Transkript
FORTBILDUNG
Serie: E-Health – Digitalisierung im Gesundheitswesen
Hausbesuch von einem Roboter
Wie können emotional-sozialinteraktive Roboter ambulant eingesetzt werden?
Die Zukunft hat bereits begonnen. Roboter kommen längst in verschiedenen beruflichen Disziplinen zum Einsatz. Vom industriellen Roboter über bionische Roboter, die Gliedmassen ersetzen, bis hin zum Serviceroboter, der unsere Fussböden sauber hält. Inzwischen gibt es aber auch Roboter, die unsere emotionalen und sozialen Interaktionen gezielt ansprechen und fördern sollen. Ein Praxisbericht.
lerweile therapeutische Wirksamkeit attestiert. Vorweggenommen sei an dieser Stelle bereits, dass esiRobots den Menschen im Gesundheitswesen nicht so schnell ersetzen werden. Im Gegenteil – sie bedeuten fachlichen und personellen Mehraufwand. Sie sind ein therapeutisches Instrument, das nicht einfach so abgegeben wird. Als kommunikatives Medium eingesetzt, erzeugen sie über die Beziehungsebene eine inzwischen nachgewiesene therapeutische Wirkung.
Mirella Chopard, Cornelia Sabitzki und Louis Chopard
Schon heute mangelt es in der Schweiz an medizinischem Fachpersonal. In den kommenden Jahren wird es laut aktuellen Studien an Tausenden Ärzten und Pflegenden fehlen. So liegt es nahe, dass wir über den Einsatz von Robotern nicht nur nachdenken. Neben den sogenannten Assistenz- und Hilfsrobotern, die menschliche Arbeitskraft ersetzen oder ergänzen, beschäftigt sich die Wissenschaft zunehmend mit der emotional-sozialinteraktiven Robotik. Eine erste wichtige Unterscheidung findet sich in Form und Erscheinungsbild eines Roboters. Humanoide Roboter sind der menschlichen Gestalt nachempfunden, wogegen mechanoide Roboter technisch-mechanisch aussehen. Zoomorphe Roboter entsprechen dem Erscheinungsbild von Tieren.
Emotional-sozialinteraktive Roboter als neuer Begriff Sozialinteraktiven Robotern werden folgende Fähigkeiten zugeschrieben (1): O Emotionen ausdrücken und wahrnehmen können O in komplexen Dialog treten und kommunizieren können O sein Gegenüber erkennen können (seien es Menschen oder
andere Roboter) O soziale Beziehungen aufbauen können O natürliche Launen über Blick, Gesten und so weiter aus-
drücken können O Persönlichkeit und Charakter zeigen können O soziale Kompetenz lernen und entwickeln können.
Im Fokus der emotional-sozialinteraktiven Roboter (esiRobots) (2) stehen, neben der sozialen Interaktion, unsere Emotionen. Diese Roboter lösen mit ihrer Interaktion beim Gegenüber gezielt Kernemotionen wie beispielsweise Freude und Entspannung aus. Deswegen wird den esiRobots mitt-
Besuchsrobbe – erster ambulanter esiRobot in der Ostschweiz
Am Beispiel der Besuchsrobbe lässt sich der ambulante Einsatz eines esiRobots praxisorientiert aufzeigen. Die Besuchsrobbe ist bekannter unter dem Namen PARO (so heisst der Roboter ab Werk, siehe Kasten 1) und kommt stationär bereits in verschiedenen Institutionen zum Einsatz. Ambulant wächst das Interesse zunehmend, da das Kriterium der Personalintensität dem stationären Einsatz oftmals Grenzen setzt.
Keine Konkurrenz für tiergestützte Therapie
Neben den hygienischen Bedingungen, die den Einsatz von Tieren begrenzen, haben viele Menschen auch Angst vor grossen Tieren. Die biografische Vorbelastung durch eine kleine weisse Babyrobbe ist als äusserst gering einzustufen. Bei den meisten Menschen löst der esiRobot PARO eher ein Babyschema mit kuschelndem Beschützerinstinkt und Wohlfühlmodus aus. Ein weiteres Plädoyer für den ergänzenden therapeutischen Einsatz der Besuchsrobbe ist der Tierschutz. Tiere dürfen nur eine bestimmte Zeit im therapeutischen Kontakt sein. Dann müssen sie Pause machen und sich erholen. Die Besuchsrobbe braucht diese Pausen nicht. Nach der Arbeit «frisst» sie etwas Strom und nach erfolgter professioneller Fellpflege ist sie auch nach vielen Stunden Arbeit schon wieder parat für den nächsten Einsatz.
