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FORTBILDUNG
Ejakulationsstörungen bei der Therapie von Prostatabeschwerden
Fast alle Behandlungen führen zu Problemen
Symptome der unteren Harnwege, eine benigne Prostatahyperplasie sowie sexuelle Dysfunktionen treten oft gemeinsam auf und beeinflussen sich gegenseitig. Eine Beeinträchtigung der Ejakulation kann sich auf sehr verschiedene Weise äussern. Ejakulationsstörungen sind oft therapiebedingt.
Translational Andrology and Urology
Die Beziehung zwischen Symptomen der unteren Harnwege (lower urinary tract symptoms, LUTS) als Folge einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) und sexueller Dysfunktion ist gut dokumentiert. Die sexuelle Dysfunktion kann sowohl Ejakulationsstörungen als auch erektile Dysfunktion umfassen. Bei der Ejakulationsdysfunktion werden unterschieden: O vorzeitige Ejakulation O verzögerte Ejakulation O retrograde Ejakulation O Anejakulation O verringerte Stärke der Ejakulation O schmerzhafte Ejakulation.
Bei mittelschweren bis schweren LUTS wird zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Reduktion des Risikos einer
MERKSÄTZE
O Bei mittelschweren bis schweren Harnwegssymptomen im Rahmen einer benignen Prostatahyperplasie (BPH) wird zur Verbesserung der Lebensqualität und zur Reduktion des Risikos einer Krankheitsprogression entweder eine medikamentöse oder eine chirurgische Therapie empfohlen.
O Beide Optionen tragen das Risiko von Ejakulationsstörungen.
O Die chirurgische Behandlung der BPH führt zur retrograden Ejakulation, während Alphablocker eine Anejakulation bewirken.
O Selektive Alphablocker haben eine höhere Wahrscheinlichkeit für Ejakulationsstörungen, werden aber besser vertragen.
O Zum Einfluss der Phytotherapeutika auf die Ejakulation gibt es nur wenig Daten.
Krankheitsprogression entweder eine medikamentöse oder eine chirurgische Therapie empfohlen. Beide Optionen bergen jedoch das Risiko von Ejakulationsstörungen. Die Pathophysiologie der beeinträchtigten Ejakulation bei medikamentöser oder chirurgischer Therapie der BPH ist nur unvollständig bekannt. Der Ejakulationsreflex als solcher beruht auf einem Zusammenspiel von somatischen, sympathischen und parasympathischen Wegen. Sowohl für die LUTS als auch für Ejakulationsstörungen scheint eine endotheliale Dysfunktion eine Rolle zu spielen, daneben tragen aber auch eine autonome Hyperaktivität und atherosklerotische Veränderungen im Beckenbereich mit konsekutiver Ischämie zur Symptombildung bei.
Ejakulationsprobleme nach chirurgischen Eingriffen
Die transurethrale Resektion der Prostata (TURP) ist zwar der Goldstandard für die Behandlung der BPH, aber auch bekannt für die Ejakulationsstörungen nach dem Eingriff. Wie umfangreiche Daten aus randomisierten Studien nahelegen, kommt es bei zwei Dritteln der Operierten zu einer Ejakulationsstörung. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Männer, die sich einer TURP unterziehen, schon präoperativ in bis zu einem Drittel der Fälle eine ejakulatorische Dysfunktion aufweisen. In einer Vergleichsstudie hatten Patienten nach einer TURP oder einer Nd:YAG-Laser-Resektion vergleichbare Raten von Ejakulationsstörungen, und schmerzhafte Ejakulationen nahmen nach beiden Verfahren vergleichbar ab. Die Häufigkeit von postoperativen Ejakulationsstörungen scheint nicht vom Resektionsvolumen abzuhängen. In Studien mit der Holmium-Laser-Enukleation der Prostata (HoLEP) wurden mit der TURP vergleichbare Raten von Ejakulationsstörungen beobachtet. Ejakulationssparende Techniken führten in einer kleinen Vergleichsstudie nicht zu einer dramatischen Verringerung dieser Probleme. Auch Vergleiche zwischen der Fotovaporisation und der TURP ergaben ähnliche Raten von postoperativen Ejakulationsstörungen. Die transurethrale Mikrowellentherapie (TUMT) führte in einer randomisierten Studie zwar viel häufiger zur Erhaltung einer antegraden Ejakulation (74% vs. 27%), allerdings ist die TUMT hinsichtlich der objektiven Besserung der LUTS der TURP klar unterlegen. In gewissen Fällen von symptomatischer BPH kann ein minimalinvasives Vorgehen mit Einlage von Retraktionsankern in die Harnröhre (Urolift) infrage kommen. Prospektive Erhebungen mittels Fragebogen ergaben eine Verbesserung von Ejakulationsproblemen nach einem Jahr – noch bleibt unklar, ob dies nicht nur ein vorübergehender Effekt ist.
