Transkript
BERICHT
Resistente Keime in Europa: Licht und Schatten
Die Prävalenz der Resistenzen gegen Antibiotika nimmt auch in Europa zu, wobei massive Unterschiede zwischen den Regionen auffallen. Unklar ist, inwieweit die gegenwärtigen Migrationsbewegungen die Situation verändern werden. Trotz fehlender Daten sind Experten nicht besonders beunruhigt, zumal die meisten potenziell importierbaren Resistenzen ohnedies bereits in Europa verbreitet sind.
Reno Barth
Gemäss den Daten des European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) sprechen beispielsweise in Slowenien rund 70 Prozent der Salmonellastämme auf alle eingesetzten Antibiotika an, während in Frankreich nur mehr rund 20 Prozent der Stämme so einfach zu behandeln sind. Umgekehrt sind mehrfach resistente Salmonellen in Slowenien die Ausnahme, während sie in Frankreich schon mehr als die Hälfte der Stämme ausmachen. Eine beliebte Erklärung für die unterschiedlichen Resistenzsituationen ist das «Nord-Süd-Gefälle», das zwar manches, aber bei Weitem nicht alles erklärt. Beispielsweise liegt Finnland bei den Quinolon-resistenten Salmonellen mit einer Prävalenz von 30,6 Prozent auf dem dritten Platz hinter Spanien und Portugal. «Dabei fehlen aus vielen Mitgliederstaaten nach wie vor die Berichte», sagte Dr. Dominique Monnet, Leiter des Programms Antimicrobial Resistance and Healthcare-Associated Infections (ARHAI). Im Rahmen dieses vom ECDC gegründeten und mittlerweile in eine Reihe weiterer Überwachungsprogramme und Netzwerke aufgegliederten Programms werden aufgetretene Resistenzen an die Surveillance and Support Unit des ECDC gemeldet. Die Überwachung der Antibiotikaresistenzen durch ARHAI ist auf drei Bereiche
fokussiert: Nutztiere, Humanbevölkerung und Krankenhaus. Einzelne Keime können, so Monnet, auf einen Bereich beschränkt bleiben oder sich über mehrere Bereiche ausbreiten. So sind resistente Stämme von Acinetobacter spp. und Pseudomonas aeruginosa zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Europa reine Krankenhauskeime, während beispielsweise MRSA von der Schweinezucht bis in die Intensivstationen Probleme bereitet. Bestimmte Bakterien eignen sich besonders gut für die Verbreitung von Resistenzgenen über die Bereichsgrenzen hinaus. Als «perfektes OneHealth-Bakterium» nannte Monnet E. coli, das mit Nahrungsmitteln verbreitet werden kann: «Resistente Stämme von E. coli gelangen aus der Tierzucht in die gesunde menschliche Population und von dort in die Spitäler.»
Rolle des unterschiedlichen
Antibiotikaverbrauchs
Ein wesentlicher Grund für die unterschiedliche Verteilung der Antibiotikaresistenzen in Europa ist der stark unterschiedliche Antibiotikaverbrauch in den verschiedenen Ländern. Das ECDC kalkuliert den Verbrauch in Milligramm pro Kilo Biomasse und gibt ihn für Menschen und Tiere getrennt an. Bei Menschen liegt er im Durchschnitt bei 116 mg/kg, schwankend zwischen 57 und 176 mg/kg.
Noch deutlich grösser ist die Bandbreite beim Antibiotikaeinsatz in der Tierzucht, der sich zwischen 4 und fast 400 mg/kg bewegt. Hier trifft das NordSüd-Gefälle am deutlichsten zu: Während in den skandinavischen Ländern in der Tierzucht praktisch keine Antibiotika eingesetzt werden, gibt man diese beispielsweise in Italien exzessiv zu. Der Zusammenhang zwischen den bei Tieren eingesetzten Antibiotikamengen und den Resistenzen sei gesichert, so Monnet. Hingegen werden in der Humanmedizin nur bei einigen Keimen und bestimmten Antibiotika signifikante Korrelationen zwischen Verbrauch und Resistenz gefunden. Dies gilt vor allem für E. coli und Fluoroquinolone sowie K. pneumoniae und Carbapeneme. Für 2017 wird ein neuer Joint Interagency Antimicrobial Consumption and Resistance Analysis Report erwartet, der zu einer weiteren Aufklärung der Verhältnisse beitragen soll.
