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FORUM Serie: Good Distribution Praxis
GDP: Experten haben das Wort
In unserem ersten Beitrag zu den überarbeiteten Leitlinien für die gute Vertriebspraxis (GDP) hat sich Jürg H. Schnetzer, Direktor Swissmedic, generell geäussert. In dieser Ausgabe kommen Experten zu Wort, die bei der Umsetzung in der Praxis von den strengen Vorgaben betroffen sind.
HANS WIRZ
Die GDP-Leitlinien sind eine ausführliche und präzise Sammlung von verbindlichen Vorschriften, die von der EU aufgestellt wurden und deren Umsetzung in der Schweiz von Swissmedic kontrolliert wird. Hauptsächliche Ziele der umfassenden Revision sind die Steigerung der Patientensicherheit und damit einhergehend eine deutliche Erhöhung der Qualitätsanforderungen an den Arzneimittelvertrieb. Die Umsetzung der überarbeiteten GDP-Leitlinien hat Auswirkungen auf alle, die mit Arzneimitteln umgehen – auf einige mehr, auf andere weniger. Im Fokus steht unter anderem eine temperaturgeführte Logistik für Arzneimittel im Bereich von 15 °C bis 25 °C (AmbientSollbereich). Von vier Experten haben wir dazu Meinungen eingeholt. Konkret sind sie in den Bereichen Pharmaindustrie, Pharmavollgrossisten, Ärzteschaft und Apotheken tätig. Lesen Sie die relevanten Aussagen der Experten.
Die Sicht der Pharmaindustrie Dr. sc. nat. Piergiorgio A. Lorenzetto, Regional Manager Western European
Patientinnen und Patienten wollen Heilmittel, die wirken. Und selbstverständlich erwarten sie eine Unversehrtheit der Arzneimittel – Patientensicherheit steht ub̈ er allem.
Cluster bei Novartis, ist grundsätzlich positiv eingestellt und begrüsst die Anpassungen. Gewisse Punkte seien jedoch schwierig umzusetzen: etwa die perfekte Wartung von Fahrzeugen, die Validierung aller Transportrouten inklusive Flugfracht sowie Kleinlieferungen wie Postsendungen. «Schlüsselpunkt wird sein, wie die regionalen Heilmittelinspektorate die Umsetzungen inspizieren und allfällige Mängel qualifizieren.» Klar ist: Die Transportkosten werden für die Hersteller steigen, und Temperaturchecks werden aufwendiger. «Die Erhöhung der Kosten bei Kleinmengen (für Ärzte und Apotheken) führt dazu, dass keine Direktbestellungen mehr
ausgeführt werden, da die Kosten der Sendung zum Teil höher sein werden als der Wert des Produkts.» Und die zukünftigen Entwicklungen? «Meiner Meinung nach werden in Zukunft Transporte auf dem Landweg nur noch von spezialisierten Transportunternehmen durchgeführt werden können.» Dies werde automatisch eine Erhöhung der Kosten zur Folge haben. Es sei schwierig abzuschätzen, inwiefern die Arzneimittel- und die Patientensicherheit durch die neuen GDP-Leitlinien erhöht würden. «Sicherlich sind die Leitlinien für biologische Präparate wichtiger als für feste Arzneiformen.» Temperaturlogger, Qualifizierung/Validierung der Landtransporte, Entwick-
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FORUM
Die wichtigsten Punkte aus den Expertenmeinungen
Das hat sich aus den vier Stellungnahmen zu den überarbeiteten GDP-Leitlinien herauskristallisiert:
O Die Arzneimittel- und die Patientensicherheit haben für alle Experten oberste Priorität.
O Die Umsetzung der überarbeiteten Leitlinien bedingt vor allem Investitionen und Kosten für die Pharmaindustrie und die Pharmavollgrossisten.
O Die Komplexität bei der Umsetzung wird für alle Beteiligten steigen.
O Der Fachhandel, die Ärzte und Spitäler erwarten in jedem Fall einwandfreie Qualität und hohe Lieferbereitschaft.
lung und Validierung von Transportboxen für Kleinmengen, Trainings, QMS bei Transportunternehmen, Audits und ein System zur sofortigen Notifikation von Abweichungen sind alles Faktoren, welche grosse Investitionen seitens der Pharmaindustrie auslösen.
