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BERICHT
Update Autoimmunerkrankungen: Früherkennung als zentrales Anliegen
Überlick über rheumatoide Arthritis, Spondyloarthritiden und Kollagenosen
Das Erkennen dieser potenziell gravierenden Erkrankungen in einem frühen Stadium gewinnt zunehmend an Bedeutung, da sich die therapeutischen Möglichkeiten in den letzten Jahren wesentlich verbessert haben. Der Grundversorger spielt hierbei eine zentrale Rolle, wie Prof. Diego Kyburz am SGAIM Great Update darlegte.
Lydia Unger-Hunt
Autoimmunerkrankungen (autoimmune diseases, AID) in der Rheumatologie seien zunächst einmal abzugrenzen von den sogenannten autoinflammatorischen Erkrankungen, so leitete Prof. Diego Kyburz, Rheumatologe und Chefarzt der Rheumatologie am Universitätsspital Basel, seinen Vortrag ein: Während AID (s. Kasten 1) vom adaptiven Immunsystem ausgelöst werden und durch Autoantikörper charakterisiert sind, liegt bei autoinflammatorischen Krankheiten direkt – etwa aufgrund
von Kristallen bei Kristallopathien – eine Aktivierung des angeborenen Immunsystems vor; die Differenzierung ist vor allem aufgrund der unterschiedlichen Therapiekonzepte wichtig.
Wichtigstes Leitsymptom: Gelenkschmerzen In der Klinik, betonte Kyburz, sollte man sich nach Leitsymptomen richten, und das sind bei AID die Gelenkschmerzen, die bei fast allen Krankheiten sehr oft vorkommen. Bei Gelenkschmerzen
Kasten 1:
Autoimmunerkrankungen (AID) im Überblick
Typische Merkmale der wichtigsten und häufigsten Vertreter von Autoimmunerkrankungen in der Rheumatologie sind:
O rheumatoide Arthritis: seropositiv/seronegativ, juvenile Formen nicht belastungsabhängige Arthralgien/Arthritis, symmetrische Involvierung der Hände. Laborabklärung: Rheumafaktor, Anti-CCP AK
O Spondyloarthritiden: Spondylitis ankylosans, Psoriasisarthritis, reaktive Arthritis, IBD-assoziierte Spondyloarthritis entzündlicher Rückenschmerz vor dem 45. Lebensjahr, Arthralgien/Arthritiden (asymmetrisch), Sehnenansatzschmerzen; evtl. gastrointestinale Symptomatik
O Kollagenosen: Lupus erythematodes, Sklerodermie, Sjögren-Syndrom, Dermatomyositis/Polymyositis und andere Exantheme, Fotosensitivität, Raynaud-Symptomatik, Arthralgien/Arthritiden/Myalgien. Diverse Organsymptome (Lunge, Niere, ZNS/PNS). Labor: ANA (IF)
Nach Diagnosestellung wird bei den meisten Patienten eine immunsuppressive Behandlung begonnen, in vielen Fällen ist eine Dauertherapie über Jahrzehnte nötig. Wichtig ist in diesen Fällen die Zusammenarbeit zwischen Spezialist und Grundversorger, der in der Regel die regelmässigen Blutkontrollen übernimmt und die wichtigsten Nebenwirkungen der häufigsten Basismedikamente kennen sollte.
Prof. Diego Kyburz
ist ausserdem immer nach einer Schwellung zu fragen: Liegt sie vor oder nicht, ist es also eine Synovitis oder Tenosynovitis? Ist eines oder sind mehrere Gelenke betroffen? Bei polyartikulärem Befund: welche Gelenke? «Diese Fragen sind sehr wichtig, denn bei der RA liegt eigentlich immer ein symmetrischer Gelenkbefall vor, die Hände sind ebenfalls praktisch immer betroffen, wobei die distalen Interphalangealgelenke ausgespart werden.»