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FORTBILDUNG
Bei LUTS infolge BPH eingesetzte Medikamente
Alphablocker: Alfuzosin Tamsulosin Terazosin Silodosin
5-alpha-Reduktase-Hemmer: Finasterid Dutasterid
Kombinationspräparate Alphablocker plus 5-alpha-Reduktase-Hemmer: Tamsulosin plus Dutasterid
Phosphodiesterase-5-Hemmer: Tadalafil
Phytotherapeutika: Sägepalme (Serenoa repens, Sabal serrulata) plus Brennnessel (Urtica dioica) Afrikanischer Pflaumenbaum (Pygeum africanum) plus Brennnessel (Urtica dioica) Kürbis (Cucurbita pepo)
Xatral® oder Generika Pradif T® oder Generika Hytrin BPH® Urorec®
Proscar® oder Generika Avodart®
Duodart®
Cialis®
Prostagutt®-F
Prostatonin®
Granufink Prosta® forte
LUTS: «lower urinary tract symptoms», BPH: benigne Prostatahyperplasie
Dysfunktion nach einem Jahr nicht zugenommen. In einer Beobachtungsstudie erfuhren die wegen LUTS mit Alfuzosin behandelten Männer nach einem Jahr sogar eine Verbesserung des Ejakulatvolumens und eine Abnahme von Schmerz oder Missgefühlen bei der Ejakulation. Silodosin hat die höchste Spezifität für Alpha-1a- gegenüber Alpha-1b-Rezeptoren. Im Vergleich zu Tamsulosin kommen Ejakulationsstörungen häufiger vor. Ob durch Silodosin auch eine Beeinflussung der Orgasmusfunktion erfolgen kann, ist umstritten. In einer Studie mit gesunden Freiwilligen berichteten alle von einer fehlenden Ejakulation. Alle hatten Orgasmen, doch 80 Prozent empfanden diese als etwas unangenehm oder nicht befriedigend. Unter Tamsulosin zeigen gemäss grossen Zahlen etwa 10 Prozent der Behandelten eine Ejakulationsstörung. In einer offenen Studie nahm die Häufigkeit abnormer Ejakulationen mit der Beobachtungsdauer zu.
5-alpha-Reduktase-Hemmer Finasterid hemmt das Typ-2-Isoenzym der 5-alpha-Reduktase. In Studien wird eine Ejakulationsstörung als Nebenwirkung bei 4 Prozent angegeben (Plazebo 1%). Dutasterid hemmt sowohl das Typ-1- wie auch Typ-2-Isoenzym. In einer randomisierten, kontrollierten Multizenterstudie trat eine Ejakulationsstörung als Nebenwirkung unter Dutasterid bei 2,2 Prozent auf (Plazebo 0,8%). Die Häufigkeit von Ejakulationsstörungen unter 5-alpha-Reduktase-Inhibitoren (5-ARI) scheint nach einem Jahr Behandlungsdauer abzunehmen.