Die Sicht der Pharmavollgrossisten Für René Jenny, Präsident von pharmalog.ch, der Vereinigung der vier schweizerischen Pharmavollgrossisten, war die Heilmittelsicherheit «schon immer und klar eine prioritäre Aufgabe». Was bedeuten die überarbeiteten GDP-Leitlinien konkret für die Pharmagrossisten? Faktisch muss jeder Pharmagrossist eine sogenannte Risikoanalyse über die gesamte Verteillogistik durchführen sowie eine Anpassung der Arbeitsabläufe für Lager- und Transportbedingungen, das Retourenmanagement, Computersystemvalidierungen, die Qualifizierung von Zulieferern und Kunden sowie die Nachverfolgung der Chargen und Produkterückrufprozeduren vornehmen. Dadurch ergibt sich, so Jenny, eine «Verteuerung der Logistikkosten und des Vertriebs im Allgemeinen». Die Umrüstung der Lieferfahrzeuge, die Installation von Klimatisierungsgeräten und die dazu führende Herabsetzung der Nutzlast verursache vermehrte Transportbewegungen und somit Kosten. Zu den Investitionen und Kosten meint der Befragte, dass beispielsweise
die Umrüstung je Fahrzeug «zwischen 15 000 und 30 000 Franken kostet, nur um die Lagertemperaturvorgaben auch auf dem Transportweg einhalten zu können». Im Übrigen tragen die GDP-Leitlinien auf EU-Ebene tatsächlich zur Arzneimittel- und Patientensicherheit bei. Sie dürften, meint Jenny, aber nicht «zu einer Überregulierung führen und dadurch die Kosten des Vertriebs massiv erhöhen. Regulierungen sind nur akzeptabel, wenn dadurch die Sicherheit erhöht wird sowie administrative Vereinfachungen und Produktivitätssteigerungen garantiert werden.»
Die Sicht der Ärzte Dr. med. Adrian P. Müller, Präsident der Vereinigung Ärzte mit Praxisapotheken (APA), weist darauf hin, dass Ärzte grundsätzlich nicht den GDPLeitlinien unterstellt sind, jedoch auch in der Pflicht stehen, gewisse Vorgaben einzuhalten. «Wir empfehlen alle Massnahmen, die nachweislich der Patientensicherheit dienen und praxistauglich sind. Wir warnen aber vor bürokratischem Formalismus. Arzneimittel sind keine Alltagsgüter. Sie erfordern eine besondere Ausbildung sowie einen korrekten Umgang. Deshalb gibt es hierzu auch eine Spezialgesetzgebung.» Die freiwillige Übernahme des EU-Rechts zwecks Vermeidung von Handelshemmnissen sei sinnvoll. «Die Patientensicherheit steht über allem. Die GDP-Leitlinien sollen helfen, dieses Ziel bestmöglich zu erfüllen. Es dürfen aber keine überspitzten und realitätsfremden Forderungen gestellt werden.» Von der Industrie und den Pharmagrossisten erwartet die Vereinigung APA ganz selbstverständlich, dass «die Arzneimittel immer und zu jeder Zeit qualitativ top sind». Ihre Aufgabe bezüglich der Arzneimittel sei, «für die nötige Qualitätssicherung in der Praxisapotheke zu sorgen und somit jederzeit eine höchstmögliche Patientensicherheit zu gewährleisten».
Die Sicht der Apotheken Dr. Conrad Egloff, Apotheker und CEO Pharmaworld, erachtet die Neuerungen der GDP-Leitlinien ebenfalls als «durchaus sinnvoll», weil damit zum
Beispiel «keine gefälschten oder qualitativ mangelhaften Produkte in den Umlauf gelangen». Das Hauptanliegen der GDP-Leitlinien liege ja darin, die Arzneimittelsicherheit zu erhöhen. Lückenlose Dokumentation der Lieferkette, Geschäftsbeziehungen mit ausschliesslich zertifizierten Lieferanten und Risikoanalysen minimieren die Risiken. Ebenso der Einsatz von Datenloggern und das genau definierte Vorgehen bei Rückrufen. Die Erwartungen an Industrie und Grossisten: «Eine einwandfreie Qualität der Arzneimittel gemäss behördlichen Vorgaben unter Einhaltung der GDP-Leitlinien wird als selbstverständlich angesehen. Alle für den Arzneimittelfluss relevanten Abläufe müssen in SOP (Standard Operating Procedures) definiert und dokumentiert werden.» Allerdings könne die Verschärfung des Retourenmanagements «zu einer Einschränkung des Arzneimittelsortiments führen, zum Nachteil für den Kunden». In jedem Fall sollten die Anforderungen an die Apotheken verhältnismässig sein. «Viele in den GDP-Leitlinien stipulierten Forderungen sind auch infolge der gesetzlichen Vorgaben für die Apotheken bindend und werden anlässlich der regelmässig stattfindenden Inspektionen durch die Behörden überprüft.» Engpässe sind allerdings absehbar: «Gerade in alten Gebäuden stellt die Einhaltung der Temperaturvorgaben namentlich in der warmen Jahreszeit eine grosse Herausforderung dar. Durch behördliche Vorgaben betreffend Energieverbrauch (2000-Watt-Gesellschaft) können nicht alle dazu benötigten Massnahmen ergriffen werden. Ein weiterer limitierender Faktor ist die Kostenfrage.»
Die nächste Ausgabe unserer Serie wird dem Thema «Distribution und Transport» gewidmet sein. Es lohnt sich für den Praktiker mit Selbstdispensation, am Thema GDP dranzubleiben. O
Wir danken dem Verlag Sanatrend (OTXWORLD) für die freundliche Überlassung des Textes.
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