Laborwerte und (keine) Folgen Der nächste Schritt ist die Laborabklärung von Entzündungsparametern (CRP, BSR) und Autoantikörpern mit einer «recht hohen Spezifität: Rheumafaktoren (RF) haben eine Spezifität von 85 und Anti-CCP-Antikörper eine solche von 95 Prozent für eine RA.» Allerdings ist zu beachten, dass auch eine ganze Reihe anderer rheumatischer Erkrankungen – etwa chronische Infektionen – mit positiven Werten einhergehen können und dass diese Werte bereits
Empfehlungen der SGR: www.rheuma-net.ch
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Kasten 2:
Biologika und Signalübermittlungshemmer bei AID
Infliximab (Remicade®, Inflectra®, Remsima®):
RA, M. Bechterew, Psoriasisarthritis, M. Crohn, Colitis ulcerosa
Etanercept (Enbrel®):
RA, M. Bechterew, Psoriasisarthritis, juvenile idiopathische Arthritis (JIA)
Adalimumab (Humira®):
RA, Psoriasisarthritis, M. Bechterew, M. Crohn, Colitis ulcerosa, JIA
Golimumab (Simponi®):
RA, Psoriasisarthritis, M. Bechterew, Colitis ulcerosa
Certolizumab Pegol (Cimzia®): RA, Psoriasisarthritis, M. Bechterew, M. Crohn
Rituximab (Mabthera®):
RA, ANCA-Vaskulitiden
Abatacept (Orencia®):
RA
Tocilizumab (Actemra®):
RA, JIA
Tofacitinib (Xeljanz®): Ustekinumab (Stelara®): Secukinumab (Cosentyx®): Belimumab (Benlysta):
RA Psoriasisarthritis Psoriasisarthritis, M. Bechterew Systemischer Lupus Erythematodes (SLE)
nach Kyburz
Jahre vor einem Krankheitsausbruch positiv sein können. «Also kein Screening ohne passende Klinik! Sonst bekommt man vielleicht einen positiven Titer zurück, der zunächst ohne Konsequenz bleibt. Denn wir können keine präventive Therapie anbieten, wenn nur Antikörper positiv sind, aber sonst keine Krankheitszeichen vorliegen», erklärte der Rheumatologe. Das heisst allerdings auch: «Bei Gelenksbeschwerden und positiven RF oder Anti-CCP sollte zeitnah die rheumatologische Abklärung erfolgen, damit man möglichst rasch eine Therapie einleiten kann.» Diverse Studien haben belegt, dass eine frühe Diagnose und Therapie die Prognose bei RA wesentlich verbessern, so auch eine Schweizer Analyse von 2011: Hier begannen Patienten entweder nach median 6-monatiger Symptomdauer eine DMARD-Therapie (frühe Gruppe) oder nach median 21/2 Jahren (späte Gruppe) (1). Die langfristige Rate der radiologischen Progression war nach Anpassung für Störfaktoren in der frühen Gruppe signifikant niedriger als in der späten Gruppe. «Also: je früher die Therapie, desto besser der Verlauf über die Jahre», so fasste Kyburz zusammen.
Entscheidende Rolle
der Grundversorger
Auf diesem Gebiet kommt den Grundversorgern eine wichtige Rolle zu, wie der Experte unterstrich: «Sie sind die
Ersten, die diese Patienten sehen.» Laut einer Studie von 2013 dauert es in der Schweiz derzeit rund 19 Wochen, bis ein Patient behandelt wird: Zunächst vergehen 8 Wochen, bis der Patient nach Symptombeginn einen Termin beim Arzt ausmacht, bis er den hat, «dauert es bei uns erfreulicherweise nur eine Woche». Aber danach vergehen weitere 8 Wochen, bis der Patient zum Rheumatologen überwiesen wird, und 2 Wochen, bis er ihn tatsächlich sieht (2). «Hier ist noch Raum für Verbesserung: Wir streben eine maximale Verzögerung von 12 Wochen an, das wird derzeit nur bei 22 Prozent der Patienten erreicht.»
Biologika, Signalvermittlungs-
hemmer und Biosimilars
Zu den bei AID derzeit eingesetzten Medikamenten zählen unter anderem Adalimumab, Etanercept, Infliximab, Rituximab, Tocilizumab und Tofacitinib (siehe auch Kasten 2). Letzteres ist kein Biologikum, sondern ein kleinmolekularer Signalvermittlungshemmer, und «diese Medikamente werden immer wichtiger». Das Therapieprinzip beruht nicht darauf, die Bindung eines Zytokins am Rezeptor zu verhindern, «sondern man verhindert, dass innerhalb der Zelle am Zytokinrezeptor ein Signal gebildet wird». Im Detail: Tofacitinib hemmt die Januskinase (JAK), womit die Zellaktivierung blockiert ist; damit wird verhindert, dass Transkriptions-
faktoren die proinflammatorischen Gene einschalten. «Man erhält damit den gleichen Effekt wie bei Blockierung der Zytokine ausserhalb der Zelle, dementsprechend konnte auch nachgewiesen werden, dass diese Medikamente gleich gut wirksam sind wie Biologika. Mit einem Unterschied: Sie können aufgrund ihrer kleinmolekularen Struktur als Tablette eingenommen werden.» Ein weiteres Thema sind die Biosimilars. «Diese Medikamente sind nicht Generika, sondern äquivalente Moleküle zum Original-Biologikum. Sie müssen nicht nur die äquivalente Pharmakokinetik nachweisen, sondern auch in einer klinischen Studie getestet werden.» Derzeit sind zwei Biosimilars für Infliximab zugelassen: Remsima® und Inflectra®.