Ejakulationsprobleme
unter medikamentöser Behandlung
Alphablocker Katecholamine wirken über Alpha-1-Adrenorezeptoren auch an der glatten Muskulatur von Prostata und Blasenhals. Nicht selektive Alphablocker wie Terazosin und Doxazosin verursachen eine signifikante orthostatische Hypotonie. Alfuzosin, obwohl auch ein nicht selektiver Alphablocker, zeigt hingegen tiefere Hypotonieraten. Diese sind bei den Alpha-1-Rezeptor-Antagonisten Tamsulosin und Silodosin deutlich tiefer, hingegen werden höhere Raten von ejakulatorischer Dysfunktion beobachtet, da Alpha-1-Rezeptoren im Vas deferens und in den Samenblasen überwiegen. In vielen Studien wird diese Ejakulationsstörung als retrograde Ejakulation beschrieben. In einer kleinen Cross-over-Studie mit Freiwilligen berichteten alle Teilnehmer von einer völlig fehlenden Ejakulation, und in Urinanalysen nach Masturbation liessen sich bei keinem Teilnehmer nennenswerte Spermienzahlen nachweisen. Auch in einer doppelblinden Vergleichsstudie mit Tamsulosin, Alfuzosin und Plazebo fielen die Spermienzahlen in der postejakulatorischen Urinuntersuchung in allen Gruppen ähnlich aus. Dies stützt die Hypothese, dass Alphablocker eine Anejakulation und nicht eine retrograde Ejakulation bewirken. Unter Alfuzosin wurde im Vergleich zu Plazebo nur geringfügig häufiger eine beeinträchtigte Ejakulation beobachtet (0,6% vs. 0%). In der offenen Nachbeobachtung einer doppelblinden Studie hatte die Häufigkeit einer ejakulatorischen
Kombinationstherapie (5-ARI plus Alphablocker) Die gleichzeitige Behandlung mit einem 5-ARI und einem Alphablocker geht mit sexuellen Nebenwirkungen einher, die qualitativ gleich sind, aber häufiger auftreten als unter Monotherapie. In der MTOPS-Studie betrugen die Raten von Ejakulationsstörungen 14,1 Prozent für Finasterid plus Doxazosin, 7,2 Prozent für Finasterid- und 4,5 Prozent für Doxazosinmonotherapie sowie 2,3 Prozent für Plazebo. In der COMBAT-Studie wurde die Häufigkeit dieser Nebenwirkung unter Tamsulosin- und Dutasteridmonotherapie sowie unter der Kombination der beiden Wirkstoffe untersucht. Ejakulationsstörungen waren mit der Kombinationstherapie häufiger als mit den Monotherapien.
Phosphodiesterase-5-Hemmer Phosphodiesterase-(PDE-)5-Hemmer wurden als Erstlinientherapie bei erektiler Dysfunktion eingesetzt. Inzwischen finden sie auch bei LUTS in Zusammenhang mit einer BPH Anwendung. PDE-5-Hemmer erhöhen die intrazellulären Spiegel von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) und führen zu einer Verbesserung der Sauerstoffversorgung im unteren Harntrakt, zur Erschlaffung der glatten Muskulatur in Prostata und Blasenhals, zu einer Abnahme der Proliferation des Prostatastromas und zur Verminderung der afferenten Nervenaktivität aus dem unteren Harntrakt. Werden PDE-5-Hemmer bei Männern mit BPH eingesetzt, verbessern sie die Symptomscores und die Lebensqualität bei nur minimalem Effekt auf die Harnflussrate. Zu ihrem Einfluss auf die Ejakulationsfunktion liegen bis heute keine Daten vor.
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FORTBILDUNG
Phytotherapeutika Pflanzliche Heilmittel werden in der Behandlung von LUTS bei BPH häufig eingesetzt und sind im Allgemeinen gut verträglich. Insgesamt gibt es wenig Daten zum Einfluss der Phytotherapeutika auf die Ejakulation. In einer randomisierten Vergleichsstudie traten Ejakulationsstörungen unter Tamsulosin häufiger auf als unter Sägepalmenextrakt (4,2% vs. 0,6%).
Schlussfolgerungen
Sowohl Ejakulationsstörungen als auch BPH sind bei Männern, die sich beim Urologen melden, häufig. Dass zwischen den zwei Krankheitsbildern eine klinische Beziehung besteht, ist gut dokumentiert. Leider haben viele der medikamentösen und fast alle chirurgischen Therapieansätze einen Einfluss auf die Ejakulationsfunktion. Die chirurgische Behandlung der BPH führt zur retrograden Ejakulation, während medikamentöse Therapien mit Alphablockern eine Anejakulation
bewirken. Selektive Alphablocker wie Tamsulosin oder Silo-
dosin haben eine höhere Wahrscheinlichkeit für Ejakula-
tionsstörungen, werden aber besser vertragen. Alfuzosin,
Doxazosin und Terazosin verursachen selten eine Ejakulati-
onsstörung. Die effektivsten chirurgischen Eingriffe (TURP,
HoLEP, Fotovaporisation) verursachen die höchsten Raten
von Ejakulationsstörungen, wobei die Scores für die Lebens-
qualität postoperativ höher sind. Patienten sollten gründlich
aufgeklärt werden, welche Auswirkungen auf die Ejakula-
tion eine BPH-Behandlung haben kann.
O
Halid Bas
Quelle: DeLay KL et al.: Ejaculatory dysfunction in the treatment of lower urinary tract symptoms. Transl Androl Urol 2016; 5(4): 450–459.
Interessenkonflikte: Die Autoren der referierten Originalarbeit haben keine Interessenkonflikte zu deklarieren.
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