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STUDIE REFERIERT
Mit zunehmendem Alter sinken Lebensqualität und Selbstständigkeit
Ergebnisse einer schweizerischen Studie zu chronischen Krankheiten bei Senioren
Eine schweizerische Querschnittstudie kommt zu dem Ergebnis, dass chronische Erkrankungen im Alter häufig vorkommen und mit einer deutlichen Verringerung von Selbstständigkeit und Lebensqualität einhergehen.
BMJ Open
Die meisten Studien an älteren Menschen beschränken sich nur auf ein einziges Symptom wie beispielsweise Schmerz, Angst oder Störungen beim Wasserlassen. In den wenigen Untersuchungen, welche mehrere Symptome erfassen, ist die Teilnehmerzahl gering. Als Folge ist wenig bekannt über die Belastung älterer Menschen durch chronische Erkrankungen, welche mit einer Vielzahl von Symptomen einhergehen können, oder über die im Alter häufig vorkommende Multimorbidität. Im Allgemeinen bilden sich die Sym-
MERKSÄTZE
O Im Alter leiden zahlreiche Menschen unter einer chronischen Erkrankung. In dieser Studie gaben 82,9 Prozent der Teilnehmer an, über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wenigstens 1 von 14 Symptomen verspürt zu haben. Die gewichtete Prävalenz reichte von 3,1 Prozent (Brustschmerzen) bis zu 47,7 Prozent (Gelenkschmerzen).
O Während bei Männern insbesondere zwei Symptome (unerfülltes Sexualleben und Hautprobleme) mit einer Verringerung der Lebensqualität einhergingen, waren es bei Frauen mehrere (Gelenkschmerzen, Rückenschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Dyspnoe, geschwollene Beine und Hautprobleme).
O Es zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen nahezu allen untersuchten chronischen Symptomen und der Beeinträchtigung der Fähigkeit, eigenständig grundlegende Aktivitäten des Lebens durchzuführen.
ptome einer Erkrankung innerhalb weniger Wochen zurück. In einem Viertel der Fälle bleibt die Symptomatik jedoch bestehen und erfordert ein sorgfältiges diagnostisches und therapeutisches Vorgehen. Die Prävalenz chronischer Erkrankungen nimmt mit steigendem Alter zu. Multimorbidität geht einher mit einer schlechten körperlichen Verfassung, welche grundlegende Aktivitäten des alltäglichen Lebens beeinträchtigt, und einer geringen Lebensqualität.
Studiendesign und -ziel
Die Querschnittstudie nutzte Daten der populationsbasierten Schweizer Kohortenstudie Lc65+ (Lausanne cohort 65+) sowie die aus zwei stratifizierten Stichproben gewonnenen Daten der schweizerischen Kantone Waadt und Genf. Erfasst wurden 5300 Erwachsene, welche mindestens 68 Jahre alt waren. Ausgeschlossen wurden Personen, welche in Heimen lebten oder aufgrund kognitiver Beeinträchtigungen nicht fähig waren, sich zu äussern. Die Teilnehmer hatten einen Fragebogen auszufüllen. Sie wurden befragt, ob bei ihnen über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten wenigstens 1 von 14 Symptomen aufgetreten war, darunter insbesondere: O Gelenkbeschwerden O Rückenschmerzen O Brustschmerzen O Dyspnoe O persistierender Husten O geschwollene Beine O Gedächtnislücken O Konzentrationsstörungen O Schwierigkeiten, Entscheidungen zu
treffen O Schwindelanfälle
O Hautprobleme (z.B. Psoriasis) O Beschwerden im Magen-Darm-Be-
reich O Harninkontinenz O Beeinträchtigung der Sexualität.