Patienten emotional erreichen
Neben zwingenden fachlichen Interventionen weiss der Profi heute vom Einfluss der Psyche auf den Krankheitsverlauf. Selbstverständlich ist der Mensch für jeden Patienten das wichtigste Gegenüber. Dennoch wissen wir aus der Demenzpflege, dass es manchmal schwer bis unmöglich ist, Patienten nach jahrelangem Verlauf emotional zu erreichen. Es gibt eindrückliche Beobachtungen dazu, wie Demenzpatienten, die zum ersten Mal PARO im Arm halten, plötzlich wieder lächeln und aktiv von sich aus streicheln. Effekte, die weder durch die tägliche Ansprache noch mit leblosen Kuscheltieren
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Kasten 1:
Was kann die Roboterrobbe?
Der Hersteller beschreibt PARO als «Mental Commitment Robot», was sinngemäss als die Psyche anregender Roboter verstanden werden kann (3). Die Roboterrobbe PARO wurde 1993 von Takanori Shibata entwickelt, 2001 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und wird seit 2003 in Japan, Europa und den USA vermarktet. Aufgrund der verschiedenen Sensoren reagiert die Robbe auf Streicheln, Drücken und Kraulen. Das weiche Fell ist antibakteriell, und so findet die Robbe ihren Platz auch in Bereichen, die beispielsweise Therapiehunde im Spital aus hygienischen Gründen nicht betreten dürfen. Die Roboterrobbe kann sich bis zu 50 Namen merken, mit denen sie am häufigsten angesprochen wird. Sie reagiert aktiv mit Lauten und Bewegung bei erneuter Ansprache und nimmt Augenkontakt zum Patienten auf.
Abbildung 1: Die Besuchsrobbbe hat ein antibakterielles Fell und wird mit Strom «gefüttert».
erreicht werden können. Viele Patienten erleben durch PARO Freude und Entspannung. Dokumentiert sind ausserdem die Reduktion von Medikamenten und der Aufenthaltsdauer im Spital. Untersucht wurde auch die Wirksamkeit der Besuchsrobbe bei Kindern im Spital. Sie kommunizieren über die Robbe anders mit ihren Eltern und Bezugspersonen. So konnten sie beispielsweise Schmerzen konkreter und für ihre Umgebung nachvollziehbarer beschreiben.
Kooperation aus Fach und Peer
Die besuchsrobbe.ch ist derzeit das einzige ambulante Angebot für den Besuch eines esiRobots in Form der Babyrobbe PARO in der Schweiz. Das Team besteht aus drei Familienmitgliedern und einer gemeinsamen Vision, es bietet diese Dienstleistung in der Ostschweiz an, eine Expansion in andere Regionen ist derzeit nicht vorgesehen. Das Know-how der optionalen Begleitpersonen wird aus folgenden beruflichen Kompetenzen generiert: O Master in Social Informatics O Master in Supervision, Coaching and Mediation O Psychiatriepflege HF O Therapeutin IOT O Ergotherapeutin O Diplomierte Tierheilpraktikerin und Tierkommunikatorin O Peer im Bereich chronische Erkrankungen und Schmerz.
Ja nach Auftrag wird entschieden, von wem die Besuchsrobbe begleitet wird. Neben den therapeutischen Einsätzen entwickeln sich laufend weitere spannende Formate. So wird die Besuchsrobbe beispielsweise für das Angebot «Frag die Robbe» in Kindergärten und Schulen eingesetzt. Einerseits können Kinder in der Gruppe über das Medium spielerisch
Kasten 2:
Ein Tag im Leben der ambulanten Besuchsrobbe
Nachdem die Babyrobbe genug Strom «gefressen» hat und das Fell professionell gereinigt worden ist, macht sich ihre Bezugsperson mit ihr auf den Weg. Der erste Termin des Tages ist ein Besuch bei Tobi. Die Mama von Tobi freut sich immer sehr darauf, denn ihr autistischer Sohn ist in diesen 60 Minuten mit der Besuchsrobbe, die er Jim nennt, stets entspannt. Ein Zustand, der für manche autistischen Kinder nur schwer durch eine soziale Interaktion herbeigeführt werden kann. Einmal ist er sogar eingeschlafen, während er Jim streichelte.
Danach fährt die Bezugsperson die Babyrobbe zu Ursula (siehe Abbildung 2). Ursula war lange krank und durfte die Robbe schon während der Chemotherapie kennenlernen. Sie nennt sie Schneewittchen und erlebt viel Freude beim Streicheln und bei intensiven Gesprächen. Sie spricht viel mit der Robbe, aber auch mit der Bezugsperson über Schneewittchen. Sie erzählt ausserdem von ihrer Vorfreude auf den nächsten Besuch.
Danach reisen die Bezugsperson und die Robbe zu Heinrich. Er hat keinen Namen für die Besuchsrobbe. Er sagt immer nur «na, du …» und streichelt sie immer und immer wieder. Dabei lächelt er und sieht glücklich und entspannt aus (siehe Abbildung 3). Heinrich leidet an starken Depressionen, und Medikamente kommen für ihn nicht infrage. Nun fährt die Bezugsperson mit der Babyrobbe wieder nach Hause. Morgen beginnt ein neuer Tag – mit dem Besuch auf einer Palliativstation.
