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POLITFORUM
Xundheit in Bärn
MOTION vom 27.9.2016
Gesundheitskosten durch Hilfe zur Selbsthilfe senken
Maja Ingold Nationalrätin EVP Kanton Zürich
Der Bundesrat wird aufgefordert, der gemeinschaftlichen Selbsthilfe als besonders effektivem und effizientem Instrument der Krankheitsbewältigung in den nationalen Gesundheitsstrategien höhere Priorität einzuräumen und sie in der Mittelzuteilung gemäss Wirksamkeit zu berücksichtigen.
Begründung Die gemeinschaftliche Selbsthilfe,
das heisst die Teilnahme von gleich betroffenen Personen an Selbsthilfegruppen sowie deren Förderung in vielen gesundheitlichen und sozialen Bereichen, ist für die Krankheitsbewältigung und Gesundheitserhaltung von grosser Bedeutung. Sie ist eine wichtige Akteurin für das Selbstmanagement und die Gesundheitskompetenz. Sie unterstützt z.B. die von einer chronischen Krankheit betroffenen Personen dabei, trotz gesundheitlicher Einschränkungen die Lebensqualität aufrechtzuerhalten, kann den Bedarf an Gesundheitsdienstleistungen reduzieren oder deren Wirkung stärken. Die Selbsthilfe spielt auch in der Prävention eine wichtige Rolle. Direktbetroffene sowie helfende
Angehörige erleben in der Selbsthilfe gegenseitige Hilfe und Solidarität und übernehmen Selbstverantwortung. So erreichen sie einen höheren Grad an Gesundheitskompetenz. Die Stärkung der Selbsthilfe ist ein Querschnittthema, das in verschiedenen Massnahmen zur Umsetzung von Gesundheit 2020 berücksichtigt wird, etwa im Rahmen der Prävention nicht übertragbarer Krankheiten (NCD-Strategie). Auch die geplanten Massnahmen zur Stärkung der Patientenrechte leisten einen Beitrag dazu. In der Schweiz sind krankheitsspezifische Patientenangebote mit Beratung bereits recht zahlreich vorhanden, aber nur wenige krankheitsübergreifende Ange-
bote zur Stärkung der Gesundheitskompetenz, wie es die gemeinschaftliche Selbsthilfe in den über 2300 Selbsthilfegruppen mit über 43 000 Teilnehmenden bietet. Es fehlt in der Schweiz eine Kultur der Hilfe durch Selbsthilfe. Die Erfahrungsexpertise der Patienten und Angehörigen soll die Fachexpertise der Medizin und Pflege ergänzen. Umso mehr braucht es Informations- und Öffentlichkeitsarbeit sowie regionale Selbsthilfezentren und Vernetzung auf nationaler Ebene. Für eine echte Stärkung und Anhebung des Stellenwertes der gemeinschaftlichen Selbsthilfe ist eine Mittelzuteilung notwendig, welche die Wirksamkeit der Selbsthilfe berücksichtigt.
Stellungnahme des Bundesrates vom 23.11.2016 (leicht gekürzt)
Es liegen für ausgewählte Krankheiten Forschungsergebnisse vor, die belegen, dass die krankheitsbezogene gemeinschaftliche Selbsthilfe einen wichtigen eigenständigen Beitrag zur Gesundheit der Bevölkerung leistet. Der Bundesrat kann sich gut vorstellen, dass dies auch für weitere schwere Krankheiten gilt. Er räumt in seiner Strategie Gesundheit 2020 der gemeinschaftlichen Selbst-
hilfe daher eine hohe Priorität ein. Alle aktuellen nationalen Strategien, Programme und Konzepte berücksichtigen das Potenzial der Selbsthilfe bereits und beziehen die entsprechenden Akteure in die Umsetzung der Programme mit ein. Auf Bundesebene fehlt eine gesetzliche Grundlage zur Förderung der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. Eine bundesgesetzliche Verankerung von neuen
Bundesaufgaben zugunsten der gemeinschaftlichen Selbsthilfe könnte die Kultur der Hilfe durch Selbsthilfe weiter fördern und ein Zeichen setzen, damit sich Kantone und Gemeinden für die Verbesserung der Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten durch Selbsthilfe ebenfalls vermehrt einsetzen. Der Bundesrat hat am 24. Juni 2015 das Eidgenössische Departement des Innern beauftragt, ein Patienten-
informationsgesetz zu prüfen. Er ist bereit, im Rahmen dieses Prüfauftrages abzuklären, ob und inwieweit schweizweite und koordinierte Bevölkerungsinformationen auf Bundesebene sowie Finanzhilfen zugunsten von Einzelprojekten von Dritten zur Förderung von Selbsthilfegruppen sinnvoll und opportun wären.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung der Motion.