Krankheiten im Überblick
Zu den einzelnen Krankheiten fasste der Experte wie folgt zusammen:
Spondylarthritiden Der Prototyp ist Spondylitis ankylosans (SpA). Leitsymptom ist der entzündliche Rückenschmerz, der mit einfach abzufragenden Kriterien diagnostiziert werden kann: O Schmerz zu Beginn < 40 Jahre O schleichender Beginn O Verbesserung bei Bewegung O keine Verbesserung / Verschlechte-
rung bei Ruhe O nächtliche Schmerzen (Verbesserung
nach dem Aufstehen).
Das weitere Vorgehen umfasst primär eine Bildgebung, in einer Beckenübersichtsaufnahme sollte man nach Zeichen einer ISG-Arthritis suchen, denn das Ileosakralgelenk gilt als Indexgelenk für den entzündlichen Gelenkbefall. Therapie: Neu zugelassen für die SpA (und Psoriasisarthritis) ist Secukinumab (Cosentyx®), ein Anti-IL-17A-Antikörper und das erste Nicht-TNF-Biologikum, das für diese Indikationen eine Zulassung erhalten hat. «Der Hintergrund war die Beobachtung, dass den Krankheiten eine bestimmte Sorte von T-Zellen gemeinsam ist: Sie sind Il-23Rezeptor-positiv und reaktiv und bilden IL-17, was sowohl für die Entzündung als auch die osteoproliferativen Veränderungen eine Rolle spielt.» Laut Daten einer 2015 im NEJM publizierten Studie ist unter Secukinumab eine
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klar bessere Wirkung versus Plazebo zu erreichen (40%ige Verbesserung von Parametern der Krankheitsaktivität) (3). Die Nebenwirkungen sind ein erhöhtes Infektionsrisiko (v.a. Candidainfekte), das aber geringer ist als bei TNF-Hemmern. Ein weiteres Medikament (Zulassung nur für Psoriasisarthritis) ist Apremilast (Otezla®), ein Phosphodiesterase-4-Inhibitor, der über eine Erhöhung der cAMP-Konzentration zur Hemmung proinflammatorischer Zytokine führt (TNF-␣, IL-23/12).
Kollagenosen Die Diagnose ist hier «etwas komplexer», da es verschiedenste Leitsymptome und Befunde gibt; entscheidend ist letztlich das Erkennen der typischen Klinik. Ein Raynaud-Phänomen ist vielen Kollagenosen gemeinsam, ausserdem können typische Hautveränderungen auftreten wie Schmetterlingserythem beim systemischen Lupus oder eine Hautverdickung bei Sklerodermie. Wichtig ist in diesen Fällen die Durchführung der symptombezogenen Diagnostik, das heisst, «man sucht intensiv dort, wo man eine Symptomatik hat, mittels Bildgebung und/oder Laboruntersuchungen». Zentral für die Diagnose ist die Autoantikörperdiagnostik (autonukleäre Antikörper [ANA], Immunfluoreszenz [IF]). Die Immunfluoreszenz ist ein Screeningtest, der bei Verdacht durchzuführen ist. Cave: Auch 32 Prozent der gesunden Bevölkerung weisen einen Titer von > 1:40 auf, 13 Prozent einen Titer von > 1:80 und 3 Prozent einen Titer von > 1:320. Kyburz: «Als signifikanter Titer gilt ein Wert von ≥ 1:160. Die Grenze für einen pathologischen Titer variiert jedoch von Labor zu Labor.» ANA haben bei Absenz von klinischen Hinweisen auf eine AID eine «sehr geringe Spezifität», bei negativen ANA (RF) und ohne spezifische Hinweise auf eine AID kann man eine AID vom Typ der Kollagenose daher «weitgehend ausschliessen». Bei positiven ANA und klinischen Symptomen ist es hingegen wichtig, weitere Untersuchungen zu veranlassen (Differenzierung der Kollagenose mittels ELISA-Test). Therapie: Häufig kommen wegen ihres raschen Wirkeintritts initial Steroide zum Einsatz, hoch dosiert bei bedrohlichen Manifestationen zur raschen Kontrolle bei Befall innerer Organe,
des peripheren oder zentralen Nervensystems sowie bei Vaskulitiden. Meist ist eine immunsuppressive Basistherapie erforderlich. Oft handelt es sich um eine Therapie über Jahre (Langzeitkontrollen erforderlich). Was für die Therapie von Kollagenosen gilt, gilt für die Behandlung der AID generell.