Abbildung 2: Besuch bei einer krebskranken Patientin
Abbildung 3: Besuch bei einem depressiven Patienten
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wichtige Themen reflektieren. Andererseits leistet die Besuchsrobbe damit einen unerlässlichen Beitrag im Bereich der Roboterethik: Was ist der Unterschied zwischen einem Roboter und meinem Haustier? Was ist erlaubt und was nicht? Schliesslich besucht die Roboterrobbe jetzt die Generation, die zukünftig unsere Roboter programmieren wird. Zeitweise wird die Besuchsrobbe auch für Prozesse zur Teamentwicklung eingesetzt und ermöglicht damit eine erlebnisorientierte Herangehensweise.
Emotional-sozialinteraktive Roboter polarisieren
in unserer Gesellschaft
Der Einsatz von esiRobots löst ebenso viel Faszination wie Ablehnung aus. Wer offen ist für Neues, wird sich an die esiRobots heranwagen und erleben können, wie sie wirken. Es braucht aber zwingend auch eine kritische Betrachtung; Forschung und weitere praxisrelevante Erkenntnisse sind erforderlich. In Abgrenzung zu den Assistenz- und Servicerobotern, sind esiRobots als therapeutisches Instrument zu verstehen. Sie sollen die menschliche Arbeitskraft nicht konkurrieren oder ersetzen. Im Gegenteil. Sie können die Möglichkeiten der therapeutischen Einflussnahme erweitern und somit Heilung begünstigen oder Krankheitsverläufe mildern. Letztlich aber trifft auch hier der Faktor Wirksamkeit auf die Faktoren Gesellschaft und Kultur. So zeigten beispielsweise schon vor Jahren Studien auf, dass die Wirksamkeit eines Medikaments unter anderem davon abhängt, ob wir an dessen Wirksamkeit glauben oder ihm sehr kritisch, gar skeptisch gegenüberstehen. Beispiel: Die Gegner von Psychopharmaka oder Antibiotika tragen ihre Argumente mit mindestens genauso viel Überzeugung vor wie ihre Befürworter. Manchmal bleibt am Schluss vor allem das, woran wir glauben. Hauptsache, es wirkt.
Roboter haben in Japan einen anderen Stellenwert
Zum Ausklang ein kultureller Vergleich, der nachdenklich stimmt: Warum begegnen wir im westlichen Europa dem Einsatz von Robotern so kritisch oder zumindest doch mit viel Vorbehalt? Das buddhistische Japan steht Robotern
grundsätzlich unvoreingenommener gegenüber. Das mag daran liegen, dass Menschen, Tiere, Pflanzen, Steine und auch Roboter und so weiter im Buddhismus gleichermassen eine Verkörperung des Göttlichen darstellen. In der buddhistischen Philosophie ist alles ein Teil des Ganzen, das sich gegenseitig bedingt. Wir hingegen unterscheiden strikt zwischen lebendig und nicht lebendig, beseelt oder nicht beseelt. Der westliche Kulturkreis fürchtet, die Kontrolle über Maschinen oder künstlich geschaffene Wesen zu verlieren (4). Wir bauen und nutzen die Roboter. Wir programmieren sie nach unseren Vorstellungen. Sind wir dann nicht auch für die Kontrolle verantwortlich? Kontrolle kann nur ausüben, wer Verantwortung übernimmt und sich mit den Robotern beschäftigt, statt sie zu verdammen oder ihnen blind zu vertrauen. O
Kontaktadresse: besuchrobbe.ch Mirella Chopard, Geschäftsleitung Feldholzstrasse 22 9242 Oberuzwil E-Mail: info@besuchsrobbe.ch Internet: www.besuchsrobbe.ch
Literatur: 1. Fong T et al.: A survey of socially interactive robots. Robotics and Autonomous
Systems 2003; 42: 143–166. 2. Chopard L: Emotional- und sozialinteraktive Roboter in der psychiatrischen Pflege:
Masterarbeit; 2015: 16–17. 3. PARO: Seal-type therapeutic robot. 2014; gefunden am 10.9.2014 unter http://paro.jp/ 4. Wagner C: Robotopia Nipponica – Recherchen zur Akzeptanz von Robotern in Japan.
Tectum Verlag Marburg; 2013: 47–49.
Mehr zum Thema online im Blog des UniversitätsSpitals Zürich
Begleitend zur Fortbildungsserie «E-Health: Digitalisierung in der Medizin», die in Kooperation mit der Abteilung für Klinische Telemedizin des Universitätsspitals Zürich entsteht, finden Sie im Blog des USZ ergänzende Informationen und Meinungen zum Thema unter: www.blog.usz.ch
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