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POSTULAT vom 16.6.2016
Systemwechsel bei der Medikamentenpreisbildung
Thomas Weibel Nationalrat GLP Kanton Zürich
Medikamentenpreise sind behördlich administrierte Preise. Die regulatorischen Rahmenbedingungen sollten eine möglichst marktnahe Dynamik bei diesen Preisen sicherstellen. Eine solche fehlt zurzeit. Der Bundesrat wird beauftragt, einen Bericht vorzulegen, der folgende Fragestellungen untersucht: 1. In welchen Bereichen der Medi-
kamentenversorgung herrscht Angebotsvielfalt, das heisst, wo stehen aktuell austauschbare Therapiealternativen zur Verfügung?
2. Welcher Teil der Medikamentenversorgung entfällt auf Medikamente ohne Alternative für Patienten?
3. Welche Vor- und Nachteile hätte der Wegfall der SL-Preise auf die Medikamentenversorgung und -preise?
4. Welche Erfahrungen für die Preisfestsetzung gibt es aus Ländern ohne behördliche Preisfestsetzung?
5. Was wären die Konsequenzen, wenn bei austauschbaren Arzneimitteln die staatlich administrierten SL-Preise aufgehoben würden und die Einkaufskonditionen stattdessen durch Leistungserbringer einerseits und Hersteller und Lieferanten andererseits verhandelt würden?
6. Welche Vorkehrungen brauchte es für Arzneimittelanbieter in einer Monopolsituation? Wie
könnten missbräuchliche Preise erfolgreich bekämpft werden? 7. Wie könnten in einem behördlich fixierten Preissystem dynamische Effekte von Angebot und Nachfrage besser abgebildet werden? 8. Wie beurteilt er eine mögliche Medikamentenpreisgestaltung aufgrund diagnosebasierter «Medikamentenpauschalen» oder «Pay for Performance»Ansätzen?
Begründung Die aktuellen Verordnungsbestimmungen der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) und der Krankenversicherungsverordnung (KVV) zur Medikamentenpreisbildung sind nicht KVG-konform. Heute wird der TQV vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) systematisch vernachlässigt. Jüngste BVG-Urteile
zwingen das BAG dazu, die Verordnungen anzupassen und den TQV jeweils systematisch zu berücksichtigen. Jedoch stellt sich die Frage, ob und inwiefern administrierte Preise im Bereich der Medikamente überhaupt sinnvoll sind. Administrierte Preise scheitern daran, dynamische Effekte, die im freien Markt zu Preissenkungen führen würden, abzubilden. Kommt zum Beispiel ein neues, besseres Konkurrenzprodukt auf den Markt, hat das keine Auswirkungen auf die vom BAG fixierten SL-Preise des alten Medikaments. Ebenso wenig sinken die Preise eines Medikaments, das sein Absatzvolumen erweitern kann (z.B. wegen einer Indikationserweiterung). Deshalb ist ein Systemwechsel, der die Medikamentenpreise den Marktkräften von Angebot und Nachfrage aussetzt, seriös zu prüfen.