Die Fähigkeit, eigenständig grundlegende Aktivitäten des Lebens durchzuführen (basic activities of daily living, BADL), wurde mithilfe des Katz-Indexes beurteilt. Die Teilnehmer wurden befragt, ob sie während der letzten 4 Wochen Schwierigkeiten gehabt hatten, sich anzuziehen, zu baden, zu essen, aus dem oder ins Bett zu kommen, von einem Stuhl aufzustehen oder eine Toilette zu benutzen. Mögliche Antworten waren: keine Schwierigkeit, nicht hilfebedürftige Schwierigkeit, Hilfe erforderlich. Die Teilnehmer wurden zudem befragt, wie sie ihre Lebensqualität (Quality of Life, QoL) einschätzten. Die Antworten reichten von «exzellent» über «sehr gut», «gut», «mittelmässig» bis «schlecht».
Studienergebnisse
82,9 Prozent der Teilnehmer gaben an, unter mindestens 1 chronischen Symptom zu leiden. Die gewichtete Prävalenz reichte von 3,1 Prozent (Brustschmerzen) bis zu 47,7 Prozent (Gelenkschmerzen). Die meisten Symptome gingen mit einer Verringerung der Lebensqualität und einer verminderten Fähigkeit einher, eigenständig grundlegende Aktivitäten des Lebens durchzuführen. Im Vergleich zu Männern waren Frauen älter, lebten häufiger in einer Grossstadt und besassen häufiger die schweizerische Staatsbürgerschaft. Sie lebten des Öfteren allein, hatten häufiger keine Kinder, einen niedrigeren Ausbildungsgrad und eine geringere Lebensqualität (jeweils p ≤ 0,001). Während bei Männern insbesondere 2 Symptome (unerfülltes Sexualleben und Hautprobleme) mit einer Verringerung der Lebensqualität einhergingen, waren es bei Frauen mehrere (Gelenkschmerzen, Rückenschmerzen, Magen-DarmProbleme, Dyspnoe, geschwollene Beine und Hautprobleme). Es zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen nahezu allen chronischen Symptomen und der Beeinträchtigung der Fähigkeit, eigenständig grundlegende Aktivitäten des Lebens durchzuführen. Davon ausgenommen
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STUDIE REFERIERT
waren ein unerfülltes Sexualleben bei Frauen sowie Hautprobleme und chronischer Husten bei Männern. Das bevölkerungsbezogene attributable Risiko (population attributable fraction, PAF) wurde bestimmt, um zu erfassen, um welchen Prozentsatz man die Lebensqualität steigern könnte, wenn ein chronisches Symptom nicht mehr vorhanden wäre. Besonders bei Männern könnte eine schlechte Lebensqualität verbessert werden durch Elimination eines chronischen Hustens (1,7%; p = 0,001) oder von Brustschmerzen (1,4%, p < 0,001). Diskussion Diese Studie basiert auf einer repräsentativen Stichprobe selbstständig lebender älterer Männer und Frauen. Die Daten der populationsbasierten schweizerischen Kohortenstudie Lc65+ machten eine Kontrolle möglicher Störfaktoren möglich. Die Studie beschränkte sich auf 14 chronische Symptome. Andere wie beispielsweise Kopfschmerzen, Müdigkeit oder Beeinträchtigungen des Hörens oder Sehens und Schlafstörungen blieben unberücksichtigt. Jedes chronische Symptom wurde lediglich als vorhanden oder nicht vorhanden registriert. Der Schweregrad blieb unberücksichtigt. Das Studiendesign schliesst kausale Schlussfolgerungen aus. Fazit: Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass chronische Symptome bei älteren Menschen weitverbreitet sind und häufig mit einer Verringerung der Fähigkeit einhergehen, eigenständig grundlegende Aktivitäten des Lebens durchzuführen. Auch ist die Lebens- qualität vermindert. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn mehrere chroni- sche Symptome auftreten. Aufgrund ihres grossen Einflusses auf die öffentli- che Gesundheit sollte es das Ziel sein, chronische Symptome durch Vorbeu- gung zu verhindern. O Claudia Borchard-Tuch Quelle: Henchoz Y et al.: Chronic symptoms in a representative sample of community-dwelling older people: a cross-sectional study in Switzerland. BMJ Open 2017; 7(1): e014485. Interessenlage: Die Autoren der referierten Originalstudie geben keinerlei Interessenkonflikte an. ARS MEDICI 6 I 2017 301