Besorgniserregende
und erfreuliche Aspekte
Insgesamt ist die Resistenzsituation in Europa beunruhigend. Einige Antibiotika sind bei bestimmten Keimen praktisch verloren. Campylobacter jejuni ist in Südeuropa zu mehr als 80 Prozent resistent gegen Ciprofloxazin, und selbst im Antibiotikamusterland, den Niederlanden, liegt die Resistenzrate bei fast 60 Prozent. Die Überwachung der Resistenzlage in Europa wird seit 1999 durch das EARS-Net gewährleistet. Es erfasst Resistenzdaten zu acht häufigen Pathogenen aus Isolaten invasiver Infektionen (Blut und Liquor). Daraus werden Resistenzkarten für Europa erstellt, die auch die aktuellen Trends wiedergeben. Dabei sind auch erfreuliche Aspekte zu erkennen. «Bei S. pneumoniae beobachten
272
ARS MEDICI 6 I 2017
BERICHT
wir einen Trend zur Abnahme von Makrolidresistenz», sagte Monnet. Besorgniserregend ist das Bild hingegen bei Resistenzen von E. coli gegen Cephalosporine der dritten Generation. Hier weisen die Pfeile europaweit nach
im Bedarfsfall reagieren. Alles in allem habe man bisher keinerlei klinische Belege für Veränderungen der Resistenzsituation in Europa durch die aktuellen Migrationsbewegungen gefunden. «Verlässliche Information würden wir
«Migranten bringen keine neuen tödlichen Keime mit. Diese sind nämlich schon hier.»
oben. Doch nicht bei allen Antibiotika werden einheitliche Trends beobachtet. In vielen Fällen sind in einigen Ländern steigende, in anderen jedoch abnehmende Tendenzen zu beobachten. Monnet erklärte das mit konkreten Massnahmen wie Impfprogrammen oder gezielten Kampagnen zur Eindämmung des Gebrauchs bestimmter Antibiotika. Eine Erfolgsgeschichte ist auch der Kampf gegen den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA). Dieser stellt zwar in Krankenhäusern in ganz Europa nach wie vor ein erhebliches Problem dar, dies jedoch bei abnehmendem Vorkommen. Aus dem europaweit positiven Trend scheren nur Dänemark und Slowenien aus. In Dänemark ist ein Ausbruch von MRSA in der Landwirtschaft verantwortlich, der auch auf Krankenhäuser übergriff. In Slowenien sind die Ursachen unklar. Gegenwärtig werden die Daten des EARS-Net für 2015 ausgewertet; dann wird man sehen, ob der ungünstige Trend anhält.
Resistenzprobleme durch Migration?