Nicht längerfristig
erhöhtes Infektionsrisiko
Die Nebenwirkungen der Biologika sind Infusionsreaktionen, Lokalreaktionen an der Einstichstelle und ein generell erhöhtes Infektionsrisiko, «das gilt auch für konventionelle Basismedikamente». Laut Analyse eines britischen Registers ist die Infektionsrate unter TNF-Blocker versus konventionelle Therapie vor allem zu Beginn erhöht (4). «Wenn die Patienten die Therapie vertragen und sie weiterhin einnehmen, ist nach einem Jahr praktisch kein erhöhtes Risiko mehr vorhanden. Langzeittherapien führen also nicht zu einem immer höheren Risiko für Infektionen, eher das Gegenteil: Bei Patienten, die über längere Zeit behandelt werden, ist das Infektionsrisiko weniger hoch», ergänzte Kyburz. Ein Hinweis zu Tocilizumab: Der Il-6Rezeptorblocker kann die CRP-Bildung beeinträchtigen, «ein Infekt kann also auch bei nicht erhöhtem CRP vorliegen». Wichtig in diesem Zusammenhang ist ausserdem die mögliche TBCReaktivierung unter TNF-Hemmern (aber auch bei anderen Biologika), auch De-novo-Infektionen, «das wird häufig vergessen». Und zum von Patienten häufig angesprochenen Tumorrisiko sagte Kyburz: «Es gibt bis heute keine Evidenz für ein generell erhöhtes Tumorrisiko bei Therapie unter Behandlung mit Biologika. Dasselbe gilt für die meisten konventionellen Basismedikamente, aber natürlich nicht für alle.»
Keine Lebendimpfstoffe
bei Immunsuppression
Impfungen sind ebenfalls ein häufiges Thema: «Sie sind kein Problem, solange es rekombinante und inaktivierte Impfstoffe sind.» Lebendimpfstoffe dürfen hingegen bei immunsuppressiver Therapie (Biologika und konventionelle Basismedikamente) nicht verabreicht werden, also keine Impfung gegen BCG, Cholera, Gelbfieber, Masern, Mumps,
Polio oral, Röteln, Typhus oral und Varizellen. «Das kann manchmal Probleme geben, beispielsweise bei Gelbfieber, diese Impfung wird von manchen südamerikanischen Staaten gefordert. In solchen Fällen muss man entweder die Therapie stoppen oder überlegen, ob ein Gelbfieberrisiko besteht.» Grundsätzlich seien die Routineimpfungen gemäss Schweizerischem Impfplan des BAG zu empfehlen, ausserdem die jährliche Influenzaimpfung sowie die Pneumokokkenimpfung mit Prevenar 13 (konjugiert).
Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko
bedenken
Abschliessend betonte Kyburz auch
das gehäufte Auftreten kardiovaskulä-
rer Begleiterkrankungen bei Patienten
mit chronisch entzündlichen Erkran-
kungen; die kardiovaskuläre Mortalität
ist beispielsweise bei RA 1,5- bis 2-fach
erhöht, «daher ist die Kontrolle der
Risikofaktoren von entscheidender Be-
deutung», wie eine aktuelle Studie
zeigte (5): RA-Patienten ohne weitere
kardiovaskuläre Risikofaktoren haben
ein höheres Risiko als eine rauchende
Vergleichspopulation ohne RA; bei
Rauchern mit RA ist das Risiko dop-
pelt so hoch wie bei Gesunden.
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Lydia Unger-Hunt
Quelle: Hauptvortrag «Autoimmunerkrankungen», 6. SGAIM Great Update, 2. Dezember 2016 in Interlaken.
Literatur: 1. Kyburz D et al.: The long-term impact of early treat-
ment of rheumatoid arthritis on radiographic progression: a populaton-based cohort study. Rheumatology (Oxford) 2011; 50: 1106–1110. 2. Raza K et al.: Delays in assessment of patients with rheumatoid arthritis: variations across europe; Ann Rheum Dis 2011; 70: 1822–1825. 3. Baeten D et al.: Secukinumab, an interleukin-17A inhibitor, in ankylosing spondylitis. New Engl J Med 2015; 373: 2534–2548. 4. Galloway JB et al.: Anti-TNF therapy is associated with an increased risk of serious infections in patients with rheumatoid arthritis especially in the first 6 months of treatment: updated results from the British Society for Rheumatology Biologics Register with special emphasis on risks in the elderly. Rheumatology (Oxford) 2011; 50: 124–131. 5. Mackey RH et al.: Cardiovascular disease risk in patients with rheumatic diseases. Clin Geriatr Med 2017; 33: 105–117.
Die vorliegende Onlineversion dieses Beitrags wurde am 15. März 2017 gegenüber der gedruckten Ausgabe korrigiert.
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