Dies die Antwort des Bundesrats vom 7.9.2016
Die behördlich in der Spezialitätenliste (SL) festgesetzten und von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) vergüteten Preise gewährleisten Rechtssicherheit für alle Beteiligten sowie die Versorgung mit Arzneimitteln in der Schweiz. Sie bewähren sich darum aus Sicht des Bundesrates. Dies hat auch die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates in ihrem Bericht vom 25. März 2014 festgehalten, indem sie das bestehende System bestätigt und lediglich Empfehlungen für weitere Optimierungen angebracht hat. Der Bundesrat und das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) achten bei Anpassungen der rechtlichen Bestimmungen zur SL stets darauf, dass die Versorgung der Schweizer Bevölkerung sichergestellt wird und der OKP keine ungerechtfertigten Kosten entstehen. Der Bundesrat hat in den letzten Jahren mehrere Anpassungen beschlossen, die dazu beigetragen haben, das Kostenwachstum bei den Arzneimitteln zu stabilisieren. In den Jahren 2012 bis 2014 überprüfte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Wirtschaftlichkeit aller Arzneimittel der SL und konnte Einsparungen zugunsten der OKP von 600 Millionen
Franken erreichen. Bereits seit dem Jahr 2006 müssen Zulassungsinhaber dem BAG neu zugelassene Indikationen von in der SL gelisteten Arzneimitteln melden. Das BAG überprüft dann die Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit neu. Dies führte meist zu Preissenkungen. Wie der Bundesrat in seiner Antwort auf die Interpellation Eberle 16.3428, «Medikamentenpreisüberprüfung. Gegenläufige Kostenentwicklung berücksichtigt?», festgehalten hat, führt der Bundesgerichtsentscheid vom 14. Dezember 2015 zu einer Anpassung der Verordnungsbestimmungen, die sich nun in der Vernehmlassung befindet. Die periodische Überprüfung soll im Jahr 2017 wieder aufgenommen werden, was in den nächsten drei Jahren zu Einsparungen von rund 180 Millionen Franken führen dürfte. Da Generika in den Referenzländern durchschnittlich um bis zu 50 Prozent günstiger sind als in der Schweiz, sieht der Bundesrat im Rahmen dieser Anpassungen zusätzliche kosteneinsparende Anpassungen für diesen Bereich vor. Gerade die Erfahrungen im Bereich der patentabgelaufenen Arzneimittel (Originalpräparate und Generika)
deuten darauf hin, dass die Marktkräfte von Angebot und Nachfrage nicht genügend spielen und eine ausreichende Dynamisierung zugunsten tieferer Arzneimittelpreise nicht so einfach erzielt werden kann. Der Bundesrat erwartete, dass die seit 2011 auf Generika anwendbaren Massnahmen (erhöhter Selbstbehalt, Preisabstandsregeln) zu einer stärkeren Dynamisierung bei der Preisbildung im patentabgelaufenen Bereich führen würde. Die Preise bleiben nach anfänglichen Veränderungen aber stabil. Auch fällt auf, dass die Preise von Originalpräparaten trotz bestehender günstigerer Konkurrenz durch Generika oft nicht gesenkt werden. Diese Erfahrungen sprechen für eine behördliche Regulierung der Preise. Der Vergleich mit dem Ausland zeigt, dass ohne staatliche Preisfestsetzung die Arzneimittelpreise tendenziell höher sind. In Deutschland zum Beispiel werden die Preise erst nach einem Jahr behördlich geregelt. Bis zu diesem Zeitpunkt liegen sie oftmals über dem Durchschnittspreis der übrigen Referenzländer des BAG (Dänemark, Grossbritannien, die Niederlande, Frankreich, Österreich, Belgien, Finnland und Schweden). Umgekehrt sind die Preise zum Beispiel in Frankreich in der Regel wesentlich
günstiger, da dort die Preise einer Regulierung unterworfen sind. Die anfänglich überdurchschnittlichen Preise in Deutschland führen dort nun gemäss aktuellen Medienberichten aber auch zu Anpassungen; demnach soll im ersten Jahr eine Umsatzschwelle eingeführt werden. Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die Kriterien zur Erstellung der SL ändern können. Er verfolgt die Entwicklung der Vergütung im In- und Ausland und ist bereit, Anpassungen vorzunehmen, wenn diese angezeigt erscheinen. Deshalb hat er das EDI beauftragt, die Arbeiten zur Einführung eines Referenzpreissystems an die Hand zu nehmen. Es handelt sich um ein System zur Vergütung von patentabgelaufenen Arzneimitteln, das in Europa bereits weitverbreitet ist. Die im Postulat aufgeführten Fragestellungen zielen auf einen weitgehenden Systemwechsel ab, den der Bundesrat etwa ausgehend von den Erfahrungen im Generikabereich in der Schweiz und vor dem Hintergrund der steigenden Gesundheitskosten nicht als zielführend beurteilt.
Der Bundesrat beantragt die Ablehnung des Postulates.
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