Weitgehend ungeklärt ist, wie sich die aktuellen Migrationsströme auf die Resistenzlage in Europa auswirken werden. Prof. Dr. Giuseppe Cornaglia, Universität Verona, gibt hier Entwarnung: «Migranten bringen keine neuen tödlichen Keime mit. Diese sind nämlich schon hier.» Allerdings sei es möglich, dass durch Migrationswellen neue Resistenzgene oder Kombinationen von Resistenzgenen verbreitet werden. Darauf müsse man vorbereitet sein und
Daten zur aktuellen Resistenzlage in Europa können auf der Website des ECDC abgerufen werden:
http://ecdc.europa.eu
nur bekommen, wenn wir die Migranten screenen. Das wäre aus der Sicht des Epidemiologen hochinteressant, in der Praxis jedoch eine Frage politischer Entscheidungen», sagte Cornaglia. Er hat diese Problemstellung im Hinblick auf die Verbreitung von Carbapenemasen untersucht. Carbapenemasen sind Enzyme, die Betalaktame hydrolysieren und auch die meisten Betalaktamantibiotika, wie zum Beispiel Cephalosporine, spalten. «Dies führt häufig, aber keineswegs immer dazu, dass das Antibiotikum seine Wirkung verliert», sagte Cornaglia. Damit richten sich diese Enzyme gegen eine breite Palette von Antibiotika und können Keimen ein sehr ungünstiges Resistenzprofil verleihen. Chemisch betrachtet stellen die Carbapenemasen keine einheitliche Substanzgruppe dar. Man unterscheidet zwischen den Klassen A, B und D. Während die Penicillinasen (Klasse A) bereits länger bekannt sind, stellen die Metalloenzyme (Klasse B) gegenwärtig das grösste Problem dar. Ein Blick auf die weltweite Verteilung von Carbapenemasen produzierenden Enterobakterien zeigt, dass diese zwar durch Migration verbreitet werden können, man dies aber nicht mit den typischen Migrationsrouten in Verbindung bringen könne. Generell steigt die Häufigkeit von Carbapenemasen in Europa seit fast zehn Jahren und unabhängig von Migrationsbewegungen an. Darüber hinaus seien auch die Migrationsrouten der Bakterien oft komplizierter als jene der Menschen. So wanderten nicht nur Flüchtlinge aus der Türkei nach Europa ein, es werden auch seit vielen Jahren Patienten aus verschiedenen Balkanstaaten in der Türkei medizinisch behandelt, womit auch Bakterien und Resistenzen vom Balkan in türkische Krankenhäuser gelangen. Nicht unterschätzt werden dürfe auch die Verbreitung von Resistenzen durch
LINKTIPP
Ferienreisende. So trat die KPC-Carbapenemase in den Neunzigerjahren zunächst im Osten der USA auf, gelangte von dort nach Puerto Rico, wo sie heute endemisch ist, und verbreitete sich schliesslich nach Europa und Israel. «Es ist später gelungen, die Verbreitung von KPC auf einen einzigen Reisenden zurückzuführen, der von den USA zuerst nach Frankreich, dann weiter nach Griechenland und schliesslich nach Israel flog», sagte Cornaglia.
Der blanke Horror:
extensiv resistente Tuberkulose
Besondere Sorge im Zusammenhang
mit Migrationsbewegungen bereitet die
Tuberkulose, vor allem multiresistente
Erregerstämme. Multiresistenz ist im
Falle der Tuberkulose durch Resistenz
gegenüber Isoniazid und Rifampicin
definiert. Die Inzidenz mehrfach resis-
tenter Tuberkuloseerreger (MDR-TB)
bleibt in Europa laut Daten des ECDC
stabil bei 0,3 Fällen auf 100 000 Ein-
wohner. Allerdings fallen regionale
Schwankungen auf. Während bei-
spielsweise in Irland weniger als 1 Pro-
zent der Tuberkulosefälle MDR-TB
sind, werden in den baltischen Staaten
mehr als 10 Prozent der Erkrankungen
von multiresistenten Erregern verur-
sacht.
Hinter dem Problem der MDR-TB lau-
ert ein noch grösseres: die extensiv re-
sistente Tuberkulose (XDR-TB). Diese
Erreger sind nicht nur gegen Isoniazid
und Rifampicin, sondern auch gegen
mehrere weitere, auch parenterale
Antibiotika resistent. Der Anteil der
XDR-Erreger unter den MDR-Fällen
macht im europäischen Schnitt bereits
17,5 Prozent aus und liegt in Griechen-
land und im Baltikum zum Teil schon
jenseits der 25 Prozent. Ob und in
welchem Masse Migration zur Verbrei-
tung solcher hochgefährlichen Erreger
beitragen wird, ist unklar. MDR- und
XDR-TB sind in den Ländern der
ehemaligen Sowjetunion verbreitet,
beispielsweise in Syrien jedoch relativ
selten. Zu vielen Ländern fehlen je-
doch schlicht und einfach verlässliche
Daten.
O
Reno Barth
Quelle: IMED International Meeting on Emerging Diseases and Surveillance vom 4. bis 7. November 2016 in Wien.
ARS MEDICI 6 I 2017
273