Transkript
POLITFORUM
Xundheit in Bärn
INTERPELLATION vom 29.9.2016
Medizinische Zweitmeinung
Heinz Brand
Nationalrat SVP Kanton Graubünden
In der Medizin ist das Einholen einer Zweitmeinung wichtig, um unnötige Eingriffe oder komplexe Behandlungen zu vermeiden. Sie unterstützt die Patientinnen und Patienten bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Operation. Zudem können Kosten vermieden respektive gedämpft werden.
Einige Krankenkassen gewähren ihren halbprivat und privat Versicherten, die sich verpflichten, eine Zweitmeinung beim Vertrauensarzt einzuholen, einen Rabatt in der Höhe von 10 bis 15 Prozent. Unabhängig von der Empfehlung ist der Versicherte frei, sich für oder gegen einen Eingriff zu entscheiden.
In diesem Zusammenhang habe ich folgende Fragen an den Bundesrat:
1. Wie beurteilt er das Einholen einer medizinischen Zweitmeinung grundsätzlich?
2. Inwiefern könnten die Krankenkassen verpflichtet werden, das Einholen von Zweitmeinungen zu fördern, damit unter anderem auch die allgemein Versicherten davon profitieren können?
3. Sieht er weitere mögliche Massnahmen zur Vermeidung von unnötigen Operationen oder anderen medizinischen Leistungen?
Antwort des Bundesrates vom 23.11.2017
1. Grundsätzlich ist es die Aufgabe der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes, die Patienten so zu informieren, dass diese sich für oder gegen einen Eingriff entscheiden können. Das Einholen einer Zweitmeinung kann aber insbesondere dann hilfreich sein, wenn Behandlungsalternativen vorhanden sind und verschiedene Argumente für oder gegen einen Eingriff sprechen. 2. Das Einholen einer Zweitmeinung sowie deren Vergütung stehen den Versicherten auch im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung offen. Die Versicherten können für die ambulante Behandlung unter den zugelassenen Leistungserbringern, die
für die Behandlung ihrer Krankheit geeignet sind, frei wählen. Diese Wahlfreiheit ermöglicht es einer versicherten Person grundsätzlich auch, eine weitere Arztperson für eine Zweitmeinung zu konsultieren. Die Kostenübernahme kann jedoch abgelehnt werden, wenn diese Leistungsbeanspruchung im konkreten Fall als unwirtschaftlich erachtet würde. Für das systematische Einholen einer Zweitmeinung fehlen indessen die entsprechenden Evidenzgrundlagen. Ob und inwieweit Das Einholen einer Zweitmeinung in der Schweiz im Rahmen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung weiter gefördert werden sollte, wäre zu evaluieren.
3. Zur Vermeidung von unnötigen Eingriffen tragen insbesondere klinische Leitlinien bei. Dies ist jedoch grundsätzlich die Aufgabe der Fachgesellschaften. Auch Kampagnen wie zum Beispiel «Smarter Medicine» der Schweizerischen Gesellschaft für allgemeine innere Medizin zielen auf die Verminderung von unnötigen Leistungen und die Förderung einer angemessenen Versorgung. In seiner Strategie Gesundheit 2020 hat der Bundesrat verschiedene Massnahmen aufgezeigt, mit welchen die angemessene Versorgung gefördert und verbessert werden kann. Verschiedene Projekte sind bereits im Gang. Beispielsweise ist der Bundesrat daran, die Aktivitäten im Bereich Health Technology Assessment (HTA) auszubauen. In diesem Rah-
men wurde ein HTA-Programm zur Reevaluation von medizinischen Leistungen lanciert. Nicht wirksame und nicht effiziente Leistungen sollen vermehrt identifiziert und von der Vergütung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) ausgeschlossen werden. Mit der Vorlage zur Änderung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung, welche der Bundesrat im Dezember 2015 dem Parlament überwiesen hat, möchte er dafür sorgen, dass valide, adäquate, stufen- und zielpublikumsgerechte Qualitätsinformationen zur Verfügung stehen, aufgrund deren die verschiedenen Akteure des Versorgungssystems qualitätsrelevante Sachverhalte erkennen, Entscheidungen treffen und Massnahmen ergreifen können.
