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BERICHT
Neue Dyslipidämie-Leitlinie: LDL-Cholesterin im Mittelpunkt
Statine bleiben die Basis, PCSK9-Inhibitoren erstmals erwähnt
Die neue, im Rahmen des ESC-Kongresses in Rom präsentierte Leitlinie zum Management von Dyslipidämien wurde mit Spannung erwartet und enthält einige praxisrelevante Neuerungen. Als primäres Therapieziel soll das LDL gesenkt werden. Das HDL ist hingegen kein Therapieziel.
Reno Barth
In der aktuellen Leitlinie finden erstmals die neuen Inhibitoren des Proprotein-Convertase-Subtilisin/Kexin-Typs 9 (PCSK9-Inhibitoren) Erwähnung. Dies allerdings mit einem sehr vorsichtigen Statement: PCSK9Inhibitoren sollen nur bei Patienten mit anhaltend hohem LDL-Cholesterin, die bereits eine Statin- und Ezetimibtherapie erhalten, zum Einsatz kommen. Damit reflektiert die Leitlinie insofern die aktuelle Evidenzlage, als Studien mit harten klinischen Endpunkten wie Myokardinfarkt oder Mortalität mit den PCSK9-Inhibitoren noch weitgehend ausstehen. Jedoch haben die PCSK9-Inhibitoren in den Zulassungsstudien dramatische LDL-Senkungen bei guter Verträglichkeit demonstriert. Personen mit schwerer familiärer Hypercholesterinämie, die üblicherweise nicht ausreichend auf Statine ansprechen, sind folglich gegenwärtig die wichtigste Zielgruppe dieser Medikamentengruppe.
Von primären
und sekundären Therapiezielen
Die neue Leitlinie unterscheidet zwischen primären und sekundären Therapiezielen, wobei, wie das Taskforce-Mitglied Prof. Alberto Cordero aus Alicante (Spanien) betonte, das LDL-Cholesterin das primäre Therapieziel darstelle. Die überwältigende Evidenz aus grossen Studien habe gezeigt, dass sich das LDL einerseits mit einer Statintherapie gut beeinflussen lasse und dass andererseits die LDL-Senkung direkte Auswirkungen auf klinische Outcomes habe. De facto ist das LDL damit in der aktuellen Situation praktisch das alleinige Therapieziel. Triglyzeride und Lipoprotein(a) spielen
eine sehr untergeordnete Rolle als sekundäre Ziele, die in bestimmten Risikopopulationen gemessen und gesenkt werden sollen. So soll Lipoprotein(a) bei Personen mit besonderem Risiko, wie zum Beispiel familiärer Hypercholesterinämie oder wiederkehrender KHK, auch bei optimaler LDL-Senkung bestimmt werden. Eine Therapie erhöhter Triglyzeridspiegel wird bei Personen mit sehr hohem Risiko und Triglyzeridwerten jenseits von 200 mg/dl empfohlen. Allerdings sind die therapeutischen Optionen sehr begrenzt. Für die Triglyzeridsenkung empfiehlt die Leitlinie Fibrate, wobei Cordero unterstrich, dass die Basis der Therapie auch bei Risikopatienten mit erhöhten Triglyzeridwerten die Statine blieben und Fibrate lediglich als «add-on» zum Einsatz kämen. Eine Beeinflussung von Lipoprotein(a) ist nur mit PCSK9-Inhibitoren möglich, da für Nikotinsäure in Europa keine Zulassung besteht. Das HDL kommt in den Überlegungen der Taskforce als Therapieziel nicht mehr vor, zumal die Evidenz dafür spricht, dass dysfunktionales HDL das kardiovaskuläre Risiko stärker beeinflusst als der HDLSpiegel. Hinsichtlich der Bestimmung der Lipidwerte gibt es eine wichtige Änderung: Es wird nicht mehr der Nüchternwert verlangt, sondern die Blutprobe kann zu jeder Tageszeit genommen werden, da LDLSpiegel im Lauf des Tages wenig variieren.
Nach wie vor aktuell:
das SCORE-System
Die Indikations zur lipidsenkenden Therapie erfolgt nach wie vor anhand des individuellen Risikos, das nach dem SCORE-
System errechnet wird. Bei sehr hohem Risiko wird ein LDL-Ziel unter 70 mg/dl empfohlen, bei hohem Risiko sollen 100 mg/ dl erreicht werden, und bei moderatem Risiko lautet die Empfehlung 115 mg/dl. Da LDL-Werte unter 70 mg/dl in der Praxis oft nicht zu erreichen sind, wird bei hohem und sehr hohem Risiko auch eine LDL-Senkung um 50 Prozent akzeptiert. Für Patienten nach akutem Koronarsyndrom oder elektiver Katheterintervention empfiehlt die neue Leitlinie initial eine hoch dosierte Statintherapie unabhängig vom AusgangsLDL. Solche ehrgeizigen Ziele sind im klinischen Alltag nicht leicht zu erreichen, zumal Patienten individuell sehr unterschiedlich auf Statine ansprechen. Die Statintherapie soll eskaliert werden, bis das Therapieziel, die individuelle Unverträglichkeit oder die zugelassene Höchstdosis erreicht sind. Ist die Statintherapie ausgereizt, kommen Kombinationstherapien zum Einsatz. Die mit Abstand beste Evidenzlage hinsichtlich eines Kombinationspartners von Statinen gibt es für den Cholesterinaufnahmehemmer Ezetimib. Die Zugabe von Ezetimib zu einer Statintherapie ermöglicht die zusätzliche Senkung des LDL-Cholesterins um weitere 15 bis 20 Prozent. In der neuen Leitlinie gibt die ESC auch Empfehlungen für ein Management des LDL-Spiegels durch Lebensstilmodifikation, die allerdings recht unspezifisch ausgefallen sind.O
Reno Barth
Quelle: Session «ESC Clinical Practice Guidelines 2016 – Highlights» anlässlich des Jahreskongresses der European Society of Cardiology (ESC), 31. August in Rom.
Die neue ESC-Leitlinie zum Management der Dyslipidämie ist online kostenlos verfügbar unter: http://eurheartj.oxfordjournals.org/content/ early/2016/08/26/eurheartj.ehw272
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ARS MEDICI 3 I 2017