (Temperatur, Lärm) O Nykturie O fehlende Sozialkontakte, Einsamkeit, Sorgen
und damit den Syndromen Sarkopenie (Muskelmasseverlust) und Frailty (Gebrechlichkeit) Vorschub leisten kann.
Nach anderen Erkrankungen suchen
Da es praktisch keine Langzeitstudien zum Nachweis einer
anhaltenden Wirksamkeit für die Hypnotikabehandlung
gibt, muss man gerade im hohen Lebensalter oft von einer
komorbiden Insomnie ausgehen. Weil die Nebenwirkungen
einer Therapie mit Hypnotika bei alten Menschen mit Ver-
wirrtheit, Inkontinenz, Muskelschwäche und Sturz erheblich
sind, sollte die Indikation streng gestellt werden (4). Viel
bedeutsamer ist die intensive Suche und Behandlung verursa-
chender Komorbiditäten (4).
O
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Helmut Frohnhofen Kliniken Essen Mitte, Knappschaftskrankenhaus D-45276 Essen
Tabelle 5:
Regeln für die Schlafhygiene
O Meiden von Genussmitteln am Nachmittag O kleine Schlafphasen tagsüber
(allenfalls kurzer [30 min] Mittagsschlaf) O keine körperlich schweren Arbeiten am Nachmittag O keine grossen Mahlzeiten abends O regelmässige Bettgehzeiten und Aufstehzeit O Vermeiden langer Liegezeiten im Bett, ohne zu schlafen O angenehme und schlaffördernde Umgebung schaffen
Patienten zu entlasten. Gerade im höheren Lebensalter besteht jedoch das Problem der Langzeiteinnahme von Hypnotika bei relativ guter Verträglichkeit und fehlender Dosissteigerung. Hier muss individuell und pragmatisch abgewogen werden, ob eine Weiterverordnung im Gesamtkontext nicht die weniger schlechte Vorgehensweise ist. Zu bedenken bleibt jedoch, dass die chronische Einnahme von Benzodiazepinhypnotika mit einem Verlust von Muskelmasse assoziiert ist
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Mayer G et al.: S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen, Kurzfassung.
DGSM 2001, Berlin, Heidelberg. 2. Cooke JR, Ancoli-Israel S: Normal and abnormal sleep in the elderly. Handb Clin
Neurol 2011; 98: 653–665. 3. Ohayon MM et al.: Meta-analysis of quantitative sleep parameters from childhood to
old age in healthy individuals: developing normative sleep values across the human lifespan. Sleep 2004; 27: 1255–1273. 4. Bloom HG et al.: Evidence-based recommendations for the assessment and management of sleep disorders in older persons. J Am Geriatr Soc 2009; 57: 761–789. 5. Ancoli-Israel S: Insomnia in the elderly: a review for the primary care practitioner. Sleep 2000; 23 Suppl 1: S23–S30. 6. Lichstein KL et al.: Primary versus secondary insomnia in older adults: subjective sleep and daytime functioning. Psychol Aging 2001; 16: 264–271. 7. Martin JL, Ancoli-Israel S: Assessment and diagnosis of insomnia in non-pharmacological intervention studies. Sleep Med Rev 2002; 6: 379–406. 8. Martin J et al.: Assessment and treatment of sleep disturbances in older adults. Clin Psychol Rev 2000; 20: 783–805. 9. Kupelian V et al.: Nocturia and quality of life: results from the Boston area community health survey. Eur Urol 2012; 61: 78–84.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 19/2016. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren. Anpassungen an Schweizer Verhältnisse erfolgten durch die Redaktion von ARS MEDICI.
Tabelle 6:
Auswahl von Medikamenten zur Behandlung von Insomnien
Substanzgruppe
Substanz
Handelsname
Halbwertszeit (h)
mittellang wirksame Benzodiazepine 5–24 h
kurz wirksame Benzodiazepine <5h Imidazopyridine Cyclopyrrolone Melatonin
Oxazepam Bromazepam Lormetazepam Temazepam Brotizolam
Triazolam
Anxiolit®, Seresta® Lexotanil® Loramet®, Noctamid® Normison® nicht im AK der Schweiz
Halcion®
6–15 8–20 8–15 8–20 9
1,4–4,6
Zolpidem Zopiclon Melatonin ret.
Stilnox®, Zoldorm® und Generika nicht im AK der Schweiz Circadin®
2–4 5–6 3,5–4
Dosierung (mg)
5–30 3–12 1–2 10–40 0,125–0,25 0,125–0,25
5–10 3,75–7,5 2
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