INTERPELLATION vom 29.9.2016
Ist die Schweiz zu einer Goldgrube für Ärztinnen und Ärzte aus der Europäischen Union geworden?
Jean-Paul Gschwind Nationalrat CVP Kanton Genf
Jeden Herbst löst die Erhöhung der Krankenkassenprämien bei den Versicherten Unverständnis, Unzufriedenheit, ja sogar Wut aus. Das Jahr 2017 stellt in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar: 4,5 Prozent beträgt das landesweite Mit-
tel, und im Kanton Jura steht mit durchschnittlich 7,3 Prozent und 8,3 Prozent für 19- bis 25-Jährige ein Rekordanstieg bevor. Aber wie jedes Jahr flauen die Emotionen der Versicherten nach ein paar Wochen ab, ohne dass irgendeine Massnahme zur Stabilisierung oder gar Senkung der Gesundheitskosten getroffen worden wäre. Ein Grund für den Kostenanstieg ist die konstant ansteigende Inanspruchnahme von ambulanten medizinischen Leistungen, die mit der Eröffnung von
neuen Allgemein- oder Facharztpraxen vor allem durch Ärztinnen und Ärzte aus der Europäischen Union in Zusammenhang stehen. Ein Jahresgehalt zwischen 500 000 und 1 000 000 Franken ist ja auch mehr als attraktiv!
Dazu stelle ich dem Bundesrat folgende Fragen: 1. Kann der Bundesrat die Anzahl
der Allgemein- und Facharztpraxen beziffern, die in der Schweiz im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis 31. Dezember 2015 eröffnet
wurden, und die Verteilung auf die Kantone nennen? 2. Kann er die Anzahl der neuen praktizierenden Ärztinnen und Ärzte aus der Europäischen Union mit Angabe des Herkunftslandes beziffern? 3. Kann der Bundesrat die Kriterien nennen, die bei der Anerkennung der Diplome berücksichtigt werden? 4. Kann er die für die Anerkennung der Diplome zuständige Behörde nennen?
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Der Bundesrat meint dazu am 2.12.2016
1. Für die selbstständige Ausübung eines universitären Medizinalberufs bedarf es einer Bewilligung des Kantons, auf dessen Gebiet der Medizinalberuf ausgeübt wird. Der Bund führt kein Register über die in den Jahren 2012 bis 2015 eröffneten Allgemein- und Facharztpraxen. Der Bund führt das Medizinalberuferegister über Inhaberinnen und Inhaber von Diplomen und Weiterbildungstiteln. Auf Basis dieses Registers kann die Anzahl der neu erteilten Berufsausübungsbewilligungen ausgewertet werden, die Hinweise auf eine Praxistätigkeit liefern. Es ist jedoch unklar, ob diese Bewilligungen auch aktiv genutzt werden. Zudem enthält das Register keine zuverlässige Aussage über den Arbeitsort. Nachfolgend ist die Verteilung über die Kantone dargestellt. Es handelt sich um die Anzahl Bewilligungen, nicht um die Anzahl Personen. Eine Person kann gleichzeitig in mehreren Kantonen über eine Berufsausübungsbewilligung verfügen. Unter Generalisten beziehungsweise Grundversorgern werden dabei die praktischen Ärztinnen und Ärzte und Fachärztinnen und Fachärzte für allgemeine innere Medizin und Kinder- und Jugendmedizin verstanden. Um zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) abrechnen zu können, benötigt es eine sogenannte Zahlstellenregisternummer (ZSR), die im Auftrag der Versicherer von der Sasis AG erteilt wird. Die Sasis AG führt ein entsprechendes Zahlstellenregister, wobei nicht unterschieden werden kann, ob ein Arzt oder eine Ärztin von der ZSR Gebrauch macht oder nicht. Bei der Aufhebung der Zulassungssteuerung (2012 bis Mitte 2013) war nun zu beobachten, dass sich im Jahr 2012 gesamtschweizerisch die Anzahl erteilter ZSR verdoppelt hatte.
Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan) hat bei einer Untersuchung der Entwicklung des Ärztebestandes im Kontext der Beschränkung der Zulassung versucht, nur die Arztpraxen zu berücksichtigen, welche effektiv zulasten der OKP abrechnen. Das Obsan sieht eine starke Zunahme der Spezialärzte und -ärztinnen seit 2012 bis Mitte 2015. Betreffend Neueröffnungen von Arztpraxen ist darauf hinzuweisen, dass der Bundesrat am 18. Februar 2015 dem Parlament einen Vorschlag für eine dauerhafte Steuerung in der Krankenversicherung im ambulanten Bereich unterbreitet hat. Das Parlament hat diese Vorlage abgelehnt, dann aber mittels dringlichen Bundesgesetzes am 22. Juni 2016 entschieden, die bisherige Zulassungssteuerung befristet bis Mitte 2019 weiterzuführen, und gleichzeitig den Bundesrat beauftragt, weitere Alternativen zur Zulassungssteuerung zu suchen (Verordnung über die Einschränkung der Zulassung von Leistungserbringern zur Tätigkeit zulasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung). Der Bundesrat erachtet eine Steuerung in diesem Bereich nach wie vor als notwendig.
2. Die folgenden Zahlen basieren auf den Anerkennungen von Facharzttiteln aus dem Medizinalberuferegister. Die Angaben umfassen deshalb Ärztinnen und Ärzte sowohl in der Praxis als auch im Spital. Im Jahre 2015 sind folgende Facharztdiplome von Ärztinnen und Ärzten aus der EU anerkannt worden: Deutschland (573), Italien (223), Frankreich (196), Österreich (68), Rumänien (26), Ungarn (22), Belgien (21), Griechenland (16), Polen (13), Spanien (12), Tschechische Republik (11), Bulgarien (8), Portugal (6), Grossbritannien (5), Nie-
Insgesamt erteilte Bewilligungen an Grundversorger und Spezialisten 2012–2015 nach Kanton:
Kanton
Grundversorger
Spezialisten beide Titel
Gesamt
AG AR AI BL BS BE FR GE GL GR JU LU NE NW OW SH SZ SO SG TI TG UR VD VS ZG ZH
Gesamt
183 39 4 97 73
404 93
488 7
57 14 161 76 12 12 25 56 53 188 155 86 13 220 123 57 309
3005
385 118
39 199 196 656 180 779
12 128
32 233 140
11 39 22 143 63 332 440 142
7 449 275 175 1055
6250
90 19
2 56 47 182 35 103
2 35
5 57 31
5 3 3 26 15 76 58 42 3 72 40 32 242
1281
658 176
45 352 316 1242 308 1370
21 220
51 451 247
28 54 50 225 131 596 653 270 23 741 438 264 1606
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derlande (5), Schweden (2), Slowakei (2), Slowenien (2), Estland (1), Litauen (1). Im Vergleich hierzu haben im Jahre 2015 866 Schweizerinnen und Schweizer einen Facharzttitel erlangt.
3. Die Schweiz anerkennt die Diplome derjenigen Staaten, mit denen sie einen Vertrag über die gegenseitige Anerkennung der Diplome abgeschlossen hat. Seit Juni 2002 ist diese Gegenseitigkeit durch das Freizügigkeitsabkommen (FZA) mit der Europäischen Union (EU) und mit der Efta mög-
lich. Das FZA verweist bei der Anerkennung der Diplome auf die Bestimmungen der EU im Bereich der Anerkennung der Diplome. Diese Anerkennung betrifft nicht nur die universitären Titel, sondern auch die Berufsqualifikationen und das Berufsausübungsrecht in der Schweiz.
4. Nach Artikel 15 Absatz 3 MedBG ist für die Anerkennung die Medizinalberufekommission (Mebeko) zuständig.
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